|
[562] Glosters Schloß.
Es treten auf Cornwall, Regan, Goneril, Edmund und Bediente.
CORNWALL. Eilt sogleich zu Mylord, Eurem Gemahl: zeigt ihm diesen Brief: die französische Armee ist gelandet. Geht, sucht den Schurken Gloster!
Einige Bediente gehn ab.
REGAN. Hängt ihn ohne weiteres!
GONERIL. Reißt ihm die Augen aus!
CORNWALL. Überlaßt ihn meinem Unwillen! Edmund, leistet Ihr unsrer Schwester Gesellschaft; die Rache, die wir an Eurem verräterischen Vater zu nehmen gezwungen sind, verträgt Eure Gegenwart nicht wohl. – Ermahnt den Herzog, wenn Ihr zu ihm kommt, zur schleunigsten Rüstung; wir sind zum Gleichen verpflichtet. Unsre Boten sollen schnell sein und das Verständnis zwischen uns erhalten.[562] Lebt wohl, liebe Schwester, – lebt wohl, Mylord von Gloster!
Haushofmeister tritt auf.
CORNWALL.
Nun? wo ist der König?
HAUSHOFMEISTER.
Mylord von Gloster hat ihn fortgeführt.
Fünf- oder sechsunddreißig seiner Ritter,
Ihn eifrig suchend, trafen ihn am Tor,
Und ziehn, nebst andern von des Lords Vasallen,
Mit ihm nach Dover, wo sie rüst'ger Freunde
Sich rühmen.
CORNWALL.
Schafft die Pferde Eurer Herrin!
GONERIL.
Lebt wohl, Mylord und Schwester!
Goneril und Edmund gehn ab.
CORNWALL.
Edmund, leb wohl! – Sucht den Verräter Gloster,
Bind't ihn, gleich wie 'nen Dieb, führt ihn hieher!
Obgleich wir ihm nicht wohl ans Leben können
Ohn' alle Rechtsform: doch soll unsre Macht
Willfahren unserm Zorn, was man zwar tadeln,
Nicht hindern mag. Wer kommt? Ist's der Verräter?
Bediente kommen mit Gloster.
REGAN.
Der undankbare Fuchs! Er ist's.
CORNWALL.
Bind't ihm die welken Arme!
GLOSTER.
Was meint Eu'r Hoheit? Freunde, denkt, ihr seid
Hier meine Gäste; frevelt nicht an mir!
CORNWALL.
Bind't ihn!
Gloster wird gebunden.
REGAN.
Fest! Fest! O schändlicher Verräter!
GLOSTER.
Du unbarmherz'ge Frau, das war ich nie. –
CORNWALL.
Bind't ihn an diesen Stuhl: Schuft, du sollst sehn –
Regan zupft ihn am Barte.
GLOSTER.
Beim güt'gen Himmel, das ist höchst unedel,
Zu raufen meinen Bart!
REGAN.
So weiß, und solch ein Schelm!
GLOSTER.
Ruchlose Frau,
Dies Haar, das du entreißest meinem Kinn,[563]
Verklagt dich droben einst; ich bin Eu'r Wirt;
Ihr solltet nicht mit Räuberhand mißhandeln
Mein gastlich Angesicht. Was wollt Ihr tun?
CORNWALL.
Sprecht, was für Briefe schrieb man Euch aus Frankreich?
REGAN.
Antwortet schlicht, wir wissen schon die Wahrheit.
CORNWALL.
Und welchen Bund habt Ihr mit den Verrätern,
Die jetzt gelandet sind?
REGAN.
In wessen Hand gabt Ihr den tollen König?
Sprecht!
GLOSTER.
Einen Brief erhielt ich voll Vermutung,
Von jemand, der zu keiner Seite neigt,
Und der nicht feindlich ist.
CORNWALL.
Ausflucht!
REGAN.
Und falsch!
CORNWALL.
Wo sandtest du den König hin?
GLOSTER.
Nach Dover.
REGAN.
Warum nach Dover?
Stand nicht dein Leben drauf –
CORNWALL.
Warum nach Dover? Erst erklär' er das!
GLOSTER.
Am Pfahle fest muß ich die Hatze dulden.
REGAN.
Warum nach Dover?
GLOSTER.
Weil ich nicht wollte sehn, wie deine Nägel
Ausrissen seine armen, alten Augen;
Noch wie die unbarmherz'ge Goneril
In sein gesalbtes Fleisch die Hauer schlage.
Die See, in solchem Sturm, wie er ihn barhaupt
In höllenfinstrer Nacht erduldet, hätte
Sich aufgebäumt, verlöscht die ew'gen Lichter:
Doch armes, altes Herz, er half
Dem Himmel regnen. Wenn ein Wolf geheult
In jener grausen Nacht an deinem Tor,
Du hätt'st gerufen: »Pförtner, tu' doch auf!« –
Wer grausam sonst, ward mild. Doch seh' ich noch
Beschwingte Rach' ereilen solche Kinder.
CORNWALL.
Sehn wirst du's nimmer. Halte fest den Stuhl,
Auf deine Augen setz' ich meinen Fuß.[564]
GLOSTER.
Wer noch das Alter zu erleben hofft,
Der steh' mir bei: – o grausam! O ihr Götter! –
REGAN.
Eins wird das andre höhnen; jenes auch.
CORNWALL.
Siehst du nun Rache? –
DIENER.
Haltet ein, Mylord!
Seit meiner Kindheit hab' ich Euch gedient,
Doch bessern Dienst erwies ich Euch noch nie
Als jetzt Euch: Halt! zurufen.
REGAN.
Was, du Hund?
DIENER.
Wenn Ihr 'nen Bart am Kinn trügt, ich zaust' ihn
Bei solchem Streit; was habt Ihr vor?
CORNWALL.
Mein Sklav'?
Er zieht den Degen.
DIENER.
Nun, dann nehmt hin, was Wut und Zufall bringen!
Sie fechten; Cornwall wird verwundet.
REGAN zu einem Bedienten.
Gib mir dein Schwert; lehnt sich ein Bauer auf?
Sie durchsticht ihn von hinten.
DIENER.
Oh, ich bin hin! Mylord, Euch blieb ein Auge,
Die Straf' an ihm zu sehn. – Oh!
Er stirbt.
CORNWALL.
Dafür ist Rat: heraus, du schnöder Gallert! –
Wo ist dein Glanz nun?
GLOSTER.
Alles Nacht und trostlos.
Wo ist mein Sohn Edmund? –
Edmund, schür' alle Funken der Natur,
Und räche diesen Greu'l.
REGAN.
Ha, falscher Bube,
Du rufst den, der dich haßt: er selber war's,
Der deinen Hochverrat entdeckt; er ist
Zu gut, dich zu bedauern.
GLOSTER.
O mein Wahnsinn!
Dann tat ich Edgar Unrecht.
Götter, vergebt mir das, und segnet ihn! –
REGAN.
Fort, werft ihn aus dem Tor, dann mag er riechen
Den Weg nach Dover.
Gloster wird weggebracht.[565]
Wie ist Euch, Herr? – Wie geht's?
CORNWALL.
Er schlug mir eine Wunde. – Folgt mir, Lady!
Hinaus den blinden Schurken! Diesen Hund
Werft auf den Mist! Regan, ich blute stark;
Dies kommt zur Unzeit. Gib mir deinen Arm!
Regan führt Cornwall ab.
ERSTER DIENER.
Ich achte nicht, was ich für Sünde tu',
Wenn's dem noch wohl geht.
ZWEITER DIENER.
Lebt sie lange noch,
Und endigt leichten Tods nach altem Brauch,
So werden alle Weiber Ungeheuer.
ERSTER DIENER.
Ihm nach, dem alten Grafen; schafft den Tollen,
Daß er ihn führen mag: sein Bettlerwahnsinn
Läßt sich zu allem brauchen.
ZWEITER DIENER.
Geh nur, ich hol' ihm Flachs und Eierweiß,
Es auf sein blutiges Gesicht zu legen;
Der Himmel helf' ihm! –
Sie gehn ab nach verschiednen Seiten.[566]
Ausgewählte Ausgaben von
König Lear
|
Buchempfehlung
E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz
244 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro