[»Eh du gehst in dein Bett hinein«]

1.

Eh du gehst in dein Beth hinein/

Laß dir/ was folgt befohlen sein.

Auff beyde Knie demüthig fall/

Danck Gott vmb sein Gaben all.

Schlag auff/ vnd diese Gaben such/

Jm Hertzen/ deinem Rechenbuch.


2.

Vmb himlisch Liecht auch bitte sehr/

Daß offenbahr was heimlich wehr.

Das Liecht dir zeigt ohn Kertz vnd Brill/

Was eigen Lieb verberg will.

Wen Gott erleucht/ hat scharpff Gesicht/

Solch Augen hat kein Adler nicht.


3.

Laß kommen her bey diese Kertz/

Die Händ/ den Mund/ das gantze Hertz.

Thu beyde Augen wacker auff/

Durch alle Winckel hurtig lauff.

Von einer Stundt zur ander geh/

Auff all dein Thun vnd Lassen seh.


4.

Such alles auff/ bring alles für

Vnder der Banck/ hinder der Thür.

Dein Wort vnd Werck leg auff die Wag/

All dein Gedancken vberschlag.

Der Sünden zahl auch fleissig merck/

Mit Vnterlassung guter Werck.


5.

Die Sünd die du gefunden hast/

Bewein/ vnd leg bald ab den Last.

Bitt Gott vmb so viel Zeit vnd Frist/

Biß daß gebeicht die Sünde ist.

Ein Todtsündt zwar macht greiß graw Haar/

Wer denckt der Sünden groß Gefahr.
[254]

6.

Hie mach ein Fürsatz starck vnd fest/

Die Sünd zu meyden auff das best.

Nach Besserung geh Weg vnd Steg/

All Vrsach auß den Füssen leg.

Sein Beyn brach Hanß auff glattem Eyß/

Bleib du vom Eyß/ so bistu weiß.


7.

Jetzt dein Gebett zu GOtt außgieß/

Vnd also das examen schließ.

Thu täglich Buß vor deine Sünd/

Was der Beichtvatter dir vergünnt.

So legt man ab mit kleiner Buß/

Jm Fegfewr was man büssen muß.


8.

Ein Kesselein da hangen soll/

Deß Heyligen Weywassers voll.

Daß Heylig Creutz mit diesem mach/

Daß von dir weich der höllisch Drach.

Ein Agnus Dei, auch bey dir trag/

Alsdann nichts nach der Höllen frag.


9.

Nun wann du legst die Kleyder ab/

So denck wie bloß man geh zum Grab.

Lösch auß das Liecht vnd denck dabey/

Wie bald der Mensch gestorben sey.

Geh züchtig ein: Wol deck dich zu/

Vnd auff dem Creutz ruh mit Iesv.


Quelle:
Friedrich Spee: Die anonymen geistlichen Lieder vor 1623, Berlin 1979, S. 252-255.
Erstdruck in: Latte di Gallina, [...], Würzburg (Johann Volmar) 1621.
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