Siebenzehntes Capitel.

[199] Ich hatte den Rest des Vormittags auf meinem Zimmer zugebracht, um eine Berechnung zu machen, welche die Aufstellung der Maschine für den Kreidebruch erforderte. Ich war nicht über die ersten Ansätze hinausgekommen. Die neue, fast gewisse Aussicht, meinen großen Wunsch der Erweiterung unserer Fabrik ausführen zu können, machte mir den Kopf schwindeln. Ich sah im Geiste – wie Paula es gesehen hatte – das wüste Terrain des ruinenhaften Hofes mit stattlichen Fabrikgebäuden bedeckt, ich sah die Flammen aus den großen Essen sprühen und die hohen Schlote rauchen; ich hörte den Schlag des Hammers auf den Amboß und sah die dunklen Schaaren der Arbeiter über die weiten Höfe wimmeln und sich in den Gassen eines neuen Quartiers verlieren, wo sie in einem der reinlichen Häuser ein freundlicher, warmer Heerd empfing, an dem sie sich ausruhen konnten von des Tages schwerer Mühe. Und das verfallene Haus, in welchem ich wohnte, war nicht mehr verfallen; auf dem Vorplatz an der Freitreppe grünte der Rasen und in dem Sandsteinbecken blies ein Triton einen Wasserstrahl hoch in die Luft, daß es plätschernd niederrauschte in das gefüllte Becken, wo zahlreiche Goldfischchen munter spielen und jetzt alle auf einmal von dem Rande, wo sie sich gesammelt hatten, wegschnellen, weil Zwei, die Hand in Hand herangetreten sind, sich über den Rand beugen nach ihren Spiegelbildern, die in dem Wasser nicken und schwanken, so, daß er ihr Bild gar nicht deutlich erkennen kann und nur hin und wieder die blauen, leuchtenden Augen sieht und die rothen schwellenden Lippen, aber gar nicht gewiß ist, ob, was in den Augen leuchtet, Haß ist oder Liebe, und ob die schwellenden Lippen zu einem höhnenden Wort sich wölben oder zu einem Kusse –

»Es wird angerichtet, Herr Ingenieur,« sagte Wilhelm Kluckhuhn, den Kopf zur Thür hineinsteckend, »kann ich dem Herrn Ingenieur noch bei seiner Toilette behülflich sein?«

Wilhelm hatte die Gewohnheit, mir dieses gütige Anerbieten regelmäßig zu stellen, obgleich ich niemals von demselben Gebrauch machte. Heute aber wollte er sich durchaus[200] nicht abweisen lassen und half mir mit einem solchen Eifer in meinen Gesellschaftsrock, und bürstete und putzte mit einer solchen Ausdauer an mir herum, daß ich ihn nothwendig fragen mußte, ob er ein neues Anliegen habe.

»Ach nein,« erwiederte Wilhelm; »aber Sie sind so gut für mich gewesen und haben mich wieder bei dem Herrn zu Gnaden gebracht, der übrigens vollkommen Unrecht hatte, denn, wenn ich überhaupt Champagner tränke –«

»Es ist gut, Wilhelm,« sagte ich.

»Und da wollte ich Ihnen nur sagen,« fuhr Wilhelm in geheimnißvollem Tone fort, »daß sie sich eben fürchterlich gezankt haben, und ich hörte ganz deutlich –«

»Aber ich will es nicht hören, Wilhelm.«

»Sie können doch nicht dafür, daß ich es Ihnen sage, denn wenn ich auch ein bischen gehorcht habe, so geht Sie das gar nichts an, und ich kann eigentlich auch nichts dafür, denn die Thür war nur angelehnt und ich habe deutlich gehört, wie das Fräulein – gnädige Fräulein wollt' ich sagen – sagte, daß sie Ihnen das nie vergeben würde –«

»So,« brummte ich.

