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[154] Und alles war fehlgeschlagen. Vinicius ließ sich sogar so tief herab, daß er Hilfe bei den Freigelassenen und Sklaven sowohl des Caesars wie Poppaeas suchte, ihre leeren Versprechungen freigebig bezahlte und sich ihrer Bereitwilligkeit durch reiche Geschenke versicherte. Er suchte den ersten Gatten der Augusta, Rufius Crispinus, auf und erhielt von ihm ein Schreiben; ihrem Sohne erster Ehe, Rufius, schenkte er eine Villa in Atrium, ärgerte aber damit den Caesar, der seinen Stiefsohn haßte. Durch einen besonderen Eilboten sandte er ein Schreiben an Poppaeas zweiten Gemahl, Otho, nach Spanien, opferte sein gesamtes Eigentum und sich selbst auf, bis er zuletzt einsah, daß er nur der Spielball dieser Menschen sei und daß es ihm eher gelungen wäre, Lygia zu befreien, wenn er ihre Einkerkerung leichter genommen hätte.
Dasselbe erkannte auch Petronius. Inzwischen verging ein Tag nach dem anderen. Die Amphitheater waren vollendet. Schon wurden die Tesserae, die Eintrittsmarken zu dem ludus matutinus,1 verteilt. Aber diesmal sollte das Morgenspiel wegen der riesigen Zahl der Opfer tage-, wochen-, monatelang dauern. Man wußte schon nicht mehr, wo man die Christen unterbringen sollte. Die Kerker waren überfüllt, und das Fieber wütete in ihnen. Die Puticuli, gewöhnliche Gruben, in denen die Sklaven eingesperrt wurden, fingen ebenfalls an, sich übermäßig zu füllen. Man fürchtete, es möchten Krankheiten sich über die ganze Stadt verbreiten, und daher entschloß man sich zur Eile.
Alle diese Gerüchte kamen auch Vinicius zu Ohren und erstickten den letzten Hoffnungsschimmer in ihm. Solange es Zeit war, konnte er sich vortäuschen, daß er noch etwas erreichen könne, aber jetzt war keine Zeit mehr. Die Spiele mußten beginnen. Lygia konnte sich jeden Tag in einem[155] Cuniculum des Zirkus befinden, von dem aus man nur in die Arena gelangen konnte. Vinicius, der nicht wußte, wohin das Schicksal und die Grausamkeit der Gewalt sie führen würde, besuchte regelmäßig jeden Zirkus, bestach die Wachen und die Bestiarii und legte ihnen Pläne vor, deren Ausführung unmöglich war. Mit der Zeit erkannte er, daß alles, was er für sie tun konnte, darin bestand, ihr den Tod weniger furchtbar zu machen, und eben dann war es ihm, als habe er anstatt des Gehirns glühende Kohlen in seinem Kopfe.
Im übrigen dachte er auch gar nicht daran, sie zu überleben, und beschloß, gleichzeitig mit ihr zu sterben. Aber er fürchtete, der Schmerz könne sein Leben vernichten, bevor der schreckliche Tag herangenaht sei. Seine Freunde und auch Petronius glaubten, daß sich ihm jeden Tag das Reich der Schatten öffnen könne. Vinicius' Gesicht war düster und glich den in den Lararien aufbewahrten Wachsmasken. Aus seinen Zügen war jedes Leben gewichen, als verstehe er nicht, was um ihn herum vorgehe und was noch vorgehen könne. Sprach jemand mit ihm, so erhob er mit einer mechanischen Bewegung die Hände, preßte sie an die Schläfen und sah den Sprechenden mit erstauntem, fragendem Blicke an. Die Nächte verbrachte er mit Ursus vor der Tür von Lygias Gefängniszelle, und wenn sie ihn bat, fortzugehen und zu ruhen, so kehrte er zu Petronius zurück und ging bis zum frühen Morgen im Atrium auf und ab. Häufig sahen ihn auch die Sklaven mit ausgebreiteten Armen am Boden oder mit dem Gesicht auf der Erde liegen. Er betete zu Christus, da dieser seine letzte Hoffnung war. Alles war fehlgeschlagen. Nur ein Wunder konnte Lygia retten, daher schlug Vinicius mit der Stirn gegen die Steinfliesen und betete um das Wunder.
Aber soviel Verständnis war ihm doch noch geblieben, daß er einsah, Petrus' Gebet sei wirksamer als das seinige. Petrus hatte ihm Lygia verheißen, Petrus hatte ihn getauft, Petrus tat selbst Wunder und sollte jetzt auch ihm Rettung und Hilfe bringen.[156]
Eines Nachts machte er sich auf den Weg, ihn zu suchen. Die Christen, von denen wenige in Freiheit geblieben waren, hielten diesen jetzt sorgfältig sogar voreinander versteckt, damit nicht einer von den Schwächeren im Geiste ihn absichtlich oder unabsichtlich verriete. Vinicius hatte in der allgemeinen Verwirrung und dem Unglück den Apostel aus den Augen verloren, zumal er durch seine Bemühungen, Lygia aus dem Gefängnis zu befreien, fast völlig in Anspruch genommen war. Seit seiner Taufe hatte er ihn daher kaum einmal gesehen, und zwar noch vor dem Beginn der Verfolgung. Er begab sich zu jenem Steinbrecher, in dessen Hütte er getauft worden war, und erfuhr von ihm, daß in einem Cornelius Pudens gehörigen Weinberge vor der Porta Salaria eine Versammlung der Christen stattfinden solle. Der Steinbrecher erbot sich, Vinicius hinzuführen, und versicherte ihn, er werde Petrus dort antreffen. Nach Einbruch der Dämmerung gingen sie fort, durchschritten das Tor und gelangten dann über schilfbewachsene, niedriger gelegene Stellen hinweg zu dem Weinberge, der fern von der Stadt auf einem einsamen Felde lag. Die Versammlung fand in einem Schuppen statt, in dem für gewöhnlich Wein lagerte. Als Vinicius näher kam, drangen leise Gebete in sein Ohr, und beim Eintritte sah er bei dem trüben Scheine einiger Laternen fünfzig bis sechzig Gestalten auf den Knieen liegen und andächtig beten. Sie beteten eine Art Litanei; ein Chor männlicher und weiblicher Stimmen wiederholte unaufhörlich: »Christus, erbarme dich!« Tiefe, ergreifende Trauer und Bekümmernis zitterte in diesen Stimmen.
Petrus war zugegen. Er kniete vorn an, vor einem an der Wand des Schuppens befestigten hölzernen Kreuz und betete. Vinicius erkannte ihn schon aus der Ferne an seinem weißen Haar und seinen hocherhobenen Händen. Der erste Gedanke des jungen Patriziers war der, durch die Versammlung hindurchzueilen, sich dem Apostel zu Füßen zu werfen und zu rufen: »Rette sie!« Aber die Kniee versagten ihm,[157] sei es infolge des feierlichen Eindrucks des Gebetes, sei es vor Schwäche; er setzte sich beim Eingang nieder und begann seufzend und händeringend zu wiederholen: »Christus, erbarme dich!« Wäre er unbefangen gewesen, so hätte er bemerken müssen, daß sich nicht nur in sein Gebet Seufzer mischten und daß nicht er allein seinen Kummer, seine Betrübnis, seine Sorge hierher gebracht hatte. In dieser Versammlung befand sich keine Menschenseele, die nicht teure Angehörige verloren hätte. Und als die eifrigsten und mutvollsten der Gläubigen eingekerkert waren, als sich jeden Augenblick neue Gerüchte über Beschimpfungen und Qualen, die sie im Gefängnisse zu erdulden hatten, verbreiteten, als die Größe des Jammers jede Vorstellung überstieg, als nur diese Handvoll Christen übrigblieb – da gab es kein Herz, das nicht im Glauben geschwankt und zweifelnd gefragt hätte: »Wo ist Christus? und warum läßt er zu, daß das Böse mächtiger als Gott wird?«
Trotzdem flehten sie ihn voller Verzweiflung noch um Erbarmen an, denn in jeder Seele glühte noch ein Hoffnungsfunken, er werde kommen, das Böse zerschmettern, Nero in den Abgrund schleudern und die Weltregierung antreten ... Noch blickten sie zum Himmel empor, noch lauschten sie auf sein Nahen, noch beteten sie zitternd. Auch Vinicius wurde, je öfter er die Worte wiederholte: »Christus, erbarme dich!« von Begeisterung ergriffen, wie er sie damals in der Hütte des Steinbrechers empfunden hatte. Jetzt rufen die Versammelten aus dem Abgrund ihres Leides nach Christus, jetzt ruft Petrus nach ihm; jeden Augenblick kann sich der Himmel öffnen und die Erde in ihren Grundfesten erbeben; dann wird Er erscheinen in unermeßlichem Strahlenglanze, Gestirne zu seinen Füßen, allerbarmend, aber zugleich auch furchtbar; er wird seine Gläubigen aufrichten und den Abgründen befehlen, die Verfolger zu verschlingen.
Vinicius verbarg sein Gesicht in die Hände und stürzte zur Erde. Jetzt umgab ihn ringsum Schweigen, es war,[158] als habe die Furcht weitere Rufe auf den Lippen aller Anwesenden zurückgehalten. Und es erschien ihm, als müsse sich nun endlich etwas ereignen, als müsse ein Wunder eintreten. Er war überzeugt, beim Aufschlagen der Augen einen Glanz zu erblicken, vor dem sterbliche Augen erblinden müßten, und eine Stimme zu vernehmen, vor der die Herzen ihre Kraft schwinden fühlten.
Aber die Stille dauerte fort. Endlich wurde sie vom Weinen der Frauen unterbrochen.
Vinicius erhob sich und sah enttäuscht um sich.
Statt des überirdischen Glanzes beleuchtete nur schwacher Laternenschimmer den Raum, und die durch eine Dachöffnung einfallenden Mondstrahlen erfüllten ihn mit silbernem Lichte. Die neben Vinicius Knieenden erhoben schweigend ihre tränenschweren Augen zum Kreuze empor; hier und da ertönte noch Weinen, und von draußen vernahm man die warnenden Rufe der Wachen. Da erhob sich Petrus und sprach, zur Gemeinde gewendet: »Kinder, erhebet eure Herzen zum Erlöser und bringt ihm eure Tränen zum Opfer dar!«
Er schwieg.
Auf einmal ließ sich aus der Mitte der Versammlung heraus die Stimme einer Frau vernehmen voll herzzerreißenden Jammers und grenzenlosen Schmerzes: »Ich bin Witwe und hatte einen einzigen Sohn, der mich unterstützte ... Gib ihn mir zurück, Herr!«
Ein drückendes Schweigen folgte diesen Worten.
Petrus stand vor der knieenden Gemeinde, vom Alter gebeugt, kummerschwer und erschien in diesem Augenblicke wie die Verkörperung von Greisenhaftigkeit und Hinfälligkeit.
Dann begann eine andere Stimme: »Die Häscher schändeten meine Tochter, und Christus hat es zugelassen.«
Darauf eine dritte: »Ich bin allein mit meinen Kindern zurückgeblieben; wer wird ihnen Wasser und Brot geben, wenn man auch mich hinwegführt?«
Sodann eine vierte: »Linus, den man erst verschont hatte,[159] ist von neuem ergriffen und auf die Marterbank gelegt worden, Herr!«
Endlich eine fünfte: »Sobald wir nach unseren Wohnungen zurückkehren, werden uns die Prätorianer ergreifen. Wir wissen nicht, wo wir uns verbergen sollen.«
»Wehe uns! Wer wird uns schützen?«
Und so ertönte in der Stille der Nacht Klage um Klage. Der greise Fischer hielt die Augen geschlossen und schüttelte sein weißes Haupt über all dieses grenzenlose menschliche Elend und Herzeleid. Wieder trat Schweigen ein, nur die Wachen hinter dem Schuppen ließen leise Warnungsrufe ertönen.
Vinicius sprang von neuem auf, um sich durch die Gemeinde bis zum Apostel hindurchzudrängen und ihn um Rettung anzuflehen. Plötzlich aber erblickte er vor sich einen Abgrund, vor dem seine Füße zurückbebten. Wie, wenn der Apostel seine eigene Schwäche eingestehen, wenn er zugeben müßte, daß der römische Caesar mächtiger sei als Christus von Nazareth? Bei diesem Gedanken sträubten sich Vinicius die Haare, denn er fühlte, daß dann nicht nur seine letzte Hoffnung in diesem Abgrund versinke, sondern auch er, seine Lygia, seine Liebe zu Christus, sein Glaube – kurz alles, woran er sich bis jetzt festgeklammert hatte, und dann würde nichts bleiben als Nacht und Tod, ein uferloses Meer.
Da begann Petrus zu sprechen, anfangs mit so leiser Stimme, daß man ihn kaum verstehen konnte: »Meine Kinder! Auf Golgatha sah ich, wie Gott ans Kreuz geheftet wurde. Ich hörte die Hammerschläge und sah, wie man das Kreuz aufrichtete, damit das Volk den Tod des Menschensohnes sehen könne. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
... Und ich sah, wie man ihm die Seite öffnete und wie er starb. Und als ich von der Kreuzigung heimkehrte, rief ich in meinem Schmerze, wie ihr jetzt ruft: Wehe, wehe, Herr! Du bist Gott! Warum hast du dies zugegeben, warum bist du gestorben, warum hast du uns betrübt, die wir glaubten, daß dein Reich kommen werde? ...[160]
Aber Er, unser Herr und unser Gott, stand am dritten Tage von den Toten auf und weilte unter uns, bis er mit großer Herrlichkeit in sein himmlisches Reich einging ...
Wir aber, die wir unsere Kleingläubigkeit einsahen, wurden stark in unserem Herzen und streuen seit dieser Zeit seinen Samen aus ...« – – – – – – – – – – – –
Dann wandte er sich nach der Richtung, aus der jene erste Klage erschollen war, und sprach mit schon kräftigerer Stimme: »Warum beklagt ihr euch? ... Gott selbst hat sich dem Tode und der Marter hingegeben, und ihr wollt, daß er euch davor bewahre? Ihr Kleingläubigen, habt ihr so seine Lehre aufgefaßt, hat er euch denn nur das Leben verheißen? Seht, er kommt zu euch und spricht: Folget mir nach; er will euch zu sich emporheben, und ihr klammert euch mit den Händen an die Erde fest und ruft: Herr, rette uns! Vor Gott bin ich Staub, aber vor euch bin ich Gottes Apostel und Stellvertreter, und ich sage euch im Namen Christi: Nicht der Tod steht euch bevor, sondern ewiges Leben, nicht Qual, sondern unaussprechliche Freude, nicht Weinen und Wehklagen, sondern jubelnder Gesang, nicht Sklaverei, sondern Herrschaft. Ich, der Apostel Gottes, sage dir, Witwe: Dein Sohn ist nicht gestorben, sondern in Herrlichkeit zum ewigen Leben wiedergeboren worden, und du wirst mit ihm vereinigt werden! Dir, Vater, dessen unschuldige Tochter die Häscher verunehrt haben, verheiße ich, daß du sie reiner wiederfinden wirst als die Lilien von Hebron. Euch, ihr Mütter, die man von den Waisen wegreißt, euch, die ihr eure Väter verloren habt, euch, die ihr klagt, euch, die ihr den Tod eurer Lieben sehen werdet, euch, den Trauernden, Unglücklichen, Gebeugten, und euch, die ihr sterben müßt, erkläre ich im Namen Christi, daß ihr wie aus einem Schlafe zu einem seligen Dasein und wie aus der Nacht zum Lichte Gottes erwachen werdet. Im Namen Christi, laßt die Binde von euren Augen fallen und eure Herzen hell werden!«
Nach diesen Worten streckte er mit hoheitsvoller Gebärde[161] seine Hand aus, und die Versammelten fühlten neues Blut in ihren Adern, zugleich aber auch einen Schauer in ihren Gebeinen, denn vor ihnen stand nicht mehr ein schwacher, hinfälliger Greis, sondern ein Fürst, der ihre Seelen hinriß und aus Staub und Schrecken zu sich emporhob.
»Amen!« erklang es von vielen Lippen.
Aus des Apostels Auge aber brach ein immer helleres Licht, Kraft ging von ihm aus, Majestät und Heiligkeit. Die Häupter neigten sich vor ihm, und als das »Amen« verklungen war, fuhr er fort: »Ihr säet mit Tränen, um in Freude zu ernten. Warum fürchtet ihr die Macht des Bösen? Erhaben über die Erde, über Rom, über die Mauern der Stadt ist der Herr, der seine Wohnung bei euch aufgeschlagen hat. Die Steine werden mit euren Tränen benetzt, der Sand wird von eurem Blut gerötet, die Gruben werden mit euren Leichen angefüllt werden; aber ich sage euch: Ihr seid die Sieger! Der Herr schreitet zur Eroberung dieser Stadt des Verbrechens, der Bedrückung und des Hochmuts, und ihr seid seine Legionen! Und wie er mit seiner Marter und seinem Blute die Sünden der ganzen Welt abbüßte, so will er, daß ihr mit eurer Marter und eurem Tode für diesen Ort der Ungerechtigkeit Sühne leistet. Dies verkündet er euch durch meinen Mund.«
Er breitete die Arme aus und blickte zum Himmel empor. Den Versammelten stockte beinahe der Herzschlag in der Brust, denn sie fühlten, sein Auge schaue etwas, was sterbliche Blicke nicht wahrzunehmen vermöchten.
Sein Gesicht war wie umgewandelt, eine strahlende Heiterkeit lag darüber ausgegossen; er schaute eine Zeitlang schweigend empor, als versage ihm vor Entzücken die Sprache; dann aber ließ sich seine Stimme aufs neue vernehmen: »Du bist es, Herr, und zeigst mir deine Wege! ... Ja, o Christus! ... Nicht in Jerusalem, sondern in dieser Stadt des Satans willst du deinen Sitz errichten? Hier willst du dir aus diesen Tränen und diesem Blut deine Kirche bauen?[162] Hier, wo Nero herrscht, soll dein ewiges Reich stehen? O Herr, Herr! Und du befiehlst diesen Zagenden, mit ihren Gebeinen den Grund zu deinem Zionsheiligtum zu legen, mir befiehlst du, die Herrschaft darüber und über die Völker der Erde in die Hand zu nehmen? ... Du läßt den Bronn der Kraft über die Schwachen strömen, daß sie stark werden, und befiehlst mir, die Herde deiner Lämmer zu weiden bis ans Ende der Zeiten ... O, sei hochgelobt in deinen Ratschlüssen, der du zu siegen befiehlst! Hosianna! Hosianna!«
Die Verzagten ermannten sich, in die Zweifelnden ergossen sich Ströme des Glaubens. Die einen riefen: »Hosianna!« die anderen »Pro Christo!« Dann trat Stille ein. Sommerliches Wetterleuchten erhellte das Innere des Schuppens und die vor Erregung blassen Gesichter.
Petrus, dessen Vision andauerte, verharrte noch lange im Gebet; endlich jedoch erwachte er, wandte sich mit gottbegeistertem, strahlendem Antlitz zu seiner Gemeinde und sprach: »Seht, wie der Herr euch vom Zweifel erlöst hat, so werdet ihr auch in seinem Namen siegen!«
Und obwohl er wußte, daß sie siegen würden, obwohl er wußte, was aus ihren Tränen und ihrem Blute emporsprießen werde, zitterte seine Stimme doch vor Erregung, als er sie mit dem Zeichen des Kreuzes segnete und sprach: »Und jetzt segne ich euch, meine Kinder, zur Marter, zum Tode, zur Ewigkeit ein!«
Doch sie umringten ihn und riefen: »Wir sind bereit, aber du, heiliges Haupt, rette dich; denn du bist der Statthalter Christi und verwaltest sein Amt.« Bei diesen Worten ergriffen sie sein Gewand; er aber legte ihnen seine Hände aufs Haupt und segnete jeden einzelnen wie ein Vater seine Kinder segnet, die er auf eine weite Reise aussendet.
Zugleich begannen sie den Schuppen zu verlassen; denn sie hatten Eile, nach Hause und von da in die Kerker und in die Arena zu kommen. Ihre Gedanken schwangen sich von der Erde empor; ihre Seelen nahmen den Flug zur Ewigkeit,[163] und sie schritten wie im Traume oder in der Entzückung dahin, um die Kraft, die ihnen innewohnte, der Kraft und Grausamkeit der wilden Tiere entgegenzusetzen.
Nereus, einer von Pudens' Dienern, ergriff den Apostel beim Arme und führte ihn auf einem geheimen Pfade aus dem Weinberge nach seinem Hause. In der hellen Nacht konnte Vinicius ihnen folgen, und als sie an Nereus' Hütte angelangt waren, stürzte er sich plötzlich dem Apostel zu Füßen.
Dieser erkannte ihn und fragte: »Was wünschst du, mein Sohn?«
Vinicius wagte aber nach dem, was er im Schuppen gehört hatte, nicht mehr, ihn um etwas zu bitten; er umklammerte nur seine Füße mit beiden Händen, drückte stöhnend seine Stirne darauf und bat auf diese wortlose Weise um Erbarmen.
Petrus sprach: »Ich weiß. Man hat das Mädchen eingekerkert, das du liebst. Bete für sie!«
»Herr!« ächzte Vinicius, die Füße des Apostels noch fester umklammernd; »Herr! ich bin ein elender Wurm, aber du hast Christus gekannt, bitte du ihn, tritt du für sie ein!«
Vor Schmerz bebte er wie Espenlaub und schlug mit der Stirn auf die Erde; denn er kannte die Macht des Apostels und wußte, daß er allein Lygia retten konnte.
Petrus war von diesem Schmerze gerührt. Er erinnerte sich, wie einst auch das Mädchen, als es von Crispus gescholten worden war, genau so zu seinen Füßen gelegen und um Erbarmen gefleht hatte. Er erinnerte sich, daß er es aufgehoben und getröstet habe. Daher hob er jetzt auch Vinicius auf.
»Mein lieber Sohn,« sagte er, »ich will für sie beten, gedenke aber dessen, was ich soeben zu den Zweiflern dort gesprochen habe, daß selbst Gott durch die Kreuzesqual hindurchgegangen ist, und bedenke auch, daß nach diesem Leben ein anderes, ewiges beginnt.«
»Ich weiß es! ... ich habe es gehört,« erwiderte Vinicius,[164] der mit blassem Munde nach Atem rang; »aber du siehst, Herr ... ich kann es nicht. Soll Blut fließen, so bitte Christus, das meinige zu nehmen. Ich bin Soldat. Er soll die für sie bestimmte Qual an mir verdoppeln, verdreifachen, ich werde nicht zucken! aber sie soll er retten. Sie ist noch ein Kind, Herr! und er ist mächtiger als der Caesar, ich glaube es! Er ist mächtiger! ... Du selbst hast sie liebgewonnen. Du hast uns gesegnet! Sie ist noch ein unschuldiges Kind!«
Wieder beugte er sich zur Erde, lehnte sein Gesicht an Petrus' Kniee und begann zu wiederholen: »Du hast Christus gekannt, Herr! du hast ihn gekannt; er wird dich erhören! Tritt für sie ein!«
Petrus schloß die Lider und betete inbrünstig.
Das Wetterleuchten begann von neuem am Himmel aufzuflammen. Vinicius blickte bei seinem Schein auf des Apostels Lippen, das Urteil über Leben und Tod davon erwartend. In der Stille der Nacht hörte man die Wachteln in den Weinbergen rufen und das dumpfe, ferne Geräusch der an der Via Salaria liegenden Tretmühlen.
»Vinicius,« fragte endlich der Apostel, »glaubst du?«
»Würde ich sonst hergekommen sein, Herr?« erwiderte Vinicius.
»Dann glaube bis ans Ende, denn der Glaube kann Berge versetzen. Und solltest du jenes Mädchen unter dem Schwerte des Henkers oder in den Klauen eines Löwen erblicken, selbst dann glaube noch, daß Christus sie retten kann. Glaube und bete zu ihm, und ich will mit dir beten.«
Dann erhob er die Augen zum Himmel und sprach mit lauter Stimme: »Barmherziger Christus, sieh auf dieses gequälte Herz und tröste es! Barmherziger Christus, mildere den Sturm um der Lämmlein willen! Barmherziger Christus, der du den Vater gebeten hast, den bitteren Kelch an dir vorübergehen zu lassen, lasse ihn an den Lippen deines Dieners vorübergehen! Amen!«[165]
Vinicius erhob die Hände zum gestirnten Himmel und sprach unter schwerem Seufzen: »O Christus, ich bin dein! Nimm mich statt ihrer hin!«
Im Osten begann der Tag zu grauen.
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