|
[124] Petronius begab sich nach seiner Wohnung. Nero aber ging mit Tigellinus nach Poppaeas Atrium, wo die Leute auf sie warteten, mit denen der Präfekt schon vorher gesprochen hatte.
Es waren dies zwei Rabbiner vom jenseitigen Ufer des Tiber, in lange feierliche Gewänder gehüllt, mit Mitren auf dem Kopfe, ein junger Schreiber, ihr Gehilfe, und Chilon. Beim Erscheinen des Caesars wurden die Priester vor Erregung bleich, hoben die Hände bis zur Schulterhöhe empor und neigten den Kopf bis zu den Händen herab.
»Sei gegrüßt, Herrscher der Herrscher und König der Könige,« sprach der älteste von ihnen, »sei gegrüßt, Gebieter der Welt, Beschützer des auserwählten Volkes und Caesar, du Löwe unter den Menschenkindern, dessen Herrschaft ist wie der Glanz der Sonne, wie die Zeder des Libanon, wie der Gebirgsquell, wie die Palme und wie der Balsam von Jericho!«
»Erkennt ihr mich nicht als Gott an?« fragte der Caesar.
Die Priester erblaßten noch mehr; der älteste aber fuhr fort: »Deine Worte, Herr, sind süß wie die Traube des Weinstocks und wie die reife Feige, denn Jahve hat dein Herz mit Güte erfüllt. Der Vorgänger deines Vaters, der Caesar Gajus, war hart, und dennoch nannten ihn unsere Abgesandten nicht Gott und wollten selbst den Tod lieber erleiden, als das Gesetz übertreten.«
»Und Caligula ließ sie nicht den Löwen vorwerfen?«
»Nein, Herr. Der Caesar Gajus scheute den Zorn Jahves.«[124]
Sie erhoben ihr Haupt, denn der Name des mächtigen Jahve verlieh ihnen Mut. Im Vertrauen auf seine Macht wagten sie es, Nero ins Antlitz zu blicken.
»Beschuldigt ihr die Christen der Brandsteckung?« fragte der Caesar.
»Wir beschuldigen sie nur der Feindschaft gegen das Gesetz, gegen das menschliche Geschlecht, gegen Rom und gegen dich, sowie daß sie schon längst der Stadt und der Welt mit Feuer gedroht haben. Das übrige wird dir dieser Mann hier berichten, dessen Mund keine Lüge spricht, denn in den Adern seiner Mutter floß das Blut des auserwählten Volkes.«
Nero wandte sich an Chilon.
»Wer bist du?«
»Ein Verehrer von dir, Osiris, und außerdem ein armer Stoiker ...«
»Ich hasse die Stoiker,« erwiderte Nero; »ich hasse Thrasea, ich hasse Musonius und Cornutus. Ihre Worte, ihre Verachtung der Kunst, ihre freiwillige Armut und Unsauberkeit stoßen mich ab.«
»Herr, dein Lehrer Seneca besitzt tausend Tische aus Zitrusholz. Du brauchst es nur zu wünschen, so bin ich bereit, die doppelte Anzahl davon anzunehmen. Ich bin Stoiker aus Not. Umwinde meinen Stoizismus mit Rosenkränzen, Strahlender, und setze ihm einen Krug Wein vor, dann will ich anakreontische Lieder so laut singen, daß alle Epikureer darüber taub werden.«
Nero, der an dem Titel »Strahlender« Geschmack fand, entgegnete lachend: »Du gefällst mir.«
»Der Mann ist sein Gewicht in Gold wert,« rief Tigellinus.
»Verdoppele, Herr, mein Gewicht durch deine Großmut, denn sonst trägt ein Windhauch meinen Wert von dannen,« antwortete Chilon.
»Wahrhaftig, du wirst wohl nicht so viel wiegen wie Vitellius,« setzte Nero hinzu.[125]
»Eheu, Gott mit dem silbernen Bogen, mein Witz ist nicht von Blei.«
»Wie ich sehe, hindert dein Glaube dich nicht, mich Gott zu nennen?«
»O Unsterblicher! mein Gesetz ruht in dir; die Christen lästern dieses Gesetz, und daher hasse ich sie.«
»Was weißt du von den Christen?«
»Gestattest du mir zu weinen, Gottheit?«
»Nein,« erwiderte Nero, »es ist mir zuwider.«
»Und du hast dreifach recht, denn Augen, die dich gesehen haben, sollten ein für allemal von Tränen trocken bleiben. Herr, schütze mich vor meinen Feinden!«
»Sprich von den Christen,« befahl Poppaea mit augenscheinlicher Ungeduld.
»Es soll geschehen, wie du befiehlst, Isis,« erwiderte Chilon. »Seit meiner Jugend widmete ich mich der Philosophie und suchte die Wahrheit zu ergründen. Ich suchte sie bei den alten göttlichen Weisen, sowohl in der Akademie Athens wie im Serapeum Alexandrias. Als ich von den Christen sprechen hörte, glaubte ich, dies sei eine neue Schule, in der ich möglicherweise einige Körnchen Wahrheit finden könnte, und machte ihre Bekanntschaft, zu meinem Unglücke! Der erste Christ, den mein Unstern in meine Nähe brachte, war Glaukos, ein Arzt aus Neapel. Von diesem erfuhr ich mit der Zeit, daß sie einen gewissen Chrestos verehren, der ihnen versprochen habe, alle Menschen zu vernichten, alle Städte der Erde zu zerstören, sie selbst aber zu schonen, wenn sie ihm bei der Ausrottung der Kinder Deukaleons Hilfe leisteten. Deswegen, o Herr, hassen sie die Menschen, deswegen vergiften sie die Brunnen, deswegen verfluchen sie in ihren Versammlungen Rom und sämtliche Tempel, in denen unsere Götter verehrt werden. Chrestos wurde gekreuzigt; er versprach ihnen jedoch, wenn Rom durch Feuer vernichtet sein würde, zum zweitenmal zur Welt zu kommen und ihnen die Herrschaft über die ganze Erde zu verleihen.«[126]
»Jetzt versteht man, warum Rom in Brand gesteckt wurde,« unterbrach ihn Tigellinus.
»Viele wissen es schon,« fuhr Chilon fort, »denn ich gehe in die Gärten, auf das Marsfeld und kläre das Volk auf. Wenn ihr mich aber bis zu Ende hören wollt, so werdet ihr vernehmen, welche Veranlassung ich zur Rache habe. Der Arzt Glaukos verriet mir anfangs nicht, daß ihre Religion ihnen gebiete, die Menschen zu hassen. Im Gegenteil, er sagte mir, Chrestos sei eine gute Gottheit und die Grundlage seiner Lehre sei die Liebe. Mein weiches Herz vermochte diesen Wahrheiten nicht zu widerstehen; daher gewann ich Glaukos lieb und schenkte ihm mein Vertrauen. Ich teilte mit ihm jedes Stück Brot, jedes As und weißt du, Herr, wie er mir dafür lohnte? Auf der Reise von Neapel nach Rom stieß er mich mit dem Messer nieder und verkaufte mein Weib, meine schöne, jugendliche Berenike, an Sklavenhändler. Wenn Sophokles meine Geschichte kennte ... aber was sage ich? es hört mich ja jemand, der mehr ist als Sophokles.«
»Armer Mann!« erwiderte Poppaea.
»Wer Aphrodites Antlitz gesehen hat, der ist nicht arm, Herrin, und ich sehe es in diesem Augenblicke. Ich suchte dann Trost in der Philosophie. In Rom angelangt, suchte ich die Ältesten der Christen ausfindig zu machen, um Gerechtigkeit wegen Glaukos' Tat zu erlangen. Ich glaubte, sie würden ihn zwingen, mir mein Weib wiederzugeben ... Ich lernte ihren obersten Priester kennen, ebenso den zweiten, Paulus mit Namen, der hier im Gefängnis gesessen hat, aber später freigelassen worden ist; ich lernte den Sohn des Zebedäus kennen, außerdem Linus, Kletos und viele andere. Ich weiß, wo sie vor dem Brande wohnten, ich weiß, wo sie sich verbergen, ich kenne eine Höhle auf dem Vatikanischen Hügel und einen Begräbnisplatz vor dem Nomentanischen Tore, in denen sie ihren schamlosen Gottesdienst feiern. Dort habe ich den Apostel Petrus gesehen; ich habe gesehen, wie[127] Glaukos Kinder schlachtete, damit der Apostel die Häupter der Anwesenden mit Blut besprengen könnte; ich habe Lygia gesehen, die Pflegetochter Pomponia Graecinas, welche sich rühmte, zwar kein Kinderblut bringen zu können, wohl aber den Tod eines Kindes veranlaßt zu haben, denn sie habe die kleine Augusta, deine Tochter, o Osiris, und die deinige, o Isis behext.«
»Hörst du, Caesar?« fragte Poppaea.
»Ist das möglich?« rief Nero aus.
»Die mir selbst widerfahrene Kränkung hätte ich verzeihen können,« fuhr Chilon fort; »als ich aber von der euch zugefügten hörte, hätte ich sie am liebsten mit meinem Messer durchbohrt. Leider verhinderte mich der edle Vinicius daran, der sich in sie verliebt hat.«
»Vinicius? war sie ihm denn nicht entflohen?«
»Ja, sie war entflohen, aber er suchte nach ihr, da er ohne sie nicht leben kann. Um geringen Lohn unterstützte ich ihn bei seinen Nachforschungen und zeigte ihm das Haus, in dem sie mitten unter den Christen jenseit des Tiber wohnte. Wir gingen eines Abends dorthin und mit uns auch dein Ringkämpfer Kroton, den der edle Vinicius zur Sicherheit mitgenommen hatte. Aber Ursus, der Sklave Lygias, tötete Kroton. Dieser Mensch ist so entsetzlich stark, daß er einem Stier den Kopf so leicht abreißt, wie ein anderer einen Mohnstengel abbricht. Aulus und Pomponia schätzten ihn darum sehr.«
»Bei Herakles!« sagte Nero; »der Sterbliche, der Kroton überwunden hat, ist einer Statue auf dem Forum würdig. Allein du irrst dich entweder, Alter, oder du lügst, denn Kroton wurde von Vinicius mit einem Messer erstochen.«
»So lügen die Menschen den Göttern etwas vor. Herr, ich bin selbst dabei gewesen, wie Krotons Rippen unter Ursus' Händen krachten; dieser stürzte sich dann auch auf Vinicius und hätte ihn ohne Lygias Dazwischentreten getötet. Vinicius lag dann lange krank, aber sie haben ihn gepflegt in[128] der Hoffnung, er werde aus Liebe zu Lygia Christ werden. Und in der Tat ist er Christ geworden.«
»Vinicius?«
»Jawohl!«
»Und vielleicht auch Petronius?« fragte Tigellinus eifrig.
Chilon wand sich hin und her, rieb sich die Hände und sagte: »Ich bewundere deinen Scharfsinn, Herr. O! ... es ist möglich! es ist sehr möglich!«
»Jetzt verstehe ich, warum er die Christen in Schutz nahm.«
Allein Nero begann zu lachen.
»Petronius ein Christ! ... Petronius ein Feind des Lebens und der Freude! Seid nicht töricht und verlangt nicht von mir, daß ich das glaube, da ich geneigt bin, überhaupt nichts zu glauben.«
»Aber der edle Vinicius ist Christ geworden, Herr. Bei dem Glanze, der von dir ausgeht, schwöre ich dir, daß ich die Wahrheit sage und daß mir nichts einen solchen Abscheu einflößt wie die Lüge. Pomponia ist Christin, der kleine Aulus ist Christ, ebenso Lygia und Vinicius. Ich habe Vinicius treu gedient, er aber ließ mich zum Danke dafür auf Wunsch des Arztes Glaukos peitschen, obgleich ich alt bin und damals krank und hungrig war. Ich schwur beim Hades, ihm dies nicht vergessen zu wollen. O Herr, räche an ihnen die mir zugefügten Kränkungen, und ich will euch den Apostel Petrus, Linus, Kletos, Glaukos und Crispus, die Angesehensten unter ihnen, auch Lygia und Ursus ausliefern, ich will euch hunderte, tausende nennen, ich will euch ihre Bethäuser, Friedhöfe angeben, all eure Kerker sollen sie nicht fassen! ... Ohne mich würde es euch nicht gelingen, sie ausfindig zu machen! Bis jetzt habe ich in meinem Elend nur in der Philosophie Trost gesucht, nun aber will ich Trost in deiner Gnade suchen, die auf mich herniederströmen soll ... Ich bin alt und habe das Leben nie gekannt, laß mich es endlich beginnen! ...«[129]
»Du willst also bei vollen Schüsseln Stoiker sein?« fragte Nero.
»Wer dir Dienste leistet, bekommt sie voll.«
»Darin hast du recht, mein lieber Philosoph.«
Allein Poppaea verlor ihre Feinde nicht aus den Augen. Ihr Verlangen nach Vinicius war zwar nur eine augenblickliche, unter dem Eindruck der Eifersucht, des Zornes und verletzter Eitelkeit entstandene Laune gewesen. Aber doch hatte die Abweisung von seiten des jungen Patriziers sie schwer verwundet und ihr eine schwere Kränkung zugefügt. Schon das allein, daß er es gewagt hatte, ihr eine andere vorzuziehen, schien ihr ein Verbrechen, das um Rache schrie. Was Lygia betraf, so hatte sie sie vom ersten Augen blicke an gehaßt, wo sie die Schönheit dieser nordischen Lilie bemerkt hatte. Petronius, der von den zu engen Hüften des Mädchens gesprochen hatte, mochte dem Caesar vorreden, was er wollte, aber nicht ihr, der Augusta. Poppaea hatte mit Kennerblick sofort herausgefunden, daß in ganz Rom Lygia die einzige sei, die mit ihr an Schönheit wetteifern, ja sie übertreffen könne. Und seit diesem Augenblicke war Lygias Untergang besiegelt.
»Herr,« rief sie, »räche unser Kind!«
»Beeilt euch!« rief Chilon, »beeilt euch! sonst bringt Vinicius sie in Sicherheit. Ich will das Haus angeben, in das sie nach dem Brande zurückgekehrt sind.«
»Ich gebe dir zehn Mann mit. Aber mache dich sofort auf den Weg,« entgegnete Tigellinus.
»Herr, du hast Kroton nicht in Ursus' Armen gesehen; und wenn du mir fünfzig Mann mitgibst, so zeige ich ihnen das Haus doch nur von ferne. Aber wenn ihr nicht auch Vinicius festnehmt, bin ich verloren.«
Tigellinus blickte auf Nero hin.
»Dürfte es nicht das beste sein, Gottheit, sich des Oheims und des Neffens zu gleicher Zeit zu entledigen?«
Nero dachte eine Weile nach und antwortete dann: »Nein![130] nicht jetzt! ... Die Leute würden es nicht glauben, wollte man ihnen sagen, daß Petronius, Vinicius oder Pomponia Graecina Rom in Brand gesteckt hätten. Ihre Häuser waren zu schön ... Heut brauchen wir andere Opfer, aber später kommt die Reihe auch an sie.«
»Gib mir also jetzt Soldaten zu meinem Schutze mit,« sagte Chilon.
»Tigellinus, sorge dafür.«
»Du wohnst einstweilen bei mir,« erwiderte der Präfekt.
Chilons Gesicht begann vor Freude zu strahlen.
»Alle will ich ausliefern. Beeilt euch nur! Beeilt euch!« rief er mit heiserer Stimme.
Ausgewählte Ausgaben von
Quo vadis
|
Buchempfehlung
Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.
56 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro