Fünfte Szene

[954] Das Haus des Senats.


Der Senat ist versammelt.


ERSTER SENATOR.

Mylord, so stimm' auch ich; die Schuld ist blutig:

Er muß notwendig mit dem Tode büßen;

Die Sünde wird durch Gnade frecher nur.

ZWEITER SENATOR.

Sehr wahr; vernichten soll ihn das Gesetz.


Alcibiades tritt auf mit Gefolge.


ALCIBIADES.

Heil sei und Ehr' und Milde dem Senat!

ERSTER SENATOR.

Was wollt Ihr, Feldherr?

ALCIBIADES.

Vor eure Tugend tret' ich als ein Fleh'nder;

Denn Mitleid ist die Tugend des Gesetzes,[954]

Nur Tyrannei braucht es zur Grausamkeit.

Die Laune war's von Zeit und Schicksal, schwer

Zu drücken einen Freund, der, heißen Bluts,

Schritt ins Vergehn, wo pfadlos dessen Tiefe

Für jenen, der hineinstürzt unbedacht.

Er ist ein Mann, den Fehl beiseit' gesetzt,

Von milden Tugenden;

Auch nicht befleckte Feigheit sein Beginnen

(Ein Ruhm, der wohl des Fehltritts Schuld bezahlt),

Nein, heldenmüt'gen Sinns und edeln Zorns,

Da er zum Tod die Ehre sah verletzt,

Begegnet' er dem Feind:

Und so gemäßigt mit verhaltnem Grimm

Hielt er den Zorn bis an das End' in Schranken,

Als stritt er mit Beweisen und Gedanken.

ERSTER SENATOR.

Du unternimmst zu herben Widerspruch,

Willst du die schnöde Tat in Schönheit kleiden.

Fast schien dein künstlich Wort dahin zu streben,

Den Menschenmord zu adeln, Rauferlaune

Vor Tapferkeit zu ehren; die doch, wahrlich,

Nur mißerzeugter Mut, zur Welt gekommen,

Als Sekten und Partei'n geboren wurden.

Nur der zeigt wahren Mut, der weislich duldet

Das Schlimmste, was der Gegner spricht; dem Kränkung

Gewand nur wird und Hülle, leicht zu tragen;

Der Unbill nie läßt bis zum Herzen dringen,

Dies zu vergiften.

Ist Unheil Schimpf und zwingt uns tot zu schlagen,

Wird nur der Tor um Unheil Leben wagen.

ALCIBIADES.

Mylord, –

ERSTER SENATOR.

Durch Euch wird glorreich nicht ein hart Verschulden;

Sich rächen ist nicht Tapferkeit, nein, dulden.

ALCIBIADES.

Dann, mit Vergunst, ihr edeln Herrn, verzeiht,

Red' ich hier als Soldat: –

Was wagen in der Schlacht sich dumme Menschen

Und dulden nicht das Dräu'n? und schlafen still,

In Zuversicht dem Feind die Kehle bietend,[955]

Ganz ohne Widerstand? Ist im Ertragen

So großer Mut, was machen wir im Feld?

Nun also, tapferer sind dann die Frauen

Im Hausgeschäft, geht Dulden über alles;

Mehr als der Leu ist dann Soldat der Esel;

Der Dieb in Ketten weiser als der Richter,

Liegt Weisheit nur im Leiden. Senatoren,

Groß seid ihr schon, nun seid auch mild und gut:

Raschheit verdammt man leicht mit kaltem Blut.

Der Mord, ich geb' es zu, ist bös' und schlecht;

Doch nennt Verteid'gung Gnade selbst gerecht.

Der Zorn gehört wohl zu den größten Sünden;

Doch ist kein Mensch, der nie gezürnt, zu finden:

Wägt daran seine Schuld!

ZWEITER SENATOR.

Ihr sprecht umsonst.

ALCIBIADES.

Umsonst? Und alle Dienste, die er tat,

Zu Lacedämon und Byzantium,

Sie könnten ihm das Leben wohl erkaufen!

ERSTER SENATOR.

Was meint Ihr?

ALCIBIADES.

Ich sag' Euch, edlen Dienst hat er getan,

Und manchen eurer Feind' im Feld getötet;

Wie tapfer er noch kämpft' im letzten Treffen,

Das künden all die Wunden, die er schlug.

ZWEITER SENATOR.

Ja, Ihr habt recht, zu viele Wunden schlug er,

Ein Schwelger ist er: schon der eine Fehl

Ersäuft ihn und raubt seinem Mut Besinnung;

Hätt' er nicht andre Feinde, der allein

Könnt' ihn besiegen; oft ward er gesehn,

Daß er in vieh'scher Wut das Schnöde tat

Und mit Empörern hielt. So viel ist wahr,

Sein Rausch bringt Schande ihm und uns Gefahr.

ERSTER SENATOR.

Er stirbt.

ALCIBIADES.

O hart Geschick! daß er nicht fiel im Krieg!

Nun wohl, wenn nicht um seiner Taten willen

(Kann gleich sein rechter Arm die Zeit ihm kaufen

Und niemand schuldig bleiben), euch zu rühren,

Nehmt meine Taten auch, vereint sie beide:

Und, da ich weiß, es lieb' euer würd'ges Alter[956]

Die Sicherheit, verpfänd' ich meine Siege,

All meinen Ruhm, damit er zahl' und zinse.

Verlangt Gesetz für diesen Fehl sein Leben,

Nun dann, im Krieg, in tapfern Schlachten sterb' er!

Ist Satzung herb, so ist der Krieg noch herber.

ERSTER SENATOR.

Wir stehn hier fürs Gesetz: er stirbt; nichts weiter,

Bei unserm Zorn! Sei's Bruder, Sohn, Genoß,

Des Blut verfiel, der fremdes Blut vergoß.

ALCIBIADES.

Muß es denn sein? Es muß nicht. Senatoren,

Ich bitt' euch sehr, erkennt mich wieder!

ZWEITER SENATOR.

Wie?

ALCIBIADES.

Ruft mich zurück in eu'r Gedächtnis!

DRITTER SENATOR.

Was?

ALCIBIADES.

Gewiß, euer Alter hat mich ganz vergessen;

Weshalb sonst ständ' ich so verachtet hier

Und sah' die kleine Gunst geweigert mir?

Das schmerzt die Wunden!

ERSTER SENATOR.

Trotzt Ihr unserm Zorn?

Er ist an Worten schwach, doch stark im Tun:

Drum sei verbannt auf ewig!

ALCIBIADES.

Ich verbannt?

Bannt eure Torheit, euren Wucher bannt,

Der den Senat abscheulich macht!

ERSTER SENATOR.

Wenn nach zwei Tagen dich Athen noch faßt,

Fürcht' unser schwer Gericht. Eh' unser Geist

Noch mehr entbrennt, soll jener schleunigst sterben.


Die Senatoren gehn ab.


ALCIBIADES.

So werdet alt und greis; bis ihr nur lebt

Noch als, Gebein, verhaßt jedwedem Auge!

Ha! mich faßt Raserei: Ich schlug den Feind,

Indes ihr Gold sie zählten, ihre Münzen

Ausliehn auf hohen Zins; und ich nur reich

An tapfern Narben. – Und dafür nun so?

Ist Balsam dies, den der Senat, der Wuch'rer,

In seines Feldherrn Wunden gießt? Verbannung!

Das ist nicht schlimm; willkommen ist Verbannung:

So hat mein Zorn und Grimm den guten Grund,[957]

Athen zu schlagen. Munter werb' ich jetzt

Mein mißvergnügtes Heer, nach Herzen wuchernd:

's ist ehrenvoll, der Güter sich entschlagen;

Gleich Göttern soll kein Krieger Schmach ertragen.


Er geht ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 954-958.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Timon von Athen
Timon von Athen (Theatralische Werke in 21 Einzelbänden, Bd.7)
König Lear /Macbeth /Timon von Athen
Timon of Athens / Timon von Athen: Englisch-deutsche Studienausgabe (Engl. / Dt.) Englischer Originaltext und deutsche Prosaübersetzung
Timon von Athen

Buchempfehlung

Jean Paul

Titan

Titan

Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.

546 Seiten, 18.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon