Vierter Akt.


[82] Ein Theil des Waldes nächst der Höhle des Prometheus. Panthea und Jone schlafend. Sie erwachen allmälig während des ersten Gesanges.


STIMMEN UNSICHTBARER GEISTER.

Die bleichen Sterne sanken hinab,

Schon trieb die Sonne, ihr flinker Schäfer

Zur Hürde mit goldenem Hirtenstab

In Tiefen der Dämm'rung die holden Schläfer

Wie Meteore schnell und sie flogen

Rasch hinter des Himmels blauen Bogen,

Gleichwie das Reh vor dem Panterthier,

Doch wo seid ihr?


Ein Schwarm dunkler Gestalten und Schatten schwebt singend vorüber.


Hier, o hier

Tragen wir

Auf der Bahr'

Die Mutter von manchem vernichteten Jahr!

Die Geister der Stunden

Sind wir, die entschwunden

Und tragen die Zeit

Nach ihrem Grab in der Ewigkeit.


Nur Locken heut',

Nicht Eiben streut!

Gießt Thränen, nicht Thau

Auf das Bahrtuch, vom Staube grau,[83]

Mit Blüthen bleich

Aus des Todes Reich

Sei bedeckt und umwunden

Die Bahre der todten Kön'gin der Stunden!


Eilt ohn' Ermatten,

Gejagt, wie Schatten

Vor'm Tag mit Beben

Vom blauen Morgenhimmel entschweben.

Hinschmelzend im Raum,

Versprühend wie Schaum

Entfliehen wir eilig

Vor den Kindern des Tag's, der endlos und heilig,

Wie der Schlummergesang

Des Wind's, der verklang

Und starb dahin

An dem Busen der eig'nen Harmonie'n!

JONE.

Was waren das für Spukgestalten?

PANTHEA.

Die Stunden, die vorüberwallten,

Ergraut und schwach, mit bleichen Schwingen,

Die Beute tragend, die ihre Kraft

Nach jenem Siege zusammengerafft,

Den nur ein Einz'ger konnt' erringen.

JONE.

Sind sie vorbei?

PANTHEA.

Vorüber sind

Sie schneller, als der Wind!

Noch eh' du's sagst, sind sie entflogen!

JONE.

Wohin, wohin sind sie gezogen?

PANTHEA.

Ins Vergang'ne, ins Grab,

Zu den Todten hinab![84]

STIMMEN UNSICHTBARER GEISTER.

Lichtwolken am Himmel,

Thausternchen auf Erden,

Die Meerfluth bewegt

Von Wogengewimmel.

Ein Sturm des Entzückens im Wellenrevier,

Sie tanzen erregt

Mit Jubelgeberden,

Doch wo seid ihr?


Die Fichten singen

Mit neuer Lust,

Die Wellen tönen,

Die Quellen klingen

Wie Melodien eines Geistes allhier.

Die Stürme dröhnen,

Wie der Berge Brust,

Doch wo seid ihr?

JONE.

Wer sind die Wagenlenker?

PANTHEA.

Wo die Wagen?

HALBCHOR DER STUNDEN.

Die Stimmen der Geister der Luft und der Erden,

Sie machten den Vorhang des Schlafes los,

Der unser Dasein bedeckt, wie einst unser Werden

In der Tiefe Schooß!

EINE STIMME.

In der Tiefe Schooß?

ZWEITER HALBCHOR.

O unter der Tiefe Schooß!

ERSTER HALBCHOR.

Wir waren gewiegt in Träume tief,

Von Sorg' und Haß seit Aeonen,

Und Jede, die wacht', wo die Schwester schlief,

Fand Schlimm'res noch –[85]

ZWEITER HALBCHOR.

Als ihre Visionen!

ERSTER HALBCHOR.

Wir hörten die Leyer der Hoffnung im Schlaf,

Wir kannten die Stimme der Liebe im Traum,

Wir springen, da weckender Zauber uns traf,

ZWEITER HALBCHOR.

Wie am Morgen die Wellen mit rosigem Schaum.

CHOR.

Den Reigen schlingt, getragen von Winden,

Den Himmel durchdringt mit der Lieder Macht,

Bezaubert den Tag, der so rasch im Entschwinden

Und hemmt seinen Lauf nach den Höhlen der Nacht.


Einst waren die hung'rigen Stunden wie Hunde,

Sie jagten den Tag wie ein blutendes Wild,

Und strauchelnd enteilt er mit klaffender Wunde

Durch öder Jahre nächtlich Gefild'.


Doch nun sei der mystische Reigen gewunden

Von Lichtgestalten, Gesang und Tanz,

Mit den Geistern der Freude und Macht laßt die Stunden

Wie Wolken und Sonne sich einen im Glanz.

EINE STIMME.

Eint euch im Glanz.

PANTHEA.

Sieh dort die Genien nah'n der Menschenseele,

Gehüllt in Wohlklang wie in lichte Schleier!

CHOR DER GEISTER.

Wir folgen dem Schwall,

Dem Tanz und dem Schall

In stürmischer Freude wirbelndem Drängen,

Gleich fliegenden Fischen,

Die aus Wogen zischen,

Halbschlafenden Vögeln der See sich zu mengen.[86]

CHOR DER STUNDEN.

Von wannen kommt ihr? – Die Blitzesstrahlen,

Ihr stürmischen Geister, sind eure Sandalen!

Wie Gedanken schnell ist das Flügelpaar,

Der Blick, wie die Liebe, des Schleiers baar!

CHOR DER GEISTER.

Vom Menschengeist sind

Genaht wir, der blind

Und stumpf und verworfen erst jüngst noch war,

Nun ist er ein Meer,

Ein Himmel, der sonnig und friedlich und klar.


Aus den Tiefen zurück

Von Wunder und Glück,

Darin die Höhlen krystall'ne Paläste,

Von der Thürme Pracht,

Wo Gedankens Macht,

Ihr glücklichen Stunden, bewacht eure Feste.


Aus dem Heim der Liebe,

Wo zärtlich Getriebe

Euch fassen will an den flatternden Flechten.

Von den Inseln blau,

Wo die Weisheit schlau

Die Schiffe euch hemmt mit Syrenenmächten.


Aus den Tempeln hervor,

Von Aug' und Ohr

Ob allen Künsten der Musen erbaut;

Aus murmelnden Wellen

Entsiegelter Quellen,

D'rin Weisheit dädalische Schwingen bethaut.


In der Jahre Fluth,

Durch Thränen und Blut,

Eine Hölle von Haß und Hoffen und Bangen

Durchwallten wir und

Gewahrten den Grund

Nur selten, dem Knospen des Glückes entsprangen.[87]


Uns'rer Füße Schritt

Bringt Ruhe nur mit,

Balsamischer Regen den Flügeln entthaut,

Und unsere Augen

Nur Liebe nun saugen,

Die wandelt zum Eden, all was sie schaut.

CHOR DER GEISTER UND STUNDEN.

So sei nun des Reigens Gewebe gesponnen,

Aus Tiefen des Himmels, von Enden der Erde,

Kommt, flinke Geister der Macht und der Wonnen,

Zu Tanz und Gesang mit Jubelgeberde,

Sowie von tausend Strömen die Wellen

Zum Meere von Glanz und Wohlklang schwellen.

CHOR DER GEISTER.

Der Sieg ist errungen,

Das Werk ist gelungen,

Wir tauchen und fliegen, durch nichts mehr beengt,

Im wirbelnden Lauf,

Bald hinab, bald hinauf,

Bald im Kreise, der dunkel das Weltall umfängt.


An den Augen der Welt,

Am Sternenzelt

Vorbei in die grauen Tiefen wir ziehn,

Nacht, Chaos und Tod

Vor unserm Gebot

Wie vor dem Sturme die Nebel entfliehn.


Luft, Erde und Glanz

Und der Geist, der zum Tanz

Die Sterne treibt in feurigem Flug,

Leben, Lieb' und Gedanken,

Die den Tod umschranken,

Sie folgen begleitend stets unserem Zug.


Unser Sang soll erbauen

Im Aether, im blauen,

Dem Geiste der Weisheit ein himmlisches Land,[88]

Dem neuen Reich

Des Menschengeist's gleich

Sei dies Werk das Werk des Prometheus genannt.

CHOR DER STUNDEN.

Unterbrecht nun, ihr Geister, den Tanz, den Gesang!

Laßt jene dort ziehn, haltet diese zurück!

ERSTER HALBCHOR.

Es treibt unser Flug den Himmel entlang!

ZWEITER HALBCHOR.

Uns fesselt der Erde Entzücken und Glück!

ERSTER HALBCHOR.

Ohn' Unterlaß, rasch und stolz mit der Schaar

Der Geister, die Erde und See erneuen,

Einen Himmel schaffen, wo keiner noch war.

ZWEITER HALBCHOR.

Laßt feierlich leise, verklärten Gesichts

Den Tag uns geleiten, die Nacht zerstreuen

Mit der Macht einer Welt vollkommenen Licht's.

ERSTER HALBCHOR.

Wir umwirbeln den Aether, der langsam sich ballt,

Bis Bäume und Thiere und Wolkengestalt

Dem liebebeschwichtigten Chaos entsteigen.

ZWEITER HALBCHOR.

Wir umkreisen der Erde Berge und See'n

Und selige Formen von Tod und Entstehn,

Sie wandeln und wechseln nach unserem Reigen.

CHOR DER STUNDEN UND GEISTER.

Unterbrecht nun, ihr Geister, den Tanz, den Gesang,

Laßt diese verbleiben und jene zur Ferne

Sich weiter schwingen, – wir leiten durch's Meer

Des Aethers, an Zügeln entlang,

So leicht und so stark, wie die Strahlen der Sterne,

Die Wolken, vom Regen der Liebe so schwer.[89]

PANTHEA.

Ha! sie entfloh'n!

JONE.

Doch fühlst du das Entzücken

Nachzittern nicht, genoss'ner Seligkeit?

PANTHEA.

Dem grünen Hügel gleich, auf den herab

Der Regen einer leichten Wolke thaute

Und der mit tausend sonn'gen Tropfen dann

Empor zum unbedeckten Himmel lacht.

JONE.

Dieweil wir sprechen klingen neue Töne!

Was ist das für ein feierlicher Klang?

PANTHEA.

's ist die erhabene Musik der Welt,

Die, wie sie rollt, dem Saitenspiel der Luft

Aeol'sche Melodien entlockt.

JONE.

Horch nur,

Wie and're Klänge füllen jede Pause,

Die silberklar und eisig scharf das Ohr

Durchdringen und dann in der Seele leben,

Sowie der Sterne scharfe Strahlen brechen

Durch die krystall'ne Winterluft und schauen

Dann auf sich selber in des Meeres Spiegel.

PANTHEA.

Doch sieh', wo in zwei Schattengänge dort,

Von hangendem Gezweige überdeckt,

Der Wald sich theilt und wo zwei Silberadern

Sich eines Bächleins in dem dichten Moos,

Von Veilchen ganz durchwoben, ihren Weg

Gebahnt, den melodienreichen, wie

Zwei Schwestern, die mit Seufzern sich getrennt,

Um freudig lächelnd wieder sich zu finden!

Zu einer Insel holden Kummers ward[90]

Die Trennung, d'rauf von trauernden Gedanken

Ein Wald sich hebt. – Sieh dort zwei Lichtgestalten

Von selt'nem Glanz mit dem gewalt'gen Klang

Hingleiten, der wie Meeresbrausen schwillt

Und immer stärker jetzt und voller strömt,

Tief unter'm Grund und in der stillen Luft.

JONE.

Sieh dort den Wagen, gleich dem dünnen Boot,

Das da der Monde Mutter durch die Ebbe

Der Nacht nach ihrer Höhl' im Westen trägt,

Wenn sie aus Neumondsträumen springt empor.

In Kreisform wölbt sich d'rob ein Baldachin

Von holdem Dunkel und die Hügel all

Und Wälder sehn durch jenes Schleiers Düster

Gleich Schatten aus in eines Zaub'rers Spiegel.

Des Wagens Räder bilden dichte Wolken,

Azur'n und golden, wie die Genien

Des Sturm's sie thürmen auf der glüh'nden See,

Wenn sich die Sonne in die Wellen stürzt.

Sie rollen und bewegen sich und wachsen,

Vom Windeshauch getrieben und geschwellt.

Und d'rin sitzt ein geflügelt Kind – so weiß,

Wie glänzend Weiß des frischgefall'nen Schnee's,

Die Federn gleichen zarten Frostgebilden,

Darauf die Sonne scheint, – die Glieder schimmern

Weiß durch den windgeschwellten Faltenwurf

Des schneeigen Gewandes, das ein zart

Gewebe aus äther'schen Perlen ist.

Sein Haar ist weiß, wie schimmernd weißes Licht,

Das Strahlen wirft, doch seine beiden Augen

Sind Himmel von durchsicht'gem Dunkel, das

Die Gottheit, die d'rin wohnt, scheint auszuströmen,

Sowie ein Sturm aus zack'gen Wolken strömt

Und mildert rings die strahlend kalte Luft

Mit Feuer ohne Glanz. – In seiner Hand

Schwingt's einen zitternd bleichen Mondenstrahl,

Von dessen Spitze aus geheime Macht

Den Wagen lenkt auf seinen Wolkenrädern,

Die, wie sie rollen über Gras und Blumen[91]

Und Wellen hin, so süße Töne wecken,

Gesang des Regens gleich von Silberthau.

PANTHEA.

Und jener andern Lichtung dort im Wald

Entrauscht im Wirbelsturm der Harmonie'n

Ein Ball, gefügt aus tausenden von Bällen,

Fest wie Krystall und doch durchfließt ihn ganz,

Als wär's durch leeren Raum, Musik und Licht:

Umfassend und umfaßt, zehntausend Kreise,

Sie blitzen purpurroth und blau und weiß

Und grün und golden, Ring in Ring verschlungen,

Und alle Zwischenräume sind bevölkert

Mit wunderbaren, seltsamen Gestalten,

Wie sie Gespensterträumen in der Nacht,

Der unerleuchteten entsteigen, doch

Durchsichtig, daß die andern keine deckt.

Und sieh'! die Sphären durcheinanderwirbelnd,

Sie drehen sich in tausendfachem Flug

Um tausende von unsichtbaren Achsen.

Mit der Gewalt der selbstzerstörenden

Geschwindigkeit, erhaben doch und leise,

Im Feiergange rollen sie dahin

Und mannigfalt'ge Töne ringen sich

Von ihnen los und klingen ineinander

Mit deutlich klarem Wort und wilden Sängen.

Und von dem Wirbel dieses Sphärenknäuels

Wird da der klare Fluß, durch den er streicht,

In blaue Nebel aufgelöst, so dünn

Und leicht, wie Licht und Luft. – Und das Arom

Der Waldesblumen, die Musik der Winde,

Des Grases Flüstern, das smaragd'ne Licht

Der Strahlen, die im Blätterdach gefangen,

Von der gewalt'gen Eile dieser Sphären,

Die doch zugleich sich selbst zu hemmen scheint,

Sie einen sich zu einer luft'gen Masse,

Die unsern Sinn berauscht. – Inmitten aber

Des Ball's, auf Alabasterarmen ruht,

Gleich einem Kind, von holdem Spiel ermüdet,

Auf dem geschloss'nen Schwingenpaare schlafend[92]

Und zartgewelltem Haar, der Geist der Erde.

Und du kannst sehn, wie seine zarten Lippen

Im lichten Schimmer ihres eig'nen Lächelns

Sich regen leis', als ob in Träumen er

Von süßen Dingen spräche, die er liebt.

JONE.

Er ahmt nur nach des Balles Harmonie.

PANTHEA.

Und sieh' aus einem Stern ob seiner Stirne,

Gleich Feuerschwertern oder gold'nen Speeren,

Mit Myrthen überwunden, zum Symbol,

Daß Erd' und Himmel Eins nun, schießen Strahlen,

Wie Speichen eines unsichtbaren Rades.

Sie wirbeln, wie der Erdkreis, schneller als

Gedanken, füllend so den Abgrund aus

Mit sonnengleichen Blitzen und bald senkrecht,

Bald quer durchdringen sie den dunklen Boden

Und legen, weiterdringend das Geheimniß

Dann von der Erde tiefem Herzen bloß:

Endlose Minen von Demant und Gold,

Werthlos Gestein und wiederum Juwelen

Von ungeträumtem Werth und Höhlen, die

Auf mächt'gen Säulen ruhen von Krystall

Und rings bedeckt sind mit lebend'gem Silber.

Und unergründlich tiefe Feuerschlünde

Und Quellen auch, von denen, wie ein Kind,

Die große See sich nährt und deren Dämpfe

Der Erde königliche Berge hüllen

In königlichen Hermelin aus Schnee.

Die Strahlen schießen weiter und beleuchten

Die trauernden Ruinen längstverwich'ner

Epochen: Anker, Schiffesschnäbel, Planken,

Die schon zu Marmor wurden, Köcher, Helme

Und Speere und gorgonenhäupt'ge Schilde,

Der Sichelwagen Räder und den Zierrath von

Trophäen, Bannern und von Wappenthieren,

Um welche einst der grause Tod gegrinst,

Begrabene Symbole der Zerstörung,[93]

Ruinen jetzt inmitten von Ruinen.

Zur Seite hier die Trümmer stolzer Städte,

Bewohnt von Völkern, die die Erde deckt,

Die sterblich waren, aber menschlich nicht.

Seht ihre ungeheuren Werke liegen,

Ihr widriges Gebein und Marmorbilder

Von ihrer Hand und Häuser dort und Tempel,

Gestalten wunderbar, die in das Grau

Gehüllt nun der Vernichtung und zersplittert,

Versenkt nun in die dunkle Tiefe sind.

Und über diesen liegen die Skelette

Beschwingter Thiere, die uns fremd und Fische,

Die einst lebend'ge Schuppeninseln waren,

Und Schlangen, Knochenketten, rings gewunden

Um Eisenklippen, oder tief vergraben

In Haufen Staub's, zu dem ihr Todeskrampf

Die Klippen einst, die eisernen zermalmt.

Und d'rüber der geschuppte Alligator,

Das mächt'ge Nilpferd, das die Erd' aufwühlte,

Sie, die Monarchen einst der Thiere waren,

Die an den schlamm'gen Küsten und auf weitem,

Unkrautbewachs'nem Festland sich vermehrten

Und wuchsen, wie die Würmer wohl im Sommer

Auf dem verlass'nen Leichnam, bis herab

Von blauer Wölbung Fluthen stürzten, die,

Gleich einem Mantel eingehüllt den Erdball

Und sie lautklagend heulten und verröchelnd

Anheim nun fielen der Vernichtung, oder

Ein Gott auf schwebendem Kometenthrone

Vorüberfliegend ihnen rief: Seid nicht!

Und sie, gleich meinem Worte, – nicht mehr waren.

DER ERDBALL.

Triumph und Freude, die den Sinn berücken!

O überströmend grenzenlos Entzücken!

O der Begeist'rung Taumel, ungezügelt!

O wonniges Gefühl, das mich umwebt

Mit einem Lichtkreis und das mich erhebt

Gleich einer Wolke, die der eig'ne Hauch beflügelt![94]

LUNA.

Mein Bruder, der so stille wandernd geht,

Aus Land und Luft, du glücklicher Planet!

Dir entringt ein Geist wie ein Lichtstrahl sich,

Durchzitternd meine frostige Gestalt,

Und sieh'! Es dringt der Wärme Allgewalt

Mit Lieb' und Duft und Klängen wonniglich

In mich, in mich!

DER ERDBALL.

Ha! ha! Die Höhlen meiner Berge dröhnen,

Die Feuerschlünde und die Quellen tönen,

Sie schlagen unauslöschliches Gelächter auf!

Die Oceane, Wüsten und die Klüfte,

Die ungemess'nen Wildnisse der Lüfte

Aus Wolken und aus Wellen geben Antwort d'rauf!


»Gekrönter Fluch!« – so schrei'n sie laut mit mir –

»Der unser ganzes Universum hier

Zerstören wolltest und aus einer Wolke dampfend

Herniederregnen lassen heiße Steine,

Zerschmetternd meinen Kindern die Gebeine,

All, was mein Schooß gebar, zu einem Chaos stampfend –


Bis alle Thürm' und Säulen rings hienieden,

Paläste, stolze Tempel, Pyramiden,

Umwölktes Schneegebirge mit dem Feuerkamm,

Mein Wäldermeer, die Früchte all und Blüthen,

Die ich als Grab und Wiege soll behüten,

Von deinem Haß zertreten war zu todtem Schlamm –


Wie wardst vom durst'gen Nichts du aufgesogen,

Dem Wasser gleich, mit dem ein Trupp gezogen –

Durch's Wüstenmeer, ein winz'ger Tropfen nur für Alle!

Und Liebe schießt nun allwärts in den Raum,

Den du erfüllt, seit du vernichtet kaum,

Sowie ein Blitz fährt in die Kluft mit Donnerschalle.«

LUNA.

Auf meiner todten Berge Zinnen

Löst sich der Schnee und Quellen rinnen,[95]

All meine Meere fluthen, singen, scheinen,

Aus meinem Herzen strömt ein Geist,

Der warm und fruchtbar werden heißt,

Den kalten Busen mein: Ich fühl' den deinen

Am meinen, am meinen!


Ich seh' dich an und fühl' und weiß,

Bald blühen Blumen, treibt das Reis,

Es regt sich bald lebendiges Getriebe,

Musik erklingt in Luft und Meer

Und Wolken fliegen hin und her,

Vom Regen schwer, geträumt vom Knospentriebe,

's ist Liebe, 's ist Liebe!

DER ERDBALL.

Ich fühle sie mir den granit'nen Leib durchdringen

Von Staub und Wurzeln hier, die wirre sich verschlingen,

Bis zu dem höchsten Laub und zarten Blumendüften,

In Windes Flügeln lebt sie, in der Wolken Lauf,

Sie weckt vom Schlaf die lang vergess'nen Todten auf,

Und Geist und Leben steigt aus ihren finstern Grüften.


Und wie ein Sturm durchbricht der dunklen Wolken Haft

Mit lautem Donner und des Wirbelwindes Kraft,

Steigt Liebe aus des Seins verborg'nen, finstern Schlünden!

Mit der Gewalt des Erderbebens macht sie schwanken

Das dumpfe Chaos hier der stockenden Gedanken,

Bis Haß und Furcht und Pein wie hohle Schatten schwinden,


Dem Menschen weichend, der, ein Spiegel mannigfalt,

Durch Zerrgebilde einst von trüglicher Gestalt

Die Welt entstellt, nun ward ein liebespiegelnd Meer,

Das alles Sein umfängt, dem sonn'gen Himmel gleich,

Der mild und heiter schwebt ob klarem Fluthenreich,

Und Leben strahlt und Licht aus stern'gen Tiefen hehr,


Ihn fliehend, wie man flieht vor'm aussatzkranken Kinde,

Das in des Waldes Schooß folgt einer siechen Hinde

Zum Felsen, d'raus hervor heilkräftig quillt ein Brunnen.[96]

Wenn rosig lächelnd es dann heim zur Mutter wallt,

Meint Jene ein Gespenst zu sehn, doch deckt sie bald

Mit Freudenthränen heiß das Kind, das neu gewonnen.


Mensch! – o nicht Menschen mehr! – in einer Kette Bann

Von Lieb' und Macht vereint, die Keiner trennen kann,

Die Elemente all mit eh'rner Kraft bekämpfend,

Sowie die Sonne lenkt mit des Tyrannen Blick

Der ruhelosen Sterne große Republik,

Des Himmels Freiheit so, die allzu wilde dämpfend!


Mensch! eine Seele jetzt von vielen Seelen nur,

Deß göttlich Tribunal die eigene Natur,

D'rin Alles fließt ins All, wie Flüsse nach der See!

Alltägliches verklärt der Liebe holder Strahl,

Mühsal und Schmerz, sie ruh'n im grünen Lebensthal,

Raubthiere, die gezähmt, wie's Keiner ahnte je.


Sein Wille, sonst von all den Leidenschaften blind

Und eitlen Sorgen, die ihm Satelliten sind,

Ein Geist, zum Herrschen schlecht, – nur fähig sich zu schmiegen,

Ist nun ein sturmbeschwingt Gefährt' – die Liebe lenkt

Es durch den Wogenbraus, der's nimmermehr versenkt

Die wild'ste Küste muß sich seiner Herrschaft fügen.


Erkannt ist seine Macht! Den kalten Marmorstein,

Die todte Farbe selbst durchziehn die Träume sein,

Goldfäden, die dem Kind zum Kleid webt Mutterliebe

Und seine Rede tönt gleich orphischem Gesang,

Der mit dädal'schen Harmonie'n der Formen Drang

Und der Gedanken lenkt, der sonst gestaltlos bliebe.


Sein Sklave ist der Blitz, – in Himmelstiefen klar

Kennt er die Sterne, die vor ihm gleich einer Schaar

Gezählter Lämmer ziehn und ihm entgeht nicht eins!

Sein Renner ist der Sturm – frei schwebt er durch die Luft,

Birgst ein Geheimniß du, o Himmel? also ruft

Der Abgrund – mich enthüllt der Mensch – ich habe kein's![97]

LUNA.

Von meinem Pfad durch's Himmelreich,

Sah ich des Todes Schatten bleich,

Das Leichentuch von Schlaf und Frost entfliehn.

Und meine Büsche, neu erblüht,

Durchwandeln Paare, lieberglüht,

So mächtig nicht, doch mild, wie sie, die ziehn

Durch deine Thäler hin.

DER ERDBALL.

Wie schmelzend milder Dämm'rung Wärme sinkt

Auf frost'gen Thau, der grün und golden blinkt,

Bis er beflügelt sich als leichter Nebel hebt

Zur blauen Himmelswölbung aus dem Thal

Und Abends noch im letzten Sonnenstrahl,

Ein amethyst'nes Vließ, hoch ob dem Meere schwebt.

LUNA.

Dich hüllet und umglüht

Ein Licht, das nie versprüht,

Der eig'nen Lust, ein Licht der Himmelsruh',

Aus allen Sonnen strömt mit Macht

Dir Leben, Kraft und Licht und Pracht,

Die dich durchglüh'n – dein Licht dann sendest du

Mir zu, mir zu!

DER ERDBALL.

Gedeckt von meines Schattens Pyramide,

Zum Himmel ragend, wiegt mich sel'ger Friede,

Indeß mein Mund entzückte Siegesfreude haucht,

Ein Jüngling, der, in Liebestraum gewiegt,

Im Schatten seiner eig'nen Schönheit liegt,

Der seine Ruh' bewacht, in Glut und Licht getaucht.

LUNA.

In sanftem Dunkel wonniglich

Trifft Seel' und Seel' im Kusse sich,

Wird matt das Aug' und still das Herz, das schwoll:

So, wenn dein Schatten fällt auf mich,

Dann werd' ich stumm, – bedeckt durch dich –[98]

Von dir, o Stern, aus dem mein Leben quoll,

Voll, o zu voll!

Um die Sonne geht dein Kreis,

Erdball, aller Welten Preis,

Der du leuchtest blau und grün

Durch ein Licht, vor dessen Glüh'n

All die Himmelsleuchten schwinden,

Denen Leben ward und Glanz!

Deine Buhle, fühl' ich ganz

Eine Kraft mich an dich binden,

Sowie die magnet'sche Macht,

Die in Liebchen's Auge wacht.

Ich, ein Mädchen, lieberregt,

Deren schwaches Hirn nicht trägt

Ihrer Liebe freudig Beben,

Muß dich sinnberückt umschweben,

Eine nimmersatte Braut,

Die ringsum dein Bild beschaut,

Wie Mänaden einst die Schale,

Welche Agaue zum Mahle

Bot in Cadmos' Zauberwald.

Bruder, wo dein Flug auch wallt,

Eilend folgen muß ich dir

Durch des Himmels Glanzrevier!

Dein Umarmen weiß zu wehren,

Daß ich da versink' im Leeren,

Dir entströmt und mich durchweht

Schönheit, Glanz und Majestät!

Den Verliebten gleich' ich dann

Oder dem Chamäleon,

Das in des Geschauten Bann

Annimmt dessen Farbenton.

So das Veilchen in der Au

Blicket in des Himmels Blau,

Bis daß es ward, wie er, nach dem es sieht,

So der Nebel, grau und bleich,

Glühet, Amethysten gleich,

Im West auf Bergen, die sein Flor umzieht,

Wenn Sonnenuntergang

Sein schneeig' Kleid durchdrang.[99]

DER ERDBALL.

Und ach! es weint der matte Tag,

Der noch nicht scheiden mag.

O sanfter Mond, die Lust, die dir entquillt,

Sie trifft mich, wie dein Licht, das klar und mild

In lauer Sommernacht den Seemann leitet,

Der zwischen ewig stillen Inseln gleitet.

O holder Mond! dein Laut, hell wie Krystall,

Dringt in die Höhlen meinem stolzen All

Und dämpft der Tigerfreude wilden Flug,

Die ungeberdig mir im Jubelschall

Balsambedürft'ge Wunden schlug.

PANTHEA.

Dem Strom der Klänge hier entsteig' ich nun,

Wie einem Bade funkelnder Gewässer,

Wie einem Bade von azur'nem Licht

Inmitten dunkler Felsen.

JONE.

Süße Schwester!

Der Strom der Klänge ebbte weg von uns,

Aus seinen Wellen glaubst du nur zu steigen,

Weil deine Worte fallen gleich dem Thau,

Dem klaren, milden, den die badende

Waldnymphe sich von Haar und Gliedern schüttelt.

PANTHEA.

Still! eine Macht, graus, wie die Finsterniß,

Steigt aus der Erde auf und schauert nieder

Vom Himmel, wie die Nacht; und aus der Luft

Bricht wie Verfinst'rung sie, die eingesogen

Ward von den Poren rings des Sonnenlicht's.

Die herrlichen Visionen, d'rin die Geister,

Die singenden, geschwebt dort und geglänzt,

Sie schimmern nur, wie bleiche Meteore

Durch nebelfeuchte Nacht.

JONE.

's ist ein Gefühl,

Als ob da Worte klängen an mein Ohr.[100]

PANTHEA.

Ein Klang des All's, gleich Worten ist's – o horch!

DEMOGORGON.

Du Erde! – einer sel'gen Seele Reich,

Voll von Gestalten, hehr und göttergleich!

Du schöner Stern, voll süßer Harmonie'n,

Einsaugend Liebe nur im Weiterziehn,

Die deinen Pfad besä't durch's Himmelsblau!

DER ERDBALL.

Ich hör' – ich sterb' vor dir – ein Tröpfchen Thau!

DEMOGORGON.

O Mond, der du die Erd' anstaun'st, wie sie

Bewundernd ihren Blick zu dir erhebt,

Indessen Mensch und Thier und All was lebt,

In euch bewundert Glanz und Harmonie!

LUNA.

Ich hör': ein schwankes Blatt, das vor dir bebt.

DEMOGORGON.

Ihr Könige der Sonnen und der Sterne

Aether'sche Herrscher, Götter und Dämonen,

Die in elysisch sel'gen Räumen wohnen,

Weit hinter dieses Himmels stern'ger Ferne.

EINE STIMME VON OBEN.

Es hört die große Republik! herauf

Tönt Segen uns und wir – wir segnen wieder!

DEMOGORGON.

Ihr sel'gen Todten, denen Strahlengarben

Nur Wolkenschleier sind – nicht bunte Farben,

Ob die Natur euch noch dieselbe sei,

Die ihr gesehn einst und erduldet –[101]

EINE STIMME VON UNTEN.

Ob vorbei

Wir zogen und ob auch verwandelt wir,

All denen gleich, die wir verlassen hier –

DEMOGORGON.

Ihr Elementengeister, die ihr wohnt

Allüberall – im Geist der Menschen thront

Und lebt im dumpfen Blei – im Sternenzelt

Und in dem Unkraut, d'raus der Wurm erhält,

Der niedrige, die Nahrung sein –

EINE VERWORRENE STIMME.

Wir hören!

Du kannst vom Schlafe das Vergessen stören!

DEMOGORGON.

Ihr Geister all, die ihr im Fleische lebt!

Ihr Thiere alle, – Vogel, Fisch und Wurm,

Ihr Knospen und ihr Blätter – Blitz und Sturm,

Ihr ungezähmten Heerden, die ihr schwebt

Als Meteore in des Himmels Feldern!

EINE STIMME.

Dein Wort ist Windhauch uns in stillen Wäldern!

DEMOGORGON.

Mensch! Der ein Sklave war und ein Despot,

Der selbst betrogen ward und Täuschung bot!

ALLE.

Sprich! Möge nimmermehr dein Wort vergehn!

DEMOGORGON.

Dies ist der Tag, da durch des Menschen Macht

Des Himmels Tyrannei der Abgrund schlang!

In Ketten seufzt der Unterdrücker bang,

Vom Throne, wo geduldig sie gewacht,

In weisen Herzen, nach der letzten Stunde[102]

Schmerzvollen Duldens, hart am Schlunde,

Steigt Liebe auf, heilkräftig zu umschlingen

Die ganze Welt mit ihren sanften Schwingen.


Geduld und Tugend, Weisheit und Verstand,

Die Siegel sind's, die ewig festgebannt

Des Abgrund's Macht, die uns zerstören sollte.

Und wenn mit greiser Hand die Ewigkeit,

Die Mutter mancher That und Stund' befreit

Die Schlange, die uns fest umschlingen wollte, –

Die Zauberkräfte sind's, die das Verhängniß

Auf's neue stürzen sollen ins Gefängniß.


Zu tragen Leid, das ihr unendlich meint,

Der Macht zu trotzen, die allmächtig scheint,

Unrecht verzeih'n, das schwarz wie todt und Nacht,

Und lieben, hoffen, bis der Hoffnung Kraft

Aus ihren Trümmern das Ersehnte schafft,

Nicht straucheln, schwanken, nicht der Reue Macht

In müß'ger Thränenfluth den Nacken biegen, –

Gleich deinem Ruhm, Titan, heißt dies allein

Gut, groß und frei und schön und freudig sein,

Ja dies allein heißt leben, herrschen, siegen![103]

Quelle:
Shelley, Percy Bysshe: Der entfesselte Prometheus. Wien 1876, S. 82-104.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der entfesselte Prometheus
Der entfesselte Prometheus. Lyrisches Drama in vier Akten [and in verse] ... Deutsch von A. Graf Wickenburg

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