Morgen-Gefühle

[80] Bebet leis', ihr Harfentöne,

Rührend, wie die Andacht fleht,

In des jungen Morgens Schöne,

Werde mein Gesang Gebet!


Möchten in der Andacht Feuer

Mich Entzückungen durchweh'n,

Mein verklärtes Auge freier

Dieses Morgens Schönheit seh'n!


Aus des Waldes Grotten hallen

Jubelhymnen laut hervor,

Von der Erde Altar wallen,

Weihrauchdämpfe hoch empor.


Wie im Sonnengolde glühen

Höher Rosenbusch und Baum;

Welche rege Harmonieen

Tönen durch den Schöpfungsraum!
[81]

O, wo giebt es ein Entzücken,

Das aus rein'rer Quelle quillt,

Das so sehr, wie dies Entzücken,

Meines Herzens Sehnsucht stillt?


Mit der Morgenröthe schwinge

Sich mein freier Geist empor,

Bis ich höh're Lieder singe

Unterm großen Geister-Chor!

Quelle:
Elise Sommer: Poetische Versuche, Marburg 1806, S. 80-82.
Lizenz:
Kategorien: