|
[111] In den herrlichen Gärten des Caesars, die früher dem Domitius und der Agrippina gehört hatten, auf dem Marsfelde, in den Gärten des Pompejus, Sallust und Maecenas dehnten sich Volkslager aus. Säulenhallen, zum Ballspiel bestimmte Gebäude, prächtige Sommerhäuser und zur Aufnahme wilder Tiere errichtete Schuppen wurden in Beschlag genommen. Pfaue, Flamingos, Schwäne und Strauße, Gazellen und Antilopen aus Afrika, Hirsche und Rehe, die jenen Gärten zur Zierde dienten, fielen unter den Messern der Menge. Lebensmittel begannen jetzt in solcher Fülle von Ostia einzutreffen, daß man über Kähne und Schiffe aller Art wie auf einer Brücke von einem Ufer des Tibers bis zum anderen gehen konnte. Das Getreide wurde zu dem unerhört niedrigen Preise von drei Sesterzien verkauft und an die Armen umsonst verteilt. Unermeßliche Zufuhren von Wein, Oliven, Kastanien langten an; vom Gebirge wurden täglich Herden von Rindern und Schafen zur Stadt getrieben. Arme Leute, die sich vor dem Brande in den Hintergäßchen der Subura versteckt gehalten hatten und in gewöhnlichen Zeiten fast verhungert wären, lebten jetzt besser als zuvor. Die Gefahr einer Hungersnot war völlig beseitigt, dagegen war es schwieriger, den Räubern, Dieben und Betrügern entgegenzutreten. Das herumschweifende Leben verschaffte den Spitzbuben Straflosigkeit, um so mehr, als sie sich für Verehrer des Caesars ausgaben und ihn jedesmal mit Beifallsrufen empfingen, wo er sich auch zeigen mochte. Da sich zudem[111] durch die Macht der Verhältnisse die staatliche Ordnung aufgelöst hatte und es zugleich an genügender militärischer Macht fehlte, um der Gesetzlosigkeit in einer Stadt zu steuern, die der Sammelplatz des Gesindels der ganzen Welt war, wurden Taten vollführt, die jeder menschlichen Phantasie spotteten. Jede Nacht kam es zu Kämpfen, Mordtaten und dem Raube von Frauen und Knaben. Bei der Porta Mugionis, wo sich der Halteplatz für die aus der Campania hergetriebenen Viehherden befand, wurden wahre Schlachten geliefert, in denen oft hunderte von Menschen das Leben einbüßten. Jeden Morgen waren die Tiberufer mit den Leichen Ertränkter bedeckt, um die sich niemand kümmerte und die infolge der durch das Feuer noch gesteigerten Hitze rasch in Verwesung übergingen und die Luft mit ihrem schrecklichen Geruche verpesteten. In den Lagern traten Krankheiten auf, und furchtsame Leute sahen den Ausbruch einer verheerenden Seuche voraus.
In der Stadt brannte es unaufhörlich fort. Erst am sechsten Tage, als das Feuer die leeren Plätze am Esquilin erreichte, auf denen absichtlich eine sehr große Anzahl Häuser abgerissen worden war, fing es an, nachzulassen. Aber die Berge glühenden verkohlten Holzes leuchteten noch so stark, daß das Volk nicht an das Ende des Unheils glauben wollte. Und wirklich brach der Brand in der siebenten Nacht in den Gebäuden des Tigellinus wieder mit neuer Kraft aus, dauerte jedoch aus Mangel an brennbaren Stoffen nur kurze Zeit. Nur stürzten noch hier und da ausgebrannte Häuser zusammen, so daß die Flammen wieder aufloderten und die Funken umherstoben. Aber allmählich begannen die im Innern noch glühenden Trümmer an der Oberfläche schwarz zu werden. Der Himmel erstrahlte nach Sonnenuntergang nicht mehr in blutrotem Lichte, und nur zur Nachtzeit züngelten blaue Flämmchen über der weiten schwarzen Öde empor, die aus den verkohlten Überresten der Häuser hervorbrachen.
Von den vierzehn Regionen Roms waren kaum vier übrig,[112] das andere Ufer des Tibers mit eingerechnet. Alle anderen hatte das Feuer zerstört. Als auch die Trümmerhaufen erloschen waren, dehnte sich vom Tiber bis zum Esquilin eine riesige graue, düstere, tote Fläche aus, aus der Reihen von Schornsteinen wie Grabsäulen auf einem Friedhofe aufragten. Zwischen diesen Säulen bewegten sich tagsüber düstere Scharen von Menschen, die zum Teil nach Kostbarkeiten, zum Teil nach den Gebeinen ihrer Lieben suchten. Nachts heulten Hunde auf der Asche und den Trümmern der früheren Wohnungen ihrer Herren.
Alle Güte und Hilfe, die der Caesar dem Volke erwies, verhinderte aber nicht die üble Nachrede und die Entrüstung. Befriedigt war nur das Heer der Räuber, Verbrecher und obdachlosen Bettler, die jetzt nach Belieben essen, trinken und plündern konnten. Aber die Leute, die ihre nächsten Angehörigen und ihr Eigentum verloren hatten, ließen sich weder durch das Öffnen der Gärten noch durch das Verteilen von Getreide oder durch das Versprechen von Spielen und Geschenken versöhnen. Das Unglück war zu groß und unerhört. Alle, in deren Seele noch ein Funken Liebe zur Stadt, zu ihrer Vaterstadt, glühte, brachte die Kunde zur Verzweiflung, daß der alte Name »Roma« von der Oberfläche der Erde verschwinden solle und daß der Caesar mit dem Plane umgehe, eine neue Stadt unter dem Namen »Neropolis« aus der Asche erstehen zu lassen. Eine Flut des Hasses brach sich Bahn und schwoll von Tage zu Tage an, trotz der Schmeicheleien der Augustianer und der Lügen des Tigellinus. Nero, der mehr nach der Gunst des Volkes strebte als irgendeiner der früheren Caesaren, dachte mit Schrecken daran, daß ihm in dem hartnäckigen Kampfe auf Tod und Leben, den er mit den Patriziern im Senate zu führen gedachte, die Unterstützung des Volkes fehlen könne. Selbst die Augustianer waren nicht weniger beunruhigt, da jeder neue Tag ihnen den Untergang bereiten konnte. Tigellinus hatte die Absicht, einige Legionen aus Kleinasien heranzuziehen. Vatinius,[113] der selbst lachte, wenn man ihn ins Gesicht schlug, verlor seinen Humor, Vitellius den Appetit.
Manche berieten sich untereinander über die Mittel und Wege, die Gefahr zu beschwören; denn es war für niemand ein Geheimnis, daß, wenn der Caesar bei einem Aufruhr getötet würde, vielleicht Petronius ausgenommen, keiner der Augustianer mit dem Leben davonkommen würde. Ihrem Einflusse schrieb man die wahnwitzigen Taten Neros zu, ihren Einflüsterungen alle Verbrechen, die er beging. Der allgemeine Haß richtete sich fast mehr gegen sie als gegen ihn.
Sie fingen daher an darüber nachzusinnen, wie sie die Verantwortlichkeit für die Zerstörung der Stadt von sich abwälzen könnten. Wollten sie sich selbst aber davon befreien, so mußten sie auch den Caesar von jedem Verdachte reinigen, denn sonst hätte ihnen niemand geglaubt, daß nicht sie die Urheber des Unglücks gewesen seien. Tigellinus besprach sich zu diesem Zwecke mit Domitius Afer und selbst mit Seneca, obgleich er diesen haßte. Poppaea, die ebenfalls einsah, daß Neros Untergang den ihrigen nach sich ziehen müsse, schloß sich der Meinung ihrer Vertrauten und der hebräischen Priester an; denn es war all gemein bekannt, daß sie seit langen Jahren den Glauben an Jahve huldigte, Nero faßte Pläne auf eigene Hand, die oft furchtbar, noch häufiger aber töricht waren, und verfiel abwechselnd wie ein Kind bald in Angst, bald in Übermut, meistens aber in Wehklagen.
