Elftes Kapitel

[102] Wenn Albrecht nicht wußte, ob Klotilde ihn liebe, Klotilde selbst hätte es ihm nicht sagen können.

Es war da etwas Sonderbares, für das sie keine Erklärung fand.

Fern von ihm konnte sie an ihn denken, sich seine Erscheinung in allen Einzelheiten ausmalen, ohne die geringste Wallung in ihrem Herzen zu verspüren. Mehr noch! sie sah dann mit unheimlicher Klarheit seine Schwächen: seine Eitelkeit und Selbstgefälligkeit; seine pompöse Weise, zu gehen und zu stehen, durch die doch immer der pedantische Schulmeister blickte; sein krampfhaftes Bemühen, durch nichts an seine plebejische Abkunft zu erinnern, um gerade das Gegenteil von dem hervorzubringen, was er erzielte. War es nicht beschämend, geschmacklos und grenzenlos lächerlich, sich für einen solchen Mann zu interessieren? zu enthusiasmieren sogar? Würde nicht die seine Stephanie, würden nicht, wenn sie es wüßten, ihre sämtlichen Bekanntinnen sie auslachen? Mit Fug und Recht sie eine sentimentale Närrin nennen, die schleunigst in ihre Pension zurückkehren möge, für den Litteraturlehrer so weiter zu schwärmen?

Sie hätte sich die Ohren zuhalten mögen, so deutlich hörte sie das höhnische Gelächter.[102]

Und dann brauchte sie nur wieder in seine Nähe zu kommen, um von neuem zu spüren, wie ein Zittern durch ihre Nerven rieselte; das Blut sich ihr zum Herzen drängte, atemraubend; zum Kopf, ihr das Gehirn umnebelnd; wie ihr der Mund trocken wurde und ihr die Lippen brannten nach einem Kuß von seinen Lippen!

In solchen Momenten hatte sie auch Empfindung und Verständnis für seine geistige Bedeutenheit, in der er die andern Männer ihres Kreises um Haupteslänge zu überragen schien. Mit einziger Ausnahme Elimars! Aber Elimar war ihr stets inkommensurabel und ein Gegenstand geheimer Furcht gewesen in dem unerschütterlichen Gleichmaß seines Temperaments und der krystallenen Klarheit seines Denkens. So hatte sie auch damals seiner stillen Werbung keinerlei Vorschub geleistet und wunderte sich jetzt auch nicht mehr darüber, daß er ihre unbedeutende Cousine geheiratet hatte. Von seiner Höhe aus gesehen, welch großer Unterschied konnte da zwischen den Weibern sein! Aber die Menge der Übrigen! dieser Herdentiere, die sich zum Verwechseln ähnlich sahen; alle dieselben Manieren hatten! dieselben abgebrauchten Phrasen gedankenlos herunterplapperten! und von denen keiner einen Schritt wagte, es wäre denn irgend ein Leithammel vorausgesprungen, worauf sie sämtlich in stupider Hast nach derselben Seite drängten!

Selbst Fernau, den sie in letzter Zeit ziemlich stark bevorzugt hatte, weil er unter diesen Nullen noch der einzige Zähler schien, wie weit blieb er hinter Albrecht Winter zurück! Sie hatte seine »Reisebriefe« wieder hervorgesucht. In ihren Kreisen galt das Buch als ein Wunder von Geschmack, Geist und Witz; ihr selbst war[103] es noch vor einem Jahr so erschienen. Wo aber hatte sie dann ihre Augen, ihren Verstand gehabt! Wie trocken, trival, hausbacken war dies alles! Und wenn der Mann sich einmal zu etwas aufschwingen wollte, was er vermutlich für poetisch hielt, – wie mußte er sich recken und strecken, wütend die Flanken peitschen, und wie kläglich war das Resultat!

Albrecht Winter! Wie leicht und anmutig floß die Rede von seinen Lippen! wie hatte er für alles den rechten, den treffenden Ausdruck, ohne daß er jemals danach zu suchen brauchte! Und sie hatte doch auch ihre Mädchenträume gehabt und ihren Geibel, ihren Heine mit Herzklopfen in holden Stunden gelesen, die längst verklungen waren! Und jetzt wieder herangeschwebt kamen, wenn sie nur den Ton seiner Stimme hörte und in seine Augen blickte, die verklärt schienen von dem Licht, das ihr Leben einmal ahnungsvoll gestreift hatte!

Ein schöner Traum, der kam, sobald er in die Thür trat, und gegangen war, wenn sie sich hinter ihm schloß. Dann war sie wieder, die sie gewesen: die Weltdame, »die sich mit ihrem faible für den Schulmeister einfach ridikül vorkam.«

Und sich weiter so vorkommen würde, wollte sie das Leben nicht nehmen, leicht, wie alle Welt um sie herum es nahm. Man brauchte ja deshalb nicht die Kappe über die Dächer zu werfen! Hatte sie es denn je gethan? Daß sie ihren Mann nicht liebte, dafür konnte sie doch nichts. Wenn man mit neunzehn Jahren heiratet aus Ärger, daß einem die einzig wünschenswerte Partie entgangen ist, man sie sich in seiner Dummheit hat entgehen lassen – mein Gott, der Ärger macht blind! Und so[104] ganz vorbeigegriffen hatte sie in ihrer Blindheit doch auch nicht. Viktor war nicht schlechter und nicht besser, als die übrigen. Eher noch ein bißchen besser. Jedenfalls hatte er sich die Hörner vorher abgelaufen – was man nicht von allen sagen konnte – und wenn er ein wütender Aktentiger und rücksichtsloser Streber war, so trug das zu seiner Unterhaltsamkeit nicht gerade bei, aber es waren doch die rechten Eigenschaften für den Sohn eines armen Generals a.D., welcher die Tochter eines Gutsbesitzers geheiratet hatte, der beständig erklärte, nicht zu wissen, wie er sich, Frau und sechs Kinder weiter so durch die Welt bringen sollte.

Nein! sie hatte die Kappe nicht über die Dächer geworfen. Flirtations! Nun ja! Wer unter den ihr bekannten Damen hätte denn keine gehabt? Auch sie, die keineswegs jung und nichts weniger als schön waren! Und bei denen es nicht einmal immer mit der Flirtation als abgethan galt in den Augen derer, die es besser wußten! Konnte in diesem Kreise mit der wunderbaren Akustik und seinen hundert gierigen Späheraugen jemand gegen sie auftreten und ihr nachsagen, sie sei zu weit gegangen? War in dem Techtelmechtel mit Fernau einer zu weit gegangen, so war es Fernau, nicht sie. Hatte Viktor an dem Manne einen Narren gefressen, schien er ohne ihn nicht mehr leben zu können und riß alle Thüren seines Hauses geschäftig für ihn auf – sollte sie ihm den Staar stechen! Er sah doch sonst, wenn man ihm glaubte, durch die dicksten Wände und hörte das Gras wachsen! Und hatte sie nicht ein Übriges gethan und Fernau zu verstehen gegeben, daß sie seine Avancen kompromittierend fände für eine ehrbare Frau, und er[105] sich in Zukunft eines gesetzteren Vertragens befleißigen möge?

Vielleicht war das eine Dummheit gewesen. Ist es doch vielmehr ein Gebot der Klugheit, die alten Liebhaber nicht vor den Kopf zu stoßen, will man sich des neuen in Sicherheit erfreuen. Und es bedurfte keines besonderen Scharfblicks, um zu sehen, daß Fernau vor Eifersucht auf den Professor beinahe toll war. Trotzdem sie sich doch wahrlich von Anfang an die erdenklichste Mühe gegeben hatte und bis zu diesem Augenblicke gab, ihre närrische Leidenschaft für den Schulmeister vor aller Welt zu verbergen. Aber freilich, Leidenschaft versteht sich auf Leidenschaft, kennt all ihre Winkelzüge und Schleichwege, ihren Augenaufschlag, den leisesten Ton ihrer Stimme. Es war kein Zweifel: Fernau hatte mehr gehört und gesehen, als er hätte hören und sehen dürfen.

Und er war Viktors Intimus!

Hier mußte einer drohenden Gefahr kühn die Spitze abgebrochen werden.

So fragte sie denn am Morgen, als Viktor im Begriff stand, auf sein Bureau zu gehen, in lässigem Tone:

Du kommst heut nicht so spät nach Haus?

Warum?

Ich habe den Professor Winter gebeten, Dir einen Besuch zu machen, und möchte natürlich gern, daß er Dich zu Haus fände.

Viktor ließ den Thürgriff, den er bereits in der Hand hielt, wieder los.

Du hast den Mann gebeten, mir einen Besuch zu machen?[106]

»Uns« wäre richtiger gewesen, obgleich mir hauptsächlich daran gelegen ist, daß Du ihn empfängst. Ich sehe ihn ja beinahe alle Tage.

Ich beneide Dich nicht darum; aber was soll ich mit dem Menschen?

Viktor war zu ihr an den Kaffeetisch zurück ge kommen mit dem finstern Blick, wenn ihm etwas gegen den Willen ging, und den sie in diesem Falle erwartet hatte.

