[593] Das britische Lager bei Dover.
Edmund tritt als Sieger auf, mit Trommeln und Fahnen. Lear und Cordelia als Gefangene. Offiziere, Soldaten und andere.
EDMUND.
Hauptleute, führt sie weg! In strenge Haft,
Bis deren höchster Wille wird verkündet,
Die ihre Richter.
CORDELIA.
Ich bin nicht die erste,
Die; Gutes wollend, dulden muß das Schwerste.
Dein Unglück, Vater, beugt mir ganz den Mut,
Sonst übertrotzt' ich wohl des Schicksals Wut.
Sehn wir nicht diese Töchter? diese Schwestern?
LEAR.
Nein, nein, nein, nein! Komm fort! Zum Kerker, fort! –
Da laß uns singen, wie Vögel in dem Käfig.
Bitt'st du um meinen Segen, will ich knie'n
Und dein Verzeihn erflehn; so woll'n wir leben,
Beten und singen, Märchen uns erzählen,
Und über goldne Schmetterlinge lachen.
Wir hören armes Volk vom Hofe plaudern,
Und schwatzen mit: wer da gewinnt, verliert;[593]
Wer in, wer aus der Gunst; und tun so tief
Geheimnisvoll, als wären wir Propheten
Der Gottheit: und so überdauern wir
Im Kerker Ränk' und Spaltungen der Großen,
Die ebben mit dem Mond und fluten.
EDMUND.
Führt sie fort!
LEAR.
Auf solche Opfer, o Cordelia, streun
Die Götter selbst den Weihrauch. Hab' ich dich?
Wer uns will trennen, muß mit Himmelsbränden
Uns scheuchen, wie die Füchse. Weine nicht!
Die Pest soll sie verzehren, Fleisch und Haut,
Eh' sie uns weinen machen – nein, eh' sollen sie
Verschmachten! Komm!
Lear und Cordelia werden von der Wache abgeführt.
EDMUND.
Tritt näher, Hauptmann, horch!
Nimm dieses Blatt, folg' ihnen in den Kerker:
Schon eine Stuf' erhöht' ich dich, und tust du,
Wie dies verlangt, so bahnst du deinen Weg
Zu hohen Ehren. Merke dir's, der Mensch
Ist wie die Zeit: zartfühlend sein geziemt
Dem Schwerte nicht. Dein wichtiges Geschäft
Erlaubt kein Fragen; sag, du willst es tun,
Sonst such' dir andres Glück.
HAUPTMANN.
Ich bin bereit.
EDMUND.
So tu's, und sei beglückt, wenn du's vollbracht!
Doch – hörst du – gleich!
Wie ich dir's niederschrieb.
HAUPTMANN.
Ich kann den Karrn nicht ziehn noch Hafer essen;
Ist's menschenmöglich, will ich's tun.
Er geht ab.
Trompeten. Albanien, Goneril, Regan und Soldaten treten auf.
ALBANIEN.
Herr, Ihr habt heut viel Tapferkeit bewiesen,
Und hold war Euch das Glück. In Eurer Haft
Sind, die uns feindlich heut entgegenstanden.
Wir fordern sie von Euch und woll'n sie halten,
Wie's ihr Verdienst und unsre Sicherheit
Gleichmäßig heischen.[594]
EDMUND.
Herr, ich hielt für gut,
Den alten, schwachen König in Gewahrsam
Und sichre Hut bewacht hinwegzusenden.
Sein Alter wirkt, sein Rang noch mehr, wie Zauber,
Ihm der Gemeinen Herzen zu gewinnen
Und die geworbnen Lanzen wider uns,
Die Herrn, zu kehren. Mit ihm ward Cordelia
Aus gleichem Grund entfernt; sie sind bereit,
Auf morgen oder später zu erscheinen,
Wo Ihr die Sitzung haltet. Jetzt bedeckt
Uns Schweiß und Blut; der Freund verlor den Freund,
Und in der Hitze flucht dem besten Kampf,
Wer seine Schärfe fühlte. Doch die Frage
Wegen des Königs und Cordeliens heischt
Wohl eine beßre Stunde.
ALBANIEN.
Herr, erlaubt,
Ich acht' Euch nur als Diener dieses Kriegs,
Als Bruder nicht.
REGAN.
Das ist, wie's uns beliebt.
Mich dünkt, Ihr solltet unsern Wunsch erst fragen,
Eh' Ihr dies spracht. Er führte unser Heer,
Vertrat uns selbst und unsre höchste Würde,
Und kraft so hoher Vollmacht darf er aufstehn
Und Euch als Bruder grüßen.
GONERIL.
Nicht so hitzig:
Sein eigner Wert hat höher ihn geadelt
Als deine Übertragung.
REGAN.
In mein Recht
Durch mich gekleidet, weicht er nicht dem Besten.
ALBANIEN.
Das höchstens nur, wenn er sich Euch vermählte.
REGAN.
Aus Spöttern werden oft Propheten.
GONERIL.
Holla!
Das Aug', mit dem Ihr das gesehen, schielte.
REGAN.
Lady, mir ist nicht wohl, sonst gäb' ich dir
Aus vollem Herzen Antwort. General,
Nimm hin mein Heer, Gefangne, Land und Erbteil,
Schalt' über sie und mich; du hast nun alles;[595]
Bezeug's die Welt, daß ich dich hier erhebe
Zu meinem Herrn und Eh'gemahl.
GONERIL.
Wie, hoffst du,
Ihn zu besitzen?
ALBANIEN.
Dein guter Wille wird es nicht verhindern.
EDMUND.
Noch Eurer, Herr!
ALBANIEN.
Halbbürt'ger Bursche, ja!
REGAN.
Die Trommeln rührt! – Verficht mein Recht als deins!
ALBANIEN.
Halt! Hört ein Wort! Edmund, um Hochverrat
Verhaft' ich dich und diese goldne Schlange.
Auf Goneril deutend.
Was Euern Anspruch anlangt, schöne Schwester,
Ich muß ihn hindern namens meiner Frau.
Die Dam' ist insgeheim dem Lord verlobt,
Und ich, ihr Mann, vernicht' Eu'r Aufgebot.
Sucht Ihr 'nen Gatten, schenkt Eu'r Lieben mir,
Mein Weib ist schon versagt.
GONERIL.
Ein Zwischenspiel!
ALBANIEN.
Du bist in Waffen, Gloster – blast, Trompeten!
Kommt niemand, dich ins Angesicht zu zeihn
Verruchten, offenbaren Hochverrats –
Hier ist mein Pfand, aufs Haupt beweis' ich's dir,
Eh' Brot mein Mund berührt, du seist das alles,
Wofür ich dich erklärt.
REGAN.
Krank! ich bin krank!
GONERIL beiseit.
Wenn nicht, so trau' ich keinem Gift.
EDMUND.
Hier ist mein Gegenpfand! Wer in der Welt
Mich Hochverräter nennt, lügt wie ein Schurke.
Trompeten, blast! Wer zu erscheinen wagt,
An ihm, an Euch, an jedem sonst behaupt' ich
Fest meine Ehr' und Treu'.
ALBANIEN.
Ein Herold, ho!
Ein Herold tritt auf.
Vertrau' allein dem eignen Arm; dein Heer,
Wie ich's auf meinen Namen warb, entließ ich's
In meinem Namen.[596]
REGAN.
Diese Krankheit wächst! –
ALBANIEN.
Ist ihr nicht wohl; geht, führt sie in mein Zelt!
Regan wird weggebracht.
Herold, tritt vor! Laß die Trompete blasen!
Und lies dies laut!
Die Trompete wird geblasen; der Herold liest.
»Wenn irgendein Mann von Stand oder Rang im Heer wider Edmund, den angeblichen Grafen von Gloster, behaupten will, er sei ein vielfacher Verräter, der erscheine beim dritten Trompetenstoß; er ist bereit, sich zu verteidigen.«
EDMUND. Blase!
HEROLD. Noch einmal! – Noch einmal! –
Eine andre Trompete antwortet hinter der Bühne; darauf tritt Edgar bewaffnet auf; ein Trompeter geht ihm voran.
ALBANIEN.
Fragt, was er will, warum er hier erscheint
Auf der Trompete Ladung?
HEROLD.
Wer seid Ihr?
Eu'r Nam', Eu'r Stand? Warum antwortet Ihr
Auf diese Ladung?
EDGAR.
Wißt, mein Nam' erlosch,
Zernagt vom gift'gen Zahne des Verrats;
Doch bin ich edel wie mein Widerpart,
Dem ich Kampf biete.
ALBANIEN.
Welchem Widerpart?
EDGAR.
Wer stellt sich hier für Edmund Grafen Gloster? –
EDMUND.
Er selbst, was willst du ihm?
EDGAR.
So zieh' dein Schwert,
Daß, wenn mein Wort ein edles Herz verletzt,
Dein Arm dir Recht verschafft: hier ist das meine. –
Denn also ist das Vorrecht meines Standes,
Des Ritterschwures und Berufs: dich zeih' ich, –
Trutz deiner Stärke, Jugend, Würd' und Hoheit,
Trutz deinem Siegerschwert und neuem Glück,
Wie Kraft und Mut dich ziert, – du seist Verräter,
Falsch deinen Göttern, deinem Bruder, deinem Vater,
Rebellisch diesem hocherlauchten Fürsten,[597]
Und von dem höchsten Wirbel deines Haupts
Zu deiner Sohle tiefstem Staub herab
Ein krötengift'ger Bube. Sagst du »Nein!«, –
Dies Schwert, mein Arm, mein bester Mut sind fertig,
Was ich gezeugt, aufs Haupt dir zu beweisen:
Du lügst!
EDMUND.
Nach Vorsicht sollt' ich deinen Namen forschen;
Doch weil dein Äußres also schmuck und krieg'risch
Und Ritterschaft aus deiner Rede spricht, –
Was ich mit Fug und Vorsicht wohl verweigert,
Nach Recht des Zweikampfs, das will ich verachten.
In deine Zähne schleudr' ich den Verrat,
Werf' dir ins Herz zurück die Höllenlüge,
Der (denn sie streifte nur und traf mich kaum)
Mein Schwert sogleich die Stätte bahnen wird,
Wo sie auf ewig ruhn soll. Blast, Trompeten! –
Getümmel; sie fechten: Edmund fällt.
ALBANIEN.
O rettet ihn!
GONERIL.
Du fielst durch Hinterlist:
Nach Recht des Zweikampfs warst du nicht verpflichtet
Dem unbekannten Gegner; nicht besiegt, –
Getäuscht, betrogen bist du.
ALBANIEN.
Weib, schweig still,
Sonst stopft dies Blatt den Mund Euch.
Zu Edmund.
Seht hierher!
Zu Goneril.
Du Schändlichste! Lies deine Untat hier:
Zerreißt es nicht! Ich seh', Ihr kennt dies Blatt.
Er gibt den Brief an Edmund.
GONERIL.
Und wenn auch, ist das Reich doch mein, nicht dein:
Wer darf mich richten?
ALBANIEN.
Scheusal! Also kennst du's?
GONERIL.
Frag' mich nicht, was ich kenne!
Sie geht ab.
ALBANIEN.
Geh, folg' ihr; sie ist außer sich; bewacht sie!
EDMUND.
Wes du mich angeklagt, ich hab's getan,
Und mehr, weit mehr; die Zeit enthüllt es bald, –[598]
Sie ist am Schluß und so auch ich. Doch wer bist du,
Der so mir obgesiegt? Bist du ein Edler,
Vergeb' ich dir.
EDGAR.
Laß uns Erbarmung tauschen:
Ich bin an Blut geringer nicht als du;
Wenn mehr, so mehr auch hast du mich verletzt.
Edgar heiß' ich, bin deines Vaters Sohn.
Die Götter sind gerecht: aus unsern Lüsten
Erschaffen sie das Werkzeug, uns zu geißeln.
Der dunkle, sünd'ge Ort. wo er dich zeugte,
Bracht' ihn um seine Augen.
EDMUND.
Wahr, o wahr! –
Ganz schlug das Rad den Kreis, ich unterliege.
ALBANIEN.
Mir schien dein Gang schon königlichen Adel
Zu kündigen; ich muß dich hier umarmen.
Gram spalte mir das Herz, haßt' ich jemals
Dich oder deinen Vater!
EDGAR.
Würd'ger Fürst,
Das weiß ich.
ALBANIEN.
Doch, wo waret Ihr verborgen?
Wie kam Euch Kunde von des Vaters Elend?
EDGAR.
Indem ich's pflegte. – Hört ein kurzes Wort;
Und ist's erzählt, o bräche dann mein Herz! –
Der blut'gen Achtserklärung zu entgehn,
Die mir so nah war – oh, wie süß das Leben!
Daß stündlich wir in Todesqualen sterben
Lieber als Tod mit eins! – verhüllt' ich mich
In eines Tollen Lumpen; nahm ein Ansehn,
Daß Hunde selbst mich scheuten; so entstellt,
Fand ich den Vater mit den blut'gen Ringen,
Beraubt der edlen Steine; ward sein Leiter,
Führt' ihn und bettelte für ihn und schützt' ihn
Vor Selbstmord. – Nie, o Gott! – gab ich mich kund,
Bis ich vor einer halben Stund' in Waffen,
Nicht sicher, doch voll Hoffnung dieses Siegs,
Um seinen Segen fleht', und von Beginn
Zum Ende meine Pilgerschaft erzählte;
Doch sein zerspaltnes Herz – ach, schon zu schwach,[599]
Den Kampf noch auszuhalten zwischen Schmerz
Und Freud'! – im Übermaß der Leidenschaft
Brach lächelnd.
EDMUND.
Deine Red' hat mich gerührt
Und wirkt wohl Gutes; aber sprich nur weiter –
Es scheint, als hätt'st du mehr zu sagen noch.
ALBANIEN.
Ist es noch mehr, mehr leidvoll noch, so schweig',
Denn ich bin nah daran, mich aufzulösen,
Dies hörend.
EDGAR.
Dies erschien als Höchstes wohl
Dem, der den Gram nicht liebt; jedoch ein andres,
Noch steigernd, was zu viel schon, überragt
Das Alleräußerste.
Als ich laut schrie vor Schmerz, da kam ein Mann,
Der mich gesehn in meinem tiefsten Elend,
Und meine schreckliche Gesellschaft floh:
Nun aber, da er hörte, wer es sei,
Der dies ertrug, schlug er die starken Arme
Mir um den Hals, und heulte laut
Zum Himmel auf, als wollt' er ihn zersprengen;
Warf sich auf meinen Vater hin, erzählte
Von sich und Lear die kläglichste Geschichte,
Die je ein Ohr vernahm; im Sprechen ward
Sein Schmerz so übermenschlich, daß die Stränge
Des Lebens rissen: – da zum zweiten Male
Klang die Trompet', ich ließ ihn halb entseelt.
ALBANIEN.
Doch wer war dieser?
EDGAR.
Kent, der verbannte Kent, der in Verkleidung
Nachfolgte dem ihm feindgesinnten König
Und Dienste tat, die keinem Sklaven ziemten.
Ein Edelmann kommt in voller Eile mit einem blutigen Messer.
EDELMANN.
Helft, helft, o helft!
EDGAR.
Wem helfen?
ALBANIEN.
Sagt uns an! –
EDGAR.
Was meint der blut'ge Dolch?
EDELMANN.
Er raucht, ist heiß;
Er kommt frisch aus dem Herzen – oh, sie ist tot! –[600]
ALBANIEN.
Wer tot? Sprich, Mann!
EDELMANN.
Herr, Eure Gattin; ihre Schwester ist
Von ihr vergiftet: sie bekannt' es selbst.
EDMUND.
Ich war verlobt mit beiden: alle drei
Vermählt jetzt ein Moment.
Kent tritt auf.
EDGAR.
Hier kommt auch Kent.
ALBANIEN.
Bringt sie hierher uns, lebend oder tot!
Gonerils und Regans Leichen werden hereingetragen.
Dies Strafgericht des Himmels macht uns zittern,
Rührt unser Mitleid nicht.
Oh, ist er das? – Die Zeit verstattet nicht
Empfang, wie ihn die Sitte heischt.
KENT.
Ich kam,
Um gute Nacht auf immer meinem König
Und Herrn zu sagen. Ist er nicht hier? –
ALBANIEN.
So Großes ward vergessen! –
Sprich, Edmund, wo ist Lear? Wo ist Cordelia?
Siehst du den Vorgang, Kent?
KENT.
Ach, warum so?
EDMUND.
Edmund ward doch geliebt!
Die eine gab um mich der andern Gift,
Und dann sich selbst den Tod.
ALBANIEN.
So ist's. – Verhüll' ihr Antlitz!
EDMUND.
Nach Leben ring' ich. Gutes möcht' ich tun,
Trotz meiner eignen Art. Schickt ungesäumt –
O eilt Euch! – auf das Schloß: denn mein Befehl
Geht auf des Königs und Cordeliens Leben.
Ich sag' euch, zögert nicht!
ALBANIEN.
Lauft, lauft, o lauft!
EDGAR.
Zu wem, Mylord? Wer hat den Auftrag? Schickt
Ein Pfand des Widerrufs!
EDMUND.
Sehr wohl bedacht; hier nimm mein Schwert,
Und gib's dem Hauptmann!
EDGAR.
Eil' dich, um dein Leben!
Ein Offizier geht ab.[601]
EDMUND.
Er hat Befehl von deinem Weib und mir,
Cordelien im Gefängnis aufzuhängen,
Und der Verzweiflung dann die Schuld zu geben,
Daß sie sich selbst entleibt.
ALBANIEN.
Die Götter schützen sie! Tragt sie hinweg!
Edmund wird weggetragen.
Lear kommt, seine Tochter Cordelia tot in den Armen tragend.
LEAR.
Heult, heult, heult, heult! O ihr seid all' von Stein!
Hätt' ich eu'r Aug' und Zunge nur, mein Jammer
Sprengte des Himmels Wölbung! – Hin auf immer!
Ich weiß, wenn einer tot und wenn er lebt:
Tot wie die Erde! Gebt 'nen Spiegel her;
Und wenn ihr Hauch die Fläche trübt und streift,
Dann lebt sie.
KENT.
Ist dies das verheißne Ende?
EDGAR.
Sind's Bilder jenes Grau'ns?
ALBANIEN.
Brich, Welt, vergeh! –
LEAR.
Die Feder regte sich, sie lebt! Oh, lebt sie,
So ist's ein Glück, das allen Kummer tilgt,
Den ich jemals gefühlt.
KENT knieend.
O teurer Herr! –
LEAR.
Fort, sag' ich dir!
EDGAR.
's ist Kent, Eu'r edler Freund.
LEAR.
Fluch über euch, Verräter, Mörder, all'! –
Ich konnt' sie retten; nun dahin auf immer!
Cordelia, Cordelial Wart' ein wenig, ha!
Was sprachst du? – Ihre Stimme war stets sanft,
Zärtlich und mild; ein köstlich Ding an Frau'n. –
Ich schlug den Sklaven tot, der dich gehängt.
KENT.
's ist wahr, Mylord, er tat's.
LEAR.
Tat ich's nicht, Bursch?
Einst war die Zeit, wo sie mein gutes Schwert
Wohl hätte springen machen. Nun bin ich alt,
Und all dies Leid bringt mich herab. – Wer bist du?
Mein Aug' ist nicht das beste; ich weiß es gleich. –
KENT.
Rühmt sich Fortuna zweier, die sie liebte
Und haßte, – einen sehn wir hier.[602]
LEAR.
O wunderbarer Anblick! – Bist du nicht Kent?
KENT.
Ich bin dein Diener Kent; doch wo ist Cajus? –
LEAR.
Das ist ein wackrer, treuer Bursch, das glaubt mir;
Der schlägt und säumt nicht. – Er ist tot und fault.
KENT.
Nein, teurer Fürst; ich selber bin der Mann.
LEAR.
Das will ich sehn! –
KENT.
Der gleich seit Eurem Abweg und Verfall
Folgt' Eurer finstern Bahn.
LEAR.
Willkommen hier!
KENT.
Nein, keiner wohl! – trüb alles, tot und trostlos! –
Eure ältern Töchter legten Hand an sich
Und starben in Verzweiflung.
LEAR.
Ja, das denk' ich.
ALBANIEN.
Er weiß nicht, was er sagt; es ist vergeblich,
Daß wir uns ihm verständ'gen.
EDGAR.
Ganz umsonst.
Ein Hauptmann kommt.
HAUPTMANN.
Edmund ist tot, Mylord!
ALBANIEN.
Das ist hier Nebensache.
Ihr Freund' und edeln Lords, hört unsern Willen:
Was Trost verleihn kann so gewalt'gen Trümmern,
Das sei versucht: Wir selbst entsagen hier
Zu Gunsten dieser greisen Majestät
Der Herrschermacht.
Zu Edgar.
Ihr tretet in Eu'r Recht
Mit Ehr' und Zuwachs, wie es Eure Treu'
Mehr als verdient hat. Alle Freunde sollen
Den Lohn der Tugend kosten, alle Feinde
Den Kelch der Missetat. O seht, o seht! –
LEAR.
Und tot mein armes Närrchen? – Nein! Kein Leben!
Ein Hund, ein Pferd, 'ne Maus soll Leben haben,
Und du nicht einen Hauch? – Oh, du kehrst nimmer wieder,
Niemals, niemals, niemals, niemals, niemals! –
Ich bitt' Euch, knöpft hier auf! – Ich dank' Euch, Herr!
Seht Ihr dies? Seht sie an! – Seht ihre Lippen,
Seht hier, – seht hier! –
Er stirbt.
EDGAR.
Er schwindelt, – o mein König! –
KENT.
Brich, Herz, ich bitt' dich, brich![603]
EDGAR.
Blick' auf, mein König!
KENT.
Quält seinen Geist nicht! Laßt ihn ziehn! Der haßt ihn,
Der auf die Folter dieser zähen Welt
Ihn länger spannen will.
EDGAR.
Oh, wirklich tot! –
KENT.
Das Wunder ist, daß er's ertrug so lang':
Sein Leben war nur angemaßt.
ALBANIEN.
Tragt sie hinweg! Was uns zunächst erfüllt,
Ist allgemeine Trauer.
Zu Kent und Edgar.
Herrscht ihr beiden,
Geliebten Freunde; heilt des Staates Leiden!
KENT.
Ich muß zur Reise bald gerüstet sein;
Mein Meister ruft, ich darf nicht sagen: Nein!
ALBANIEN.
Laßt uns, der trüben Zeit gehorchend, klagen,
Nicht, was sich ziemt, nur, was wir fühlen, sagen.
Dem ältsten war das schwerste Los gegeben,
Wir jüngern werden nie so viel erleben.
Sie gehn mit einem Totenmarsche ab.[604]
Ausgewählte Ausgaben von
König Lear
|
Buchempfehlung
»Ein ganz vergebliches Mühen würd' es sein, wenn du, o lieber Leser, es unternehmen solltest, zu den Bildern, die einer längst vergangenen Zeit entnommen, die Originale in der neuesten nächsten Umgebung ausspähen zu wollen. Alle Harmlosigkeit, auf die vorzüglich gerechnet, würde über diesem Mühen zugrunde gehen müssen.« E. T. A. Hoffmann im Oktober 1818
88 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro