[287] Der Fürst empfing mich mit einer Zuvorkommenheit, die ich fast herzlich nennen durfte. Er war vor einer halben Stunde angekommen. Die Reise durch den kalten Wintertag schien ihm besonders wohl gethan zu haben; er sah frisch und blühend aus, wie ich ihn nie zuvor gesehen; und so war auch in seinem ganzen Wesen eine Elasticität, in seiner Rede eine Lebhaftigkeit, daß ich Mühe hatte, in dem Manne den blassen Träumer aus dem altersgrauen Jagdschloß von Rossow wieder zu erkennen.
Ich konnte mich nicht enthalten, ihm zu dieser Veränderung, die ich seiner verbesserten Gesundheit zuschrieb, zu gratuliren. Er schien das gern zu hören, und meinte, es sei für ihn auch die höchste Zeit, mit den Kinderkrankheiten fertig zu[287] werden. »Ich hatte mir immer vorgenommen,« sagte er, »daß man an mir einen Mann finden solle, sobald die Zeit dazu gekommen wäre, und ich glaube, daß sie gekommen ist. Gott erhalte den Fürsten, meinen Vater, noch lange am Leben! aber nach menschlicher Berechnung sind seine Tage gezählt! Man hat das Recht, zu verlangen, daß mich ein Ereigniß, welches in das Schicksal von Tausenden eingreift, nicht unvorbereitet finde.«
Der Fürst hatte diese letzten Worte sehr ernst gesprochen. Er war, in dem Salon auf- und abgehend, vor einem Portrait stehen geblieben, das einen jungen, sehr schönen Mann in einer reichen, phantastischen Tracht darstellte.
»Sonderbar,« sagte der Fürst, »daß das Leben uns so mitspielen kann! Sehen Sie, dies Bild ist das des Fürsten, meines Vaters, in seinem achtundzwanzigsten Jahre. Er hatte das Costüm auf einem Maskenball bei Hofe getragen, und ein ungeheures Furore gemacht; die hochselige Königin hatte durchaus gewollt, daß er sich für sie malen lasse. Es ist dies eine Copie des Originals. Finden Sie nicht –«
Er brach plötzlich ab, und sagte, indem er sich in einen Fauteuil warf und mir ein Zeichen gab, ebenfalls wieder Platz zu nehmen: »Aber ich bin ja nicht gekommen, um mit Ihnen über mich und meine Angelegenheiten zu sprechen Die Ihrigen haben sich, seitdem wir uns zuletzt gesehen, sehr verändert. Wie, Herr, Sie sind ja ein großer Diplomat! Lassen mich da die Kreuz und die Quer sprechen, und Ihnen wer weiß welche wohlwollende Propositionen machen, und keine Miene, kein Wort verräth, daß Sie, so zu sagen, schon über den Berg sind, an dessen Fuß ich noch mit Ihnen zu halten glaube! Wie mögen Sie sich in's Fäustchen gelacht haben! Und der arme Zehren! Er that, als ob er ebenso erstaunt sei, wie ich selber; aber ich denke, er hat recht gut gewußt, wie die Sachen standen, denn, wenn ich ihn auch immer für einen halben Narren gehalten habe, so habe ich ihn jetzt sehr stark im Verdacht, daß er ein ganzer Schelm ist. Ich möchte nur, es nähme mir ihn einer ab; er ist mir manchmal recht zur Last, und wegjagen mag ich ihn doch auch nicht. Ich hatte schon daran gedacht, ihn, wenn Sie mir Zehrendorf verkaufen, als Verwalter dahin zu schicken, oder ihm auch das Gut in Pacht zu geben; dann aber wieder gemeint, Sie möchten das nicht gern sehen. Habe ich nicht recht gehabt?«[288]
»Gewiß, Durchlaucht,« erwiederte ich. »Arthur ist nicht der geeignete Mann für Zehrendorf. Unter seinen Händen würde Alles wieder zu Grunde gehen, was dort an vortrefflichen und gemeinnützigen Anlagen mit einem so großen Aufwand von Kosten geschaffen ist. Ja, ich gestehe, Durchlaucht, wäre es Ihr ernstlicher Wille – wie ich überzeugt bin, daß es eben nur ein Einfall Ihres gütigen Herzens ist – ich würde noch jetzt in der zwölften Stunde versuchen, Zehrendorf meinem Schwiegervater zu erhalten, so sehr mir auch, aus anderen Gründen, daran liegt, es gerade an Sie zu verkaufen.«
»Freilich, freilich, es ist nur so ein Einfall,« sagte der Fürst; »aber weshalb mir dieser schmeichelhafte Vorzug? Sie wissen, daß mir jetzt nicht mehr so viel an der Erwerbung des Gutes liegt, als in diesem Frühjahr, und daß Sie also mit mir einen schweren Stand haben werden.«
»Immer noch einen leichteren, als zum Beispiel mit Herrn von Granow,« sagte ich.
Ein Lächeln spielte um die feinen Lippen des Fürsten. »Da möchten Sie wohl recht haben,« sagte er. »Das ist ein Fuchs, trotz seines Bulldoggen-Gesichtes. Er hat mich schon ein paar Mal durch Zehren und den Justizrath sondiren lassen, ob ich noch immer auf Zehrendorf reflectire. Es scheint, daß er alle Concurrenten beseitigen will, um der Einzige auf dem Platze zu sein und dann im rechten Augenblick, für den ihm der Justizrath wohl den Wink geben wird, das schöne Gut für dreißig Silberlinge zu erstehen. Nein, bei Gott, Sie sollen nicht in die schmutzigen Hände dieses Halsabschneiders fallen, wenn ich es hindern kann.«
»Ich danke Ihnen, Durchlaucht,« sagte ich.
»Ich habe Ihnen zu danken,« erwiederte der Fürst, »daß Sie mir auf's Neue Gelegenheit geben, eine alte Schuld, die ich gegen Sie habe, abzutragen. Ihre Angelegenheit ist mir, seitdem Sie mir schrieben, vielfach im Kopfe herumgegangen, ja ich kann sagen, daß ich dieselbe eigentlich niemals aus den Augen verloren hatte, Dank den guten Freunden Ihres Schwiegervaters. Sie wissen vielleicht selbst nicht, wie viel in unserer Gegend über ihn gesprochen wird, und wie er in dem Ansehen der Leute gesunken ist. Ich sage das zu meinem großen Bedauern, und nur, weil ich glaube, Ihnen, als dem zunächst Betheiligten, mittheilen zu müssen, was Andere Ihnen[289] zu sagen vielleicht nicht den Muth haben, oder aus irgend welchen böswilligen Absichten geflissentlich verschweigen. Der Credit des Commerzienraths scheint mir sehr erschüttert; man erzählt sich von ungeheuren Verlusten, die er in der letzten Zeit erlitten habe; er soll an der Börse speculiren, in allen möglichen gewagten Unternehmungen engagirt sein – was weiß ich. Ich kann Sie versichern, man hält ihn für halb toll, man hält ihn für ruinirt, während freilich die Andern behaupten, der alte Herr sei niemals besser bei Verstande und niemals reicher gewesen, als eben jetzt; und wenn er ein wenig den Narren und den Bankrotteur spiele, so sei das nur eine seiner alten Finten, die ihm noch immer geglückt seien. Was halten Sie denn davon?«
Ich glaubte das Entgegenkommen des Fürsten meinerseits mit Offenheit erwiedern zu müssen; und so schilderte ich ihm ausführlich, so gut ich es konnte, die sonderbare Lage, in welcher ich mich dem Commerzienrath gegenüber befand: die Winkelzüge und Inconsequenzen, die Halbheiten, welche er sich gegen mich hatte zu Schulden kommen lassen; und wie ich glaube, daß er allerdings noch nicht der ruinirte Mann sei, für den ihn seine Feinde ausschrieen, daß er sich aber, wenn er so fortfahre, nothwendig über kurz oder lang ruiniren müsse.
Der Fürst hatte mit Aufmerksamkeit zugehört, und hier und da in meine Auseinandersetzung Fragen eingestreut, die, wenn nicht große Geschäftskenntniß, so doch scharfen Verstand und rasche Fassungsgabe bewiesen. Wir waren dann auf den eigentlichen Punkt, den Verkauf von Zehrendorf zurückgekommen, und hatten uns über die hauptsächlichsten Bedingungen verständigt, als der alte, weißhaarige Diener, den ich schon auf Rossow gesehen, hereintrat, und, an der Thür stehen bleibend, seinem Herrn einen Wink mit den Augen machte.
»Ah,« sagte der Fürst, »ist es schon so spät? das ist ja recht unangenehm! Ich muß nämlich in das Theater: ihre königliche Hoheit, die Prinzessin, meine hohe Gönnerin, die von meinem Kommen unterrichtet war, hat mich wissen lassen, daß sie mich für einen Augenblick in ihrer Loge zu sprechen und Nachrichten über das Befinden des Fürsten, meines Vaters, entgegen zu nehmen wünsche. Aber man könnte vielleicht das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Es wäre immerhin wünschenswerth, zu wissen, wie bald ich die Gelder[290] flüssig machen kann und Hensel – es war dies der Banquier des Fürsten – ist jedenfalls auch im Theater. Ich weiß, der große Mäcen aller Sänger und Schauspieler – die Sängerinnen und Schauspielerinnen, auch die Damen vom Ballet nicht zu vergessen – versäumt keine erste Vorstellung. Es wird sich schon eine Minute finden, wo ich ihn sprechen kann. Das Gescheitste wäre, Sie kämen auch; wir könnten dann noch heute Abend über alle Präliminarien einig sein, und morgen Vormittag von meinem Rechtsanwalt den Contract entwerfen lassen? Wollen Sie?«
»Ich bin für den Abend frei;« sagte ich.
»Ein stolzes Wort für einen jungen Ehemann,« sagte der Fürst lachend. »Nun, im schlimmsten Falle bringen Sie Ihre Frau Gemahlin mit. Ich habe mich so schon lange darauf gefreut, sie kennen zu lernen. Von Rossow aus konnte ich es nicht, ich hatte ja Urfehde geschworen, die Bannmeile des Schlosses nicht zu verlassen. Nun, was sagen Sie? Sie machen ein verlegenes Gesicht! Wie, Herr! die alten Zeiten sind nicht mehr; Sie dürfen, ohne sich etwas zu vergeben, den Fürsten Prora einer keuschen Frau vorstellen.«
»Ich zweifle daran nicht, Durchlaucht,« sagte ich, »indessen meine Frau – ich weiß in der That nicht –«
»Ah so,« sagte der Fürst, »verstehe – kommt in den bestregulirten Familien vor, wie die Engländer sagen. Nun, Sie werden ja sehen. Also à revoir wo möglich, mit Ihrer Frau Gemahlin.«
Der Fürst reichte mir lachend die Hand; ich hatte nicht Ja und nicht Nein gesagt, vermuthlich, weil ich nicht Ja sagen mochte, und doch auch vernünftiger Weise nicht Nein sagen konnte.
Aber es ist doch auch ein zu erbärmliches Ding um einen Menschen, der nicht weiß, ob er Ja oder Nein sagen soll, sprach ich bei mir, während ich durch die Straßen, in welchen es bereits dunkelte, nach meiner nicht sehr entfernten Wohnung schritt; ein Ding, an das du nicht gewöhnt bist, an das du dich nicht gewöhnen darfst.
Und während ich so bei mir sprach, war ich im Begriff, über die Straße hinüber zu gehen, zu einer Hausecke, an welcher ich im Lichte einer Laterne die Theaterzettel sah; aber ich kehrte sofort wieder um. Nein, nein, murmelte ich; du willst deiner Feigheit keinen Vorschub leisten, denn eine Feigheit ist es und bleibt es.[291]
So kam ich zu Hause an, wo mich Hermine ungeduldig erwartete. Ich hatte ihr von meiner Zusammenkunft mit dem Fürsten gesagt, aber nicht, was der Gegenstand derselben sein werde, ohne zu bedenken, daß dies Verschweigen einer Sache, die so bald entschieden werden mußte, zu nichts führen könne, als ihre heimliche Sorge zu vergrößern. Auch das wurde mir klar, als ich in ihre ängstlich auf mich gerichteten Augen blickte. Aber sollte ich auch dies jetzt sagen? Alles auf einmal, was ich ihr bisher so sorgfältig verschwiegen? Eine Verwirrung, die mir den Kopf benahm, eine Angst, die mir das Herz zusammendrückte, bemächtigten sich meiner. Ich wollte aus diesem Zustand heraus, wie Jemand aus einem Zimmer will, in welchem er zu ersticken fürchten muß, und wie ein solcher den ersten besten Ausweg nimmt, den er findet, und wäre es durch das Fenster, so sagte ich, als wenn ich etwas Auswendiggelerntes vorzutragen hätte: »Der Fürst wünscht mich im Theater zu sehen; er hat mir noch eine Mittheilung zu machen, die nicht gut bis Morgen anstehen kann. Er hat auch den Wunsch geäußert, Du möchtest mich wo möglich begleiten. Er ist sehr freundlich gegen mich gewesen; ich fühle mich ihm sehr verpflichtet; ich möchte ihm gern eine Aufmerksamkeit erweisen, wenn Du mich darin unterstützen willst.«
»Sie spielt wohl heute?« sagte Hermine und ihre Lippen zuckten, und ihre Augenbrauen waren finster zusammengezogen.
»Was geht das mich, was geht es uns an? Hermine!«
Ich breitete meine Arme aus, und Hermine lag an meiner Brust. Die ganze, so lange zurückgehaltene Leidenschaft brach mit einem Male aus, sie schluchzte, sie lachte und rief unter Weinen und Lachen: »ja, ja, was geht es uns an! was geht es uns an!«
Ihr süßes Gesicht, das in der letzten Zeit so bleich und manchmal verstört ausgesehen hatte, strahlte von Glück und Leben; ich glaubte, sie nie so schön gesehen zu haben.
»Du wirst Furore machen,« sagte ich scherzend.
»Und das will ich auch!« sagte sie, »es ist keine Kunst, schön zu sein, wenn man so glücklich ist.«
Und sie warf sich wieder in meine Arme und eilte in ihr Ankleidezimmer, aus welchem sie bald in einer einfachen, geschmackvollen Toilette, wie sie sie zu machen verstand, zurückkam.[292]
»Glaubst Du, daß ich mich so vor dem Fürsten sehen lassen kann?« fragte sie schelmisch.
»Vor jedem Könige der Welt!«
»Trotz alledem?« fragte sie mit der reizendsten Bewegung.
»Trotz alledem!«
Der Weg nach dem Theater war sehr kurz, dennoch hatte ich auf diesem kurzen Wege die Zeit, ihr Alles zu sagen, was ich mit dem Fürsten verhandelt: den Verkauf Zehrendorf's, die Nothwendigkeit dieses Verkaufs. Und das holde Geschöpf stimmte Allem, Allem bei. Ach, wohl hatte der Doctor recht: ein Mann kann seiner jungen Frau Alles sagen, aber ich hatte doch auch recht, daß man den gelegenen Augenblick dazu benutzen müsse!
Wir kamen im Theater an. Der Fürst hatte mir gesagt, daß in der Loge, die er für sich bestellt, noch Platz sei, und das war gut, denn das Haus war ausverkauft. Es wurde ein neues Stück gegeben, von einem jungen Dichter, der damals viel von sich reden machte, ein Conversations-Stück, in welchem Konstanze nicht beschäftigt war, wie ich mich durch einen Blick auf den Theaterzettel überzeugte. Es war noch nicht sehr spät, dennoch waren das Parquet und die oberen Ränge schon dicht besetzt, nur die Logen begannen erst sich zu füllen. Auch der Fürst war noch nicht da; er kam, als das Orchester bereits eine Zeit gespielt hatte, in Begleitung eines höheren Offiziers, den er uns als seinen Vetter, den Grafen Schmachtensee, vorstellte. Er sah im Frack und weißer Cravatte, um den Hals ein blaues Band, an welchem ein ausländischer Orden in Brillanten funkelte, ganz reizend und sehr vornehm aus und war die Liebenswürdigkeit selbst gegen Hermine, die er wegen seines späten Kommens um Entschuldigung bat, und dann neben ihr Platz nahm, um weiter mit ihr zu plaudern, und nach einigen Minuten leise wieder aufzubrechen, da die königliche Hoheit, welche ihn zu sich befohlen hatte, eben in ihrer Loge erschienen war.
Oberstlieutenant Graf Schmachtensee, den sein fürstlicher Vetter in einer so bedenklichen Situation zurückgelassen hatte, mochte nicht recht wissen, was er mit uns anfangen solle, bis er auf den glänzenden Einfall kam, mir sein Opernglas anzubieten, das ich dankend ablehnte. So nahm er es denn selbst vor seine gräflichen Augen und blickte nach der Loge uns gegenüber, so lange, daß meine Augen unwillkürlich zuletzt[293] dieselbe Richtung nahmen. Und da sah ich, uns gerade gegenüber, eine Dame, welche in diesem Augenblick ihren Kopf zu einem Herrn, der hinter ihr saß, gewendet hatte, in der ich aber trotzdem auf den ersten Blick Konstanze erkannte.
Ich weiß nicht, welchen Eindruck diese Entdeckung auf mich gemacht haben würde, hätte ich mich mit Herminen nicht eben erst so köstlich verständigt, und auch so noch schlug mir das Herz, als ich bemerkte, daß Hermine in diesem Moment ihr Glas ebenfalls dorthin richtete; aber ich athmete freudig auf und murmelte ein: Gott sei Dank! aus tiefstem Herzen, da sie jetzt das Glas sinken ließ, um die Augen mit einem unbeschreiblich schelmischen Lächeln auf mich zu wenden. Dann blickte sie, als eben der Vorhang emporging, auf die Bühne, ohne noch einmal nach ihr zu sehen, deren Gestalt wohl nur zu oft in der letzten Zeit durch ihre schwermüthigen Träume geglitten war.
Konstanze ihrerseits schien, was auf der Bühne vorging, weniger zu interessiren. Ich sah ihr Glas fast beständig auf uns gerichtet, wenn sie sich nicht mit ihrem Begleiter unterhielt, der sich jetzt neben sie gesetzt hatte und in welchem ich den Schauspieler von Sommer, genannt Lenz, erkannte; oder, rückwärts gewandt, mit ein paar anderen, ebenfalls jüngeren Herren in feinster Toilette und von aristokratischem, wenn auch fremdländischen Aussehen, – es waren ein paar walachische Edelleute, wie ich später erfuhr – die offenbar zu ihrer Gesellschaft gehörten. Unzweifelhaft war von uns die Rede und vermuthlich nicht in der liebevollsten Weise; ich glaubte mehr als einmal zu bemerken, wie sich das blasse Gesicht des Herrn Lenz zu einem widrigen Lächeln verzerrte und ihre Begleiter unter den Opernguckern geradeheraus lachten.
War es das allzu auffällige Interesse, welches die schöne, dem ganzen Publikum bekannte Schauspielerin und ihre Gesellschaft an der Dame ihr gegenüber in der Loge zu nehmen schien; war es die reizende Erscheinung Herminens – aber das Publikum folgte in dem Zwischenact dem gegebenen Beispiel und diese unbequeme, auf uns gespannte Neugier nahm noch zu, als jetzt der Fürst wieder erschien und auf dem Fauteuil neben Hermine Platz nahm. Man stand unten im Parquet auf, um bequemer sehen zu können, man steckte die Köpfe zusammen, blickte dann wieder von Hermine zu Konstanze, und[294] schien zwischen den beiden, in ihrer Art gleich schönen Frauen, die interessantesten Vergleiche anzustellen. Ohne Zweifel hatte auch der Fürst Konstanze bemerkt; aber vergebens, daß ich in seinem Gesicht nach einer Spur des Eindrucks suchte, den diese unerwartete, unselige Begegnung ohne Zweifel auf ihn machte. Er hatte nicht um sonst von Jugend auf sich in Kreisen bewegt, wo es als erste Regel gilt, seine Mienen unter strengster Controle zu halten Er lachte und scherzte auf das scheinbar unbefangenste mit Herminen, nannte ihr die Namen der hochgestellten Personen seiner Bekanntschaft in den Prosceniums-Logen; wandte sich dann wieder zu seinem Vetter und zu mir, und schien sich, Alles in Allem, auf das köstlichste zu amüsiren.
Dasselbe Schauspiel wiederholte sich in dem zweiten Zwischenact, nur daß diesmal noch ein Kammerherr der hohen Frau in unsere Loge kam, um sich im Auftrage seiner Gebieterin bei dem Fürsten nach dem Namen der Dame zu erkundigen, von deren Schönheit und Liebenswürdigkeit ihre Hoheit vollkommen entzückt sei.
Der Fürst theilte uns das lachend mit, als der stattliche Herr sich wieder entfernt hatte, und meinte, es sei gar nicht unmöglich, daß ihre Hoheit uns noch in das Sprechzimmer befehlen würden, und ich möge mich nur auf den Commerzienrath oder auf die vierte Klasse gefaßt machen.
Ich gestehe, daß, wenn ich auch nicht gerade an das Hereindrohen dieses Unglücks glaubte, sich doch meiner, ich weiß nicht wie, immer mehr die Empfindung bemächtigte, als müsse irgend ein nahe bevorstehendes, ernstliches Unheil in der heißen Luft des Saales schweben. Dazu kam, daß ich zu bemerken glaubte, wie Hermine die Hitze, das viele Sprechen, die Aufmerksamkeit, deren Gegenstand sie war, über Gebühr aufregte und angriff, und so bat ich denn, nachdem ich mich mit ihr durch einen Blick verständigt, bei Beginn des dritten Zwischenactes den Fürsten, uns beurlauben zu dürfen, um so mehr, als der Banquier Hensel nicht gekommen war, und also unser Geschäft doch nicht weiter gebracht werden könne. Der Fürst erhob sich sogleich, und bot Herminen den Arm, um sie selbst auf den Corridor zu führen, auf welchen in diesem Augenblick aus dem unerträglich heißen Saale durch alle Logenthüren die Menge strömte.
Es entstand ein Gedränge, und wir wurden von dem[295] Fürsten, der sich eben Hermine empfohlen hatte, schnell getrennt, in dem Augenblicke, als Konstanze am Arm des Herrn Lenz und gefolgt von den beiden Walachen an mir vorüber rauschte. Sie grüßte mich in einer Weise, die unter dem Anschein großer Verbindlichkeit äußerst spöttisch war, aber das blasse Gesicht ihres Begleiters wandte sich nicht für einen Moment zu uns; seine großen Augen, die Jemand zu suchen schienen, hatten einen starren, unheimlichen Ausdruck. Er ließ sogar seine Dame los, ohne Zweifel, um schneller durch die Menge kommen zu können, in der Richtung, in welcher ich den Fürsten zuletzt gesehen. Dann schoben sich wieder andere Personen da zwischen und ich hatte die vier aus den Augen verloren. Hermine, die mit ihrer Toilette beschäftigt gewesen, hatte Konstanze glücklicher Weise gar nicht bemerkt, sie bat mich jetzt, ihr so schnell als möglich hinauszuhelfen. Wir waren bereits die Treppe ein paar Stufen hinabgegangen, als plötzlich hinter uns auf dem Corridor ein Lärm entstand. Hermine war stehen geblieben und hatte sich in halber Ohnmacht auf meinen Arm gelehnt. Das gab einen kleinen Aufenthalt, während der Lärm oben immer größer wurde; das Summen von vielen Stimmen, die alle auf einmal sprachen, dazwischen laute Worte, wie es schien, von Beamten des Hauses, welche sich bemühen mochten, die Ordnung wieder herzustellen. Ein Herr kam eilig an mir vorbei. Ich hielt ihn an: »was giebt es?«
»Der Fürst Prora ist von dem Schauspieler Lenz auf das gröblichste insultirt worden!«
Der Herr eilte weiter.
Ich blickte auf Hermine: sie hatte es nicht gehört; sie durfte es nicht hören, sie mußte entfernt werden, bevor sie wieder zur Besinnung kam. Ich trug sie die Treppe hinab, hob sie in einen Wagen und fuhr mit ihr nach Hause, wo sie noch etwas schwach, aber sonst wieder hergestellt, anlangte. Ich solle mich nur nicht um sie ängstigen; und es sei ein köstlicher Abend gewesen, für den sie mir tausendmal danke, und nun wolle sie zu Bett gehen und ich müsse auf jeden Fall wieder in das Theater; der Fürst dürfe nicht wissen, wie fest sie mich am Bande habe.
Ich that, als ob ich nur ihren Wünschen nachkomme, und versprach, in das Theater zurückzukehren.
In der That war ich schon vorher dazu entschlossen gewesen.[296] Wenn es sich bestätigte, was mir der Herr auf der Treppe zugerufen – und wie konnte ich daran zweifeln! – so war das Unglück, welches ich in der heißen Luft des Theaters vorausgeahnt hatte, eingetroffen. Ich dachte der Scene im Walde von Zehrendorf vor so viel Jahren, und wie der Knabe lieber hatte sterben wollen, als von meiner Hand einen Streich erdulden, dessen Zeuge Niemand gewesen wäre, als der Mond am Himmel! Würde der Mann jetzt anderen Sinnes sein? würde er nicht Alles daran setzen, eine Beleidigung zu rächen, die ihm, dem Fürsten von Prora, Angesichts so vieler Menschen widerfahren war?
Ausgewählte Ausgaben von
Hammer und Amboß
|
Buchempfehlung
E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz
244 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro