Sechsundfünfzigstes Kapitel.

[177] Bevor die Flavier das Kolosseum errichteten, waren die Amphitheater in Rom aus Holz gebaut, so daß sie fast alle bei dem Brande in Flammen aufgegangen waren. Zur Abhaltung der versprochenen Spiele ließ jedoch Nero mehrere und darunter ein ungeheuer großes errichten, zu dessen unmittelbar nach dem Brande beginnenden Bau mächtige, auf den Abhängen des Atlas gefällte Baumstämme über das Meer und dann den Tiber herauf verschifft wurden. Da die[177] Spiele an Pracht und Großartigkeit alle früheren übertreffen sollten, so wurden riesige Unterkunftsräume für Menschen und Tiere errichtet. Tausende von Handwerkern waren Tag und Nacht beschäftigt. Man arbeitete unablässig am Bau und dessen Ausschmückung. Man erzählte sich Wunderdinge von den mit Bronze, Bernstein, Elfenbein, Perlmutter und Schildpatt umkleideten Pfeilern. Zwischen den Sitzen liefen Kanäle entlang, die, mit frischem Bergwasser gefüllt, selbst bei der größten Hitze in dem Gebäude eine angenehme Kühle verbreiten sollten. Ein riesiges Purpurvelarium hielt die Sonnenstrahlen ab. Zwischen den Sitzreihen wurden Becken zum Verbrennen arabischer Wohlgerüche aufgestellt; oben befanden sich Vorrichtungen zum Besprengen der Zuschauer mit Rosen-, Safran- und Verbenenwasser. Severus und Celer boten ihre ganze Kunst auf, um ein Amphitheater zu errichten, das unvergleichlich sein und zugleich eine Menge von Neugierigen fassen sollte, wie noch in keinem vorher Platz gefunden hätten.

An dem Tage, an dem der ludus matutinus beginnen sollte, wartete eine unabsehbare Menge schon seit Tagesanbruch auf das Öffnen der Tore und horchte entzückt auf das Gebrüll der Löwen und das heisere Geheul der Panther und wilden Hunde. Seit zwei Tagen hatte man den Bestien nichts mehr zu fressen gegeben und ihnen dafür blutige Stücke Fleisch vor die Käfige geworfen, um ihre Wut und ihren Hunger noch zu steigern. Bisweilen erhob sich ein solcher Sturm wilden Gebrülls, daß die vor dem Zirkus Stehenden ihr eigenes Wort nicht mehr verstehen konnten und die weniger Starknervigen vor Schreck erblaßten. Bei Tagesanbruch erschollen aus dem Kerker des Zirkus laute, ruhigen Tones gesungene Hymnen. Das Volk hörte erstaunt zu und rief: »Die Christen, die Christen!« In der Tat war noch während der Nacht eine große Menge von ihnen nach dem Amphitheater gebracht worden, aber nicht aus einem einzigen Gefängnisse, wie man ursprünglich beabsichtigt hatte, sondern[178] aus allen eine Anzahl. Im Volke wußte man, die Spiele würden ganze Wochen und Monate lang dauern; dennoch zweifelte man, ob man mit den für heute bestimmten Christen im Laufe eines Tages fertig werden würde. Die Stimmen von Männern, Frauen und Kindern, die die Morgenhymne sangen, waren so zahlreich, daß erfahrene Zuschauer behaupteten, selbst wenn hundert bis zweihundert auf einmal in die Arena gelassen würden, müßten die Bestien müde und satt werden und wären bis zum Abend nicht imstande, sie alle zu zerreißen. Andere meinten, wenn man eine allzu große Anzahl von Opfern auf einmal in die Arena triebe, würde die Aufmerksamkeit zerstreut werden, und man könnte sich nicht mit Behagen dem Genuß des Schauspiels hingeben. Je näher der Augenblick kam, wo die in das Innere führenden Gänge, Vomitoria genannt, sich öffnen sollten, desto aufgeregter und gespannter wurde das Volk. Man sprach über verschiedene die Spiele betreffenden Punkte. Es begannen sich Parteien zu bilden, die über die größere Geschicklichkeit der Löwen oder Tiger im Zerfleischen von Menschen stritten. Hier und da wurden Wetten veranstaltet. Andere sprachen über die Gladiatoren, die vor den Christen in der Arena auftreten sollten, und von neuem bildeten sich Parteien, die teils für die Samniten, teils für die Gallier, die Mirmillonen, die Thraker oder die Netzkämpfer eintraten. Früh am Morgen erschienen größere oder kleinere Abteilungen von Gladiatoren unter Anführung ihrer Lehrmeister, Lanistae genannt, vor dem Amphitheater. Da sie nicht vorzeitig müde werden wollten, kamen sie unbewaffnet, teils ganz nackt, teils mit grünen Zweigen in den Händen oder mit Blumen bekränzt, jugendlich, schön, strahlend von Frische und Kraft. Ihre mächtigen, von Öl glänzenden, wie aus Marmor gemeißelten Gestalten erfüllten die Liebhaber schöner Körperformen mit Entzücken. Viele von ihnen waren persönlich bekannt, und alle Augenblicke ertönten die Rufe: »Sei gegrüßt, Furnius! sei gegrüßt, Leo, sei gegrüßt, Maximus! sei gegrüßt,[179] Diomedes!« Junge Mädchen blickten voller Mitleid zu ihnen empor; die Gladiatoren suchten sich die schönsten Mädchen aus, riefen ihnen Scherzworte zu, als ob keine Sorge sie drückte, warfen Kußhände oder riefen: »Umarme mich, ehe mich der Tod umarmt.« Dann verschwanden sie hinter den Toren, aus denen viele von ihnen nicht wieder heraustreten sollten. Immer neue Erscheinungen fesselten die Aufmerksamkeit der Menge. Hinter den Gladiatoren schritten die Mastigophoroi einher, mit Geißeln bewaffnete Männer, deren Aufgabe es war, die Kämpfenden mit Peitschenhieben aufeinander zu hetzen. Sodann zogen Maultiere ganze Reihen von Wagen, auf denen Stöße von Holzsärgen aufgetürmt waren, nach dem Spoliarium. Bei diesem Anblick freute sich das Volk, da es aus der Anzahl der Särge auf die Großartigkeit der Spiele schließen konnte. Hieran schlossen sich Männer, die die Verwundeten zu töten hatten und die so gekleidet waren, daß jeder einzelne einen Merkur oder Charon darstellen konnte. Ihnen folgten Leute, welche die Ordnung im Zirkus aufrecht zu erhalten, den Zuschauern die Plätze anzuweisen hatten, und Sklaven zur Verteilung von Getränken und Erfrischungen und schließlich Prätorianer, die jeder Caesar im Amphitheater stets zur Hand hatte.

Endlich wurden die Vomitoria geöffnet, und die Menge strömte in das Innere. Und so groß war die Anzahl der Zuschauer, daß sie stundenlang ununterbrochen zuströmten und man sich wundern mußte, daß das Amphitheater eine solche unermeßliche Menge fassen konnte. Das Gebrüll der Tiere, welche die menschlichen Ausdünstungen witterten, wurde immer stärker. Das Volk machte bei dem Aufsuchen der Plätze ein Getöse wie Meereswogen zur Zeit des Sturmes.

Jetzt erschien der Stadtpräfekt, von seiner Wache begleitet, und nach ihm wechselten in ununterbrochener Reihe die Sänften von Senatoren, Konsuln, Prätoren, Ädilen, Staats- und Palastbeamten, Prätorianeroffizieren, Patriziern und vornehmen Frauen miteinander ab. Einzelnen Sänften schritten[180] Liktoren mit Beilen inmitten eines Rutenbündels voraus, anderen Scharen von Sklaven. In der Sonne erglänzten die goldenen Zieraten der Sänften, weiße und rosenfarbene Gewänder, Federn, Ohrringe, Juwelen und der Stahl der Liktorenbeile. Aus dem Zirkus ertönten Rufe, mit denen das Volk die hohen Würdenträger begrüßte. Von Zeit zu Zeit marschierten neue Abteilungen von Prätorianern herein.

Etwas später langten die Priester der verschiedenen Tempel an, und erst nach ihnen erschienen die heiligen Jungfrauen der Vesta, denen Liktoren voranschritten. Zum Beginn des Schauspiels wartete man nur noch auf den Caesar, der auch bald in Begleitung der Augusta und der Augustianer eintraf, da er das Volk nicht durch allzu langes Warten reizen, sondern vielmehr durch seine Pünktlichkeit gewinnen wollte.

Unter den Augustianern befand sich auch Petronius, der Vinicius in seiner Sänfte mitgenommen hatte. Letzterer wußte, daß Lygia krank und besinnungslos sei; da aber in den letzten Tagen der Zutritt zum Gefängnisse untersagt gewesen war und die alten Wachen von neuen abgelöst worden waren, die mit den Gefangenwärtern nicht sprechen durften, so wußte er nicht genau, ob sie sich nicht unter den für das Schauspiel dieses ersten Tages bestimmten Opfern befinde. Den Löwen konnte man auch ein krankes, bewußtloses Mädchen vorwerfen. Da jedoch die Opfer in Tierfelle eingenäht und scharenweise in die Arena getrieben werden sollten, konnte niemand von den Zuschauern beurteilen, ob sich eine Person mehr oder weniger darunter befinde, und ein Erkennen war ganz unmöglich. Die Wärter und die gesamte Dienerschaft des Amphitheaters waren zwar bestochen, mit den Tierwärtern war ein Übereinkommen getroffen worden, daß sie Lygia in einem dunklen Winkel des Amphitheaters verstecken und des nachts einem von Vinicius' Pächtern übergeben sollten, der sie dann sofort nach den Albanerbergen zu bringen hatte. Petronius, der in das Geheimnis eingeweiht[181] worden war, riet Vinicius, offen mit ihm nach dem Amphitheater zu gehen und erst vor dem Eintritt im Gedränge zu verschwinden und in die Gewölbe zu eilen, um den Wärtern zur Vermeidung eines möglichen Irrtums Lygia persönlich zu zeigen.

Die Wärter ließen ihn durch eine kleine Tür ein, die sie selbst benutzten. Einer unter ihnen, namens Sirus, führte ihn sogleich zu den Christen. Unterwegs sagte er ihm: »Ich weiß nicht, Herr, ob du die Gesuchte finden wirst. Wir fragten schon nach einem Mädchen namens Lygia, aber niemand gab uns Antwort, aber möglicherweise traut man uns nicht.«

»Sind ihrer viele da?« fragte Vinicius.

»Viele von ihnen müssen bis morgen warten, Herr.«

»Befinden sich auch Kranke unter ihnen?«

»Niemand, der sich nicht auf den Füßen halten kann.«

Nach diesen Worten öffnete Sirus eine Tür, und sie traten in einen weiten, aber niedrigen und finsteren Raum; denn das Licht drang nur durch ein Gitter, das ihn von der Arena trennte, hinein. Vinicius konnte anfangs nichts erkennen; er hörte in dem Raume nur Stimmengemurmel und den aus dem Amphitheater herübertönenden Lärm des Volkes. Als sich aber nach einiger Zeit seine Augen an die Dämmerung gewöhnt hatten, erblickte er ganze Scharen seltsamer Gestalten, die Wölfen und Bären glichen. Es waren die in Tierfelle eingenähten Christen. Einige von ihnen standen, andere beteten knieend. Hier und da vermochte man an den langen Haaren, die über das Fell herabfielen, zu erkennen, daß das Opfer eine Frau war. Wie Wölfe aussehende Mütter hielten ihre gleichfalls in zottige Hüllen eingenähten Kinder auf den Armen. Aber aus den Fellen ragten heitere Gesichter hervor, die Augen glänzten in fieberhafter Freude. Offenbar waren diese Menschen ausschließlich von einem Gedanken beherrscht, der sie über die Erde hinaushob und gleichgültig gegen alles machte, was um sie herum vorging und was[182] ihrer harrte. Einige, bei denen sich Vinicius nach Lygia erkundigte, blickten ihn an, als seien sie soeben aus einem Traume erwacht, und gaben ihm keine Antwort; andere legten lächelnd die Finger an die Lippen oder deuteten auf das eiserne Gitter, durch das helle Lichtstrahlen fielen. Nur Kin der weinten ab und zu; erschreckt durch das Gebrüll der Bestien, das Heulen der Hunde, den Lärm des Volkes und das tierähnliche Aussehen ihrer eigenen Eltern. Vinicius ging neben Sirus umher, betrachtete die Gesichtszüge, suchte, fragte, stieß bisweilen an ohnmächtig Daliegende, die infolge des Gedränges, des Lärms und der Hitze das Bewußtsein verloren hatten, und schritt weiter in die dunkle Tiefe des Raumes hinein, der selbst so ausgedehnt zu sein schien wie das ganze Amphitheater.

Plötzlich jedoch blieb er stehen; denn es war ihm, als ob vom Gitter her eine bekannte Stimme zu ihm herübertöne. Er horchte eine Weile, kehrte um und drängte sich durch die Menge hindurch, bis er in die Nähe des Sprechenden gelangte. Ein Lichtstrahl fiel auf dessen Züge, und Vinicius erkannte dabei unter dem Wolfsfelle das hagere Gesicht des unerbittlichen Crispus.

»Bereuet eure Sünden,« rief er, »denn die Stunde ist gekommen. Wer aber glaubt, schon durch den Tod seine Sünden abbüßen zu können, der begeht eine neue Sünde und ist des ewigen Feuers schuldig. Mit jeder Sünde, die ihr im Leben begangen habt, habt ihr das Leiden des Herrn erneuert; wie dürft ihr da erwarten, daß das Leiden, das euch bevorsteht, eure Sünden tilgen wird? Heut werden die Gerechten und Sünder eines Todes sterben, aber der Herr wird die Seinen finden. Wehe euch, denn die Klauen der Löwen werden eure Leiber zerreißen, aber nicht eure Schuld, nicht eure Rechnung mit Gott. Der Herr hat Erbarmen genug gezeigt, als er sich ans Kreuz heften ließ; aber von jetzt ab wird er sich nur noch als Richter zeigen, der keine Schuld ungestraft läßt. Wenn ihr daher glaubt, durch die Marter[183] eure Sünden tilgen zu können, so lästert ihr die Gerechtigkeit des Herrn und werdet nur um so tiefer in den Pfuhl der Hölle versinken. Mit dem Erbarmen ist es zu Ende, jetzt ist der Tag des göttlichen Zornes gekommen. Binnen kurzem steht ihr vor dem schrecklichen Richter, vor dem selbst der Tugendhafte kaum bestehen kann. Bereuet eure Sünden, denn der Schlund der Hölle hat sich aufgetan; wehe euch Männern und Frauen, wehe euch Eltern und Kindern!«

Er streckte seine Knochenhände aus, schüttelte sie über den Zuhörern, die mit gesenktem Haupte dastanden, furchtlos, aber auch unerbittlich selbst im Angesichte des Todes, den alle diese Verurteilten in kurzem zu erleiden hatten. Auf seine Worte hin erschollen überall Stimmen: »Wir bereuen unsere Sünden!« – dann trat Schweigen ein, und es war nur noch das Weinen der Kinder und die dumpfen Schläge an die Brust zu hören, mit denen die Reuigen ihre Zerknirschung kundtaten. Vinicius stockte das Blut in den Adern. Er, dessen ganze Hoffnung sich auf das Erbarmen Christi gründete, hörte jetzt, der Tag des Zornes sei gekommen und nicht einmal der Tod in der Arena erwecke Erbarmen. Zwar schoß ihm blitzschnell der Gedanke durch den Kopf, der Apostel Petrus würde anders zu diesen dem Tode Geweihten gesprochen haben; nichtsdestoweniger erfüllten Crispus' drohende, fanatische Worte und dieser dunkle Raum mit dem Gitter, hinter dem sich das Feld der Qual ausbreitete, die Nähe der Marter und das Gedränge der zum Tode verurteilten Opfer seine Seele mit Entsetzen und Grauen. All dies zusammengenommen erschien ihm fürchterlicher und tausendmal gräßlicher als die blutigsten Schlachten, an denen er teilgenommen hatte. Der Dunst und die Hitze drohten ihn zu betäuben. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er fürchtete, ohnmächtig zu werden gleich denen, über deren Körper er gestolpert war, als er in dem dunklen Raume umhersuchte; und da ihm der Gedanke kam, jeden Augenblick könne das Gitter geöffnet werden, begann er laut nach Lygia und Ursus zu[184] rufen in der Hoffnung, daß, wenn nicht sie, doch Bekannte von ihnen antworten würden.

Wirklich zupfte ihn sofort ein in ein Bärenfell gehüllter Mann an der Toga und sagte: »Herr, sie sind im Gefängnisse zurückgeblieben. Ich war der letzte, der hinausgeführt wurde, und sah Lygia krank auf ihrem Lager liegen.«

»Wer bist du?« fragte Vinicius.

»Der Steinbrecher, in dessen Hütte der Apostel dich getauft hat. Vor drei Tagen verhaftete man mich, und heut muß ich sterben.«

Vinicius atmete auf. Als er hier eintrat, hatte er Lygia zu finden gewünscht, jetzt jedoch dankte er Christus, daß sie nicht hier war, und erblickte hierin einen Beweis seines Erbarmens.

Unterdessen zupfte ihn der Steinbrecher nochmals an der Toga und sprach: »Erinnerst du dich, Herr, daß ich dich in den Weinberg des Cornelius führte, als der Apostel im Schuppen predigte?«

»Jawohl, ich entsinne mich,« erwiderte Vinicius.

»Ich sah ihn später wieder, am Tage vor meiner Einkerkerung. Er segnete mich und versprach mir, ins Amphitheater zu kommen und die Sterbenden segnen zu wollen. Ich möchte ihn im Augenblick des Todes sehen und das Kreuzeszeichen erblicken können, denn dann würde ich leichter sterben können. Wenn du daher weißt, Herr, wo er sich aufhält, so sage es mir.«

Vinicius dämpfte seine Stimme und sprach: »Er sitzt als Sklave verkleidet, unter Petronius' Leuten. Ich weiß nicht, wo sie Platz genommen haben, aber ich werde in den Zirkus zurückkehren und nachsehen. Sieh auf mich, wenn ihr in die Arena kommt; ich werde aufstehen und den Kopf nach der Seite wenden, wo sie sitzen. Dann kannst du ihn mit deinen Blicken erreichen.«

»Ich danke dir, Herr; Friede sei mit dir.«

»Der Erlöser sei dir gnädig.«[185]

»Amen.«

Vinicius verließ das Cuniculum und begab sich nach dem Amphitheater, wo er neben Petronius mitten unter den anderen Augustianern Platz nahm.

»Ist sie hier?« fragte ihn Petronius.

»Nein. Sie ist im Gefängnis zurückgeblieben.«

»Höre, was mir soeben eingefallen ist; betrachte aber dabei zum Beispiel Nigidia, damit man glaubt, wir unterhalten uns über ihren Kopfputz ... Tigellinus und Chilon beobachten uns ... Höre also: laß Lygia heut nacht in einen Sarg legen und als tot aus dem Gefängnis tragen; das übrige verstehst du.«

»Gewiß,« entgegnete Vinicius.

Die Fortsetzung des Gespräches wurde durch Tullius Senecio unterbrochen, der sich mit der Frage an die beiden wandte: »Wißt ihr nicht, ob man den Christen Waffen in die Hände gibt?«

»Nein, wir wissen es nicht,« entgegnete Petronius.

»Ich sähe es lieber, man gäbe sie ihnen,« fuhr Senecio fort, »sonst gleicht die Arena allzubald einem Schlächterladen. Aber was für ein prächtiges Amphitheater!«

Der Anblick war in der Tat berückend. Die unteren Sitze, auf denen Togaträger Platz genommen hatten, waren weiß wie Schnee. Auf einem vergoldeten »Podium« saß der Caesar, eine Kette von Diamanten um den Hals, einen goldenen Kranz auf dem Kopfe, und neben ihm die schöne, finstere Augusta; zu beiden Seiten von ihnen saßen Vestalinnen, hohe Beamte, Senatoren in verbrämten Mänteln, Offiziere in funkelnden Rüstungen – kurz alles, was Rom an Macht, Glanz und Reichtum aufzuweisen hatte. Auf den entfernteren Plätzen saßen die Ritter, und weiter oben erblickte man ringsum ein schwarzes Meer von Menschenköpfen, über denen sich Guirlanden aus Rosen, Lilien, Safranblüten, Efeu und Weinlaub von einer Säule zur anderen schlangen.

Man unterhielt sich laut, rief sich beim Namen, sang,[186] lachte zuweilen über ein Witzwort, das von Reihe zu Reihe flog, und trampelte aus Ungeduld, um den Beginn des Schauspiels zu beschleunigen.

Zuletzt nahm das unaufhörliche Stampfen so zu, daß es wie Donner klang. Endlich winkte der Stadtpräfekt, der schon früher mit einem glänzenden Gefolge die Arena umritten hatte, mit einem Tuche, dem ein allgemeines Aaah! der Befriedigung aus tausend Kehlen antwortete.

In der Regel begannen die Spiele mit Kämpfen gegen wilde Tiere, in denen sich Angehörige verschiedener Barbarenstämme aus dem Norden und Süden hervortaten. Diesmal waren aber zuviele Bestien da, so daß die Andabates den Anfang machten, das heißt Gladiatoren, die Helme ohne Augenöffnungen trugen und daher blindlings miteinander kämpfen mußten. Kaum hatte eine Schar von ihnen die Arena betreten, als sie auch schon aufs Geratewohl mit den Schwertern um sich schlugen, während die Mastigophoroi sie mittels langer Stangen aufeinander zustießen, damit sie sich gegenseitig treffen könnten. Die vornehmeren Zuschauer blickten gleichgültig und verächtlich auf dieses Schauspiel; der Pöbel aber belustigte sich an den ungeschickten Bewegungen der Kämpfenden, und wenn es sich traf, daß zwei mit den Schultern zusammenstießen, so erhob sich ein lautes Gelächter; man rief: »Rechts!« »Links!« »Geradeaus!« und täuschte bisweilen absichtlich die Gegner. Einige Paare stießen jedoch zusammen, und der Kampf begann blutig zu werden. Die Gegner erhitzten sich, warfen die Schilde weg, reichten sich die Linke, um sich nicht mehr loszulassen, und kämpften mit der Rechten bis zur Entscheidung. Wer fiel, streckte die Finger empor – ein Zeichen, daß er um Gnade bat; aber zum Beginn des Schauspiels verlangte das Volk in der Regel den Tod der Verwundeten, namentlich, wenn es sich um die Andabates handelte, deren Gesichter verhüllt waren und die man daher nicht erkannte. Nach und nach verminderte sich die Zahl der Kämpfenden mehr und mehr, und als endlich[187] nur zwei übrig blieben, wurden auch sie zusammengestoßen, so daß sie beide in den Sand fielen und sich gegenseitig erstachen. Während dann von allen Seiten: »Zu Ende!«1 gerufen wurde, schleppten Diener die Leichen fort, Knaben verwischten die Blutspuren in der Arena und bestreuten sie mit Safranblättern.

Nun sollte ein ernstlicherer Kampf folgen, der nicht nur die Aufmerksamkeit der Menge, sondern auch die der vornehmen Welt fesselte. Bei solchen Kämpfen gingen die jungen Patrizier oft riesige Wetten ein und setzten dabei nicht selten ihr ganzes Vermögen aufs Spiel. Auch diesmal wanderten von Hand zu Hand Täfelchen, auf denen die Namen der beliebtesten Kämpfer und daneben die Anzahl der Sesterzen verzeichnet standen, welche auf sie gewettet wurden. Die »spectati,« das heißt Kämpfer, die schon in der Arena aufgetreten waren und Siege davon getragen hatten, fanden die meisten Anhänger; aber unter den Wettenden befanden sich auch solche, die bedeutende Summen auf neue, gänzlich unbekannte Gladiatoren setzten in der Hoffnung, für den Fall ihres Sieges riesige Summen zu gewinnen. Der Caesar selbst, die Priester, Vestalinnen, Senatoren, Ritter, das Volk – alles wettete. Arme Leute, die kein Geld hatten, setzten oft ihre eigene Freiheit aufs Spiel. Klopfenden Herzens und selbst mit Bangen erwartete man den Ausgang des Kampfes, und mehr als einer tat laut den Göttern Gelübde, um ihren Beistand für seinen Erkorenen zu gewinnen.

Als die schmetternden Töne der Trompeten erklangen, trat denn auch lautlose Stille im Amphitheater ein. Tausende von Augen hefteten sich auf das große Tor, dem sich jetzt ein als Charon verkleideter Mann näherte, um unter dem tiefsten Schweigen dreimal mit einem Hammer daranzuschlagen, als wolle er die dahinter Verborgenen zum Tode hervorrufen. Langsam öffneten sich die beiden glänzenden[188] Torflügel und zeigten eine schwarze Höhlung, aus der die Gladiatoren auf die offene Arena herauszumaschieren begannen. Sie kamen in Abteilungen von fünfundzwanzig Mann, die Thraker, die Mirmillonen, die Samniten, Gallier, jede Gruppe für sich, alle schwer gepanzert, und zuletzt die Retiarii, in der einen Hand ein Netz, in der anderen einen Dreizack tragend. Bei ihrem Eintritt erhob sich hier und da auf den Bänken Beifall, der bald in ein ungeheures, lange anhaltendes Toben überging. Von den obersten Plätzen bis zu den untersten waren erhitzte Gesichter zu erblicken; von allen Seiten erklangen Händeklatschen und Geschrei. Die Gladiatoren marschierten gleichmäßigen, elastischen Schritts in ihrer blitzenden, reichverzierten Waffenrüstung um die Arena herum; vor dem »Podium« des Caesars machten sie Halt, stolz, ruhig, strahlend. Durchdringender Hörnerklang brachte den Lärm der Zuhörer zum Schweigen, die Gladiatoren hielten die Rechte empor, schauten zum Caesar hinauf und riefen, oder besser gesagt, sangen in langgedehnten Tönen:


Ave, Caesar imperator!

Morituri te salutant!2


Dann traten sie rasch auseinander und nahmen die ihnen angewiesenen Plätze im Umkreis der Arena ein. Sie hatten einander in ganzen Abteilungen anzugreifen, zuvor aber war es den berühmtesten Gladiatoren gestattet, eine Reihe Einzelkämpfe auszufechten, in denen sich die Kraft, Gewandtheit und Tapferkeit der Gegner am besten zeigen konnten. Wirklich trat aus der Mitte der »Gallier« bald ein Kämpfer hervor, der den Freunden des Zirkus unter dem Namen »der Schlächter« (lanio) wohlbekannt und in zahlreichen Spielen Sieger geblieben war. Mit dem mächtigen Helme auf dem Kopfe und dem Panzer, der ihm vorn und hinten die breite Brust umschloß, glich er im Sonnenschein auf der gelben[189] Arena einem riesigen Goldkäfer. Der nicht minder berühmte Retiarius Calendio trat ihm entgegen.

Die Zuschauer begannen zu wetten.

»Fünfhundert Sesterzen auf den Gallier.«

»Fünfhundert auf Calendio!«

»Beim Herkules! tausend!«

»Zweitausend!«

Währenddessen war der Gallier in die Mitte der Arena getreten und begann nun sich von neuem mit vorgehaltenem Schwerte und gesenkten Hauptes zurückzuziehen und beobachtete dabei durch die Helmöffnung aufmerksam die Bewegungen seines Gegners; der leichte Retiarius aber, schön gebaut wie eine Statue und nackt bis auf einen Gürtel um die Lenden, sprang rasch um seinen schwerfälligen Gegner herum, indem er das Netz anmutig in der Luft umherschwang, seinen Dreizack bald hob, bald senkte und den üblichen Spottvers der »Netzkämpfer« sang:


»Dich will ich nicht, ich will den Fisch;

Was fliehst du vor mir, Gallier?«3


Doch der Gallier floh nicht; denn nach kurzer Zeit blieb er stehen und begann sich mit kaum merklicher Bewegung umzuwenden, um den Gegner stets vor Augen zu haben. In seiner Gestalt und dem ungeheuer großen Kopfe lag jetzt etwas Furchteinflößendes. Den Zuschauern war es klar, daß dieser schwere, erzgepanzerte Körper sich zu einer plötzlichen Bewegung vorbereitete, die den Kampf entscheiden sollte. Der Netzkämpfer sprang bald auf ihn zu, bald zog er sich wieder zurück, wobei er mit seiner dreizackigen Gabel so rasche Bewegungen ausführte, daß das Auge ihnen kaum zu folgen vermochte. Zu wiederholtenmalen hörte man den Dreizack auf den Schild aufstoßen, aber der Gallier zuckte nicht und gab damit einen Beweis seiner Riesenkraft. Seine Hauptaufmerksamkeit richtete sich jetzt nicht auf den Dreizack, sondern[190] auf das Netz, das unaufhörlich wie ein unheilverkündender Vogel über seinem Kopfe kreiste. Die Zuschauer verfolgten mit angehaltenem Atem den meisterhaft geführten Kampf der beiden Gladiatoren. Der Lanio beobachtete seinen Gegner noch eine Zeitlang und stürzte endlich auf ihn los; doch dieser wich mit der gleichen Geschwindigkeit dem Schwerte aus, richtete sich auf und warf gehobenen Arms das Netz.

Der Gallier drehte sich um und fing dieses mit dem Schilde auf; dann erholten sich beide etwas. Im Amphitheater erschollen die Rufe: »Macte!«, und auf den unteren Sitzreihen begann man neue Wetten einzugehen. Selbst der Caesar, der anfangs mit der Vestalin Rubria gesprochen und dem Schauspiele wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte, blickte jetzt nach der Arena.

Die beiden Gladiatoren begannen von neuem zu kämpfen und zwar mit einer solchen Kunstfertigkeit und Regelmäßigkeit der Bewegungen, daß es mitunter den Anschein hatte, als handle es sich nicht um einen Kampf auf Leben und Tod, sondern um eine Erprobung ihrer Gewandtheit. Der Lanio, der noch zweimal dem Netze entgangen war, begann sich von neuem gegen die Mauer der Arena zurückzuziehen. Die, die gegen ihn gewettet hatten, wollten nicht, daß er sich ausruhe, und riefen: »Frisch drauf los!« Der Gallier gehorchte und griff an. Der Arm des Retiarius bedeckte sich plötzlich mit Blut und ließ das Netz fallen. Der Lanio krümmte sich zusammen und sprang auf, um seinem Gegner den Todesstoß zu versetzen. In diesem Augenblicke aber sprang Calendio, der sich absichtlich gestellt hatte, als könne er das Netz nicht mehr handhaben, zur Seite, wich dem Hiebe aus, stieß dem Gallier den Dreizack zwischen die Kniee und brachte ihn so zu Falle.

Er wollte sich erheben, aber im Nu war er von dem verhängnisvollen Netz bedeckt, in dem er bei jeder Bewegung sich Hände und Füße nur noch mehr verstrickte. Währenddessen drückte ihn der Dreizack des Gegners vollends zu[191] Boden. Noch einmal machte er eine äußerste Anstrengung, stützte sich auf den Arm und versuchte, sich aufzurichten – vergebens! Er erhob noch die kraftlos gewordene Hand, in der er schon das Schwert nicht mehr halten konnte, und sank auf den Rücken. Calendio drückte ihm mit den Zacken seiner Gabel den Hals zur Erde, stützte sich mit beiden Händen darauf und blickte nach der Loge des Caesars empor.

Der ganze Zirkus erzitterte unter dem Händeklatschen und dem Geschrei, das sich nun erhob. Für die jenigen, welche auf ihn gewettet hatten, besaß Calendio in diesem Augenblicke eine größere Bedeutung als der Caesar; aber gerade deshalb war aus ihrem Herzen jede Feindseligkeit gegen den Lanio verschwunden, der auf Kosten seines Blutes ihnen den Beutel füllte. Die Stimmung der Zuschauer war daher geteilt. Auf allen Bänken wurde teils der Tod, teils die Begnadigung verlangt; doch der Netzkämpfer blickte nur auf die Loge des Caesars und der Vestalinnen und wartete deren Willensäußerung ab.

Unglücklicherweise war Nero dem Gallier nicht gewogen, da er bei den letzten Spielen vor dem Brande gegen ihn gewettet und eine bedeutende Summe an Licinius verloren hatte. Er streckte daher die Hand aus und kehrte den Daumen nach unten.

Die Vestalinnen machten sofort dasselbe Zeichen. Calendio kniete nun auf die Brust des Galliers nieder, zog ein kurzes Messer aus dem Gürtel, schob die Rüstung am Halse seines Gegners zur Seite und stieß ihm den Dreizack bis zum Schaft in die Kehle.

»Peractum est!« ertönte es von allen Seiten des Amphitheaters.

Der Lanio zuckte noch eine Zeitlang, wie ein gestochener Büffel und scharrte mit den Füßen den Sand auf, dann streckte er sich und blieb regungslos liegen.

Der Merkur hatte es nicht nötig, sich mit einem glühenden Eisen davon zu überzeugen, ob noch Leben in ihm vorhanden[192] sei. Bald wurde die Leiche weggeschafft, und andere Paare traten an; erst nach Beendigung dieser Einzelkämpfe rückten ganze Scharen gegeneinander an. Das Volk nahm mit allen Sinnen an dem Kampfe teil; es brüllte, heulte, pfiff, klatschte, lachte, stachelte die Kämpfenden an und gebärdete sich wie rasend. In der Arena hatten sich die Gladiatoren in zwei Haufen geteilt, und fochten mit der Wut wilder Tiere gegeneinander: Brust lag an Brust, die Körper umschlangen sich in tödlicher Umarmung, die mächtigen Glieder krachten in den Gelenken, Schwerter ragten aus Brüsten und Leibern hervor, aus erblassenden Lippen ergossen sich Blutströme in den Sand. Einige Neulinge wurden am Ende von so entsetzlicher Furcht ergriffen, daß sie aus dem Getümmel zu fliehen versuchten; allein die Mastigophoroi trieben sie sofort mit ihren bleibeschwerten Peitschen in den Kampf zurück. Auf dem Sande bildeten sich große dunkle Lachen; immer mehr nackte oder mit der Rüstung bedeckte Körper sanken dahin wie Garben. Die noch Lebenden kämpften auf den Leichen weiter, ließen Schwerter und Schilde aufeinander krachen, verwundeten sich die Füße an den umherliegenden Waffen und stürzten zu Boden. Das Volk war außer sich vor Freude über dieses Hinschlachten, stieß unartikulierte Töne aus, weidete die Augen an dem grausigen Anblicke und sog mit Behagen den Blutdunst ein.

Endlich lagen fast alle Besiegten am Boden. Kaum waren einige Verwundete übrig, die in der Mitte der Arena niederknieten und taumelnd ihre Arme mit der Bitte um Gnade zu den Zuschauern emporstreckten. Unter die Sieger wurden Kränze und Olivenzweige als Belohnung verteilt, und dann trat eine Erholungspause ein, die sich auf den Befehl des allmächtigen Caesars zu einem Gastmahle gestaltete. Wohlgerüche dampften aus Vasen empor; ein Regen von Safran- und Veilchenwasser fiel auf die Zuschauer herab. Erfrischende Getränke, gebratenes Fleisch, süßes Gebäck, Wein, Oliven und Obst gelangten zur Verteilung. Das Volk aß,[193] plauderte und jauchzte zu Ehren des Caesars, um ihn zu noch größerer Freigebigkeit zu bewegen. Nach der Stillung des Hungers und Durstes trugen hunderte von Sklaven Körbe voller Geschenke herbei; als Amoretten verkleidete Knaben entnahmen diesen die verschiedenartigsten Gegenstände und warfen sie mit beiden Händen mitten unter die Menge. Als Lotterielose verteilt wurden, entstand eine förmliche Schlacht: Die Zuschauer drängten sich, stießen sich, traten einander mit Füßen, riefen um Hilfe, sprangen über die Sitzreihen hinweg und erstickten zum Teil in dem furchtbaren Gedränge. Wer eine Glücksnummer erlangt hatte, konnte sogar ein Haus mit Garten, einen Sklaven, ein kostbares Gewand oder einzelne wilde Tiere gewinnen, die er dann an ein Amphitheater verkaufen konnte. Aus diesem Anlaß entstand häufig eine solche Verwirrung, daß die Prätorianer die Ordnung wiederherstellen mußten, und nach jeder derartigen Verteilung wurden Menschen mit gebrochenen Armen und Beinen und selbst solche, die in dem Gedränge zu Tode gedrückt worden waren, aus dem Zuschauerraum hinausgetragen.

Die Reicheren nahmen an diesen Kämpfen um die »Tesserae« nicht teil. Die Augustianer belustigten sich diesmal an dem Anblick Chilons und spotteten über seine vergeblichen Anstrengungen, zu beweisen, daß er dem Kämpfen und Blutvergießen ebensogut wie jeder andere zusehen könne. Aber umsonst zog der unglückliche Grieche seine Brauen hoch, biß sich auf die Lippen und ballte die Fäuste so fest zusammen, daß sich ihm die Nägel in die Handflächen bohrten. Seine Griechennatur, verbunden mit seiner persönlichen Feigheit, war einem solchen Schauspiele nicht gewachsen. Sein Gesicht wurde blaß, die Stirn bedeckte sich mit kaltem Schweiße, die Lippen wurden blau, die Augen traten aus ihren Höhlen, die Zähne begannen zu klappern, und der ganze Körper schwankte zitternd hin und her. Nach Beendigung der Kämpfe erholte er sich etwas; als man aber anfing, ihn durchzuhecheln, faßte ihn plötzlich der Zorn, und er begann sich verzweifelt zu wehren.[194]

»Ha, Grieche! der Anblick einer zerrissenen Menschenhaut ist dir unerträglich,« rief Vatinius, indem er ihn am Barte zupfte.

Chilon wies ihm seine zwei letzten gelben Zähne und erwiderte: »Mein Vater war kein Schuster; ich kann die Haut also nicht flicken.«

»Macte! habet!« ertönte es von verschiedenen Seiten.

Aber andere stichelten weiter.

»Er kann nichts dafür, daß er anstatt des Herzens ein Stück Käse in der Brust hat!« rief Senecio.

»Und du kannst nichts dafür, daß dein Kopf hohl ist!« erwiderte Chilon.

»Vielleicht wirst du noch Gladiator! Du müßtest mit dem Netze in der Arena gelungen aussehen.«

»Wenn ich dich darin finge, hätte ich einen schmutzigen Wiedehopf gefangen.«

»Und wie steht es mit den Christen?« fragte Festus aus Ligurien. »Möchtest du nicht ein Hund sein und sie zerfleischen?«

»Auf keinen Fall möchte ich dein Bruder sein.«

»Du mäotisches Kupfergesicht!«

»Du ligurischer Esel!«

»Die Haut juckt dir offenbar, aber ich rate dir, bitte mich nicht, sie dir zu kratzen.«

»Kratze dich selbst! Wenn du deine Pickeln wegkratzest, so beseitigst du das Beste, was noch an dir ist.«

Auf solche Weise verhöhnte man Chilon, der sich aber giftig zur Wehre setzte, so daß ein allgemeines Gelächter entstand. Der Caesar klatschte in die Hände, rief: »Macte!« und stachelte beide Parteien noch mehr an. Nach einer Weile erhob sich Petronius, berührte Chilons Schulter mit seinem elfenbeinernen Stöckchen und sagte kalt: »Alles ganz gut, mein lieber Philosoph; nur in einem Punkte irrst du dich: die Götter schufen dich zum Beutelschneider, und du bist ein Teufel geworden. Daher kannst du den Anblick nicht ertragen.«[195]

Der Alte sah ihn mit seinen geröteten Augen an, fand jedoch diesmal keine passende Antwort. Eine Zeitlang schwieg er; dann entgegnete er mit sichtlicher Anstrengung: »Ich werde ihn ertragen.«

Doch jetzt gaben die Trompeten das Signal, daß die Pause zu Ende sei. Die Zuschauer begannen die Zwischengänge zu verlassen, die sie aufgesucht hatten, um sich die Füße zu vertreten und sich zu unterhalten. Es entstand ein ungeheurer Lärm und wie gewöhnlich Streit über vorher besetzte Plätze. Die Senatoren und Patrizier begaben sich ebenfalls zu ihren Sitzen. Allmählich verstummte das Getöse, und die Ordnung im Amphitheater war wiederhergestellt. In der Arena war noch eine Anzahl Leute damit beschäftigt, noch hier und dort umherliegende blutgetränkte Sandklumpen zu entfernen.

Die Reihe kam nun an die Christen. Da dies für das Volk ein neues Schauspiel war und niemand wußte, wie sie sich verhalten würden, erwartete man sie allgemein mit einer gewissen Neugier. Auf den Gesichtern der Menge lag ein Ausdruck der Spannung, da man ein außergewöhnliches Schauspiel erwartete, aber auch der Feindseligkeit. Diese Leute, die jetzt auftreten sollten, hatten ja Rom in Brand gesteckt und seine für die Ewigkeit bestimmten Reichtümer vernichtet; sie hatten Kinderblut getrunken, hatten die Brunnen vergiftet, das gesamte menschliche Geschlecht verflucht und die schamlosesten Frevel begangen. Der aufgestachelten Rachsucht der Menge genügten auch die härtesten Strafen nicht, und wenn irgendwelche Furcht die Gemüter beherrschte, so war es die, daß die Qualen hinter den Verbrechen der zum Tode Verurteilten zurückbleiben könnten.

Währenddessen war die Sonne hoch gestiegen; ihre Strahlen drangen durch das purpurne Velarium hindurch und erfüllten das Amphitheater mit blutrotem Lichte. Der Sand schien Feuerfarbe anzunehmen, und in dieser Beleuchtung, auf den Zügen der Menge, lag ebenso wie auf der leeren[196] Arena, die bald der Schauplatz menschlicher Qualen und der Grausamkeit der wilden Tiere werden sollte, etwas Fürchterliches. Es war, als brüteten Schrecken und Tod in der Luft. Die sonst so fröhliche Menge war unter dem Einfluß des Hasses wortlos geworden. Ihre Züge machten den Eindruck der Wildheit.

Jetzt gab der Präfekt das Zeichen; wiederum erschien jener alte, als Charon verkleidete Mann, der die Gladiatoren zum Tode gerufen hatte, schritt langsamen Schrittes durch die ganze Arena und schlug inmitten des dumpfen Schweigens dreimal mit dem Hammer an die Tür.

Im ganzen Amphitheater ertönte ein Murmeln: »Die Christen! die Christen!«

Die Eisengitter knarrten, und in die dunklen Öffnungen hinein erschollen die üblichen Rufe der Mastigophoroi: »Auf den Sand!« Im Nu wimmelte die Arena von Scharen satyrähnlicher, in Felle gekleideter Wesen. Alle eilten schnellen Schrittes, mit fieberhaftem Eifer nach der Mitte der Arena und knieten hier mit hocherhobenen Händen nebeneinander nieder. Das Volk hielt dies für eine Bitte um Gnade und begann, über solche Feigheit empört, zu stampfen, zu pfeifen, sie mit leeren Weinkrügen und abgenagten Knochen zu bewerfen und zu rufen: »Die Bestien! Die Bestien!« Plötzlich aber ereignete sich etwas Unerwartetes. Aus der Mitte der zottigen Schar erhoben sich singende Stimmen, und zum erstenmal ertönte in diesem Augenblicke in einem römischen Zirkus die Hymne:


»Christus regnat!«

. . . . . . . . . . . . . .


Staunen ergriff die Zuschauer. Während des Gesanges hielten die Verurteilten die Augen zum Velarium emporgerichtet. Die Gesichter waren blaß, aber wie gottbegeistert. Jedermann erkannte, daß diese Menschen nicht um Gnade flehten und daß sie den Zirkus, das Volk, den Senat, den Caesar gar nicht zu bemerken schienen. »Christus regnat!«[197] erklang es immer lauter, und von den untersten bis zu den obersten Sitzreihen fragte sich mehr als einer der Zuschauer: »Was geht hier vor, und wer ist jener Christus, der nach den Worten dieser zum Tode verurteilten Leute herrscht?« Inzwischen war aber ein zweites Gitter geöffnet worden, und in die Arena stürzten in wilder Eile und mit wütendem Geheul ganze Rudel von Hunden: gelbhaarige, riesige Molosserhunde aus dem Peloponnes, gestreifte aus den Pyrenäen und wolfsähnliche Schäferhunde aus Hibernien, alle absichtlich vorher ausgehungert, mit eingefallenen Seiten und blutunterlaufenen Augen. Von ihrem Bellen und Heulen hallte das ganze Amphitheater wider. Als die Christen mit ihrem Gesange zu Ende waren, knieten sie regungslos nieder, wie aus Stein gemeißelt und wiederholten nur unaufhörlich im Chore: »Pro Christo! pro Christo!«

Die Hunde, die Menschen unter den Tierfellen witterten und über die Regungslosigkeit ihrer Opfer stutzten, getrauten sich nicht, sofort über diese herzufallen. Die einen schlichen an der Mauer entlang, als wollten sie sich auf die Zuschauer stürzen, andere liefen unter wütendem Gebell im Kreise herum, als jagten sie irgend ein unsichtbares Tier. Das Volk wurde unwillig. Tausende von Stimmen wurden laut: ein Teil der Zuschauer ahmte das Gebrüll wilder Tiere nach, andere bellten wie Hunde, noch andere hetzten in allen erdenklichen Sprachen. Das Amphitheater erbebte unter dem Toben. Die gereizten Hunde stürzten sich auf die Knieenden und zogen sich zähnefletschend wieder zurück, bis endlich einer der Molosserhunde eine vornan knieende Frau mit den Zähnen an der Schulter packte und mit sich fortriß.

Nun stürzten sich Dutzende von ihnen in die Mitte der Christen wie durch eine Bresche. Die Menge hörte auf zu lärmen, um genauer beobachten zu können. Inmitten des Heulens und Knurrens hörte man nur noch klägliche Stimmen von Männern und Frauen: Pro Christo! pro Christo! In der Arena bildeten sich zuckende Knäuel von Hunde- und[198] Menschenkörpern. Das Blut floß in Strömen aus den zerrissenen Leibern. Die Hunde rissen sich die blutigen Menschenglieder gegenseitig weg. Der Dampf des Blutes und der zerrissenen Eingeweide übertäubte die arabischen Wohlgerüche und erfüllte den ganzen Zirkus. Zuletzt sah man nur hier und da noch einige knieende Gestalten, die aber auch bald zerrissen und umhergezerrt wurden.

Vinicius, der sich beim Eintritt der Christen erhoben und, um sein dem Steinbrecher gegebenes Versprechen zu erfüllen, sich nach der Richtung gewandt hatte, in der der Apostel Petrus unter Petronius' Leuten verborgen saß, hatte wieder Platz genommen und saß wie geistesabwesend da, mit starren Augen auf das entsetzliche Schauspiel blickend. Anfangs lähmte ihn die Furcht, der Steinbrecher könne sich getäuscht haben und Lygia könne sich doch unter den Opfern befinden; als aber die Rufe: Pro Christo ertönten, als er die Marter so vieler Opfer sah, welche noch im Sterben ihren Glauben und ihren Gott bekannten, ergriff ihn ein anderes Gefühl, das ihm die fürchterlichste Qual verursachte, sich aber nicht verscheuchen ließ: wenn Christus selbst unter Martern gestorben war und jetzt tausende für ihn in den Tod gingen, wenn sich Ströme Blutes ergossen, so machte ein Tropfen mehr oder weniger keinen Unterschied, und es war sogar Sünde, um Erbarmen zu bitten. Dieser Gedanke stieg aus der Arena zu ihm empor und drang aus den Seufzern der Sterbenden, aus dem Dampfe ihres Blutes in seine Seele. Und dennoch betete er und wiederholte mit bleichen Lippen: »Christus! Christus! und dein Apostel betet für Lygia!« Dann verlor er die Besinnung; er wußte nicht mehr, wo er war, es schien ihm, als steige das Blut in der Arena immer höher und höher, als ergieße es sich über den Zirkus hinweg und überflute ganz Rom. Schließlich hörte er weder das Heulen der Hunde noch das Toben des Volkes noch die Stimmen der Augustianer, welche plötzlich riefen: »Chilon ist ohnmächtig geworden!«[199]

»Chilon ist ohnmächtig geworden,« wiederholte Petronius, indem er sich nach dem Griechen umwandte.

Dieser war tatsächlich in Ohnmacht gefallen und saß weiß wie die Wand da; mit dem nach hinten gelehnten Kopfe und den geöffneten Lippen glich er einer Leiche.

In diesem Augenblicke begann man neue, in Felle genähte Opfer in die Arena zu treiben.

Gleich ihren Vorgängern knieten auch diese sofort nieder; aber die ermüdeten Hunde wollten sie nicht angreifen. Kaum, daß sich einige von ihnen auf die zunächst Knieenden stürzten; die anderen legten sich nieder, hoben die blutigen Schnauzen, fingen an, sich die Seiten zu kratzen und laut zu gähnen.

Nun begann der unbefriedigte, vor Blutgier rasende Pöbel mit durchdringender Stimme zu rufen: »Die Löwen! die Löwen! laßt die Löwen heraus!«

Die Löwen waren für den nächsten Tag bestimmt; aber in den Amphitheatern setzte das Volk seinen Willen jedermann gegenüber durch, selbst dem Caesar. Nur der übermütige und in seinen Entschlüssen schwankende Caligula hatte es gewagt, Widerstand zu leisten, und es war sogar so weit gekommen, daß er auf die Menge mit Knütteln hatte einhauen lassen, aber auch er hatte sich meistenteils gefügt. Nero, dem der Beifall des Volkes über alles in der Welt ging, widersetzte sich nie und jetzt um so weniger, als es ihm darum zu tun war, das über den Brand erregte Volk zu beschwichtigen und die Schuld an dem Unglück auf die Christen zu wälzen.

Er gab daher ein Zeichen, das Cuniculum zu öffnen, worauf sich das Volk sofort beruhigte. Man hörte, wie die Gitter, hinter denen die Löwen lagen, sich kreischend öffneten. Bei ihrem Anblick zogen sich die Hunde, in einen Haufen zusammengedrängt, winselnd nach dem entgegengesetzten Ende der Arena zurück. Die Löwen betraten, einer nach dem anderen, die Arena, riesig, gelb, mit gewaltigen, zottigen Köpfen.[200] Selbst der Caesar wandte ihnen sein blasiertes Gesicht zu und nahm den Smaragd vor das Auge, um besser sehen zu können. Die Augustianer begrüßten sie mit Beifallsklatschen; das Volk zählte sie an den Fingern ab und wartete gespannt auf den Eindruck, den ihr Anblick auf die in der Mitte knieenden Christen machen würde. Diese wiederholten aber nur die für viele der Zuschauer unverständlichen, aber allgemein erbitternden Worte: »Pro Christo! pro Christo!«

Allein die Löwen, so hungrig sie auch waren, stürzten sich nicht sofort auf die Opfer. Das rötliche Licht in der Arena belästigte sie, so daß sie ihre Augen wie geblendet halb schlossen; einige dehnten gemächlich ihren gelben Leib, andere öffneten den Rachen, als wollten sie den Zuschauern ihr furchtbares Gebiß zeigen. Nach und nach begann jedoch der Geruch des Blutes und der zerrissenen Menschenleiber, von denen viele in der Arena umherlagen, seine Wirkung auf sie auszuüben. Bald wurden ihre Bewegungen unruhig, ihre Mähnen sträubten sich, die Nüstern sogen gierig die Luft ein. Mit einem Mal stürzte sich einer auf die Leiche einer Frau mit zerfleischtem Gesicht, trat mit den Vordertatzen auf ihren Leib und begann mit seiner stachligen Zunge das herabrinnende Blut aufzulecken; ein anderer sprang auf einen Mann zu, der ein in das Fell eines Hirschkalbes genähtes Kind auf dem Arme trug.

Das Kind zitterte weinend und schreiend und umklammerte krampfhaft den Hals seines Vaters. Dieser suchte, um des Kindes Leben, wenn auch nur um einen Augenblick zu verlängern, es von seinem Halse zu lösen, um es den weiter hinten Knieenden zu reichen. Aber das Schreien und die Bewegung reizte den Löwen. Plötzlich stieß er ein kurzes, dumpfes Gebrüll aus und tötete das Kind mit einem Schlage seiner Tatze, faßte mit dem Rachen den Kopf des Vaters und zermalmte ihn im Nu.

Bei diesem Anblick fielen auch alle anderen über die Christen her. Einige Frauen konnten ihren Schreck nicht bemeistern[201] und schrien laut auf; aber der Pöbel übertäubte sie mit seinem Beifallsgeschrei, das aber bald aufhörte, da der Wunsch, alles genau zu sehen, überwog. Es folgten grauenvolle Szenen; Köpfe verschwanden vollständig in den aufgesperrten Rachen; Brüste wurden mit einem Tatzenschlage aufgerissen, so daß Herzen und Lungen herausfielen; man hörte das Knacken der Knochen zwischen den Zähnen. Etliche Löwen faßten ihre Opfer an den Seiten oder am Rücken und rannten in wilden Sprüngen in der Arena umher, als wollten sie sich einen versteckten Winkel suchen, wo sie ihre Beute in Ruhe verschlingen könnten; andere richteten sich empor und kämpften miteinander, sich mit den Vordertatzen umschlingend, während das Amphitheater von ihrem donnernden Gebrüll widerhallte. Die Zuschauer erhoben sich von ihren Sitzen. Andere verließen ihre Plätze und gingen weiter hinab, um besser sehen zu können; einige wurden dabei zu Tode gedrückt. Es hatte den Anschein, als wolle die erregte Menschenmasse sich noch am Ende in die Arena selbst stürzen und die Christen mit den Löwen um die Wette zerreißen. Bald war ein Toben zu hören, das alle menschlichen Begriffe überstieg, bald Beifallsrufen, bald Gebrüll, Knurren, das Knirschen der Zähne, das Heulen der Molosserhunde, bald nur Seufzen.

Der Caesar hielt den Smaragd vor das Auge und war von dem Schauspiel ganz hingerissen. Petronius' Gesicht trug den Ausdruck des Ekels und der Verachtung. Chilon hatte man schon früher aus dem Zirkus tragen müssen.

Und immer neue Opfer wurden aus den Cunicula herausgetrieben.

Von der obersten Sitzreihe des Amphitheaters blickte der Apostel Petrus auf das Gewühl herab. Niemand beobachtete ihn, denn aller Augen richteten sich voller Spannung auf die Arena. So stand er da, und wie er einst im Weinberge des Cornelius diejenigen, die verhaftet werden sollten, zum Tode und der Einkerkerung eingesegnet hatte, so segnete er jetzt mit dem Kreuzeszeichen die unter den Klauen der Bestien[202] Erliegenden, ihr Blut, ihre Qualen, ihre toten, in unförmliche Klumpen verwandelten Körper und ihre Seelen, die sich aus dem blutgetränkten Sande zur Höhe emporschwangen. Einige blickten zu ihm hinauf, und wenn sie dann das Kreuzeszeichen hoch über sich erblickten, strahlte ihr Antlitz voller Freude, und ein seliges Lächeln verklärte ihre Züge. Sein Herz wurde jedoch zerrissen, und er betete: »O Herr, dein Wille geschehe! Denn zu deiner Ehre, zum Zeugnis für deine Wahrheit sinken meine Lämmer dahin! Du hast mir befohlen, sie zu weiden. Ich gebe sie dir nun zurück. Zähle du sie, Herr, nimm sie auf, heile ihre Wunden, lindere ihre Pein und gib ihnen eine Seligkeit, die noch größer ist als die Martern, die sie erdulden.«

Und er segnete die einen nach den anderen, Schar für Schar mit so großer Liebe, als ob sie seine Kinder wären, die er unmittelbar Christi Händen übergäbe. Jetzt flüsterte der Caesar aus Selbstvergessenheit oder in dem Wunsche, bei diesem Spiele alles bisher in Rom Gesehene zu überbieten, dem Stadtpräfekten einige Worte zu. Dieser verließ das Podium und begab sich sofort nach den Cunicula. Selbst der Pöbel war überrascht, als sich nach einer Weile von neuem die Gitter öffneten. Jetzt erschienen wilde Tiere jeder Gattung: Tiger vom Euphrat, numidische Panther, Bären, Wölfe, Hyänen und Schakale. Die ganze Arena bedeckte sich gleichsam mit einer wogenden Flut von gefleckten, gelben, fahlen, schwarzen, braunen und gestreiften Fellen. Es entstand ein Durcheinander, in dem das Auge nichts unterscheiden konnte als eine grauenhafte Verwirrung und eine dichtgedrängte Masse von Tierrücken. Das Schauspiel verlor den Schein der Wirklichkeit und gestaltete sich zu einer blutigen Orgie, einem fürchterlichen Traum, einer grauenhaften Phantasmagorie wahnsinniger Gedanken. Das Maß war übervoll. Inmitten des Brüllens, Heulens und Stöhnens ertönte hier und da von den Bänken der Zuschauer her durchdringendes, krampfartiges Lachen von Frauen, deren Kräfte endlich erschöpft[203] waren. Ein Grauen ergriff die Menge, die Gesichter wurden finster, vereinzelte Stimmen riefen: »Genug, genug!«

Allein es war leichter, die Bestien herauszulassen, als zurückzutreiben. Doch der Caesar wußte ein Mittel, die Arena von ihnen zu säubern, das zugleich dem Volke eine neue Belustigung bot. In allen Gängen zwischen den Sitzreihen erschienen jetzt kohlschwarze, mit Federn und Ohrringen geschmückte Numidier mit Bogen in den Händen. Das Volk erriet, was nun kommen würde, und begrüßte sie mit Jubelgeschrei. Sie traten an die Brüstung heran, legten Pfeile auf die Sehnen und begannen sie auf das Tiergewimmel abzuschießen. Es war dies in der Tat ein neues Schauspiel. Die geschmeidigen, schwarzen Körper bogen sich zurück, während sie die Bogen spannten und Pfeil auf Pfeil entsandten. Das Schwirren der Sehnen und das Zischen der gefiederten Geschosse vermischte sich mit dem Heulen der Tiere und den Jubelrufen der Zuschauer. Wölfe, Bären, Panther und die Menschen, die noch lebten, fielen nebeneinander in den Sand. Hier und da bog ein Löwe, den ein Pfeil in die Seite getroffen hatte, mit einer plötzlichen Bewegung den wutschäumenden Rachen zurück, um den Pfeil zu fassen und herauszuziehen, andere stöhnten vor Schmerz. Die kleineren Tiere gerieten in Schrecken und rannten blindlings durch die Arena, oder zerstießen sich die Köpfe an den Gittern. Inzwischen schwirrten die Pfeile unaufhörlich, bis alles, was noch Leben in sich hatte, im letzten Todeszucken verendete.

Jetzt erschienen hunderte von Zirkusdienern in der Arena, mit Spaten, Schaufeln, Besen, Schiebkarren, Körben zum Sammeln der Eingeweide und mit Sandsäcken. Fortwährend strömten neue herbei, und in der ganzen Runde begann eine fieberhafte Tätigkeit. Bald war die Arena von Leichen, Blut und Kot gesäubert, umgegraben, geebnet und mit einer dicken Schicht frischen Sandes bedeckt. Nun eilten Amoretten herbei und bestreuten sie mit Rosenblättern, Lilien und allerhand Blumen. Neues Räucherwerk wurde entzündet und[204] das Velarium abgenommen, weil die Sonne schon ziemlich tief stand.

Die Zuschauer, die dies alles mit Erstaunen betrachteten, fragten sich, was für ein Schauspiel ihrer noch an diesem Tage harre.

Wirklich sollte ihnen etwas geboten werden, was niemand erwartet hatte. Der Caesar, der schon vor einiger Zeit das Podium verlassen hatte, erschien plötzlich in der blumenbestreuten Arena, in den Purpurmantel gehüllt und mit einem goldenen Kranze auf dem Haupte. Zwölf Choristen folgten ihm mit Lauten in den Händen. Nun trat er, eine silberne Phorminx im Arme, feierlichen Schrittes in die Mitte der Arena, verbeugte sich mehrmals vor den Zuschauern, erhob die Augen zum Himmel und blieb so eine Zeitlang stehen, als warte er auf eine Eingebung.

Sodann griff er in die Saiten und begann zu singen:


»Strahlender Sohn Letos,

Herrscher von Tenedos, Killa, Chryse,

Konntest du, der du Ilions

Heilige Stadt beschirmst,

Sie dem Zorn der Achaier weihn

Und es dulden, daß heilige Altäre,

Die stets zu deiner Ehre lohten,

Vom Blute der Troer befleckt wurden?

Zu dir erhoben Greise die zitternden Hände,

Silbernbogiger, Fernhintreffer,

Zu dir erhoben Mütter aus tiefster Brust

Ihre tränenverschleierte Stimme,

Du möchtest dich ihrer Kinder erbarmen.

Einen Stein hätten diese Klagen gerührt,

Du aber bliebst fühlloser als Stein,

Sminthier, zum Verderben des Volks! ...«


Der Gesang ging allmählich in eine klagende, schwermütige Melodie über. Im Zirkus herrschte tiefes Schweigen. Nach einiger Zeit fuhr der Caesar, der selbst gerührt war, fort:


Konntest du durch den Klang der Saiten

Jammern und Weinen zur Ruhe nicht bringen?

Sieh, bei deinem düsteren Liede,[205]

Das aus Schutt und Asche heraufbeschwört

Den Tag des Brandes und des Verderbens,

Perlt noch heute die Träne im Auge,

Wie der Tau in der Blume glänzt ...

Sminthier, wo weiltest du damals?


Hier brach seine Stimme, und die Augen wurden ihm feucht. Auf den Wangen der Vestalinnen zeigten sich Tränen; schweigend lauschte das Volk und brach dann in einen lange Zeit nicht enden wollenden Beifallssturm aus.

Währenddessen vernahm man von draußen durch die zum Zweck der Lüftung geöffneten Vomitoria das Rasseln der Wagen, auf welche die blutigen Überreste der Christen, von Männern, Frauen, Kindern, geworfen wurden, um nach den schrecklichen Gruben, puticuli genannt, gebracht zu werden.

Der Apostel Petrus faßte sein weißes, zitterndes Haupt mit beiden Händen und rief in der Tiefe seines Herzens: »Herr, Herr! wem hast du die Weltherrschaft überlassen? und gerade in dieser Stadt willst du dir deinen Thron gründen?«

1

Peractum est.

2

Heil dir Caesar Imperator, die Todgeweihten begrüßen dich!

3

Non te peto, piscem peto, – Quid me fugis, Galle?

Quelle:
Sienkiewicz, Henryk: Quo vadis? Zwei Bände, Leipzig [o.J.], Band 2, S. 177-206.
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