[62] Im Palast.
Es treten auf der Kaiser, die Kaiserin und ihre Söhne; der Kaiser hält die von Titus abgeschossenen Pfeile in seiner Hand.
SATURNINUS.
Wie dünkt euch solche Kränkung? Bot man je
Roms kaiserlichem Herrscher solchen Trotz,
Belästigt und erzürnt ihn? – Höhnt ihn so,[62]
Weil er das Recht erfüllt, den Spruch vollzog?
Ihr wißt es, Herrn, gleich den allseh'nden Göttern, –
(Was auch die Störer unsrer Ruh' dem Volk
Ins Ohr geraunt –), daß nichts entschieden ward
Wider des alten Titus frechen Stamm,
Als nach Gesetz und Recht. Und ob nun auch
Der Kummer seine Sinne so zerstört,
Darf seine Rachgier, Fieberhitz' und Zorn
Und seine Bitterkeit uns so bedrohn?
Nun schreibt er an die Götter um Ersatz:
Seht, hier an Jupiter, dies dem Merkur,
Dies an Apollo, dies dem Gott des Kriegs: –
Recht saubre Zettel für den röm'schen Markt!
Heißt das nicht Läst'rung wider den Senat,
Verdammung unsres ungerechten Sinns?
Ein angenehmer Scherz, nicht wahr, ihr Herrn?
Als wollt' er sagen, Rom kennt kein Gesetz!
Doch, wenn ich lebe, soll verstellter Wahnsinn
Ihm keinen Schutz für diesen Hohn verleihn;
Er soll erfahren, daß Gerechtigkeit
Noch lebt in Saturnin, die, schläft sie gleich,
Jetzt so erwachen wird, daß ihre Wut
Vernichten soll den stolzesten Verschwörer.
TAMORA.
Mein gnäd'ger Fürst, geliebter Saturnin,
Herr meines Lebens, Herrscher meines Sinns,
Sei mild, vergib dem alterschwachen Greis:
Ihn tört der Gram um seine tapfern Söhne,
Der ihm ins Mark dringt und die Brust durchbohrt.
Erleichtre lieber sein unselig Los,
Als daß du strafst den Niedern oder Höchsten
Für solche Kränkung!
Beiseit.
Also, schlau gewandt,
Muß Tamora mit jedem freundlich tun;
Doch Titus, dir verwundet' ich das Herz,
Und traf dein Leben; ist nur Aaron klug,
Geht alles wohl, im Hafen ankern wir.
Der Bauer kommt.
Was gibt's, mein Freund, bringst du uns ein Gesuch?[63]
BAUER.
Ja freilich, wenn Euer Wohlgeboren kaiserlich sind.
TAMORA.
Ich bin die Kaiserin; dort sitzt der Kaiser.
BAUER. Das ist er? Gott und Sankt Stephan geben Euch einen guten Abend; ich habe Euch einen Brief gebracht und ein Paar Tauben.
Der Kaiser liest den Brief.
SATURNINUS. Führt ihn hinweg und hängt ihn alsogleich!
BAUER. Wie viel Geld krieg' ich?
TAMORA. Geh, Freund, du wirst gehängt.
BAUER. Gehängt! Meiner Seel', so nimmt mein Hals ein saubres Ende. Ab.
SATURNINUS.
Schmachvoll und unerträglich! Welcher Hohn!
Ich weiß, von wem der ganze Einfall stammt;
Ich trag' es nicht! Als ob die Frevlerbrut,
Gefällt nach Recht für unsres Bruders Mord,
Von mir geschlachtet wäre wider Recht!
Geht, schleppt den Schurken bei den Haaren her:
Nicht Alter, Würde sei ein Vorrecht ihm:
Für diesen Spott will ich sein Schlächter sein;
Verstellt wahnwitz'ger Hund! zur Krone halfst du,
In Hoffnung, über Rom und mich zu herrschen! –
Ämilius tritt auf.
Was gibt's, Ämilius?
ÄMILIUS.
Zu den Waffen, Herr! Rom hatte nie mehr Grund:
Es naht ein Gotenheer; mit einer Macht
Entschloßner Krieger, die nach Beut' entflammt,
Ziehn sie heran in schnellem Marsch, geführt
Von Lucius, dem Sohn Andronicus',
Der droht, in seiner Rache zu erfüllen,
So viel als jemals Coriolan vollbracht.
SATURNINUS.
Der tapfre Lucius führt das Gotenheer?
Die Zeitung sticht; und wie die Blum' im Frost,
Wie Gras geknickt vom Sturm häng' ich das Haupt.
Ja, nun beginnt die Sorge mir zu nahn:
Er ist es, den der Pöbel stets geliebt;
Ich selber hörte klagen unterm Volk
(Wenn ich umherging wie ein Bürgersmann),[64]
Daß Lucius widerrechtlich sei verbannt,
Und wie sie Lucius sich zum Kaiser wünschten.
TAMORA.
Was fürchtet Ihr? Ist unsre Stadt nicht fest?
SATRUNINUS.
Ja, doch die Bürger sind dem Lucius hold,
Und fallen ab von uns, ihm beizustehn.
TAMORA.
Sei wie dein Name kaiserlich gesinnt!
Verfinstert auch die Sonn' ein Mückenschwarm?
Der Adler duldet kleiner Vögel Sang,
Ganz unbekümmert, was ihr Zwitschern meint.
Er weiß, wie mit dem Schatten seiner Flügel
Er nach Gefallen sie zum Schweigen bringt:
So kannst auch du die Schwindelköpfe Roms.
Drum Mut gefaßt! Denn wisse, mein Gemahl,
Ich will bezaubern den Andronicus
Mit Worten, süßer und gefährlicher
Als Wurm dem Fisch und Honigklee dem Schaf:
Da jenem mit dem Wurm der Hamen droht,
Und diesem Krankheit bringt die süße Kost.
SATURNINUS.
Doch nimmer bittet er für uns den Sohn!
TAMORA.
Wenn Tamora ihn bittet, wird er's tun;
Denn schmeicheln kann ich, und sein Ohr erfüllen
Mit goldner Hoffnung, daß, wär' auch sein Herz
Fast unangreifbar, taub sein altes Ohr,
Doch meine Zung' ihm Herz und Ohr besiegt. –
Geh du voran, sei Abgesandter uns,
Sag, daß der Kaiser ein Gespräch begehrt
Vom tapfern Lucius; laß den Ort bestimmen!
SATURNINUS.
Ämilius, führ' die Botschaft würdig aus,
Und wünscht er Geiseln ihm zur Sicherheit,
So nenn' er selbst, welch Unterpfand er heischt!
ÄMILIUS.
Den Auftrag werd' ich alsobald vollziehn.
Ab.
TAMORA.
Jetzt eil' ich zu dem Greis Andronicus:
Mit allen meinen Künsten täusch' ich ihn,
Daß er den Lucius abruft von dem Heer.
Nun, teurer Kaiser, sei vergnügten Muts,
Und alle Furcht begrab' in meiner List!
SATURNINUS.
So geh nun augenblicks und wirb um ihn!
Sie gehn ab.[65]
Ausgewählte Ausgaben von
Titus Andronicus
|
Buchempfehlung
Als »Komischer Anhang« 1801 seinem Roman »Titan« beigegeben, beschreibt Jean Paul die vierzehn Fahrten seines Luftschiffers Giannozzos, die er mit folgenden Worten einleitet: »Trefft ihr einen Schwarzkopf in grünem Mantel einmal auf der Erde, und zwar so, daß er den Hals gebrochen: so tragt ihn in eure Kirchenbücher unter dem Namen Giannozzo ein; und gebt dieses Luft-Schiffs-Journal von ihm unter dem Titel ›Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten‹ heraus.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro