|
[130] Sieh doch zu, Junge, wer jener Mann ist. Sein Gesicht weissagt nichts Gutes, so wie sein Rock nur Trübsal. Den hagern gelben Leuten traue ich nicht eine Spanne weit!
Aus einem veralt. Schauspiele.
»Laßt den Hund laufen, gelehrter Herr! Der Bube entläuft seinem Galgenholze nicht. Schade,[130] daß mein Bolzen ihm nicht in's Bein flog, sondern durch die Mütze. Er wäre ansonst gewißlich nicht davon gerannt wie ein Heide!« – »Der elende Mensch!« antwortete dem alten Ammon der Mann, der, schier gekleidet wie ein Cleriker, vor dem Jäger auf einem Feldsteine saß, und ausschnaufte: »Mein ganz Gepäcke hat er mitgenommen, und ich dank es nur Deiner Hülfe, guter Mann, daß ich mit dem Leben davon gekommen bin; der Schurke hatte nicht wenig Lust, mich auch des Geldes zu berauben, das ich im Gürtel trage.« – »Aber sagt mir doch,« fragte Ammon, »wie's kommt, daß ein gelehrter Herr, wie Ihr, um diese Abendzeit allhier im Busche zu finden ist? Euch Herren gehts doch nicht, wie einem armen Teufel, der seine Füße brauchen muß, statt des Fuhrwerks.« – »Du weißt es alsobald;« versetzte der Mann im aufgeschürzten Talar: »Von Frankfurt fuhr ich weg, um gen Friedberg zu gelangen. Der Karren brach jedoch, eine Stunde Wegs von hier, so ungefähr.« Ich saß mißmuthig und halb zerschlagen am Rande der Heerstraße, und wartete bei meinem Gepäck die Rückkehr des Fuhrmanns ab, der auf dem Gaule nach Leuten und Hülfe geritten war. Wenig Menschen auf der Straße. Kommt plötzlich durchs Feld und über Wiesenpfade ein Mann daher, rüstig und stark darauf losschreitend, den Dornstock in der Hand, und also scharf um sich blickend, und dennoch sorglos vor sich hingehend, als sey er wohlbekannt auf all diesen Stegen und Wegen rings im Land. Da mir's zu lange dauerte, bis mein Knecht zurückkam, so fragte[131] ich den Wanderer nach demselben, und verrieth ihm meinen Unfall. Da meinte er, ich könnte wohl noch lange vergebens warten, und am Ende schon zu Friedberg seyn, ehe der Geselle vom Dorfe zurückgekommen, wenn ich nur ihm folgen wollte auf abkürzendem Pfade, den er genau zu finden wisse. Mir war der Vorschlag recht, und ich trug nur Zweifel wegen meines Gepäcks. Der breitschulterige Mann lachte, und meinte, es wäre ein bloßes Kinderspiel für ihn, mir das Gepäck zu tragen bis zur Herberge zu Friedberg, und wenn ich ihm daselbst zum Lohne einen frischen Trunk wollte reichen lassen, so würde er's dankbar annehmen, und herzlich damit zufrieden seyn. – Er hatte noch nicht ausgeredet, und ich auch noch nicht »Ja« gesagt, und flucks hatt' er den Bündel auf dem Rücken, und wanderte rüstig voraus. Ich folgte ohne Argwohn, und kam mit ihm in solch Gespräch, daß ich nicht bemerkte, wie er mich in diese Gegend geführt hatte, wo rings um uns einsam Gestrüppe steht, doch weit und breit kein Thurm noch Thor von Friedberg. Und da ich endlich es bemerke, und ihn deßhalb zur Rede stelle, so lugte er frech hinauf zum Himmel und ringsum, und spricht: »er werde sich wohl im Pfad geirrt haben; der Abend sey jedoch noch nicht weit vorangerückt, und wir würden zeitig noch nach Friedberg gelangen, dessen Thurm schon zu sehen sey.« Wie er mir nun zeigt, nach welcher Seite ich sehen müsse um ihn zu gewahren, und ich dem bösen Rathe des falschen Menschen folge, sauste mir sein Dornstock in's Genick, daß ich hinfalle, und ihm, dem Räuber, keinen[132] Widerstand zu leisten fähig bin. Mein Schreien war jedoch nicht vergeblich, und – wohl mir – Dein Ohr hat's zeitig genug vernommen, ehe der Schurke mich geplündert. Mag er doch laufen mit dem Pack; der Herr wird ihn schon lassen verlahmen und steif werden wie das Eis, und, .....
Mehrere andere Verwünschungen, die der Fremde auf seiner Zunge hatte, verhallten in dumpfem Gemurmel. Ammon erwiederte darauf lachend: »Nur heraus mit dem Gewetter und Gefluche. Ein meilenlanger Fluch erleichtert recht das männliche Herz, und Ihr seyd ja jetzt im Freien und nicht in Eurer Schule, wo es sittsam und friedlich hergehen muß. Wenn ihr wolltet, könnte ich Euch türkische und wallachische Flüche lehren, die weit besser klingen, als unsre matten in Deutschland. Allein im Grunde hilft doch der wetterlichste Schwur Euch nimmer zu Eurer Habseligkeit. Besser wär's gewesen, ich hätte den vertrakten Schurken in's Knie geschossen; dabei bleib ich. Wo wollt ihr aber jetzt hin, gelahrter Herr? Die Stadt ist an zwei Stunden Wegs von hier; dort links, und schwer zu finden für einen Fremden. Ich wollt Euch gern dahin geleiten, müßt ich nicht in meinen Wald zurück. Auch trautet Ihr wohl meinem Gesichte nicht; denn die Leute sagen, der alte Ammon sehe aus, wie der leibhaftige Teufel selbst.« –
»Hätte ich nur dem Gesichte jenes Schurken nicht getraut;« seufzte der Fremde: »der Bube hatte Gaunerzüge, und brandrothes Haar!« – »Hütet Euch vor den Gezeichneten;« schaltete Ammon ein: »Wißt Ihr jedoch sonst nichts, das auf die Spur[133] des Sünders führen könnte? Ich wollte lauern lassen auf den Burschen, wie auf einen Iltis.« –
»Ich weiß nichts, das mir ausser seinem Gesichte aufgefallen wäre;« sprach der Fremde weiter. »Ein Schild, das er auf seiner linken Brust trug, könnte vielleicht einen Neubekehrten verrathen; doch traue ich darin meinen Augen nicht.« – »Einen getauften Juden!« rief Ammon: »das wäre möglich; und das ist gefährlich Gesindel. Das vertauscht seinen Gott, wie ein Söldner seinen Hauptmann. Und dennoch ist es immer Eins, woran man glaubt. Das hab' ich auf meinen Kreuzzügen oft genug erfahren. Mir gilt der Heide, wie der beste Christ, und wenn Ihr, gelahrter Herr, in meiner schlechten Hütte übernachten wolltet, so wäre ich gern bereit, Euch ein ungläubig Dirnlein zu zeigen, das seines Gleichen sucht in der getauften und ungetauften Welt.« – »So?« murmelte der Fremde, der in Gedanken versunken war, vor sich hin; dann setzte er bei: »Ich nehme es an, Meister Graurock. Ich gehe mit Euch, aber einzig und allein um eines warmen Obdaches willen, weil mich mein Genick schmerzt, – nicht der schönen Dirne wegen.«
»Mir recht;« versetzte Ammon: »Ich hab' noch nie aus freien Stücken 'nen Gast in meine Hütte geführt. Ihr seyd der Erste, und ein warmes Heulager soll Euch nicht entstehen. Morgen wandern wir dann selbander auf Friedberg los. Kommt; laßt Euch führen, denn Mohren und Cordova! Ihr wankt auf den Füßen; ... was ist Euch denn? Warum stieret Euer Auge also in die Ferne, als wollte er in[134] dem Hohlweg sich verlieren? Ihr werdet ja immer bleicher, Herr! Was ficht Euch an?« –
»Der Fremde war starr und steif stehen geblieben, und zeigte unverrückt mit Aug und Hand auf einen Mann, der schnell, obgleich mühsam aus dem Hohlwege, zur Seite kletterte, rasch auf die Gehenden loskam, scheu von der Seite sie anblickte, und, ob vor Ammons Zügen, oder dem Gesichte des Fremden erschreckend, plötzlich die Kappe in die Stirne drückte, mit einem Laute des Unwillens oder der Überraschung sich abwendete, und, als wie von einem Gespenste gejagt, über die buschige Fläche sich verlor.« Während der Fremde ihm bewegungslos nachstarrte, schrie Ammon, der ihn erkannt hatte, wild hinterdrein: »Hoho! sa sa! Jude! wohinaus? Wirst doch nicht gestohlen haben? halt auf, Jude, halt auf!« – »Sein greller Ruf scheuchte den Fliehenden nur noch flüchtiger von dannen, und Ammon brach da er dieses sah, in ein wüstes Fluchen und Toben aus, das nur die wiederholte, dringende Frage des Fremden unterbrach: ob der Jäger den Flüchtigen kenne, und wer dieser sey?« – »Ei, potz Reiher und Falk!« schrie Ammon: »ob ich ihn kenne? Der narbige Ketzer ist kenntlich genug. Das ist eben der Vater der schönen Esther, von der ich Euch geredet.«
»Esther? Ihr Vater?« rief der Fremde an seine Stirne fühlend, ob denn auch alles um ihn her wirklich sey, oder ein Traum: »Gepriesener Gott! ich kenne ihn auch, diesen Mann. Sein Name?« – »Der leidige Teufel kennt ihn besser als ich,« antwortete Ammon, mit der Faust nach der Gegend[135] drohend, in welcher der Fliehende verschwunden war: »ich könnt' ihn nicht behalten.« – »Ben David?« fiel der Fremde ein: »rede, Mann des Himmels! So Du sagst ja, werde ich Dich halten wie einen Freund, wie einen Bruder.« – »Nun denn, in aller Hexen Ramen: Ja!« – rief Ammon: »So heißt der Bursche. Warum aber der Mensch davon läuft, als habe er die Kleinodien des Reichs gestohlen? Warte, Hund! Wenn ich zu Hause etwas Unrechtes merke, wenn meiner guten Esther etwas geschehen ist, so verschreibe ich mich dem Teufel wirklich und leibhaftig, um nur Deiner habhaft zu werden, Jude, und Dir die Fußsohlen mit glühenden Peitschen streichen zulassen.«
»Esther! Ben David!« wiederholte der Fremde indessen häufig hinter einander, und geberdete sich ganz seltsam, die Hände zusammenschlagend, mit dem Kopfe nickend und schüttelnd, Füße und Hände und Körper bewegend in lebhaften und wunderlichen Geberden, während sein blasses eingefallenes Gesicht bald Freude, bald Kummer, bald Ängstlichkeit, bald eine Art von wildem Unmuth verrieth. – »Gott sey bei uns!« rief Ammon derb und roh dazwischen: »Trügt Ihr nicht einen Rock wie ein christlicher Schulherr, ich würde Euch für 'nen Rabbiner halten, so verzerrt ihr Leib und Angesicht. Laßt doch die Possen, und tretet derb auf; ich kann nicht erwarten, zu sehen, was daheim ist vorgefallen.« – »Daheim! ja daheim!« wiederholte der Fremde, unbekümmert um Ammon's Reden: »ja, zu Esther laß uns eilen. Ich kenne sie, ich kenne ihn, ihn, der[136] an uns vorbeiflog. Ich muß ihr Schicksal wissen; ich muß ....« – »Ihr müßt in's warme Heu!« polterte Ammon: »Kreuz und Mond! Des Galgenstricks Dornknittel hat Euern Verstand getroffen, und nicht allein das Genick. Geduldet Euch indessen, und werdet mir nicht vollends toll, bevor wir unter Dach sind. Seht, seht, hier ist schon der Pfad; dort zeigt sich der Hütte Giebel, noch ein Paar Schritte hurtig gemacht, und wir sind allen Kobolden zum Trotz, zur Stelle.« – Ammon's Unruhe wurde bald besänftigt, da er die Hunde fröhlich anschlagen hörte, wie sonst, und Esther gewahrte, die auf dem Platze saß, den Regina wohl sonst einzunehmen pflegte, Dagobert's Braut saß in die süße Schwermuth vertieft, welche zärtliche Gemüther am Vorabend ihres Liebesglücks gerne beschleicht. Der treue Freund hatte Abschied genommen, um nach der Stadt zu reiten, und am nächsten Abend, mit Geschenken und neuen Gewändern für sein Lieb beladen, zurückzukommen. Sie hatte ihm das Geleit bis zum Waldpfade gegeben, dann in die tönenden Forsthallen Ben Davids Namen gerufen, und sich endlich niedergelassen in's thauige Gras, um des wackern Mannes zu harren. Ammon, der zuerst am Eingange des Gehegs erschien, war ihr willkommen, und in demjenigen, der seinen Schritten folgte, vermuthete sie den Vater. Aber ein fremdes Gesicht neigte sich vor ihr an seiner Statt, und je mehr sie dieses Gesicht betrachtete, und von demselben mit glühenden Blicken durchbohrt wurde, je mehr war es ihr kein fremd Gesicht mehr. Aus der Tiefe ihres Gedächtnisses,[137] aus dem Born kindlicher Erinnerungen mußte sie schöpfen, um sich dieses schmale Antlitz, mit der Adlernase, und dem geklemmten Munde zu vergegenwärtigen, und sie hörte nicht auf Ammon's Stimme, noch auf dasjenige, was der Jäger schwatzte, sondern nur auf die schon verklungenen Laute des Fremden, welcher gesagt hatte: »Esther! Ben Davids Tochter! Dich hätt' ich nimmer wieder erkannt, – aber wirst Du auch nicht mehr kennen mein Antlitz?« – Esther's Erinnerungen waren übrigens mangelhaft, nur mit einem Seufzer aus tiefer Brust mußte der Fremde ihr zu Hülfe kommen, in den Worten: »Ich habe einst geheissen Ascher, Du Tochter Ben Davids, und wirst Du mich kennen noch nicht?« – »Jehovah! unser Gott!« schrie Esther auf: »Ascher! mein Bruder Ascher! Sey gegrüßt, sey willkommen, Du Verlorner!«
»Die Dirne hat den ganzen Sabbat vom Brocken hieher gelockt;« murrte der Forstwart vor sich hin: »und was gilt's, sie wandelt meine Hütte um in eine Judenherberge. Vater und Bruder sind schon gekommen, und wer weiß, wer noch alles folgt. Nein, Jungferlein: Also geht es nicht; und morgen weiß die Frau von Dürning Alles.« – »Er ging mißmuthig zu seinen Hunden und in die Hütte, während das Gespräch zwischen Esther und dem Ankömmling so ernst wurde, daß sie Ammon's gänzlich vergaßen. – Verlorner! sagtest Du;« sprach Ascher wehmüthig, Esther's Hand ergreifend: »die Wahrheit kommt nicht reiner vom Himmel, als in diesem Worte aus Deinem Munde. Verloren war ich, verloren[138] bin ich, und würde es bleiben, wollte ich nicht zu rechter Zeit mich wieder gewinnen. Ach, sieh mich nicht an, Esther. Ich habe schon des Vaters Zorn gesehen; laß mich nicht schauen auch Deine Berachtung. Vergib mir, daß ich hingegangen bin vom Glauben zum Irrthum, von dem Gesetz der Väter zu einem fremden. Die Überredung hat mich verleitet, der finstre Geist des fälschen Wissens hat mich verführt; Hoffnung auf ein zeitliches Glück hat mich bethört, daß ich gethan, was ich jetzt bereue von Herzen, wie der große König David bereut hat seine Sünden.«
»Ei, was muß ich hören:« fragte Esther dagegen: »Du bereust, der Thora abgeschworen, dem reinen Gesetze gehuldigt zu haben? O schwanke nicht in diesem neuern herrlichen Glauben! Zittre vor Wankelmuth, und halte Dich fest an dem Leitfaden, den des Ewigen Milde Dir erlaubte.« – »Versteh' ich Dich?« sprach Ascher verwundert: »Ist das meine Schwester, die Tochter meiner Mutter, der einzigen Tochter des frommen Alliba zu Oppenheim, auf dem der Friede sey, wie auf ihr die Ruhe und Segen? Spricht also die Tochter David's, des Sohnes Jochai, die nimmer versäumt hat eine von den vielen Pflichten, die zu erfüllen hat ein Sohn des Gebots? Wie kommt es, daß Du mich schiltst, da ich thue, was Recht ist? Reue und Buße.«
»Ach, Ascher!« entgegnete Esther milde unk freundlich: »Ich hätte Euch nicht gehaßt, so auch noch Alles geblieben wäre, wie ehedem, denn die Gojim, wie Du und Deine Brüder sie nenne, sind[139] mir doch immer vorgekommen, wie unsre wahren Brüder. Aber; es ist alles ganz anders geworden. Ich heiße nicht mehr Esther; mein Name ist Maria, und eine Christin bin ich von Geburt an; nicht Davids Tochter, nicht Deine Schwester.« – »Nicht Davids Tochter?« fragte Ascher: »nicht meine Schwester? Wie fasse ich das?« – Esther erzählte vom Ungemach des Vaters an, bis auf den heutigen Tag, und das Geständniß Davids Alles, der Wahrheit getreu, und Ascher traute kaum seinen Ohren. »Weh geschrieen!« rief er, da das Mädchen vollendet hatte: »Gott! was habe ich gehört? Der Herr segne den Raaf im Paradiese, und der Raaf verzeihe dem Vater die Lüge, die er auf jenes Grab gepflanzt. Eine Lüge? – Ich will sterben zur Stunde und ohne Gebet und ohne Beistand dahin fahren, wie der Abtrünnigen Gräßlichster in seinen Sünden, wenn das wahr ist, was der Vater mir berichtet. – Wie? – O, David ist ein sanfter Herr seinen Kindern; er will sie glücklich sehen; er will allein tragen den Vorwurf, damit das Gewissen seiner Kinder frei bleibe vom Vorwurf. Er will selbst werden ein Sünder, bevor, er zugäbe, daß Du, Esther, eine Sünde begehest. Du, Esther, Du bist Davids Tochter, und keine andre. An Deiner Wiege saß ich über einen Mond, wachend und Dich wartend in einer Krankheit, die mit der Geburt über Dich gekommen war. Ich und, mein Bruder sind niemals mit dem Vater gewesen über Land. Nie hatte sie Statt, die angebliche Verwechslung. Der Raaf hätte nimmer ein Christenkind in's Haus eines Gläubigen geführt, nimmer sich theilhaftig[140] gemacht einer solchen Sünde wider das Gesetz; und dieser hebräische Buchstab an dem kleinen Finger Deiner linken Hand ist eingeätzt worden von dem kunstreichen Raaf, da Du noch keine Woche alt gewesen, als Zeichen unsers Hauses. Ich gelobe Dir's, beim Haupte des Vaters: Du bist von seinem Blute und aus Israel.« –
»Herr Gott im Himmel!« feufzte Esther ängstlich und niedergeschlagen: »Wenn das wäre! Entsetzlich! Wo ist der Vater? Du wirst sehen, Ascher!« ... – »Nicht doch, mein Kind;« versetzte Ascher, seiner Sache gewiß: »Ich werde nicht einmal den Vater sehen, denn er ist geflohen vor meinem Antlitze.« – Esther's Staunen mehrte sich, da sie nun erst erfuhr, was auf dem Wege hieher vorgefallen. – »O, gewiß, ist es, gewiß,« schloß er: »Vaterliebe seltner Art hat Ben David's Zunge regiert. Aber Bruderliebe ist noch gekommen zu guter Zeit, um dich zu retten für die Ewigkeit, die ohne Ende ist in ihren Freuden, aber auch unendlich in ihren Qualen. Höre mich an, Schwester, höre mich an, und glaube, was ich rede. Der Vater hatte mich bestimmt zu lehren in der Schule, und ich habe darum gelernt das Geschrift und die Kunst zu lesen unsre Sprache nach der Wissenschaft, und die Kabbala in all ihren Zweigen. Da kam mir's plötzlich an, als würde ich machen mein Glück unter den Christen, und ein vornehmer Mann von Mainz, der sich im Hebräischen oft Raths bei mir erholte, rieth mir dringend an, zu thun, wie ich gesonnen. Meine Jugend war müde, immer Knecht zu seyn von andern, und zu gehören[141] zu der Sohle von ganz Deutschland. Ich schwor daher der Väter Lehre ab, auf daß es mir wohl gehe auf Erden. Meine Wissenschaft wurde nun hervorgezogen aus dem Staube der Erniedrigung, und jener vornehme Mann wirkte mir einen Lehrstuhl aus zu Heidelberg, um die hebräische Sprache zu lehren, nachdem ich ihn selber vorher einige Jahre unterrichtet hatte. Mir ging es wohl, und der Lehrer Taufkirch war wohl gelitten allenthalben, verfehlte keine Messe, keine Predigt, und hatte ausgezogen den verachteten Juden, – kaum mehr zu erkennen an der Mundart. Nichts hätte gestört mein Glück, wenn es nicht war der Wurm in meiner Brust, der plötzlich anfing, sich zu heben, mich zu quälen. Mein Amt begehrte, daß unsre heiligen Bücher sich einprägten in meinen Kopf, und da fand ich denn nach langem Sinnen, daß alle unsre Lehre, wie die Väter sie befolgten, der Grund der Lehre vom Erlöser sey, und daß ohne diesen Grund die Letztere nicht habe können entsteh'n und wachsen. Und nun schlug mir das Gewissen, und nachdem ich einige Jahre hindurch gekämpft, gelitten, und mich halb gegrämt zum Tode, hat des Himmels Herrlichkeit und Israels Gott den Sieg gewonnen über meine zeitlichen Begierden; weggeworfen habe ich das Amt, um heimzukehren zum Vater, wie der verlorne Sohn, zu den Schulen, wie das verirrte Schaf. Da erfuhr ich zu Frankfurt Euer grausam Schicksal, des Vaters Flucht, wie sie es nennen, den Tod des Jochai, und Dein Verschwinden. Auf's Gerathewohl habe ich mich gehen lassen in die Welt, und die Reihe von Abenteuern, die mich[142] bis hieher gebracht zu diesem abgelegenen Winkel, verbürgt mir, daß es Gottes Wille sey, daß ich Dich rette!« – »Hochgelobter Gott!« jammerte Esther: »Welche spitzige Widerhaken wirfst Du in meine Brust? Ben David entflohen? und ich dennoch sein Kind? den noch aus Israel? Bruder! sey barmherzig, und sage, daß Alles gewesen ist Lüge und leerer Schaum.« – »So wahr ich lebe, und der Himmel gemacht ist vom Herrn, so wahr ist mein Mund;« betheuerte Ascher düster und dringend: »ich bin gesendet, ein Prophet zu der am Abgrund schwebenden Zion, die einst Königin der Städte gewesen, und nun sich herablassen will zur Magd der Edomiter! O höre auf meine Stimme, Esther, höre sie, damit Du nicht einst bereuen mögest, was Du gethan. Lasse ab von dem Jüngling, der zu Rom hält. Lasse ab von dem Gedanken, zu werden, wie er. – Tröste Dich nicht mit dem Gedanken, nicht Du, sondern David, unser Vater, müsse verantworten die Lüge, die seine unendliche Liebe gewagt hat, auf die Gefahr, seine eigne Seligkeit zu verlieren. Aber der Herr, der hochgelobte Gott, ein starker und eifriger Gott, züchtigt für die Sünden der Väter die Kinder bis in's tausendste Glied. Unglück und Schande wurde erwachsen aus Deiner sündigen Ehe, Ungeheuer an Leib und Seele daraus hervorgehen, den Teufeln gleich, die Leviathan mit Lilis zeugte.« – »Halt ein, Ascher!« rief die Verzweifelnde. Der Schonungslose fuhr aber dennoch fort: »Höre mich, verführte Tochter Salem's! Gib Dich nicht in Moloch's Gewalt. Du sollst seine Sklavin seyn. Warum wird[143] er nicht ein Sohn Jakobs, wenn seine Liebe eifrig ist? Warum sollst Du zu seiner Lehre schwören? Weil er Abrahams Saamen verachtet, weil er Dich sündigen machen will, damit Du sein und der Hölle seyst, auf immerdar. Denn Sünde ist dieser Tausch, – glaube mir, dem Sündigen. Wer seinem angebornen Herrn untreu wird, seinem Gott; wie kann der ferner treu seyn im Haus, im Ehebett? wie kann ein solcher Treue verlangen? und wie wird einst seine Sterbestunde seyn? O, glaube, glaube an die Qualen des Abtrünnigen; ich habe sie gefühlt, ich fühle sie noch, und werde nur erst dann ruhig werden, wenn ich gebüßt habe in einer Schule. O kehre um, setzte er wie in Verzweiflung hinzu: Kehre um, da es noch Zeit ist, und Du dieser Buße nicht bedarfst. Sieh mich an, wie mich der Herr geschlagen hat: Wie meine Gebeine geschwunden sind, wie mein Leib zum Schatten geworden. Nicht Schlaf, nicht Ruhe kommt über mein Auge, nicht die Hoffnung in meine Brust, und dieser Zustand muß sich ändern, sollte ich auch Jahre lang vor der Thüre einer Synagoge liegen, und mit meinem Rücken den Gläubigen zur Schwelle dienen1. Aber selbst dann würde ich nicht wieder seyn, wie zuvor, wenn ich Dich nicht gerettet; versiechen würde ich im Jammer, wie auch versiechen wird in Elend und Trostlosigkeit David, unser guter, allzu guter Vater. Dir gehört dann sein Tod; und mein letzter Seufzer wird seyn Dein Werk!« –[144]
»O schweige, schweige, grausamer Bruder!« schluchzte Esther, trostlos die Hände ringend, »Du greifst fürchterlich mein Herz an, das doch nichts Böses wollte, das doch nur glücklich zu seyn begehrte! Aber nicht Dein Tod, nicht der unsers Vaters komme über mich. Wie könnte ich die Freuden des Lebens finden, müßte ich mir vorwerfen, sie seyen erkauft durch das Eure. Nimmermehr! Ich will seyn stark, stärker als mein Geschlecht, stärker als der Mann selbst, der nicht freiwillig abläßt von dem, was er liebt.« – »Dann segne Dich Jehovah!« entgegnete Ascher freudig: »O gehe mit mir, Schwester, wiedergefundne Tochter Abrahams und Jakobs. Noch besitze ich Geld und Gut, zu fristen unsre Tage. Komm, theile mein bescheiden Loos, tröste mich in meiner Buße, in meiner Reue; halte bei mir aus, und der Herr wird uns wiederschenken den Vater, dessen Schmach und Elend gewißlich nur eine Folge ist meiner Missethat.« – »Ein Lebewohl, – das Letzte, werde ich doch dem Freunde bringen dürfen?« – »Nein, nein!« herrschte Ascher: »Fliehe die glatte Zunge aus Midian, fliehe den Mund, der Dich bethörte. Ein Hauch der Schlange reicht hin, Dich und uns Alle zu verderben. Du mußt mir folgen! O, warum ist die Nacht schon dunkel geworden? Warum leuchtet nicht die Sonne? Gleich müßtest Du gehen mit mir. Aber morgen, morgen, so wie es Tag wird, folge mir!« – »Du brichst mein Herz und meine Gefühle, wie Binsen!« rief Esther schmerzlich: »Aber, mag ich doch das Opfer seyn, daß der Herr nicht zürne, und daß es den Meinen wohl gehe[145] auf der Erde! – Ich will mir denken, Er sey mir untreu geworden, während ich doch meineidig werde gegen ihn. Ich will mir denken, daß er in den Tagen, wo ich für ihn zitterte, ein Opfer der Vehme gefallen sey; aber werden diese Gedanken mich beruhigen? Werden sie nicht entsetzliche Geißeln und Stacheln seyn, um zu zerfleischen mein Inneres? Mein Bewußtseyn erhalte mich aufrecht, und mein hochgelobter Gott, der mich geschaffen. In seinem heiligen Namen, – Bruder – ich folge Dir!«
1 Eine ehemalige Büßungsart der Juden.
Ausgewählte Ausgaben von
Der Jude
|
Buchempfehlung
»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.
90 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro