Abends im Mondscheine

[2] Dem Andenken meines Bruders geweiht.


Schon seh' ich Phöbus Stralen sinken

Mit schnellem Flug' ins Abendmeer,

Und Luna mir zur Ruhe winken

Vom hochgewölbten Himmel her.

Sie steigt herauf voll ernster Feier,

Gekrönt mit einem Sternenkranz,

Und bricht des Abends dunklen Schleier

Mit ihrer Stralen lichtem Glanz.


So kommt sie über Meereswogen,

Mit stiller Ruh' im ernsten Blick',

Wie eine Göttin hergeflogen,

Und scheucht den späten Tag zurück.[3]

Beim lauten Fest in trunkner Freude

Schwimmt sie im schäumenden Pokal,

Auch leuchtet sie auf öder Haide

Beim einfach ländlich-frohen Mahl.


Sie theilet treuer Liebe Schmerzen

Und Trost mit blassem Silberblick,

Träuft stille Ruh in wunde Herzen

Und Hofnung auf zukünft'ges Glück.

Aus den gestirnten goldnen Kreisen

Verschönt sie jeden Blüthenbaum,

Streut Schlummerkörner um den Weisen,

Zum langen süßen Morgentraum.


Sie wallt um die bemoosten Hügel

Der Todten in dem stillen Hain,

Und weilt mit ihrem Silberflügel

Bei'm Aschenkrug, und Leichenstein. –

Dort, wo an Seelands weißer Küste

Mein hochgesinnter Bruder ruht,

Umschwebt sie dessen kalte Büste,

Und spiegelt sich in Meeres-Fluth.
[4]

Nicht Erde aus dem Vaterlande

Deckt meines Albrechts Hülle zu,

Am weit entfernten Meeresstrande

Fand seine müde Seele Ruh!

Getrost! – ein Tag wird uns vereinen!

Einst seh' ich dich verklärt und schön

In Edens Lichtumfloßnen Hainen

Mir sehnsuchtsvoll entgegen gehn!

Quelle:
Elise Sommer: Poetische Versuche, Marburg 1806, S. 2-5.
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