»Und dabei machte sie ein Gesicht –«

»Also gesehen haben Sie auch?«

»Die Thür stand ja angelweit auf,« sagte Wilhelm und zuckte mit den Achseln; »und ich habe ja genug mit den Tellern geklappert, aber das Fräulein war in einer Rage –«

Und Wilhelm schnitt ein Gesicht, das vermuthlich dem gleichen sollte, welches er durch die Ritze der Thür gesehen, aber so unglaublich komisch ausfiel, daß ich laut lachen mußte.

»Na, ist schon recht,« sagte Wilhelm, »den Rath wollte ich Ihnen auch geben: lachen Sie nur! denn mit der Zürnerei ist doch Alles nur Thu-man-so! Sie können lachen!«

Und Wilhelm seufzte tief und sah mich mit einem bittenden Blicke an.

»Nun?« sagte ich.

»Und wollte ich nur noch befürworten,« sagte Wilhelm, »daß, wenn – ehem! Sie wissen, was ich meine – Sie mir und meiner Louise auch dazu verhelfen, denn wir warten nun schon sechs Jahre und Sie haben es ja dann in der Hand, Herr Ingenieur! nicht wahr, lieber Herr Ingenieur!«

»Ich glaube, Sie sind verrückt, Wilhelm!« sagte ich und[201] schritt mit einem Blick, der majestätisches Zürnen ausdrücken sollte, an ihm vorüber zum Zimmer hinaus.

Aber Wilhelm hatte doch recht gehört; ich sollte es über Tisch erfahren. Die Gesellschaft war nur klein; außer Arthur, der in des Justizraths Wagen von Rossow mit herübergekommen war und mich mit seiner jetzt gewöhnlichen, übertriebenen Freundlichkeit begrüßte, nur die Hausgenossen. Die beiden Eleonoren erschienen, dem ungemein warmen Tage zu Ehren, in jungfräulichem Weiß und selbstverständlich als Gruppe. Hermine ließ uns etwas warten.

Der Commerzienrath nahm mich auf die Seite und theilte mir im Flüsterton mit, der Fürst habe ihm durch den Justizrath sagen lassen, er müsse durchaus über den Kreidebruch beruhigt sein, bevor er sich auf weitere Verhandlungen einlassen könne. Er werde heute Nachmittag seinen Wagen schicken, mich nach Rossow hinüber holen zu lassen.

Ich hatte keine Zeit, auf diese Mittheilung, die mir aus mehr als einem Grunde ungelegen kam, zu antworten, denn in diesem Augenblicke trat Hermine ein und ich sah deutlich, daß sie geweint hatte, obgleich sie sich alle Mühe gab, so heiter und unbefangen als möglich zu erscheinen. Der Tag war ja auch so schön, so wunderschön! und morgen würde es noch viel schöner sein und die Partie nach dem Schmachtensee werde ganz reizend werden. Die Gesellschaft sei die beste, die man sich wünschen könne: lauter junge Leute, alte würden auf keinen Fall mitgenommen. Man werde nach Tische von hier aufbrechen, über Trantowitz, um Hans abzuholen, der durchaus nicht fehlen dürfe, dann über Sulitz, wo Herr von Zarrenthien und seine reizende Frau sich der Gesellschaft anschließen würden; dann zwischen fünf und sechs Ankunft in dem Stranddorf Sassitz; Promenade durch die Dünen und den Buchenwald nach dem Schmachtensee, Souper mit Ananasbowle und Aufgang des Mondes ebendaselbst, darauf Rückkehr durch den Wald bis zu dem Kreuzwege in den Rossower Tannen, wo die Wagen und Pferde unterdessen sich eingefunden haben würden; schließlich Rückkehr der gesammten Gesellschaft – nach Hause werde keiner ge lassen – durch die Mondscheinnacht nach Zehrendorf; zum Schluß Thee und Punsch und möglicherweise auch ein Tanz für die besonders Artigen.

»Bravo! bravo! das ist doch einmal ein Plan, bravo!« rief Arthur, indem er enthusiastisch in die Hände klatschte.[202]

»Ich wußte, daß er Deinen Beifall haben würde, lieber Arthur,« sagte die schöne Planmacherin, indem sie ihm mit dem gütigsten Lächeln über den Tisch hinüber die Hand reichte; »Du hast ein Verständniß für dergleichen: und ich rechne auch ganz besonders auf Dich.«

»Auf Sie habe ich nicht gerechnet;« fügte sie mit einer schnellen Wendung zu mir hinzu.

»Ich habe nichts derartiges gesagt, ja nicht einmal gedacht, Fräulein Hermine,« sagte ich.

»Das ist es ja eben, warum man bei solchen Dingen auf Sie nicht rechnet und nicht rechnen darf: Sie denken nicht daran! Natürlich! Wie sollte man, wenn man so viel wichtigere Sachen in den Kopf zu nehmen hat!«

Hermine hatte nicht die Gewohnheit, mich besonders freundlich zu behandeln; aber ihr Benehmen heute war so auffallend unfreundlich und ihre Heftigkeit so scheinbar gar nicht motivirt, daß es dem Unbefangensten hätte auffallen müssen, geschweige denn dem Steuerrath und der Geborenen, die durchaus nicht unbefangen waren und jetzt Arthur bedeutungsvolle Blicke zuwarfen, als wollten sie ihn ermuthigen, das Eisen zu schmieden, so lange es glühe. Arthur hatte auch offenbar diese löbliche Absicht, schien aber nicht recht zu wissen, wie er dieselbe gleich in's Werk setzen solle und begnügte sich deshalb, Herminen einen schmachtenden Blick zuzuwerfen und an seinem schwarzen Bärtchen zu drehen. Auch für die Andern schienen die letzten Worte Herminens und vielleicht noch mehr der erregte Ton, in welchem sie dieselben gesagt hatte, das Signal gewesen zu sein, daß etwas Außerordentliches in der Luft schwebe. Fräulein Duff, die schon von Anfang an ganz besonders blaß und verstört ausgesehen, hob ihre Augen, wie in Verzweiflung, zur Zimmerdecke, während der Justizrath seine Blicke starr vor sich hin auf eine Schüssel Salat geheftet hielt und dabei leise mit den kurzen Fingern seiner linken Hand auf der Tischplatte trommelte; Emilie blickte ihre Freundin Elise an und Elise Emilien; Emilie fragte in diesem Blick: brauche ich, unschuldiges Kind, um diese Dinge zu wissen? Elise antwortete: spiele, spiele ruhig, holder Engel! laß das uns Geprüften! Selbst Wilhelm Kluckhuhn, der mit der Serviette am Büffet stand, machte ein nachdenkliches Gesicht, als wenn die Wendung, welche die Sache genommen, ihm denn doch nicht gefalle,[203] und nur der Commerzienrath hatte so eifrig mit dem zweiten Bedienten, der eben vor seinen Augen eine Flasche des famosen Hochheimers entkorken mußte, zu thun, daß er ganz und gar nicht wußte, weshalb plötzlich ein allgemeines Schweigen die Gesellschaft befallen hatte. Er schaute mit der unschuldigsten Miene von der Welt auf und fragte so harmlos wie möglich: »Ich bitte um Entschuldigung; was war es doch, wovon Ihr spracht?«

Der eigenthümliche Ausdruck, den ich in so verschiedenen Schattirungen auf den Gesichtern der Anwesenden bemerkt hatte, vertiefte sich noch um einige Farbentöne. Die Stille wurde noch stiller, der zweite Bediente Johann, welcher eben den Hochheimer zweiundzwanziger entkorken wollte, hielt in seiner Beschäftigung inne, und die Teller, welche Wilhelm herumreichte, klapperten ganz beunruhigend in seiner sonst so sicheren Hand, als der Steuerrath, sich nicht ohne einiges Zittern ein Glas Wein einschenkend, sagte: »Unsere liebe Hermine bemerkte, daß man für die harmlosen Vergnügen, welche die Jugend liebt, auf unseren trefflichen Georg – verzeihen Sie, Georg, daß ich Sie bei dem alten familiären Namen nenne – nicht rechnen dürfe, weil unser junger Freund so viel andere, und geben wir es zu, wichtigere Sachen in den Kopf zu nehmen hat.«

