Zweite Szene

[641] Ebendaselbst, ein anderes Zimmer.


Lady Macbeth tritt auf mit einem Diener.


LADY MACBETH.

Ist Banquo fort vom Hof?

DIENER.

Ja, Kön'gin, doch er kommt zurück heut abend.

LADY MACBETH.

Dem König meld', ich lasse ihn ersuchen

Um wen'ge Augenblicke.[641]

DIENER.

Ich gehorche.


Er geht ab.


LADY MACBETH.

Nichts ist gewonnen, alles ist dahin,

Stehn wir am Ziel mit unzufriednem Sinn:

Viel sichrer, das zu sein, was wir zerstört,

Als daß uns Mord ein schwankend Glück gewährt.


Macbeth tritt auf.


Nun, teurer Freund, was bist du so allein

Und wählst nur trübe Bilder zu Gefährten, –

Gedanken hegend, die doch tot sein sollten,

Wie jen', an die sie denken? Was unheilbar:

Vergessen sei's: Geschehn ist, was geschehn.

MACBETH.

Zerhackt ward nur die Schlange, nicht getötet:

Sie heilt und bleibt dieselb', indes ihr Zahn

Wie sonst gefährdet unsre arme Bosheit.

Doch ehe soll der Dinge Bau zertrümmern,

Die beiden Welten schaudern, eh' wir länger

In Angst verzehren unser Mahl und schlafen

In der Bedrängnis solcher grausen Träume,

Die uns allnächtlich schütteln: Lieber bei

Dem Toten sein, den, Frieden uns zu schaffen,

Zum Frieden wir gesandt, als auf der Folter

Der Seel' in ruheloser Qual zu zucken!

Duncan ging in sein Grab,

Sanft schläft er nach des Lebens Fieberschauern;

Verrat, du tatst dein Ärgstes: Gift, noch Dolch,

Einheim'sche Bosheit, fremder Anfall, nichts

Kann ferner ihn berühren.

LADY MACBETH.

Oh, laß gut sein!

Mein liebster Mann, die Runzeln glätte weg;

Sei froh und munter heut mit deinen Gästen!

MACBETH.

Das will ich, Lieb'; und, bitte, sei es auch:

Vor allen wend' auf Banquo deine Sorgfalt,

Und schenk' ihm Auszeichnung mit Wort und Blick:

Unsicher noch, sind wir genötigt, so

Zu baden unsre Würd' in Schmeichelströmen;

Daß unser Antlitz Larve wird des Herzens,

Verbergend, was es ist.[642]

LADY MACBETH.

Du mußt das lassen.

MACBETH.

Oh! von Skorpionen voll ist mein Gemüt:

Du weißt, Geliebte, Banquo lebt und Fleance.

LADY MACBETH.

Doch schuf Natur sie nicht für ew'ge Dauer.

MACBETH.

Ja, das ist Trost; man kann noch an sie kommen:

Drum sei du fröhlich! Eh' die Fledermaus

Geendet ihren klösterlichen Flug,

Eh', auf den Ruf der dunkeln Hekate,

Der hornbeschwingte Käfer, schläfrig summend,

Die nächt'ge Schlummerglocke hat geläutet,

Ist eine Tat geschehn furchtbarer Art.

LADY MACBETH.

Was hast du vor?

MACBETH.

Unschuldig bleibe, Kind, und wisse nichts,

Bis du der Tat kannst Beifall rufen. Komm

Mit deiner dunklen Binde, Nacht; verschließe

Des mitleidvollen Tages zartes Auge;

Durchstreich' mit unsichtbarer, blut'ger Hand

Und reiß' in Stücke jenen großen Schuldbrief,

Der meine Wangen bleicht! – Das Licht wird trübe;

Zum dampfenden Wald erhebt die Kräh' den Flug;

Die Tagsgeschöpfe schläfrig niederkauern,

Und schwarze Nachtunhold' auf Beute lauern.

Du staunst mich an? Still! – Sündentsproßne Werke

Erlangen nur durch Sünden Kraft und Stärke.

So, bitte, geh mit mir!


Sie gehn ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 641-643.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Macbeth
Lektürehilfen William Shakespeare
Macbeth
Macbeth: Zweisprachige Ausgabe
Die Tragödie des Macbeth (insel taschenbuch)
Macbeth. Textanalyse und Interpretation mit ausführlicher Inhaltsangabe und Abituraufgaben mit Lösungen

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Der Vorzugsschüler / Der Herr Hofrat. Zwei Erzählungen

Der Vorzugsschüler / Der Herr Hofrat. Zwei Erzählungen

Zwei späte Novellen der Autorin, die feststellte: »Eine gescheite Frau hat Millionen geborener Feinde: alle dummen Männer.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon