[136] Bruder Lorenzos Zelle.
Lorenzo und Romeo kommen.
LORENZO.
Komm, Romeo! Hervor, du Mann der Furcht!
Bekümmernis hängt sich mit Lieb' an dich,
Und mit dem Mißgeschick bist du vermählt.
ROMEO.
Vater, was gibt's? Wie heißt des Prinzen Spruch?
Wie heißt der Kummer, der sich zu mir drängt,
Und noch mir fremd ist?
LORENZO.
Zu vertraut, mein Sohn,
Bist du mit solchen widrigen Gefährten.
Ich bring' dir Nachricht von des Prinzen Spruch.
ROMEO.
Und hat sein Spruch mir nicht den Stab gebrochen?[136]
LORENZO.
Ein mildres Urteil floß von seinen Lippen:
Nicht Leibes Tod, nur leibliche Verbannung.
ROMEO.
Verbannung? Sei barmherzig! Sage: Tod!
Verbannung trägt der Schrecken mehr im Blick,
Weit mehr als Tod! – O sage nicht »Verbannung«!
LORENZO.
Hier aus Verona bist du nur verbannt:
Sei ruhig, denn die Welt ist groß und weit.
ROMEO.
Die Welt ist nirgends außer diesen Mauern;
Nur Fegefeuer, Qual, die Hölle selbst.
Von hier verbannt ist aus der Welt verbannt,
Und solcher Bann ist Tod: drum gibst du ihm
Den falschen Namen. – Nennst du Tod Verbannung,
Enthauptest du mit goldnem Beile mich,
Und lächelst zu dem Streich, der mich ermordet.
LORENZO.
O schwere Sünd'! O undankbarer Trotz!
Dein Fehltritt heißt nach unsrer Satzung Tod;
Doch dir zu Lieb' hat sie der güt'ge Fürst
Beiseit' gestoßen, und Verbannung nur
Statt jenes schwarzen Wortes ausgesprochen.
Und diese teure Gnad' erkennst du nicht?
ROMEO.
Nein, Folter – Gnade nicht. Hier ist der Himmel,
Wo Julia lebt, und jeder Hund und Katze
Und kleine Maus, das schlechteste Geschöpf,
Lebt hier im Himmel, darf ihr Antlitz sehn;
Doch Romeo darf nicht. Mehr Würdigkeit,
Mehr Ansehn, mehr gefäll'ge Sitte lebt
In Fliegen, als in Romeo. Sie dürfen
Das Wunderwerk der weißen Hand berühren
Und Himmelswonne rauben ihren Lippen,
Die sittsam, in Vestalenunschuld, stets
Erröten, gleich als wäre Sund' ihr Kuß.
Dies dürfen Fliegen tun, ich muß entfliehn;
Sie sind ein freies Volk, ich bin verbannt:
Und sagst du noch: Verbannung sei nicht Tod?
So hattest du kein Gift gemischt, kein Messer
Geschärft, kein schmählich Mittel schnellen Todes,
Als dies »verbannt«, zu töten mich? »Verbannt«!
O Mönch! Verdammte sprechen in der Hölle[137]
Dies Wort mit Heulen aus: hast du das Herz,
Da du ein heil'ger Mann, ein Beicht'ger bist,
Ein Sündenlöser, mein erklärter Freund,
Mich zu zermalmen mit dem Wort »Verbannung«?
LORENZO.
Du kindisch blöder Mann, hör' doch ein Wort!
ROMEO.
Oh, du willst wieder von Verbannung sprechen!
LORENZO.
Ich will dir eine Wehr dagegen leihn,
Der Trübsal süße Milch, Philosophie,
Um dich zu trösten, bist du gleich verbannt.
ROMEO.
Und noch »verbannt«? Hängt die Philosophie!
Kann sie nicht schaffen eine Julia,
Aufheben eines Fürsten Urteilsspruch,
Verpflanzen eine Stadt: so hilft sie nicht,
So taugt sie nicht; so rede länger nicht!
LORENZO.
Nun seh' ich wohl, Wahnsinnige sind taub.
ROMEO.
Wär's anders möglich? Sind doch Weise blind.
LORENZO.
Laß über deinen Fall mit dir mich rechten!
ROMEO.
Du kannst von dem, was du nicht fühlst, nicht reden
Wärst du so jung wie ich, und Julia dein,
Vermählt seit einer Stund', erschlagen Tybalt,
Wie ich von Lieb' entglüht, wie ich verbannt:
Dann möchtest du nur reden, möchtest nur
Das Haar dir raufen, dich zu Boden werfen
Wie ich, und so dein künft'ges Grab dir messen.
Er wirft sich an den Boden. Man klopft draußen.
LORENZO.
Steh auf, man klopft; verbirg dich, lieber Freund.
ROMEO.
O nein, wo nicht des bangen Stöhnens Hauch,
Gleich Nebeln, mich vor Späheraugen schirmt.
Man klopft.
LORENZO.
Horch, wie man klopft! – Wer da? – Fort, Romeo!
Man wird dich fangen. – Wartet doch ein Weilchen! –
Steh auf und rett' ins Lesezimmer dich! –
Man klopft.
Ja, ja! im Augenblick! – Gerechter Gott,
Was für ein starrer Sinn! – Ich komm', ich komme:
Wer klopft so stärk? Wo kommt Ihr her? Was wollt Ihr?[138]
WÄRTERIN draußen.
Laßt mich hinein, so sag' ich Euch die Botschaft.
Das Fräulein Julia schickt mich.
LORENZO.
Seid willkommen!
Die Wärterin tritt herein.
WÄRTERIN.
O heil'ger Herr! o sagt mir, heil'ger Herr:
Des Fräuleins Liebster, Romeo, wo ist er?
LORENZO.
Am Boden dort, von eignen Tränen trunken.
WÄRTERIN.
Oh, es ergeht wie meiner Herrschaft ihm,
Ganz so wie ihr!
LORENZO.
O Sympathie des Wehs!
Bedrängte Gleichheit!
WÄRTERIN.
Gerade so liegt sie,
Winselnd und wehklagend, wehklagend und winselnd.
Steht auf! steht auf! Wenn Ihr ein Mann seid, steht!
Um Juliens willen, ihr zu Lieb', steht auf!
Wer wollte so sich niederwerfen lassen?
ROMEO.
Gute Frau!
WÄRTERIN.
Ach, Herr! Herr! Mit dem Tod ist alles aus.
ROMEO.
Sprachst du von Julien? Wie steht's mit ihr?
Hält sie mich nicht für einen alten Mörder,
Da ich mit Blut, dem ihrigen so nah,
Die Kindheit unsrer Wonne schon befleckt?
Wo ist sie? und was macht sie? und was sagt
Von dem zerstörten Bund die kaum Verbundne?
WÄRTERIN.
Ach, Herr! sie sagt kein Wort, sie weint und weint.
Bald fällt sie auf ihr Bett; dann fährt sie auf,
Ruft: »Tybalt!« aus, schreit dann nach Romeo,
Und fällt dann wieder hin.
ROMEO.
Als ob der Name,
Aus tödlichem Geschütz auf sie gefeuert,
Sie mordete, wie sein unsel'ger Arm
Den Vetter ihr gemordet. Sag mir, Mönch,
O sage mir: in welchem schnöden Teil
Beherbergt dies Gerippe meinen Namen?
Sag, daß ich den verhaßten Sitz verwüste!
Er zieht den Degen.[139]
LORENZO.
Halt' ein die tolle Hand! Bist du ein Mann?
Dein Äußres ruft, du seist es: deine Tränen
Sind weibisch, deine wilden Taten zeugen
Von eines Tieres unvernünft'ger Wut.
Entartet Weib in äußrer Mannesart!
Entstelltes Tier, in beide nur verstellt!
Ich staun' ob dir: bei meinem heil'gen Orden!
Ich glaubte, dein Gemüt sei bessern Stoffs.
Erschlugst du Tybalt? Willst dich selbst erschlagen?
Auch deine Gattin, die in dir nur lebt,
Durch so verruchten Haß, an dir verübt?
Was schiltst du auf Geburt, auf Erd' und Himmel?
In dir begegnen sie sich alle drei,
Die du auf einmal von dir schleudern willst.
Du schändest deine Bildung, deine Liebe
Und deinen Witz. O pfui! Gleich einem Wuch'rer
Hast du an allem Überfluß, und brauchst
Doch nichts davon zu seinem echten Zweck,
Der Bildung, Liebe, Witz erst zieren sollte.
Ein Wachsgepräg' ist deine edle Bildung,
Wenn sie der Kraft des Manns abtrünnig wird;
Dein teurer Liebesschwur ein hohler Meineid,
Wenn du die tötest, der du Treu' gelobt;
Dein Witz, die Zier der Bildung und der Liebe,
Doch zum Gebrauche beider mißgeartet,
Fängt Feuer durch dein eignes Ungeschick,
Wie Pulver in nachläss'ger Krieger Flasche;
Und was dich schirmen soll, zerstückt dich selbst.
Auf, sei ein Mann! denn deine Julia lebt,
Sie, der zu Lieb' du eben tot hier lagst:
Das ist ein Glück. Dich wollte Tybalt töten,
Doch du erschlugst ihn: das ist wieder Glück.
Dein Freund wird das Gesetz, das Tod dir drohte,
Und mildert ihn in Bann: auch das ist Glück.
Auf deine Schultern läßt sich eine Last
Von Segen nieder, und es wirbt um dich
Glückseligkeit in ihrem besten Schmuck;
Doch wie ein ungezognes, laun'sches Mädchen[140]
Schmollst du mit deinem Glück und deiner Liebe;
O hüte dich! denn solche sterben elend.
Geh hin zur Liebsten, wie's beschlossen war;
Ersteig' ihr Schlafgemach: fort! tröste sie!
Nur weile nicht, bis man die Wachen stellt,
Sonst kömmst du nicht mehr durch nach Mantua.
Dort lebst du dann, bis wir die Zeit ersehn,
Die Freunde zu versöhnen, euren Bund
Zu offenbaren, von dem Fürsten Gnade
Für dich zu flehn, und dich zurück zu rufen
Mit zwanzig hunderttausendmal mehr Freude,
Als du mit Jammer jetzt von hinnen ziehst.
Geh, Wärterin, voraus, grüß' mir dein Fräulein;
Heiß' sie das ganze Haus zu Bette treiben,
Wohin der schwere Gram von selbst sie treibt:
Denn Romeo soll kommen.
WÄRTERIN.
O je! ich blieb' hier gern die ganze Nacht,
Und hörte gute Lehr'. Da sieht man doch,
Was die Gelahrtheit ist! Nun, gnäd'ger Herr,
Ich will dem Fräulein sagen, daß Ihr kommt.
ROMEO.
Tu' das, und sag der Holden, daß sie sich
Bereite, mich zu schelten!
WÄRTERIN.
Gnäd'ger Herr,
Hier ist ein Ring, den sie für Euch mir gab.
Eilt Euch, macht fort! sonst wird es gar zu spät.
Ab.
ROMEO.
Wie ist mein Mut nun wieder neu belebt!
LORENZO.
Geh! gute Nacht! Und hieran hängt dein Los:
Entweder geh, bevor man Wachen stellt,
Wo nicht, verkleidet in der Frühe fort:
Verweil' in Mantua; ich forsch' indessen
Nach deinem Diener, und er meldet dir
Von Zeit zu Zeit ein jedes gute Glück,
Das hier begegnet. – Gib mir deine Hand!
Es ist schon spät: fahr wohl denn! Gute Nacht!
ROMEO.
Mich rufen Freuden über alle Freuden,
Sonst wär's ein Leid, von dir so schnell zu scheiden.
Leb wohl!
Beide ab.[141]
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Romeo und Julia
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