Eines Tages wurde in dem Hause des Tiberius, das vom Brande verschont geblieben war, eine lange, aber fruchtlose Beratung abgehalten. Petronius war der Meinung, der Caesar solle die Sorgen abwerfen und sich nach Griechenland und von da nach Ägypten und Kleinasien begeben. Die Reise war ja schon längst geplant; warum sollte man sie aufschieben, wo in Rom nur Trübsinn und Gefahr herrschten?
Der Caesar ergriff den Plan mit Feuereifer, aber Seneca sagte nach kurzem Nachdenken: »Die Abreise ist leicht, aber die Rückkehr dürfte schwieriger sein.«[114]
»Beim Herakles!« rief Petronius; »an der Spitze der asiatischen Legionen ist sie möglich.«
»Das werde ich tun!« rief Nero.
Tigellinus widersetzte sich dem aber. Er selbst konnte nichts finden, und wenn Petronius' Plan in seinem Kopfe entstanden wäre, so hätte er sich unzweifelhaft Rettung von ihm versprochen. Es kam ihm jedoch darauf an, daß Petronius sich nicht zum zweitenmal als der einzige Mann erwies, der in schwierigen Fällen alles und alle zu retten wüßte.
»Höre mich an, Gottheit!« sagte er, »der Rat ist verderblich. Bevor du nach Ostia gelangst, bricht ein Bürgerkrieg aus. Wer weiß, ob nicht einer von den noch lebenden Seitensprößlingen des göttlichen Augustus sich zum Caesar aufwirft, und was sollen wir dann anfangen, wenn die Legionen auf seiner Seite stehen?«
»Wir werden veranlassen,« erwiderte Nero, »daß es keine Nachkommen des Augustus mehr gibt. Es sind ihrer sowieso nicht mehr viele, daher ist es leicht, sich ihrer zu entledigen.«
»Es ist möglich, dies zu tun, aber handelt es sich allein um sie? Meine Leute hörten erst gestern im Gedränge, daß ein Mann wie Thrasea Caesar sein müßte.«
Nero biß sich auf die Lippen. Nach einiger Zeit blickte er jedoch auf und sagte: »Die Unersättlichen und Undankbaren! Sie haben Getreide und Kohlen genug, um Kuchen backen zu können: was wollen sie noch?«
»Rache,« erwiderte Tigellinus.
Es trat allgemeines Schweigen ein. Plötzlich erhob sich der Caesar, streckte den Arm aus und begann zu deklamieren: »Rache ersehnen die Herzen, und Rache erfordert ein Opfer.«
Dann rief er, alles andere vergessend, strahlenden Gesichts: »Gebt mir eine Schreibtafel und einen Griffel, damit ich diesen Vers niederschreibe. Niemals hat Lucanus einen ähnlichen[115] gemacht. Habt ihr bemerkt, mit welcher Leichtigkeit ich ihn zustande brachte?«
»O, du bist unvergleichlich,« ließen sich mehrere Stimmen vernehmen.
Nero schrieb den Vers nieder und sprach: »Ja! Rache fordert ein Opfer!«
Dann erhob er seinen Blick zu den Umstehenden: »Wie wäre es, wenn wir die Nachricht verbreiteten, Vatinius habe die Stadt in Brand stecken lassen, und ihn dem Zorn des Volkes auslieferten?«
»O Gottheit! Wer bin ich?« rief Vatinius aus.
»Du hast recht! Es bedarf eines Größeren, als du bist ... Vitellius?«
Vitellius erblaßte, fing aber an zu lachen.
»Mein Fett,« entgegnete er, »könnte das Feuer von neuem entzünden.«
Auch Nero hatte etwas anderes im Sinn; er suchte im Geiste nach einem Opfer, das die Volkswut in Wirklichkeit befriedigen könnte, und er fand es.
»Tigellinus,« rief er nach einer kurzen Pause, »du hast Rom angezündet.«
Die Anwesenden durchlief ein Zittern. Sie sahen, daß der Caesar diesmal nicht mehr scherze und daß der Augenblick der Entscheidung gekommen sei.
Tigellinus sah aus wie ein Hund, der im Begriff steht, auf jemand loszufahren.
»Ich habe Rom auf deinen Befehl angezündet.«
Sie betrachteten einander wie zwei Teufel. Es trat eine so tiefe Stille ein, daß man das Summen der Fliegen hören konnte, die durch das Atrium flogen.
»Tigellinus,« fragte Nero, »hast du mich lieb?«
»Du weißt es, Herr!«
»Opfere dich für mich!«
»Göttlicher Caesar!« erwiderte Tigellinus, »warum reichst du mir den süßen Trank, den ich doch nicht an die Lippen[116] setzen darf? Das Volk murrt und empört sich, willst du, daß auch die Prätorianer sich zu empören beginnen?«
Ein Gefühl des Schreckens erfaßte die Anwesenden.
Tigellinus war Präfekt der Prätorianer, und seine Worte enthielten eine deutlich erkennbare Drohung. Auch Nero verstand dies, und sein Gesicht überzog sich mit Blässe.
In diesem Augenblicke trat Epaphroditus, des Caesars Freigelassener, mit der Meldung ein, die göttliche Augusta wünsche Tigellinus in ihren Gemächern zu sprechen; es seien Leute bei ihr, die der Präfekt anhören müsse.
Tigellinus verbeugte sich vor dem Caesar und ging mit kalter, verächtlicher Miene hinweg. Jetzt, da ein Schlag gegen ihn geführt werden sollte, hatte er die Zähne gewiesen; er hatte zu verstehen gegeben, wer er sei, und da er Neros Feigheit kannte, war er überzeugt, dieser Herrscher der Welt werde niemals mehr wagen, seine Hand gegen ihn zu erheben.
Nero saß eine Weile schweigend da und sprach dann, als er sah, daß die Anwesenden ein Wort von ihm erwarteten: »Ich habe eine Schlange am Busen genährt.«
Petronius zuckte die Schultern, als wolle er sagen, es dürfte nicht schwer sein, dieser Schlange den Kopf zu zertreten.
»Was willst du sagen? Sprich, rate!« rief Nero, der seine Bewegung bemerkt hatte, »zu dir allein habe ich Zutrauen, denn du hast mehr Verstand als die anderen alle, und du liebst mich!«
Petronius schwebten schon die Worte auf den Lippen: »Ernenne mich zum Präfekten der Prätorianer, so werde ich Tigellinus dem Volke ausliefern und die Stadt in einem Tage zur Ruhe bringen.« Aber seine Bequemlichkeitsliebe überwog. Präfekt zu sein bedeutete im Grunde genommen, die Sorge für die Person des Caesars und tausenderlei öffentlicher Angelegenheiten auf seine Schultern zu nehmen. Wozu sollte er sich eine solche Last aufladen? War es nicht angenehmer, in seiner reichen Bibliothek Verse zu lesen, seine Vasen und Statuen zu betrachten oder den herrlichen Leib[117] Eunikes an seine Brust zu drücken, mit den Fingern in ihrem goldenen Haar zu spielen und seinen Mund auf ihre Korallenlippen zu pressen?
Er sagte daher nur: »Ich rate dir, nach Achaja zu gehen.«
»Ach,« entgegnete Nero, »ich habe Besseres von dir erwartet. Der Senat haßt mich. Wer bürgt mir dafür, daß er, wenn ich gehe, sich nicht gegen mich empört und jemand anders zum Caesar ausruft? Das Volk war mir früher ergeben, wird aber heute meinen Feinden folgen. Beim Hades! wenn doch dieser Senat und dieses Volk einen einzigen Kopf besäßen!«
»Gestatte mir, darauf zu erwidern, Gottheit, daß, wenn du Rom retten willst, du auch einige Römer übriglassen mußt,« erwiderte Petronius lächelnd.
Doch Nero begann zu klagen: »Was kümmern mich Rom und die Römer! In Achaja soll man mir gehorchen. Hier umgibt mich nur Verrat. Alle verlassen mich! Ich weiß es, weiß es! ... Ihr denkt gar nicht, was kommende Jahrhunderte von euch sagen werden, daß ihr einen solchen Künstler wie mich im Stiche gelassen habt.«
Plötzlich griff er sich an die Stirn und rief aus: »... Richtig! Bei all diesen Sorgen vergesse ich, wer ich bin.« Dann wandte er sich strahlenden Antlitzes an Petronius.
»Petronius,« sagte er, »das Volk murrt; wenn ich aber meine Laute nehme und mit ihr nach dem Marsfelde gehe, wenn ich ihm dort den Hymnos vorsinge, den ich euch während des Brandes vorgetragen habe, glaubst du nicht, daß ich es mit meinem Gesang besänftigen würde, wie es Orpheus mit den wilden Tieren tat?«
Tullius Senecio, dem es daran lag, zu seinen aus Antium angekommenen Sklavinnen zurückzukehren, und der schon längst ungeduldig geworden war, entgegnete: »Ohne Zweifel, Caesar, wenn sie dir gestatten, anzufangen.«
»Gehen wir nach Hellas!« rief Nero mißmutig.[118]
In diesem Augenblick erschien Poppaea; und hinter ihr Tigellinus. Die Augen der Anwesenden richteten sich unwillkürlich auf diesen letzteren, denn nie war ein Triumphator mit solchem Stolze zum Kapitol hinaufgestiegen, mit dem er jetzt vor dem Caesar stand.
Er begann zu sprechen, langsam und mit Nachdruck, mit einer Stimme, aus der eine eiserne Entschlossenheit herausklang: »Höre mich, Caesar, denn ich kann dir sagen: ich habe einen Rettungsweg gefunden! Das Volk fordert Rache und Opfer; aber man darf ihm nicht ein einziges ausliefern, sondern es müssen ihrer hunderte und tausende sein. Hast du je gehört, wer Chrestos war, der unter Pontius Pilatus gekreuzigt worden ist? und weißt du, wer die Christen sind? Habe ich dir nicht über ihre Verbrechen und schändlichen Feierlichkeiten, von ihren Prophezeiungen, daß die Welt durch Feuer zugrunde gehen werde, Bericht erstattet? Das Volk haßt und beargwohnt sie. Niemand hat sie in den Tempeln gesehen, denn sie halten unsere Götter für böse Geister; niemals im Stadium, denn sie verachten die Wettrennen. Nie hat die Hand eines Christen dir Beifall geklatscht, nie hat einer von ihnen dich als Gott anerkannt. Sie sind Feinde des menschlichen Geschlechts, Feinde der Stadt und die deinigen. Das Volk murrt gegen dich, aber du hast mir keinen Befehl gegeben, Caesar, Rom in Brand zu stecken, und ich habe es nicht angezündet ... Das Volk schreit nach Rache, gewähre sie ihm! Das Volk verlangt Blut und Spiele, gewähre sie ihm! Das Volk hegt Argwohn gegen dich, gib diesem Argwohn eine andere Richtung.«
Nero hörte anfangs mit Erstaunen zu. Je länger Tigellinus aber sprach, fing sein Schauspielergesicht an, sich zu verändern und abwechselnd den Ausdruck des Zornes, des Kummers, der Teilnahme, der Empörung anzunehmen. Plötzlich erhob er sich, warf die Toga ab, die zu Boden fiel, hob beide Hände empor und verharrte eine Zeitlang schweigend in dieser Stellung.[119]
Endlich begann er mit tragischem Pathos: »Zeus, Apollon, Hera, Athene, Persephone und ihr unsterblichen Götter alle, warum seid ihr uns nicht zu Hilfe gekommen? Was hat diese unglückliche Stadt denn diesen Wüterichen getan, daß sie sie auf so unmenschliche Weise in Brand gesteckt haben?«
»Sie sind Feinde des menschlichen Geschlechts und die deinen,« erwiderte Poppaea.
Einige der Anwesenden begannen zu rufen: »Laß der Gerechtigkeit freien Lauf! Bestrafe die Brandstifter! Selbst die Götter fordern Rache!«
Nero nahm wieder Platz, ließ das Haupt auf die Brust sinken und schwieg von neuem, als sei er von der Schlechtigkeit betäubt, von der er soeben gehört hatte. Endlich sprach er mit einer abwehrenden Handbewegung: »Welche Strafen, welche Martern können ein solches Verbrechen sühnen? Aber die Götter werden mich erleuchten, und mit Hilfe der Mächte des Tartaros werde ich meinem armen Volke ein Schauspiel geben, daß es sich noch nach Jahrhunderten meiner dankbar erinnern wird.«
Petronius' Stirn umwölkte sich. Er dachte an die Gefahr, die über Lygia schwebte, über Vinicius, den er liebte, und über jenen allen, deren Religion er zwar verachtete, von deren Schuldlosigkeit er jedoch überzeugt war. Ebenso dachte er daran, daß jetzt eine jener blutigen Orgien beginnen werde, die seine ästhetisch gebildeten Augen nicht ertrugen. Aber vor allem sagte er sich: »Ich muß Vinicius retten, der wahnsinnig wird, wenn er jenes Mädchen verlieren soll.« Diese Rücksicht verdrängte alle anderen Erwägungen, denn Petronius wußte nur zu gut, daß er ein gefährlicheres Spiel beginne als je in seinem Leben.
Trotzdem begann er sorglos und gleichgültig zu sprechen, wie er es immer tat, wenn er nicht genügend ästhetische Pläne des Caesars und der Augustianer kritisierte oder verspottete.[120]
»Ihr habt also Opfer gefunden! Gut! Ihr könnt sie in die Arena schicken oder in die peinliche Tunica stecken! Auch gut! Aber höret mich! Ihr habt die Gewalt in den Händen, ihr habt die Prätorianer, ihr habt die Macht; daher seid wenigstens jetzt aufrichtig, wo euch niemand hört. Täuschet das Volk, aber nicht euch selber. Gebt die Christen dem Volke preis, verurteilt sie zu jeder beliebigen Marter, aber habt den Mut, euch selbst zu sagen, daß nicht sie Rom in Brand gesteckt haben ... Pfui! Ihr nennt mich arbiter elegantiarum, daher erkläre ich euch, daß ich erbärmliche Komödien nicht leiden kann. Pfui! Ach, wie mich dies alles an die Theaterbuden bei der Porta Asinaria erinnert, in denen die Schauspieler zum Ergötzen des Vorstadtpöbels Götter und Könige darstellen, um nach der Vorstellung Zwiebeln mit saurem Weine hinunterzuspülen oder Prügel zu bekommen. Seid in Wahrheit Götter und Könige, denn ich sage euch, ihr könnt euch dies gestatten. Und was dich betrifft, Caesar, so hast du uns mit dem Urteile kommender Jahrhunderte gedroht; bedenke aber, daß diese auch über dich urteilen werden. Bei der göttlichen Kleio! Nero, der Herrscher der Welt, Nero, der Gott, hat Rom in Brand gesteckt, weil er so mächtig war auf Erden wie Zeus im Olymp. Nero, der Dichter, liebte die Poesie so sehr, daß er ihr seine Vaterstadt aufopferte! Seit Beginn der Welt hat niemand etwas Ähnliches getan, niemand hat etwas Ähnliches gewagt. Ich bitte dich im Namen der neun Libethriden,1 verscherze diesen Ruhm nicht, denn bis zum Ende der Zeiten werden Gesänge auf dich ertönen. Was wird im Vergleich zu dir Priamos sein? was Agamemnon? was Achilleus? was werden selbst die Götter sein? Es kommt nicht darauf an, ob der Brand Roms etwas Gutes war, aber er ist etwas Großes und Außerordentliches! Zudem erkläre ich dir, daß das Volk keine Hand gegen dich erheben wird! Es ist nicht wahr![121] Fasse Mut! hüte dich vor Handlungen, die deiner unwürdig sind, denn nur die Gefahr droht dir, daß künftige Jahrhunderte erzählen können: Nero steckte Rom in Brand, aber feig als Caesar und feig als Dichter leugnete er aus Furcht die große Tat und wälzte die Schuld auf Unschuldige!«
Petronius' Worte verfehlten nicht, ihre gewöhnliche Wirkung auf Nero auszuüben. Diesmal aber täuschte sich Petronius nicht, denn er wußte, seine Rede war ein verzweifeltes Mittel gewesen, das zwar günstigenfalls die Christen retten, ihn selbst aber noch leichter ins Verderben stürzen konnte. Trotzdem hatte er nicht gezögert, da es ihm sowohl um Vinicius zu tun war, den er liebte, wie um das Hasardspiel, das seinen Geist fesselte. »Die Würfel sind gefallen,« sprach er zu sich, »wir wollen sehen, wieviel stärker bei dem Affen die Furcht für die eigene Haut ist als der Ehrgeiz.«
In seinem Innern zweifelte er jedoch nicht, daß die Furcht stärker sei.
Inzwischen war nach seinen Worten tiefes Schweigen eingetreten. Poppaea und alle Anwesenden blickten voller Spannung auf Nero. Dieser begann seine Lippen aufzuwerfen und bis zur Nase hochzuziehen, wie er zu tun pflegte, wenn er nicht wußte, was er tun sollte. Endlich nahmen seine Züge den deutlich erkennbaren Ausdruck der Verlegenheit und Unruhe an.
»Herr,« rief Tigellinus, als er dies bemerkte, »gestatte mir zu gehen; denn wenn man deine Person dem Untergange preisgibt und dich noch dazu einen feigen Caesar, Mordbrenner und Komödianten schilt, so können meine Ohren solche Worte nicht ertragen.«
»Ich habe verspielt,« dachte Petronius.
Er wandte sich zu Tigellinus und maß ihn mit einem Blicke, in dem die ganze Verachtung des vornehmen Herrn und feingebildeten Mannes gegen einen Elenden lag; dann sagte er: »Tigellinus, du bist es, den ich einen Komödianten nannte; denn du schauspielerst selbst jetzt noch.«[122]
»Etwa, weil ich deine Schmähungen nicht mitanhören will?«
»Weil du unbegrenzte Liebe für den Caesar heuchelst und ihm soeben noch mit den Prätorianern gedroht hast; wir haben es alle wohl verstanden und er auch.«
Tigellinus, der nicht erwartet hatte, Petronius könne es wagen, solche Angriffe gegen ihn zu schleudern, erblaßte, geriet in Verwirrung und wußte nicht, was er darauf erwidern sollte. Aber es war der letzte Triumph des arbiter elegantiarum, denn in diesem Augenblicke sprach Poppaea: »Herr, wie kannst du erlauben, daß jemand einen solchen Gedanken faßt und, was noch schlimmer ist, daß er es wagt, ihn in deiner Gegenwart laut auszusprechen?«
»Strafe den Unverschämten!« rief Vitellius.
Nero zog wiederum die Lippen bis zur Nase empor, richtete seine gläsernen, kurzsichtigen Augen auf Petronius und sagte: »Lohnst du mir so für meine Freundschaft, die ich dir stets erwiesen habe?«
»Wenn ich mich irre, so beweise es mir,« entgegnete Petronius; »wisse aber, daß ich das zu dir sagte, was mir die Liebe zu dir eingab.«
»Strafe den Unverschämten!« wiederholte Vitellius.
»Tu dies!« ließen sich mehrere Stimmen vernehmen.
Im Atrium entstand ein Gemurmel, eine Bewegung; man fing an, sich von Petronius zurückzuziehen. Selbst Tullius Senecio, sein beständiger Genosse bei Hofe, und der junge Nerva, der ihm bis dahin die größte Freundschaft erwiesen hatte, traten abseits. Nach einer Weile stand Petronius ganz allein auf der linken Seite des Atriums, ein Lächeln auf den Lippen, ordnete die Falten seiner Toga und wartete ab, was der Caesar sagen oder tun würde.
Endlich sagte Nero: »Ihr wollt, daß ich ihn strafe; aber er ist mein Gefährte und mein Freund; und obgleich er mein Herz verwundet hat, soll er erfahren, daß dieses Herz für Freunde nur Verzeihung kennt.«[123]
»Ich habe verspielt und bin verloren,« dachte Petronius.
Währenddessen erhob sich der Cäsar, die Beratung war zu Ende.
1 | Bezeichnung für Musen. |
Ausgewählte Ausgaben von
Quo vadis
|
Buchempfehlung
Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro