Neuntes Kapitel

[77] Während die Gesellschaft sich auf Sofa, Stühlen und Sesseln um ihn gruppiert hatte, war er stehen geblieben, den rechten Arm auf ein niedriges Schränkchen ihm zur Seite stützend, mit der freien Hand während des Sprechens den blonden Vollbart gelegentlich sinnend streichelnd:

Was ich den werten Damen und Herren jetzt zu skizzieren versuchen werde, ist die Dramatisierung einer Novelle, die ich vor ein paar Jahren veröffentlichte, und von der ich nicht sagen kann, daß sie ein großes Publikum gefunden hat. Seltsamerweise aber ist der Stoff schon wiederholt Bühnenschriftstellern anziehend genug erschienen, den Versuch zu wagen, ihn zu einem Drama umzugestalten. Diese Versuche sind leider sämtlich mißglückt. Ich glaubte, zu sehen, weshalb sie mißglücken mußten, und traute mir das Geschick zu, den dramatischen Kern rein aus der novellistischen Hülle herausschälen zu können und so die Klippe zu vermeiden, an der meine Vorgänger gescheitert waren.

Nun gab er in kecken Umrissen kein kleines Drama, in welchem es sich um die bittere Verlegenheit eines jungen, eben mit der Gattin von der Hochzeitsreise heimgekehrten[77] Mannes handelt, der nicht den Mut gehabt hat, den vornehmen Schwiegereltern und der Braut rechtzeitig einzugestehen, daß er in seinem reichen Kaufmannshause nebenbei einen durch die Tradition seiner Vorfahren und testamentarische Bestimmungen geheiligten, offenen Laden hält. Indem er seine kindische Geheimniskrämerei hartnäckig weiter treibt und ein humoristischer Freund durch krauses Eingreifen die einfache Sache immer mehr verwickelt, gerät er zuletzt sogar in den Verdacht, ein Verbrechen begangen zu haben, bis sich alles in der harmlosesten Weise aufklärt; der Polizeichef, welcher seine Beute bereits sicher zu haben glaubte, beschämt davonschleicht, und über dem reuigen Sünder, dem die mutige, junge Frau gern verzeiht, und den jubelnden Glückwünschen der Angestellten des Hauses der Vorhang fällt.

Albrecht hatte, ohne zu stocken, in dem anmutig leichten Erzählerton gesprochen, für den er bei seinen Schülern und selbst unter den Kollegen berühmt war. Nun erscholl es: bravo! bravissimo! aus der Gesellschaft; die Damen klatschten in die Hände; Albrecht, den Arm von dem Schränkchen nehmend, verbeugte sich.

Klotilde, Sie müssen die junge Frau spielen! rief Stephanie. Die Rolle ist wie für Sie geschrieben.

Und ich habe während der ganzen Zeit nur immer Sie vor mir gesehen, erwiderte Klotilde. Da sind mit unter ganz pathetische Töne anzuschlagen. Das ist nicht mein Fall.

Ich dachte, meine Damen, sagte Elimar, wir wollten die Verteilung der Rollen dem Dichter anheimstellen. Oder, wenn er dazu zu bescheiden ist, werden wir uns doch bei der Leseprobe leicht einigen. Wichtiger scheint[78] mir die Frage, ob unsere kleine Gesellschaft zur Besetzung sämtlicher Rollen ausreichen wird.

Es paßt ausgezeichnet, rief Luckow. Ich habe genau gezählt, es sind neun Rollen, drei Damen- und sechs Herrenrollen. Wir sind hier ebenfalls neun in genau derselben Verteilung: drei Damen, sechs Herren.

Und die große Komparserie des schließlich erscheinenden Geschäftspersonals? warf Elimar ein.

Die kriegen wir schon! rief Franz. Ich stelle ein halbes Dutzend Kameraden.

Ich trommle eben so viele zusammen! rief Fritz.

Darf ich mir noch ein Bedenken zu äußern erlauben, Herr Professor? fragte Fernau.

Aber ich bitte Sie, Herr Legationsrat, wenn ich selbst so schwere Bedenken habe! erwiderte Albrecht höflich.

Ich wollte nur dies bemerkten, sagte Fernau. Das vortreffliche Stück weist eine einzige jugendliche Damenrolle auf: die junge Frau. Wer von unsern Damen sie auch spielen wird – es ist mir ein schmerzlicher Gedanke, die Huldgestalten der beiden anderen in den Masken der alten Haushälterin und der Schwiegermama – welche letztere ich mir nebenbei etwas korpulent vorstellte – verschwinden zu sehen.

Darüber muß man erhaben sein, wenn man Komödie spielen will; rief Klotilde pathetisch.

Du hast gut reden, sagte Adele treuherzig; Du kriegst sie ja doch.

Nein, Stephanie! rief Klotilde.

Nein, Sie! rief Stephanie.

Meine Damen, sagte Elimar lächelnd; erneuern wir nicht den Streit um das prächtige Bärenfell! Überdies,[79] der Herr Professor hatte von einem zweiten, kleineren Stücke gesprochen. Vielleicht, daß uns das noch eine oder die andere jugendliche Damenrolle bringt.

Ach, ja! das zweite Stück! bitte, bitte, das zweite Stück!

Herzlich gern, meine Damen; sagte Albrecht, wenn Ihre Geduld denn wirklich noch nicht erschöpft ist. Ich muß aber befürworten: es kann von einem eigentlichen Stück diesmal noch weniger die Rede sein, keinesfalls von einem Lustspiel; höchstens von einem Schwank, einer Farce –

Desto besser! rief Luckow.

Nun denn! sagte Albrecht.

Er hatte sich nicht wieder an den Vertikow gestellt, sondern auf einem Sessel Platz genommen, von dem aus er, wie vorhin, Klotilde im Auge behalten konnte, sich an ihrem glänzenden Blick und freudig zustimmenden Lächeln immer neuen Mut für seine Erzähleraufgabe zu trinken.

Ein schönes, junges Mädchen aus bester Familie – nennen wir sie Erna – erwartet ihren Verlobten, einen jungen Offizier –

Bravo! rief Fritz Sudenburg. Wie heißt er?

Sagen wir: Udo – zu der gewohnten Besuchsstunde. Da der Erwartete für ihre sehnende Ungeduld zu lange ausbleibt, tritt sie an das Fenster und sieht ihn über den Platz auf das Haus zukommen, zu ihrem maßlosen Erstaunen in Begleitung einer ihr völlig unbekannten, jungen, sehr eleganten Dame. Sie sieht weiter, wie Udo sich an der Hausthür von der Dame verabschiedet, nicht ohne ihr, wie es scheint, verschiedenes Wichtige[80] mitzuteilen, worauf er sich langsam über den Platz entfernt. Während sie vergebens nach der Erklärung eines so seltsamen Vorganges sucht und sich, trotzdem sie wohl die Thorheit empfindet, einer Regung von Eifersucht nicht erwehren kann, bringt der Diener eine Karte: Miß Jane Stephenson! Es ist eine junge Amerikanerin, die Tochter einer der Mutter eng befreundeten Familie, welche nach Berlin gekommen ist, ihre musikalischen Studien zu vollenden. Sie kann haute erst eingetroffen sein; als man sich gestern in dem vorausbestimmten Hotel nach ihr erkundigte, erwartete man ihre Ankunft stündlich. Erna geht der Fremden entgegen; natürlich ist es dieselbe, die ihr Verlobter bis an die Hausthür begleitet hat.

Das ist was für Sie, Stephanie, flüsterte Klotilde halblaut der Freundin zu; Sie sprechen so wundervoll englisch.

Ich nehme allerdings an, daß Miß Jane das Deutsche nur unvollkommen spricht und auch wohl versteht; sagte Albrecht. Doch ist hier für die Darstellerin ein weiter Spielraum gelassen.

Bitte, bitte, fortfahren!

Erna, immer noch unter dem Druck ihrer eifersüchtigen Regung, empfängt die Dame mit einiger Reserve, erhält aber alsbald eine Lösung des Rätsels. Miß Jane, als echte Amerikanerin, hat sich zugetraut, bewaffnet mit einem Plan der Stadt, die ja doch nur ein Dorf im Vergleich zu Newyork sei, allein den Weg von dem Hotel zu dem gesuchten Hause zu finden. Auf dem Platz, nachdem sie sich, um sich zu orientieren, ein paarmal umgedreht, sei sie, kurz vor ihrem Ziele, denn doch aus der Richtung gekommen. In ihrem Reisehandbuch habe[81] sie gelesen, daß man sich in einem solchen Falle vertrauensvoll an einen »Constable« zu wenden habe, die auf jedem Platze, an jeder Straßenecke zu finden, an ihrer Uniform, Helm und Säbel leicht erkenntlich und die Zuvorkommenheit und Liebenswürdigkeit selbst seien. Gerade in dem Moment sei einer an ihr vorübergegangen, der natürlich sofort die Fremde in ihr erkannt habe, dann er habe sie sehr scharf fixiert; sei auch auf ihren Anruf: heigh, Constable! sogleich stehen geblieben. Nun müsse sie sagen: ihr Grundsatz sei, sich über nichts in der Welt zu wundern; aber, wie groß auch ihre Erwartungen von der Dienstwilligkeit der Berliner Konstabler gewesen – der hübsche, junge Mann habe sie weit übertroffen. Mit der größten Courtoisie habe er sich sofort erboten, sie bis zu dem gesuchten Hause, das übrigens ganz in der Nähe sei, zu begleiten, was er denn nun gethan, während der ganzen Zeit ein perfektes Englisch fließend sprechend. Sie würde, hätte sie dies nicht selbst erlebt, es für unmöglich gehalten haben. Ein gewöhnlicher Constabel, der durch seinen feinen Anstand, seine ritterliche Höflichkeit die most accomplished gentlemen ihres Heimatlandes beschäme!

Erna, die einen ausgeprägten Sinn für Humor besitzt, hat bei dieser völlig ernsthaft vorgetragenen Erzählung tausend Mühe gehabt, nicht in Lachen auszubrechen. Die Erklärung liegt ja auf der Hand: Udo hat die Dame nur bis an das Haus, nicht in das Haus begleitet, um seiner improvisierten Schutzmannsrolle treu zu bleiben. Natürlich wird er alsbald in Person erscheinen. Sie findet den Spaß zu gut, als daß sie nicht wünschen sollte, ihn noch ein wenig fortzusetzen. Die[82] Berliner Konstabler, die man übrigens im Deutschen sehr bezeichnend »Schutzmänner« nenne, seien allerdings ein Elitecorps, alle ohne Ausnahme feingebildete, gentlemanlike Leute. Das sei aber freilich auch höchst nötig, denn die Unsicherheit in Berlin sei so groß; jede anständige Familie in Berlin habe ihren Hauskonstabler, vulgo Schutzmann, der als ein Glied der Familie betrachtet werde und auf diesem Fuße ungeniert mit ihr verkehre. Das kommt nun doch der Miß, die erklärt hat, sich über nichts in der Welt zu wundern, ein wenig wunderbar vor; sie deutet an, daß die neue Freundin hier ihrer Unkenntnis von Land und Leuten spotten wolle. Eine derartige Insinuation weist Erna, als fast beleidigend, zurück. Miß Jane müsse ihr verstatten, den Beweis ihrer Wahrhaftigkeit sofort führen und den Privat-Schutzmann der Familie herbeiholen zu dürfen. In diesem Moment öffnet sich die Thür und Erna's Bruder, ein Kamerad Udo's von demselben Regiment, tritt, zum Ausgehen gerüstet, ein, den Säbel an der Seite, auf dem Kopfe den Helm, den er beim Erblicken der schönen Fremden bestürzt abnimmt!

Hier ist er! ruft Erna und läuft davon, unter dem Vorwand, die Mutter benachrichtigen zu müssen, nachdem sie zuvor den Namen der Fremden genannt, auf deren Kommen übrigens der junge Offizier, eben so wie die anderen Mitglieder der Familie, vorbereitet ist.

Also, Sie sind der Schutzmann der Familie, beginnt Miß Jane die Unterhaltung. Arnulf – kann er so heißen?

Warum nicht! rief Franz Sudenburg. Wir haben drei Arnulfs im Re'ment.[83]

Arnulf ist über den »Schutzmann« ein wenig verwundert; aber warum sollte Erna ihn, als einzigen Haussohn und Vertreter des verstorbenen Vaters, der Dame nicht als Beschützer der Familie bezeichnet haben, woraus denn diese in ihrer mangelhaften Kenntnis der Sprache einen Schutzmann gemacht hat? Nun entwickelt sich zwischen den beiden eine drollige Unterhaltung, in welcher die Fremde den »Schutzmann« buchstäblich und Arnulf allegorisch nimmt, bis die Widersprüche und Unmöglichkeiten sich so häufen, daß eine Erklärung stattfinden muß. Miß Jane ist empört, so arg gehänselt worden zu sein; Arnulf, der sich mit jeder Minute heftiger in das junge Mädchen verliebt –

Die Rolle spiele ich! rief Fritz.

– hält dafür, sie müsse eine eklatante Revanche nehmen. Miß Jane, in ihrer Erregung auf und ab gehend, ist an das Fenster getreten und sieht den Offizier, der sich ihr vorhin für einen Schutzmann ausgegeben und so die ganze lächerliche Geschichte eingefädelt hat, auf das Haus zukommen. Arnulf, der ihr gefolgt ist und über die Schulter blickt, ruft: das ist mein zukünftiger Schwager, der Verlobte meiner Schwester! Er wird sogleich hier sein, ebenso wie meine Schwester, nebenbei ohne die Mama, die gar nicht zu Haus ist. Hätten Sie Mut zu einem tollen Scherz, Miß Jane?

Ich habe Mut für alles, erklärt Miß Jane entschieden.

Geben wir uns den beiden Verlobten ebenfalls für Verlobte aus!

Was ist geben aus? fragt Miß Jane.

Stellen wir uns ihnen als Verlobte vor![84]

Dann wir werden thun müssen wie Verlobte, sagt Miß Jane nachdenklich.

Da Sie Mut für alles haben –

Well, wir werden thun wie Verlobte, sagt Miß Jane.

Sie nehmen vorn auf dem Sofa Platz in einer Vertraulichkeit, die man Verlobten gern gestattet. –

Du, Fritz, sagt hier Franz Sudenburg, den Kameraden überläßt Du mir!

Ich habe zuerst auf ihn abonniert, entgegnete Fritz.

Es tritt sofort noch der zweite auf, fuhr Albrecht lächelnd fort: Udo, dem Erna aus der Thür, durch welche sie vorhin verschwunden, entgegeneilt. Udo küßt seiner Braut zärtlich die Hand –

Na, Franz, fragte hier Fritz.

Abwarten, alter Sohn! entgegnete Franz.

Jetzt muß ich die beiden Ruhestörer aber wirklich zur Ordnung rufen, sagte Elimar mit freundlichem Ernst.

Die beiden jungen Offiziere verbeugten sich und Albrecht fuhr fort:

– küßt also seiner Braut die Hand, was Arnulf sofort auch bei Miß Jane thut, die diese Huldigung als etwas scheinbar Selbstverständliches hinnimmt und auch sonst in dieser Scene ihrem Wort von dem »Mut für alles« volle Rechnung trägt. Auf den Gesichtern Udo's und Erna's prägt sich tiefstes Erstaunen aus über das, was sie sehen müssen; sie treten an die beiden auf dem Sofa, die in eine, wie es scheint, intimste Unterhaltung versunken, gar keine Notiz von ihnen nehmen, heran, und Erna stellt Udo als ihren Verlobten vor, der sich ungemein freue, die auf der Straße angeknüpfte Bekanntschaft fortsetzen[85] zu können, und für den kleinen Scherz, den er sich erlaubt habe, um Verzeihung bitte.

Miß Jane, ohne Arnulfs Hand zu lassen, erklärt: sie wisse nicht, was der »Herr Constable« unter dem Scherz, den er sich erlaubt haben wolle, verstehe; freue sich aber, ihm und seiner Braut mitteilen zu können, daß sie sich eben mit seinem »comrade« dem »private constable of the family«, verlobt habe. Was dann Udo durch feurige Küsse auf ihre Hand bestätigt.

Aber, Miß Jane, ruft Erna, die ihren Sinnen kaum noch traut; es ist ja mein Bruder!

Haben Sie etwas dagegen, daß ich Ihren Bruder heirate?

Und ein Constabel schon gar nicht, sondern Offizier! ruft Erna.

Wie Ihr Verlobter?

Wie mein Verlobter.

Da können wir uns beide nur gegenseitig gratulieren. Wenn bei Euch zu Lande die Schutzleute so liebenswürdig sind, wie sehr müssen es dann die Offiziere sein.

Bravo! riefen hier Fritz und Franz wie aus einem Munde.

Nun, und? und? fragten die Damen.

Der Rest versteht sich von selbst, meine Damen, sagte Albrecht. Miß Jane beweist, daß sie unter anderm den Mut hat, aus einem Scherz veritablen Ernst zu machen; die Mama kommt hinzu und segnet einen Bund, durch den ihr Sohn zum glücklichen Gatten einer nicht nur reizenden, sondern auch – wie sie sehr wohl weiß – steinreichen Frau wird. –[86]

Und damit, meine Damen und Herren, schloß Albrecht, bin ich mit meiner schwachen Kunst zu Ende. Wenn Sie glauben, daß die harmlosen Scherze Ihren Zwecken genügen –

Aber daran kann doch gar kein Zweifel sein, sagte Elimar. Das ist ja gerade, was wir brauchen. Ich bin überzeugt, dies im Namen der ganzen Gesellschaft auszusprechen.

Der ganzen Gesellschaft! – Freilich! – Selbstverständlich! kam es von allen Seiten.

So werde ich die Rollen sogleich ausschreiben lassen, sagte Albrecht. Das kann in zwei Tagen spätestens geschehen sein. Wir müßten dann sofort an die Leseprobe und die Verteilung der Rollen gehen.

Man war mit allem einverstanden. Auch wollte man vorläufig mit dem Heranziehen anderer Kräfte warten, bis sich herausgestellt haben würde, wie weit man mit den vorhandenen auskommen werde.

Inzwischen war es spät geworden; man durfte die Nachsicht der liebenswürdigen Wirte nicht länger in Anspruch nehmen. Doch ging der Aufbruch nicht so schnell von statten. Man war von dem Gehörten zu aufgeregt; es gab für die nächsten Tage noch so vieles zu erwägen, festzustellen. Daß die eigentlichen Proben in den etwas engen Meerheim'schen Räumen nicht würden abgehalten werden können, leuchtete allen ein. Stephanie schlug vor, in das elterliche Haus überzusiedeln; es komme am Ende nicht darauf an, ob der Papa ein wenig früher oder später von ihrem Vorhaben Kenntnis erhalte. Man gab das zu; aber die Leseprobe, verlangte Adele, müsse jedenfalls noch bei ihr stattfinden.[87]

Das alles wurde auf dem engen Flur verhandelt, während die Damen ihre Mäntel umgelegt bekamen und die Herren sich ihre Paletots und Überröcke anzogen, wobei es denn ohne einige Verwirrung und die obligaten: »Pardon!« nicht abging. Albrecht sah sich in seiner Hoffnung, noch ein Wort mit Klotilde wechseln zu können, getäuscht. Sie sollte von den Sudenburgs, deren Equipage bereits seit einer Stunde vor der Thür hielt, nach Hause gebracht werden; die beiden Lieutenants wichen ihr nicht von der Seite; er mußte sich mit einem: Gute Nacht, Herr Professor! und einem Händedruck begnügen, der ihm eine wenig flüchtig deuchte.

Dann stand er mit den Herren von Fernau und von Luckow auf der Straße. Fernau, der noch auf einen Ball mußte – er war am Abend in voller Gesellschaftstoilette mit einem Ordensband im Knopfloch erschienen – rief eine vorüberfahrende Droschke an; der Hauptmann, der für eine Strecke denselben Weg hatte, stieg mit ein; man trennte sich mit den höflichsten Grüßen und seitens des Hauptmanns der Versicherung, daß er dem Herrn Professor einen ganz ungewöhnlich genußreichen Abend verdanke.

Dafür hatte sich denn die Wagenthür kaum hinter den Eingestiegenen geschlossen, als Fernau in erregtem Tone rief:

Aber, bester Luckow, wie können Sie so dem albernen Menschen noch mehr den Kopf verdrehen, als es unsere Damen, Gott sei es geklagt, schon gethan haben! Das kann doch gar nicht Ihre wahre Meinung sein! Das war ja positiver Blödsinn, was der Mensch da vorgebracht hat! Bei Gott, ich habe mich ordentlich geschämt,[88] aus purer Höflichkeit den Nonsens über mich ergehen lassen zu müssen!

Sollte hier nicht etwas wie Eifersucht mit im Spiel sein? fragte lächelnd Luckow, der die Leidenschaft Fernaus für Klotilde wohl kannte.

Der Legationsrat brauste auf:

Nehmen Sie mir es nicht übel, Luckow, das ist beinahe eine Beleidigung. Ich eifersüchtig auf den Menschen! Da könnte ich mit mehr Recht sagen: Sie protegieren ihn nur, weil Ihnen die Gelegenheit, mit Fräulein Stephanie möglichst oft zusammenzukommen, zu verführerisch erscheint.

Was ich gar nicht in Abrede stelle, erwiderte der Hauptmann trocken.

Aber weshalb dazu diesen Menschen in unsere Gesellschaft ziehen, der nun einmal schlechterdings nicht dahin gehört! Diesen aufgeblasenen, geckenhaften, vor Eitelkeit schier übergeschnappten Plebejer! Es ist heute das letzte Mal gewesen, daß ich mich zu dieser lächerlichen Farce hergegeben habe.

Der Hauptmann drückte auf den Gummiknopf im Wagen:

Ich muß hier aussteigen. Gute Nacht. Ich denke, Fernau, Sie überlegen sich die Sache noch einmal. –

Unterdessen war Albrecht durch die Straßen gestürmt, achtlos des sprühenden, kalten Regens, der eingesetzt hatte. An Nachhausegehen dachte er nicht. Was sollte er in seinem engen Hause bei seiner guten kleinen, langweiligen Frau mit diesem Sturm der Gefühle im Herzen! mit dem Bilde der Zauberin im Herzen! Ja, sie war eine Zauberin, die aus den Menschen machen konnte,[89] was sie wollte: aus einem armseligen Schulmeister, der, in der elenden Frohnde seines Berufes hinkeuchend, sein Dasein so oft verwünscht hatte, einen Göttersohn! Die letzte Berührung der kleinen Hand! Nun ja, sie hätte von ihrer Seite wärmer sein können, länger währen können! Aber dann die Späherblicke rings umher! Dieser Legationsrat mit den stechendem schwarzen Kalmückenaugen, dem bei all seiner glatten Höflichkeit nicht über den Weg zu trauen war! Und hatte ihn auch die Hand nur flüchtig berührt – eine Frau, eine Dame der feinsten Gesellschaft, die – ach, er konnte nicht zweifeln: sie liebte ihn!

Und: sie liebt mich! sie liebt mich! verzückt vor sich hinmurmelnd, rannte er weiter durch die leeren, dunklen, verregneten Straßen. –

Als die Flurthür sich hinter ihren Gästen geschlossen hatte und sie sich wieder im Wohnzimmer befanden, war Elimar, seine längst vermißte Cigarre rauchend, schweigend auf und ab gegangen, während Adele, in die Sofaecke gelehnt, die Ereignisse des Abends rekapitulierend, jetzt zu der Verteilung der Rollen gelangt war, mit der sie nicht zurecht kommen konnte, da sie die Personen der beiden Stücke beständig durcheinander mischte. Aber darüber sei sie mit sich im reinen, daß sie die Haushälterin in dem zweiten – nein, in dem ersten – Stück spielen müsse, mit einer ungeheuren Haube auf dem Kopfe und einem kolossalen Schlüsselbunde am Gürtel. Ob Elimar nicht auch meine, sie werde sich so ganz vorzüglich ausnehmen?

Was soll ich meinen? fragte Elimar, stehen bleibend.

Mein Gott, Eli, wie zerstreut Du bist! Was hast Du nur?[90]

Mir geht die fatale Sache mit den beiden Künstlern durch den Kopf, sagte Elimar. Es ist recht unangenehm, daß das gerade bei uns passieren mußte.

Ja, aber was können denn wir dafür! rief Adele. Dafür ist doch Fräulein Stephanie verantwortlich, die sich die beiden Zankhähne ausgesucht und uns ins Haus geschickt hat. Meinst Du nicht auch?

Freilich, sagte Elimar.

Er hatte gar nicht an die närrischen Künstler gedacht, sondern an Klotilde und den Professor. Als er, aus dem Rauchzimmer kommend, an die Gruppe trat, welche am Tisch um den Akademiker herumstand, hatte er zu seinem maßlosen Erstaunen die beiden gesehen, Schulter eng an Schulter geschmiegt. Er hätte sich einreden können, das Opfer einer Sinnestäuschung gewesen zu sein, denn in der That hatte seine seltsame Beobachtung, da sich die Gruppe alsbald löste, nur ein paar Sekunden gewährt. Aber, die beiden im weiteren Verlauf des Abends scharf beobachtend, waren ihm die höchst verdächtigen Blicke nicht entgangen, welche sie wiederholt in Momenten, die sie für sicher halten mochten, miteinander austauschten. Handelte es sich noch nicht um Liebe, so zweifellos um eine bereits recht vorgeschrittene Liebelei, die ihm schwere Sorge machte! Kannte er doch Klotildens lebhaftes Temperament! ihre Neigung, mit Männerherzen zu spielen! die Leere, welche ihr eine sicher nicht sehr beglückte Ehe im eigenen Herzen ließ, auf diese gefährliche Weise auszufüllen! Hatte er das alles doch vor fünf Jahren an sich selbst erfahren und seine ganze Festigkeit und Klugheit aufbieten müssen, sich aus der Gefahr zu retten![91]

Und diese Festigkeit und Klugheit – dem Professor mit seinen großen, lebenshungrigen Augen traute er sie schon gar nicht zu. Dergleichen Leute, besonders wenn sie aus niedern Kreisen stammen, sind in den weißen Händen einer gefallsüchtigen, keineswegs übrig gewissenhaften aristokratischen Dame weiches Wachs. Sie würde das Wachs schon zu kneten wissen! sie! Der arme Teufel mochte an das Heil seiner Seele denken! Und an das seines Leibes dazu! Viktor ließ seine Frau frei gewähren – zu frei vielleicht. Aber an seine Ehre durfte man dem alten Korpsburschen und Reservelieutenant nicht rühren! und mit dem Schulmeister würde er verzweifelt kurzen Prozeß machen!

Vielleicht waren das alles nur kassandrische, schwarze Träume.

Nur wäre es nicht das erste Mal gewesen, daß sein böses Geträume sich erfüllt hätte!

Jedenfalls wollte er die Augen offen behalten. Wenn Klotilde auf einen Menschen hörte, durfte er sich schmeicheln, daß er es sei.[92]

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Zum Zeitvertreib. Leipzig 1897, S. 77-93.
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