Der Commerzienrath goß eben eigenhändig in die großem Paßgläser den kostbaren Wein – nur einen Daumen hoch, sonst hatte man nicht die rechte Blume – und er mußte dabei so seine Gedanken zusammennehmen, daß es ihm erst nach einer kurzen Pause in eigenthümlich gedehntem Ton zu antworten möglich war: »Wichtigere Sachen! Ah, ist das ein Weinchen! – wichtigere Sachen? – wahrhaftig, die Blume des Rheins! – in den Kopf zu nehmen? freilich, wir haben heute Morgen einen Vertrag gemacht: er verkauft mir Zehrendorf und ich kaufe ihm das Grundstück neben unserer Fabrik in Berlin – ich glaube, daß dergleichen einem Jeden ein wenig durch den Kopf gehen würde.«

Ich war auf das Höchste erstaunt, den Commerzienrath, den ich als einen vorsichtigen Mann kannte, über eine Angelegenheit, welche wir vor ein paar Stunden unter uns abgemacht hatten und die ich durchaus für ein Geschäftsgeheimniß hielt, hier, im Kreise seiner Gäste, so offen sprechen zu hören – noch dazu in Gegenwart des Justizrathes, für welchen[204] meine Dazwischenkunft zum mindesten nicht schmeichelhaft war – ich sage, ich war so erstaunt über dieses ganz ungeschäftsmäßige, unbegreifliche Vorgehen des sonst so klugen alten Mannes, daß ich fühlte, wie mir die Röthe der Verlegenheit heiß in die Stirn stieg.

Und wieder ging ein Schweigen durch den Speisesaal; wieder vertiefte sich der Ausdruck in den Gesichtern der Anwesenden um einen Farbenton und diesmal war es Herminens Stimme, die das Schweigen unterbrach: »Habe ich Ihnen nicht gesagt, Emilie, daß Herr Hartwig ein schrecklicher Aristokrat ist? Er kann es nicht mit ansehen, daß ein so altes Gut in anderen als in adeligen Händen ist. Dergleichen ist für uns Plebejer nichts. Ob wir von einem Orte fort sollen, den wir im Laufe von sieben Jahren denn doch lieb gewonnen haben – was kommt darauf an? Wir müssen mit Allem vorlieb nehmen und zufrieden sein, daß wir überhaupt nur irgend wo sind.«

Es war ein Schwingen in dem Ton ihrer Stimme und ihre Augenlider rötheten sich, als wenn sie nur mit Mühe die Thränen zurückhalte; die Stille wurde immer stiller und der Commerzienrath hätte gar nicht so zu schreien brauchen: »das ist nun einmal nicht anders! Gottesdienst geht vor Herrendienst; und, wie Georg geartet ist, glaubt er seinem Gott zu dienen mit jedem Dreier, welchen er den armen Teufeln von Arbeitern mehr zu verdienen giebt: und wenn er schon schlecht auf Herrendienst zu sprechen ist, so ist ihm Frauendienst ganz und gar ein Gräuel.«

»Das ist nicht Deine Devise, Arthur!« sagte der Steuerrath in aufmunterndem Tone.

»Noblesse oblige!« rief die Steuerräthin dringender.

»Mon coeur aux dames!« sagte Arthur, indem er, die sorgsam gepflegte Hand auf sein Herz legend, sich gegen seine Cousine verbeugte.

Der Justizrath und seine Damen sagten nichts, sondern begnügten sich, einander bezeichnende Blicke zuzuwerfen: daß dies eine Familienangelegenheit sei, in welche einzumischen sie, die Fremden, sich wohl hüten würden.

Und wiederum eine verlegene Pause, die diesmal, wo die Situation auf ihrem Höhepunkt angekommen zu schein schien, dadurch unterbrochen wurde, daß Wilhelm Kluckhuhn sich in einer Weise schneuzte, wie es für einen wohlerzogenen Bedienten,[205] selbst in Augenblicken lebhaftester Kümmerniß, gänzlich unstatthaft ist. Fräulein Duff, welche während der letzten Worte des Commerzienrathes die mageren Hände krampfhaft über der Brust gefaltet hatte – mit der blassen Miene eines Menschen, der seine Hoffnung nur noch auf ein besseres Jenseits gesetzt hat – brach in ein hysterisches Weinen aus, und Hermine, sich plötzlich erhebend und das Spitzentuch auf Stirn und Wangen drückend, sagte, sie bitte um Entschuldigung, wenn sie die Gesellschaft durch ihre böse Laune gestört habe, aber ihre Kopfschmerzen seien so arg, daß sie sich auf ihr Zimmer zurückziehen müsse.

Ich glaube nicht, daß irgend Jemand von den Anwesenden an diese Kopfschmerzen glaubte, was natürlich nicht verhinderte, daß die beiden Eleonoren von ihren Stühlen auffuhren, und, sich von rechts und links der schönen Leidenden nähernd, jedenfalls im Begriffe waren, die günstige Gelegenheit zu einer rührenden Gruppe zu benutzen. Aber Hermine hatte bereits den Arm ihrer schluchzenden Gouvernante ergriffen und verließ das Zimmer mit einem schmerzlichen Lächeln auf den Lippen, welches für die ganze Gesellschaft bestimmt schien – außer für mich.

Ihr Blick war über mich hingeglitten, als ob mein Stuhl unbesetzt sei; und dies schien auch die übrige Gesellschaft anzunehmen. Niemand hatte noch ein Wort, einen Blick für mich und ich habe es dem Wilhelm Kluckhuhn nie vergessen, daß er in diesem verhängnißvollen Augenblicke den Muth hatte, hinter meinen Stuhl zu treten und, mit einer allerdings etwas gepreßten Stimme zu fragen:

»Befehlen der Herr Ingenieur noch ein Glas Hochheimer?«

Ich nahm das Glas und trank es vorsichtig schlürfend mit der Miene des Kenners; aber ich müßte lügen, wollte ich behaupten, daß ich dem herrlichen Gewächs wirklich hätte Gerechtigkeit widerfahren lassen. So sehr ich mir Mühe gab, unbefangen zu erscheinen, befand ich mich doch in peinlicher Aufregung. Es ist ein eigen Ding, von einer jungen Dame auf solche Weise vor einer ganzen Gesellschaft ausgezeichnet zu werden!

Glücklicherweise hatte ich meine Kraft auf keine zu harte Probe zu stellen. Die Tafel wurde bald aufgehoben; die Gesellschaft zerstreute sich sehr rasch, ich ging in die Anlagen,[206] um bei dem beruhigenden Rauch einer Cigarre über das, was geschehen, weiter nachzudenken.

Eines war mir durchaus begreiflich: das Betragen der Gesellschaft bei dieser Angelegenheit. Sie hatte mich einfach fallen lassen in dem Momente, als sie zu bemerken glaubte, daß mein Spiel verloren sei. Wußte ich doch, daß Arthur's Eltern noch immer die Hoffnung nicht aufgegeben hatten, ihr Sohn werde noch einmal seine reiche Cousine heimführen; daß ihre plumpen Schmeicheleien, Arthur's falsche Freundschaftsversicherungen nur ein Mittel gewesen waren, ihre Absichten vor mir wo möglich zu verdecken und nebenbei vielleicht durch Güte auf mich zu wirken, da man wahrscheinlich fürchtete, durch offene Feindseligkeit die Sache nur schlimmer zu machen. Der Justizrath, die beiden Eleonoren – sie schwammen eben mit dem Strom! Sie und die Andern – das war Alles, Alles nur zu erklärlich; aber der Commerzienrath! der Commerzienrath! Sah es nicht gerade so aus, als ob er die peinliche Scene über Tisch direct provocirt oder doch geflissentlich so weit habe kommen lassen? Er verstand es sonst sehr gut, einem Gespräch, das ihm nicht gefiel, eine andere Wendung zu geben. Und wenn es ihm wirklich um meinen Bei stand in der Verkaufsangelegenheit zu thun war, weshalb hatte er schon jetzt, wo noch Alles in der Schwebe, mit Hermine davon gesprochen? weshalb mich ihr als den Urheber oder doch hauptsächlichen Beförderer des ihr so verhaßten Projectes hingestellt? Hatte er sich einfach durch mich decken wollen? ein solches Manöver sah ihm ganz ähnlich: er hatte die Gewohnheit, Lasten, die ihm zukamen, auf Andere abzuwälzen – oder war das noch nicht Alles? Hatte der alte schlaue Mann nur einmal wieder eines seiner Tintenfisch-Manöver ausgeführt und sich in eine dunkle Wolke vollkommener Unbefangenheit gehüllt? nichts, gar nichts, was um ihn her vorging und wobei er so betheiligt war, gesehen? nichts von Allem gewußt? und jetzt nur so ganz zufällig, so ganz unschuldiger Weise seinen jungen Freund der schönen, leidenschaftlichen Tochter gegenüber in eine unhaltbare Lage gebracht?

Das Blut stieg mir heiß in die Stirn, als ich bis zu dieser Schlußfolgerung kam und eine mir ganz neue Empfindung bemächtigte sich meiner immer mehr. Es war mir sonst herzlich leicht geworden, meinen Beleidigern zu vergeben, so[207] leicht, daß ich mich manchmal einen Schwächling, einen Menschen ohne Herz und ohne Galle genannt hatte; warum wollte mir, was mir sonst so leicht wurde, heute nicht gelingen? Warum kam mir jetzt jeder Blick, mit dem man mich über Tisch scheel angesehen, die Vernachlässigung, die Gleichgültigkeit, die man urplötzlich gegen mich zur Schau getragen – warum kam mir das Alles bis auf die kleinste Einzelheit wieder in Erinnerung? und weshalb war mir, als ob ich ersticken müßte an dem, was ich vorhin mit scheinbar so viel Gemütsruhe hingenommen hatte? Ja, es war eine neue Ader in mir, auf die ich plötzlich getroffen war, eine Ader, aus der ein schwarzes, galliges Blut in mein sonst so leichtes Blut überströmte. Ich fühlte durchaus als einen physischen Vorgang, was doch nur, oder doch ursprünglich nur ein Vorgang in meinem Gemüthe war: die erste heftige Regung des Ehrgeizes, das leidenschaftliche Verlangen, mit seiner Person zur Geltung zu kommen; die Demüthigung, die Beschämung, wenn das Gegentheil der Fall ist; der verzweifelte Entschluß endlich, aus dem Kampfe als Sieger hervorzugehen, trotz alledem und alledem!

Welches war dieses Ziel? Dasselbe noch, das ich vor Augen hatte, als ich hierher kam? oder ein anderes? oder jenes und dies andere zu gleicher Zeit? Ach, es mochte mir in dieser Stunde wohl die Ahnung kommen von der Tiefe jener melancholischen Weisheit, daß es schwer, daß es unmöglich sei, Gott zu dienen und dem Mammon!

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Sämtliche Werke. Band 2, Leipzig 1874, S. 199-208.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Hammer und Amboß
Hammer Und Amboss; Roman. Aus Hans Wachenhusen's Hausfreund, XII (1869 ) (Paperback)(English / German) - Common
Friedrich Spielhagen's sämtliche Werke: Band X. Hammer und Amboss, Teil 2
Hammer Und Amboss; Roman in 5 Banden Von Friedrich Spielhagen
Hammer Und Amboss: Roman... Volume 2
Hammer & Amboss (German Edition)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon