An eine Kirchhofs-Linde

[100] Wenn dereinst im lauen Abendwinde

Unter deinem Schatten, hohe Linde,

Hin ein Lebensmüder sinkt,

Und aus deinen Silberblüthen

Süße Düfte trinkt;


O, dann lisple leis' dem armen Müden:

»Hier wohnt Ruhe! hier wohnt stiller Frieden,

Trockne deine Thränen ab;

Unter diesem grünen Hügel

Ist Elisens Grab!


»Sie auch sehnte sich aus banger Schwüle

Nach des stillen Grabes milder Kühle,

Lange ahnend frühen Tod,

Nun verkläret ihre Thränen

Ew'ges Morgenroth!
[101]

»Athme leichter unter dieser Linde!

Wie die Blüthe fällt vom Abendwinde,

Schwindet jedes Leiden hin,

Wenn im öden Kirchhofshaine

Blumen auf uns blühn.«

Quelle:
Elise Sommer: Poetische Versuche, Marburg 1806, S. 100-102.
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