Siebenundzwanzigstes Capitel.

[297] Aber ich hatte das Haus kaum verlassen, als mir einfiel, daß der Fürst nach dem, was geschehen, unmöglich noch im Theater sein könne. So schlug ich denn den Weg nach seinem Palais ein. Es mochte gegen neun sein; der Abend war sehr rauh geworden, trotzdem wir uns schon im Anfang des März befanden; der Schnee stöberte durch die windige Luft und wirbelte um die Ecken; die Fußgänger eilten mit aufgeschlagenen Kragen und vornübergebeugten Köpfen, und ich mußte des Abends denken, vor einem Jahre, als ich die Unselige hier im gelben Licht der Laternen an den Trittstufen zu dem Portale des Palais sah, vor welchem ich jetzt athemlos anlangte. Die Rache, die damals aus ihren dunklen Augen gesprüht, die ihr Mund geathmet, die Rache, zu der sie mich damals vergebens geworben mit dem höchsten Preise, den ein Weib bezahlen kann, – die süße, schreckliche Rache, sie hatte endlich den rechten Mann dafür gefunden!

Ich hatte durchaus das Gefühl, daß dies hatte so kommen müssen, daß ein Fatum, ein längst beschlossenes, dem weder ich, noch irgend Jemand Widerstand leisten könne, hereingebrochen sei; ich fragte mich, was mich hierhergeführt, was ich hier wolle? und konnte keine Antwort darauf finden, als ich bereits in dem steinernen Vorsaal stand und den alten Diener,[297] den man herbeigerufen, beschwor, mich zu seinem Herrn zu führen.

»Ich darf Niemand vorlassen;« sagte der alte Mann.

Er sah sehr verstört aus, seine Stimme bebte, als er das sagte, und die welke Hand, die er abwehrend erhoben hatte, zitterte.

In diesem Augenblick wurde die Thür, die zu dem Zimmer führte, in welchem der Fürst mich heute Nachmittag empfangen, geöffnet, der Graf Schmachtensee trat heraus und kam an uns vorüber mit demselben starren Blick, den ich im Theater an ihm bemerkt hatte. Ohne Zweifel brauchte er sich jetzt nicht, wie vorhin, Mühe zu geben, an mir vorbeizusehen; er sah mich wirklich nicht. So war, was ich gefürchtet, was ich hatte fürchten müssen, in vollem Gange! Ich konnte mich nicht länger halten und eilte, ohne auf die abwehrende Bewegung des alten Dieners zu achten, durch die Thür, aus welcher der Graf gekommen, durch ein großes Vorzimmer, in das zweite, dessen offene Thür mir bereits den Fürsten, an seinem Schreibtische sitzend, gezeigt hatte.

»Dies an den Herrn Hartwig, sogleich!« sagte er, indem er, ohne aufzublicken, mit der Linken einen Brief hin hielt, während er die Stirn in die Rechte stützte.

»Ich bin es selbst,« sagte ich, ihm den Brief aus der Hand nehmend, die ich dann in der meinen festhielt.

Die Hand war kalt; und bleich war das Gesicht, das er jetzt zu mir wandte, todtenbleich; nur daß auf der rechten Wange ein rother Fleck glühte, als hätte ihn da des Henkers Hand eingebrannt.

»Sie hier?« fragte er erstaunt. »Nun das ist ja schön, da kann ich Ihnen gleich sagen, was der Brief enthält, den ich einzustecken bitte: die schriftliche Wiederholung der Verabredung, die wir heute getroffen haben, mit dem Zusatz, daß ich den Fürsten, meinen Vater, gebeten habe, diese Verabredung auf jeden Fall auszuführen, auf jeden Fall!«

Ich hielt noch immer seine Hand erfaßt und versuchte vergeblich ein Wort hervorzubringen. Wenn ich für die Theilnahme, die mir der Mann einflößte, noch einer Erklärung bedurfte – ich hatte sie jetzt, ich hielt sie in den Händen, und dieser Mann sollte das Opfer eines schnöden Verrathes werden! Dieser Mann, der durch alle Verführungen seines Standes und Reichthums sich den angebornen Edelmuth und die[298] Güte seines Herzens so rein bewahrt hatte, sollte in die Schlinge fallen, an die er vor Jahren mit übermüthig-jugendlichem Fuße gerührt!

Und das war es, was ich ihm sagte, als ich endlich die Worte fand, und ich sagte auch, daß ich den Gedanken nicht ertragen könne; und ob es kein Mittel, keines gäbe, sich aus den Schlingen zu lösen.

»Setzen Sie sich,« sagte der Fürst, der sich erhoben hatte, indem er mich an den Kamin führte, in welchem das Feuer behaglich flackerte, auf einen Sessel deutete, und mir gegenüber Platz nahm. »Habe ich es nicht gesagt, daß Sie ein Original sind? Denn nur ein Mann, der sich bis in sein dreißigstes Jahr den frommen Kindersinn bewahrt hat, das heißt ein Original, kann auf den Einfall kommen, einen Fürsten von Prora zu fragen, ob es nicht möglich sei, die Schmach, die man ihm in Gegenwart von ein paar Dutzend Zeugen angethan, geduldig durch sein ganzes Leben zu tragen.«

Er sagte das sehr freundlich und mit dem Bestreben zu lächeln; aber seine bleichen Lippen zuckten und der rothe Fleck auf seiner Wange glühte tiefer auf.

»Ich bin kein Kind, Durchlaucht,« sagte ich, »aber wohl mag es sein, daß ich, einsam wie ich gelebt habe, mich wenig verstehe auf die große Welt und was darin Brauch und Sitte und Regel ist. Ich weiß nur, daß in meinem Herzen eine Stimme schreit: es darf nicht sein! Und dann, wenn auch diese Stimme auf dem Markte des Lebens machtlos verhallt, muß es denn sein? muß es wirklich sein, nach den Paragraphen jener Ehre, die ich nicht verstehe?«

»Ja, es muß sein,« erwiederte der Fürst, »auch ich habe es – nicht um meinetwillen, sondern um dererwillen, denen ich gern etwas geworden wäre, überlegt, aber es muß sein!«

»Und Ihre Stellung?« fing ich an.

»Schützt mich nicht,« entgegnete der Fürst mit einem Lächeln, wie eines Lehrers, der die thörichten Einwürfe eines Schülers widerlegt. »Ich bin kein souverainer Fürst, wenn auch meine Vorfahren souverain waren. Ich bin ein Edelmann, wie andere auch, und denselben Gesetzen unterworfen, und mein Beleidiger ist ebenfalls ein Edelmann. Die Sommer-Brachenfelde, von denen er in gerader Linie abstammt, sind ein uraltes Geschlecht, so alt fast, wie das meine.«

»Aber ein notorischer Wüstling, ein elender Abenteurer,[299] wie dieser Mensch, hat er nicht das Recht verscherzt, von einem Fürsten Prora vor die Mündung seiner Pistole gefordert werden zu können?«

»Ich glaube nicht;« erwiederte der Fürst immer mit demselben freundlichen Lächeln. »Der Mann ist ein Abenteurer, freilich; aber ich habe mir in Irland einen Burschen zeigen lassen, der von den legitimen Königen der grünen Erin abstammte und die Schweine hütete; und in Paris in einem Café-chantant habe ich den veritablen Sprößling einer alten Herzogs-Familie gesehen, der vor einem Publikum von Blousenmännern und Freudenmädchen obscöne Lieder zur Guitarre sang. Dagegen ist ein königlicher Hofschauspieler eine sehr respectable Persönlichkeit. Und dann, bin ich meiner Zeit kein Wüstling gewesen? und kann ich wissen, was aus mir geworden wäre, wenn der Familienrath mich wirklich von der Succession ausgeschlossen und mich mit irgend einer Abfindungssumme in die Welt gestoßen hätte. Die Summe, wie groß sie auch gewesen wäre, würde nicht lange bei mir geblieben sein, und dann – nein, nein, ich habe nach keiner Seite hin das Recht, ja auch nicht einmal einen Vorwand, mich nicht zu schlagen, selbst wenn ich nach einem Vorwand suchte.«

Der Fürst schwieg. Draußen fegte der Winterwind durch die Straßen und heulte und winselte um das Palais, wie ein hungriger Wolf um die Hürde, und hier im Zimmer strömte das Licht so mild aus den Lampen auf den Marmortischen über die prächtigen Möbel, und in dem Kamin flackerte und knisterte die Flamme so behaglich, und umgeben von all' der Pracht, umflossen von dem milden Licht, vor dem Feuer seines Heerdes saß der Herr dieses Hauses, der auch nicht einmal nach einem Vorwande suchte, sich nicht zu schlagen mit einem Abenteurer, der vermuthlich nichts zu verlieren hatte, als sein nacktes Leben.

»Ich suche nach keinem,« sagte der Fürst noch einmal, »ja, ich glaube, ich würde selbst den allerüberzeugendsten, wenn er sich wirklich fände, zurückweisen. Ich will nicht davon sprechen, daß es mir unmöglich dünkt, in dem Bewußtsein dieser Schmach fortzuleben – so unmöglich, als sollte ich mein Leben mit Beutelschneiden fristen – aber ich habe durchaus das Gefühl, daß dies ein Verhängniß ist, welches über mich hereingebrochen, und gegen das sich zu sträuben ganz vergeblich wäre.«[300]

Er hob die Augen, als er das sagte, und sein Blick streifte über das Bild des jungen Cavaliers in der phantastischen Tracht, von dem er mir gesagt hatte, daß es seinen Vater vorstelle, und das in einiger Entfernung vor uns, von dem Lichte einer großen Lampe hell erleuchtet, an der Wand hing.

»Ganz vergeblich,« wiederholte er, mit einem tiefen Seufzer den Blick von dem Bilde ab auf die Flamme des Kamins wendend, auf welche die starren Augen gerichtet blieben, während die bleichen Lippen sich zu einem Worte bewegten, das nicht herauskam und das ich doch deutlich zu hören glaubte: »ganz vergeblich!«

Das war derselbe böse Zauber, der von Anfang an auf mir gelegen hatte. Was geschehen war eben jetzt, es war lange, lange vorbereitet gewesen; es hatte schon in den Sternen gestanden, die an dem herbstlichen Himmel funkelten in jener Nacht, als der junge Fürst von Prora durch den Park von Zehrendorf zu seinem Liebchen schlich. Ich saß da, die fiebernde Stirn in die Hand gedrückt, und dachte jener Nacht, und daß ich sie hatte beschützen sollen, die damals nicht hatte beschützt sein wollen, die schon damals nichts als Verrath gesonnen und gesponnen, die schon damals eine Buhlerin gewesen war; die, wenn ich der Aussage des guten Hans glauben durfte, ihren Liebhaber viel mehr verrathen hatte, als sie von ihm verrathen war, und die trotzdem wie eine Rachefurie den Mann verfolgte, der weiter keine Schuld gegen sie hatte, als, daß er der erste gewesen war, wenn er es war!

Ich mußte diese Gedanken, wie sie durch meinen Kopf gingen, laut gesagt haben, während der Fürst in dem Gemache auf und abschritt und endlich neben mir stehen blieb, mir die Hand auf die Schulter legend. »Sie guter Mensch,« sagte er, »wie treu Sie es meinen! Und wie Sie die Schuld häufen, die ich immer noch nicht abgetragen habe, die ich so gern abtragen möchte, bevor es zu spät ist. Vielleicht kann ich es dadurch, daß ich Ihnen gegenüber thue, wozu ich mich gegen Niemand sonst herbeilassen würde; daß ich mich zu rechtfertigen suche über die Rolle, die ich in diesem unseligen Handel gespielt habe. Und vielleicht bin ich es auch ihr schuldig und ich möchte gern alle meine Schulden bezahlen; ich möchte, daß ein Mensch lebt, der weiß, wenn Fürst Carl von Prora sterben sollte, wie und warum er denn eigentlich gestorben ist.«[301]

Er machte eine abwehrende Handbewegung und fuhr fort, die schönen, sanften Augen regungslos auf den Kamin gerichtet, in welchem die Scheite allmälig verglimmten:

»Sie meinten, Konstanze habe nie geliebt, weder mich noch einen Andern, sie könne gar nicht lieben und man könne deshalb auch nicht an ihr zum Verräther werden. Sie haben mich so zu rechtfertigen geglaubt; aber es stimmt nicht: Konstanze hat mich wirklich geliebt und ich habe sie dennoch nicht verrathen. Ob ich sie geliebt habe? das ist eine andere Frage, die ich wohl kaum bejahen möchte, die ich um vieles nicht bejahen möchte! Ich war sehr jung, als ich sie zuerst in dem unglücklichen Bade sah, ein halber Knabe, und wie so Knaben lieben: phantastisch, scheinbar innig und doch ohne alle Tiefe – so mag ich sie denn auch geliebt haben. Ich geberdete mich wenigstens wie ein Rasender, als mein Vater kam und mir sagte, daß ich die Tochter eines professionirten Spielers, eines notorischen Schmugglers nicht heirathen könne, um so weniger, als sie nicht das legitime Kind dieses schrecklichen Vaters sei. Doch das wissen Sie, das habe ich Ihnen schon selbst erzählt, und es war das auch Alles, was er mir sagte, aber nicht Alles, was er mir hätte sagen können, hätte sagen sollen. Und daß er mir nur die halbe Wahrheit gesagt, daß er das Wichtigste verschwieg – aus einer, wie ich es jetzt sagen muß, falschen Scham vor seinem Sohn, dem er nicht in dem Licht eines bösen Beispiels er scheinen wollte, aus Pruderie vor der Welt, die ihn schon längst als den Beschützer der Kirche, als den gottesfürchtigen Herrn kannte – das ist der böse Samen, aus dem all' dies Unheil hervorgewachsen ist, für mich, für ihn selbst.

Ich kann nicht sagen, daß die Abmahnung des Fürsten ganz vergeblich gewesen wäre, aber auch nicht, daß sie mich überzeugt hätte. Ich war eben ein Knabe, ein wilder, ungezogener Knabe, gewohnt meinen Willen zu haben, weil es mein Wille war, meinen Willen zu haben, oft gegen meinen Willen. So war es auch in diesem Falle. Der Fürst, überzeugt, daß ich ihm gehorsam sein würde, hatte die Unvorsichtigkeit begangen, mich, in Begleitung meines Gouverneurs, nach Rossow zu schicken, damit ich da jagen, meine zerrüttete Gesundheit wieder kräftigen und nebenbei um die schöne Comtesse Griebenow werben könne, die mir von den beiden Häusern zugedacht war. Wie leicht es einem achtzehnjährigen Jungen,[302] der Geld genug in der Tasche hat, wird, seinen alten Lehrer zu täuschen, seine Diener zu bestechen – das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Ich war am Morgen drüben in Griebenow und des Abends – Sie wissen wo. So spielte das Stück, das durch unsere Begegnung im Walde fast zu einem jähen Ende gekommen wäre, bis es mir schon am folgenden Tage gelang, einen längst entworfenen Plan auszuführen und die Geliebte zu entführen.

Ich hatte meine Vorbereitungen so gut getroffen, daß ich den Nachforschungen des Fürsten entgehen konnte, trotzdem er Himmel und Hölle aufbot, der Flüchtlinge habhaft zu werden. Er hätte sich ohne Zweifel selbst aufgemacht, nur daß ihm der Schreck über das Geschehene sein altes gichtiges Leiden in bedenklichster Weise zurückgebracht hatte. Und wohl hatte er Ursache, erschrocken zu sein.«

Der Fürst erhob sich plötzlich von seinem Sitz und machte ein paar Gänge durch das Zimmer, wobei er einmal wieder vor dem Bilde seines Vaters stehen blieb und finstern Blickes hinauf sah. Dann kam er wieder zu seinem Stuhle zurück.

»Ich war bereits bis München gekommen, als der Alte, den Sie gesehen haben, uns einholte. Er war mit einem Briefe ausgerüstet, der in Chiffren, in welchen wichtige Nachrichten von den Mitgliedern meiner Familie untereinander ausgetauscht werden, von meines Vaters Hand wenige Zeilen enthielt, die ich las, um laut aufzulachen. Die Zeilen lauteten: Ich beschwöre Dich bei Allem, was Dir heilig ist, trenne Dich sofort von ihr, wenn Du nicht eine entsetzliche Schuld auf Dich laden willst: Konstanze von Zehren ist Deine Schwester.«

»Um Gotteswillen!« rief ich.

»Ich lachte, wie gesagt,« fuhr der Fürst fort, »lachte wie toll über den famosen Einfall, und wurde dann auf einmal sehr ernst und fühlte, wie ein Schauder mir über den Leib lief, der bis in's Herz drang und in dem Herzen sitzen blieb.«

»Ich war in der Depesche, bis der Fürst im Stande sein werde, mir ausführlich zu schreiben, für eine vorläufige Erklärung an den Alten gewiesen. Er, der von Jugend auf dem Fürsten attachirt gewesen war, ihn auf allen seinen Fahrten begleitet hatte, konnte freilich besser wissen, als irgend ein Anderer, was an der Sache sei. Er war mit dem Fürsten[303] in Paris zu der Zeit, als Herr von Zehrendorf auf seiner wilden Flucht von Spanien mit seiner Geliebten dort ankam. Die Herren waren vormals sehr intim gewesen; man hatte die beiden jungen, schönen Männer, als sie an unserem Hofe gleichzeitig verkehrten, Orestes und Pylades genannt. Aber es scheint, daß die Freundschaft sehr erschüttert war, als der Fürst seine Gemahlin, meine Mutter, heimführte, um die auch Herr von Zehren geworben. Ob der Fürst seinem Jugendfreunde dies nicht vergeben konnte, ob Herr von Zehren, der ein überaus leidenschaftlicher Mann gewesen sein muß, auch noch später dem Fürsten Veranlassung zur Unzufriedenheit gegeben – ich weiß es nicht; aber es scheint, daß der Fürst nicht nur von den persönlichen Reizen der jungen Spanierin gefesselt wurde, die von Gewissensbissen gefoltert und vielleicht ebenso wankelmüthig als sie schön gewesen sein soll, dem Freunde ihres Geliebten ein Vertrauen schenkte, das dieser mißbrauchte; vielleicht auch wirklich eine Liebe, die er nur nicht zurückwies. War der Fürst der Vater des Kindes, welches neun Monate nach diesen Ereignissen geboren wurde? Eine Gewißheit war, wie dies in solchen Fällen zu sein pflegt, nicht vorhanden, und die Zweifel, die der Fürst nach dieser Seite hin hegte, wären vielleicht nie beseitigt, weil die Unglückliche, als sie ein paar Jahre später mit fliegenden Haaren in Rossow, wo sich der Fürst eben aufhielt, sich ihm zu Füßen stürzte, rufend: daß er der Vater ihres Kindes sei, daß er sie und ihr Kind vor ihrem Verfolger schützen und ihr sagen müsse, wo der Weg nach Spanien gehe – weil sie, sage ich, damals bereits wahnsinnig war; aber einige andere Umstände sprachen allerdings dafür. Eine alte Dienerin – dasselbe entsetzliche Weib, das auch noch später bei Konstanze war und das Sie ja auch gekannt haben werden – sagte aus, ihre junge Gebieterin habe ihr von Anfang an versichert, Herr von Zehren sei nicht der Vater des Kindes. Auch sie mochte lügen; aber die Natur pflegt sich dergleichen nicht zu Schulden kommen zu lassen. Konstanze hat den Mann, der für ihren Vater galt, gehaßt, ich möchte sagen, von Kindesbeinen an; und der Fürst fand in dem Kinde, das er heimlich zu sehen wußte, eine Aehnlichkeit, von der vielleicht noch Spuren selbst auf jenem Bilde zu entdecken sind.«

Der junge Mann deutete mit zitternder Hand auf das Portrait seines Vaters; aber er sagte nur, was ich selbst, während[304] er mir diese entsetzliche Geschichte erzählte, schon längst gefunden hatte. Er mußte in meinen Mienen lesen, was mein Mund auszusprechen sich scheute, denn er fuhr, die schönen, schwermüthigen Augen starr auf mich gerichtet, fort: Sie finden es auch, nicht wahr? Man findet das Wahre leicht, wenn mit dem Finger darauf gedeutet wird, und so fand ich es, als mir der Alte seine fürchterliche Beichte gemacht hatte. Aber wie aus der unseligen Verstrickung sich lösen? Ich hätte vielleicht dem Befehle des Fürsten nicht gehorchen, hätte Konstanze Alles sagen müssen; aber ich kann nicht oft genug wiederholen, daß ich noch sehr jung und wenig im Stande war, die Folgen meiner raschen Entschlüsse zu überlegen. So meinte ich es denn wunder wie gut zu machen, wenn ich Konstanze wo möglich für die Liebe, vor der mich jetzt schauderte, Haß einflößte, zum wenigsten Entfremdung. Die Mittel, um zu diesem Ziele zu gelangen, hatte sie mich selbst gelehrt. Ich erwiederte ihre Launen mit Launen, ihren Trotz mit Trotz; ich spielte mein Spiel so gut, daß ich es wohl gewinnen mußte. Was sie darunter gelitten – das habe ich nie aus ihrem Munde gehört, aber ich sah es an ihren täglich blasser werdenden Mienen, ich sah es an ihren oft in Wahnsinn flammenden Augen. Endlich kam die Katastrophe. Ich hatte mich nach einer heftigen Scene, die ich provocirt, in Neapel, wohin das unglückliche Paar mittlerweile gekommen war – ich weiß heute selbst noch nicht wie oder warum – von ihr getrennt, in der festen Ueberzeugung, daß sie die reichlichen Mittel, die ich ihr zurückgelassen, zur Rückreise, zu einer Flucht benutzen würde, mit der sie mir schon so oft gedroht. Aber das wäre zu wenig der Rache gewesen, welche sie für meinen Verrath an mir nehmen zu müssen glaubte. Sie, die ich für unsäglich stolz gehalten, sie hatte sich dem Ersten, Besten als Maitresse in die Arme geworfen, einem albernen Fant, dessen Bekanntschaft wir unterwegs gemacht. Mich schaudert, denke ich daran, was die Unglückliche dieser erste Schritt gekostet hat, und mich schaudert, muß ich denken, wie wenig, wie so gar nichts die weiteren Schritte sie gekostet haben.

Der arme Mann seufzte tief und sein Seufzer erweckte in meiner Brust ein fürchterliches Echo. Wußte ich doch selbst nur zu gut, hatte ich es doch selbst erfahren, wie wenig, wie so nichts die Unglückliche ein Schritt weiter auf ihrer unseligen[305] Bahn kostete!

»Wohin wollen Sie?« sagte der Fürst.

Ich war aufgesprungen und hatte ein paar Schritte nach der Thür gethan.

»Wohin wollen Sie?« wiederholte er.

Ich griff mit beiden Händen an die Schläfen, die mir zu springen drohten. »Ich weiß es nicht,« sagte ich; »ich weiß nur, daß dieses Duell nicht zu Stande kommen darf.«

Der Fürst zuckte lächelnd die Achseln.

»Es ist allerdings wunderlich genug,« sagte er.

»Und es giebt kein Mittel, keins?« rief ich.

»Ich wüßte nicht,« sagte der Fürst mit demselben wehmüthig freundlichen Lächeln; »der junge Mensch müßte denn erklären, daß er wahnsinnig sei. Und auch das würde noch nichts helfen denn Jemand, der sich für wahnsinnig erklärt, ist es eben nicht – ach, da bist Du ja schon, lieber Edmund!«

Ich hatte nicht gesehen, daß hinter mir Graf Schmachtensee in das Zimmer getreten war. Der Fürst ging ihm entgegen und reichte ihm die Hand; der Graf sagte: »ich komme –« brach aber dann kurz ab und richtete seine starren, verwunderten Augen auf mich, den er eben erst bemerkte.

»Ich muß Sie jetzt entlassen,« sagte der Fürst; »ich danke Ihnen recht herzlich für Ihren Besuch, recht herzlich;« und dabei drückte er kräftig mit seiner frauenhaft schlanken Hand meine Hand; »leben Sie wohl!«

Ich war schon an der Thür, als er mir nachkam und mir nochmals die Hand reichte. »Leben Sie wohl,« sagte er, und setzte dann in leisem Ton hinzu: »wenn auch für immer.«

Ich stand auf der Straße, der Schnee flog mir in's Gesicht. Als ich mich nach dem Palais umwandte, sah ich durch die heruntergelassenen Gardinen die Schatten zweier Männer, die neben einander auf- und abgingen. Es waren der Fürst und sein Vetter; ich wußte, was sie mit einander verhandelten, und daß keine Minute zu verlieren war. Ich rief einen Fiacre an, der gerade vorüberkam, und hieß ihn, so schnell er könne, nach der Wohnung des Schauspielers von Sommer fahren, der sich Lenz nannte.

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Sämtliche Werke. Band 2, Leipzig 1874, S. 297-306.
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