So sah sie denn freundlich von ihrer Tasse zu ihm empor und sagte ruhig, trotzdem ihr das Herz heftig schlug:

Ich kann Dich versichern, ich hätte es sehr viel lieber nicht gethan. Aber – setz' Dich doch noch ein wenig hin! es ist gut, wenn wir uns darüber aussprechen – es ging nicht anders. Ich bin mit dem Mann bei Sudenburgs jetzt so oft zusammen; er ist wirklich für einen Menschen seines Standes so übel nicht; und wenn ich mit meiner Rolle reüssiere – woran Dir denn doch auch gelegen ist – verdanke ich es nur, oder doch beinahe nur ihm. Wir verdanken ihm alle viel und geben uns natürlich Mühe, höflich und artig gegen ihn zu sein. Bei Sudenburgs geht er aus und ein; während der ersten Proben ist er zweimal bei Meerheims gewesen; und Frau von Breitenbach – ich sagte Dir ja wohl schon, daß Lotte Breitenbach in dem zweiten Stück mitspielt – hat ihn sofort gebeten, einen Besuch bei ihnen zu machen; und Du weißt, daß gerade Breitenbachs sehr wählerisch sind. Nur bei uns ist er noch nicht gewesen, und gerade da wäre es am nötigsten, weil Du an unsern Abenden nicht zugegen bist.

Ich habe auch wahrhaftig Besseres zu thun.[107]

Gewiß! und so bin ich nicht weiter in Dich gedrungen, was mich nachträglich sehr gereut, denn Du hättest es doch wohl mir zuliebe gethan, und ich wäre aus der Verlegenheit. Es ist und bleibt eine für eine Dame, wenn sie dergleichen Geschichten mitmacht, ohne von ihrem Mann, oder wenigstens einem Bruder, einer Schwester oder Mutter begleitet zu sein. Alle die andern sind in der glücklichen Lage: Stephanie, Adele, Lotte Breitenbach, alle, nur ich nicht. Es sieht immer so aus, als ob man seinem Manne weggelaufen und unter die Komödianten gegangen ist. Das mag ich nicht.

Wenn ich nur einsehen könnte, was dadurch besser wird, daß der Mann mich, meinetwegen uns besucht!

Du bist doch sonst in solchen Dingen so feinfühlig! Dadurch, daß Du ihn in Deinem Hause empfängt, giebst Du mir die Legitimation, mit ihm in andern Häusern zu verkehren, die ich ohne das nicht habe.

Aber der Mensch ist mir gründlich fatal!

Du hast ihn ja nur einmal gesehen.

Mir war das gerade genug. Und was ich von Fernau über ihn gehört habe –

Was kannst Du gehört haben?

Was ich lieber nicht wiederhole.

Und gerade deshalb muß ich darauf bestehen, daß Du es sagst. Übrigens, wenn Du nicht willst – ich kann es Dir sagen: der Professor erdreistet sich, mich schön zu finden.

Etwas der Art.

Worüber sich lustig zu machen, Fernau doch zu allerletzt ein Recht hätte. Wer in einem Glashause wohnt, soll nicht mit Steinen werfen.[108]

Fernau ist mein bester Freund.

Als ob es nicht immer die besten Freunde wären, über deren Betragen die Ehemänner am sorgfältigsten wachen sollten!

Du willst doch nicht sagen –

Genau nicht mehr, als ich gesagt habe. Nur noch dies, da wir einmal bei dem Thema sind: gerade Fernaus wegen wünsche ich und muß ich wünschen, daß Du Herrn Professor Winter empfängst.

Du bist völlig lächerlich mit Deiner Furcht vor Fernau.

Ich fürchte mich vor Fernau nicht; aber ich habe ein Recht, von Dir zu verlangen, daß Du mich gegen seine Spöttereien und hämischen Insinuationen in Schutz nimmst. Du kannst es in diesem Falle leicht, wenn Du mir meine Bitte gewährst.

Schön! ich werde den Herrn empfangen.

Ich danke Dir im voraus.

Unter der Bedingung, daß die Sache keine weiteren Konsequenzen hat.

Ich wüßte nicht, welche. Mit seinem Besuche und einer Karte, die Du hinterher bei ihm abgiebst –

Auch das noch! Na, meinetwegen. Wann, hast Du ihm gesagt, daß ich zu Hause bin?

Vier Uhr – Deine gewöhnliche Zeit.

Also, adieu!

Adieu![109]

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Zum Zeitvertreib. Leipzig 1897, S. 102-110.
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