Siebentes Kapitel.

[165] Schnell ist der Pfeil, schneller die Rache, am schnellsten die Reue.

Pers. Sittenspruch.


»Du kommst allein, mein Sohn?« fragte Diether staunend und freundlich zugleich, als Dagobert zu ihm hereintrat in's Gemach, wo er mit Frau Margarethen in völliger Eintracht saß, den kleinen Hans auf seinen Knieen. Dagobert bejahte stumm, reichte seinen Eltern die Hände, warf einen prüfenden Blick auf Margarethen, und küßte den Knaben. – »Sieh,« begann Diether wieder und liebevoll: »sieh, das freut mich; ich läugne es nicht. Es ist erfüllt worden, warum ich Gott in meinen letzten Nächten gebeten habe. Du hast muthig eine unziemliche Leidenschaft bekämpft, deren Gegenstand nur als[165] unsre Tochter aufgenommen worden wäre, um Dir einen Beweis unsrer ausserordentlich Liebe zu geben, nicht aus Neigung unsers Herzens, da wir in der Jüdin, selbst wenn sie die Taufe empfangen, nur die nicht mit Rechten unserm Kreise Angehörige sehen können.«

»Ja,« setzte Margarethe bei, die ihr Auge vor dem Dagobert's niedergeschlagen hatte, nun es aber mit freundlicher Klarheit zu ihm erhob; »bester Sohn; obgleich ich Euer Glück von ganzer Seele wünsche, so ist mir's, wie meinem Herrn genehm, daß Ihr der hebräischen Magd entsagt habt. Mit unserm Verlangen stimmt es überein. Was mein Herr noch ferner auf den Herzen trägt, überlasse ich ihm selbst, zu erklären gegen Euch.« – »Was ferner, mein Vater?« fragte Dagobert sanft. – »Deine Stimne gibt mir Muth;« erwiederte Diether: »es möge Dir nicht grausame Willkür scheinen, was ich von Dir jetzt fordre. Lege es aus Rechnung meines durch manchen Fehl betrübten Herzens, das recht innig und aufrichtig Friede schließen möchte mit dem Himmel. Deiner Mutter Gelübde, ... Sohn, ... laß mich nicht vollenden. Der Eid, den sie gethan, ist nicht gelöset, denn des Papstes Brief verliert die Kraft, so bald er nicht mehr das Recht besitzt, zu lösen. Also spricht der würdige Vater Reinhold, also spricht der gelehrte Dechant des Doms, Herr Herdan; darauf dringt Dein Ohm, der Prälat, – Pater Johannes selbst, der sehr zu Deinem Vortheil neigt, zuckt hiebei die Achseln. Ich weiß keinen Weg zu finden aus der Gewissensangst, die mich belastet,[166] und der Dechant hat schon geäußert, er wolle an den bischöflichen Stuhl berichten ....« – »Nicht doch, mein Vater,« unterbrach ihn Dagobert gelassen und heiter: »der würdige Herr mag diese Mühe sparen, wie Ihr die Sorge, nach Worten zu suchen, die Eure Absicht aussprechen sollen, ohne mir wehe zu thun. Nicht Ihr, nicht Herdan, nicht Reinhold, nicht einmal der Ohm, die Hauptquelle dieser Einwirkung der Kirche ... keiner von ihnen fügt mir dadurch ein Leides zu, sondern ihre Worte sind aus meiner Seele genommen. Ja, mein Vater: ich will Priester seyn, und will den Bischof um die Weihen bitten, sie mir nicht aufdringen lassen.« – »Sohn! Dagobert!« rief der Vater entzückt, so schnell am Ziele zu seyn: »ist es möglich, daß ich recht hörte? Du wolltest? wahrlich, Du bist mehr als ein gewöhnlicher Mensch, und gränzest an den Heiligen, der dort – Dein Ebenbild – von der Wand herab uns zulächelt.« – Dagobert warf schnell den Blick auf das Gemälde, welches den heiligen Georg in seinen Zügen darstellte. Seine Bescheidenheit hatte nie geahnt, daß dieses Bild ihn selbst vorstelle, und er erröthete. Dann verneigte er sich vor Margarethen, und redete: »Ehrsame Frau, Euer Befehl schuf jenes Bild, und ich muß Euch herzlich um Vergebung bitten. Ich dachte, vom Haus geschieden, in schlechterm Andenken bei Euch zu stehen. – Ihr jedoch, mein Vater, preiset allzusehr mein schwach Verdienst. Ich bin kein Heiliger, begehre auch nicht, es zu seyn; aber wohl ein gehorsamer Sohn und ein Mensch, der allein seyn will mit Vergangenheit und Gegenwart. Es bleibt[167] dabei, mein Vater. Morgen, heute noch spreche ich mit Pater Johannes über diese Sache, oder mit Reinhold, wenn Ihr meint. Ich liebe raschen Entschluß, und denselben rasch zu vollführen.« – »Geh', wohin Dein Herz Dich zieht;« versetzte Diether: »die Mutter wird vom Himmel herab Dich segnen, und Dein Bruder Johannes Deiner Tugend huldigen. Ich gehe, um den Dechant und den Vater Reinhold von Deinem freien Willen zu unterrichten. Im Barfüßerkloster wartet meiner ohnehin eine andre Pflicht. Der Mönch, der mir von Wallrade Kunde brachte, ist genesen, und soll meinen Dank empfangen. Reinhold, der ihn in der Krankheit oft gepflegt, betheuert, der Mann sey nicht Priester, sondern von ritterlicher Herkunft, wie er aus Worten vernommen, die seinem Munde in der Hitze des Fiebers entwischten. Wie dem auch sey, – ob eine Ordensregel, ob Unglück oder ein Gelübde den Mann in diese Kutte zwang; ich will ihm vergelten, so gut ich's vermag; denn er war mir ein froher Bote, und seine Botschaft darf nichts gemein haben mit meinem Zwiste mit Wallraden,« – »Wallrade! die Unglückliche und Unselige!« rief Dagobert theilnehmend aus: »Wo ist sie? sicher nicht in diesem Hause, denn ich sehe, hier wohnt endlich her Friede.« – »Ja wahrlich!« bekräftigte Diether, mit einer herzlichen Umarmung seines Weibes: »Der kühne Gang zum Bannstein hat Margarethen gereinigt in meinen Augen, wie ein heiliges Feuer. Sie ist eine wackre Hausfrau, eine biedre Mutter, und pflegt mit voller Liebe den Knaben, der uns fast so schnöde verloren gegangen wäre, durch[168] die Schlange, meine Tochter; durch mein eignes Kind! Ha, diese That hat mich empört, wenn ich ihr gleich den Fehltritt verziehen hätte, der sie in jenes Edelmanns Arme führte. Gott schütze ihr unglücklich Kind, das, wer weiß, auf welchem Strom des Lebens jetzo schwimmt, aber sie, die nichtswürdige Tochter und Mutter, will ich nicht mehr wiedersehen, kein Wort mehr von ihr hören. Möge sie in dem Hause der Reuerinnen, wohin sie sich grollend zurückzog, Reue lernen und Gefühl. Ich bin mit ihr fertig.« – »Ach, lieber Herr,« seufzte Margarethe: »bezwingt doch diese Unversöhnlichkeit. Bedenkt, in welchen Jammer uns Eure Härte ohne Gottes Beistand gebracht haben würde.« – »O sieh, sieh, Dagobert!« sprach Diether entzückt: »sieh diesen beleidigten Engel, der für die Beleidigerin bittet. Ich lese in Deinen Augen gleiche Wünsche, aber, um nicht weich zu werden, entziehe ich mich lieber Euern Bitten, bis ich kälter und ruhiger geworden bin.« – Er ging rasch hinaus, und Dagobert sagte kopfschüttelnd: »Der Vater gleicht einem gewandten Gesellen, der auf der Mummerei Tag und Nacht vorstellt. Argwöhnisch und gehässig in einer Stunde, – entzückt und das Vertrauen selbst in der andern. Ich sehe, nur ein guter Schiffer vermag sicher durch dies trügliche Meer zu steuern. Euer Schifflein jedoch, meine Mutter, geht hohl und einer Klippe zu.« – »Sprecht;« fuhr er zu der Verlegnen, sich herabneigend, fort: »Sprecht doch, ehrsame Frau! Wie mögt Ihr doch in lügendes Schweigen der Wahrheit vorziehen, die sich überall Bahn bricht: Noch, wie ich höre, weiß mein Vater[169] nichts von dem falschen Johannes. Und ich bat Euch doch so sehr! Soll ich denn reden an Eurer Statt? Und muß ich es nicht vielmehr?« – »Vater Reinhold rieth mir zu schweigen;« antwortete die Betroffene ängstlich: »Seine Klugheit ....« – »Sucht hinter Eurer Lüge die eigene – wohlgemeinte – zu verbergen, mit welcher er Euern Leumund rettete;« unterbrach sie Dagobert: »aber, ihn trifft nicht der Blitz, der Euer Haupt nicht verfehlen würde, erführe mein Vater durch andre Zungen, was sich begeben. Verachtet doch endlich die Winkelzüge. Ihr habt mich einst sehr geliebt, Ihr liebt mich noch; wie eine treue Mutter den frommen Sohn, denke ich. Thut mir doch zu Liebe jenes Geständniß, daß Euch süße Früchte tragen wird. Thut es bald, denn die Zeit verrauscht, und jeder Tag könnte Euch unrettbar verderben. Überlegt, und laßt mich, – kehr' ich wieder, – Euch entschlossen finden.« –

Kurze Zeit, bevor Dagobert aus seines Vaters Hause ging, um sich zu seinem geliebten Lehrer Johannes zu begeben, hatte der Herr von der Rhön, von den Schmerzen des heftigen Fiebers erstanden, das Barfüßerkloster verlassen, um zu lustwandeln im Strahle des sommerlich leuchtenden Tages, neue Kräfte zu gewinnen, und seine wunderliche Lage genau zu bedenken. Schon im einsamen Krankenzimmer des Klosters hatte er gehört, daß Diether's Tochter zurückgekehrt war aus der Haft des räuberischen Bechtrams, der ein blutiges Ende gefunden. Er lenkte unwillkürlich halb, und dennoch halb von Sehnsucht[170] getrieben, seine Schritte nach Diether's Wohnung. Er umschlich sie einigemale, und lugte empor zu den Fenstern des Hauses, um vielleicht Wallraden zu gewahren, einen Anlaß, sie zu sprechen, zu suchen, um von ihr zu hören, wo sein Knabe, – die einzige Hoffnung seines Lebens, sey. Freilich mahnte ihn öfters die innere Stimme, der Arglistigen, die seine Feindin geworden war, nicht blindlings zu vertrauen; freilich beschlich ihn die Furcht, sie möchte ihn – nun sie in Freiheit, – täuschen, wie sie schon oft gethan, allein – nach dem Strohhalme greifend, wie ein Schiffbrüchiger, treibend auf wallender See, sehnte er sich dennoch nach dem Anblicke der Gehaßten. Ihr Antlitz, so widerlich es ihm geworden, war das Ziel, nach welchem seine Blicke suchten, allein vergebens war sein Bemühen. Die Fensterflügel alle standen offen, um die balsamische Luft in das dunkle Gebäude zu lassen; jedoch an keinem dieser Fenster war Wallrade zu erspähen. Ein freundliches Gesicht, – Margarethens, – neigte sich wohl öfters aus den Bogen; kein anderes war aber zu schauen. Seiner Fassung nicht vertrauend, um unvorbereitet in das Haus, unter die Augen der Unversöhnlichen, oder ihres Vaters, des strengen Mannes zu treten, kehrte er seufzend, sein Vorhaben auf günstigere Zeit verschiebend, den Mauern, in welchen Wallrade, das Unglück seines Lebens, geboren wurde, den Rücken, und ging weiter, ohne ein bestimmtes Ziel sich zu stecken. An den Hütten vorüber, in welchen Bettlerrotten ihr unverschämtes Gewerbe trieben, und in Horden die Vorübergehenden[171] anfielen1, schritt er gedankenvoll dem Rauerberge zu, um von dannen an den Mainstrom zu gelangen; nicht die Aussicht über den Fluß zog ihn dahin; wohl aber die schmerzliche Lust, die Fluthen wogen zu sehen, in welchen sein geliebtes Weib, sein theures Kind zu Grunde gegangen waren. Wie er nun so dahin ging, dieser verlornen Lieben im Innersten wehmüthig gedenkend, so strich eine junge Betteldirne an ihm vorüber, die ein Kind auf dem Arme hielt, und dem Mönchsgewand eine fromme Verneigung schenkte. Als wie durch eine Fügung gezwungen, drehte Bilger den Kopf nach ihr, und indem er das Kind gewahrte auf ihren Armen, schlug wie ein Donnerstreich der Gedanke durch sein Gehirn: Rudölf! dieses Kind! ist's nicht das Deine? – Und zu stehen befahl er der Dirne, und auch ihre Züge waren ihm bekannt, als wie aus früher, dämmernder Zeit. – »Wer bist Du, Maid?« stammelte er betroffen, und hielt die Bettlerin mit zitternden Händen fest: »Wer bist Du, Unglückliche, und wessen ist dies Kind?« – Seiner heftigen Bewegung zu Folge fiel die Kaputze von seinem Haupte, und sein Antlitz erschien im Sonnenlichte, – der bestürzten Magd so schrecklich und drohend, daß sie aufschrie: »Um aller Heiligen Willen! Herr von der Rhön! Ihr seyd's? O welche Freude!« – »Kunigund!« stammelte er, wie von einem neuen Fieberanfall geschüttelt: »Antworte mir .... antworte! dieses Mädchen!« – »Ist das Eure, Herr;« erwiederte Gundel, sich vor ihm[172] auf die Kniee werfend: »verzeiht, vergebt, Herr, ich wußte nicht, daß Ihr zu Frankfurt; ich fürchtete mich .... mich schreckte der Kerker. Bettelnd hab' ich meine und des Kindes Tage gefristet, um nur Frau Wallradens Rückkehr zu erwarten.« – »Wallrade?« rief Bilger entsetzt, indem er das schreiende Kind, das den Vater in der rauhen Hülle, entstellt von Blässe und verwildertem Varte, nicht erkannte, auf seinen Arm riß: »Wallrade? ich entsinne mich. Welch fürchterliches Licht! Sie nannte mir das Kind todt!« – »Todt?« fragte befremdet Kunigunde: »Todt? ach nein, lieber Herr!« – »Des Kindes Mutter jedoch? ...« – fuhr Bilger mit steigender Angst und Hoffnung fort. – »Auch sie lebt, guter Herr!« betheuerte Gnudel. –

»Abschaum der Hölle!« schrie von der Rhön in heftigster Bewegung: »Niederträchtige Wallrade! Wo ist mein Weib, wo? sprich, Dirne, sonst ist Dein Ende da!« – »Ich schwöre, daß ich es nicht weiß, Herr,« entgegnete Gundel schluchzend und die Hände ringend: »hätte ich den sonst nicht der Mutter ihr Kind gebracht, das nur mich allein hatte in der Welt? Ach, Herr, Wallrade ist böse, und ich berene mit blutigen Thränen, daß ich um ihre Frevel weiß. Euer Sohn, o Herr! ...« – »Nachher von meinem Sohne!« donnerte von der Rhön: »nachher! jetzt aber, von ihr, der Lügnerin! Wo finde ich sie? wo?« – »Erst gestern hab' ich ihren Aufenthalt erfahren,« antwortete Gundel schnell: »die Äbtissin der Reuerinnen ist ihre Freundin, und sie wohnt darum im Hause der weißen Frauen.« – »Der Teufel im[173] Hause der Buße?« fragte von der Rhön mit wilden Zornesflammen im Gesichte: »Wenn ich sie finde, wenn ich sie treffe! ...« – Mit diesen Worten enteilte er, das Kind auf dem Arme, dem Kreise von neugierigem Pöbel, der sich um diesen seltsamen Auftritt versammelt hatte, und stürtzte mit der Hast eines Wüthenden der Mainpforte zu. – »Um Gottes und Christi Willen!« jammerte Gundel, nachrennend.: »Ihr stürtzt Euch in's Verderben, Herr! Hört mich! hört!« – Aber so wie ihr Geschrei, – das eines schwachen Weibes fruchtlos verhallte unter dem Toben der Menge, also war überhaupt nicht mehr aufzuhalten das Rad des Unglücks, das vom Zufalle entfesselt worden war, und nun zerschmetternd daherrollte. Der Stifterin alles Übels nahte ihre verhängnißvolle Stunde, denn sie begegnete, wenige Schritte von der Pforte dem Rasenden, der wie ein böser Geist an sie heranstürmte. – »Willkommen, Ungeheuer!« rief er ihr zu, daß sie entsetzend vor ihm wich, und sich an ihre Begleiterin festhielt: »Kennst Du dies Kind? Kennst Du mich? und soll ferner noch Dein schändlich Lügengewebe bestehen? Wo ist die Mutter dieses Kindes?«

»Gott der Barmherzigkeit!« flüsterte erschrocken Wallradens Begleiterin, und das Fräulein schrie: »Kommt Willhild, kommt! befreit mich von dem Tollgewordenen!« – »Wo ist dieses Kindes Mutter?« brüllte der Verzweifelnde, und schleuderte sie mit mächtiger Faust zurück: »In dem Strome? Lüge ist's! darum bekenne, oder fürchte das Äußerste, Höllengespenst!« –[174]

»Der Mensch will mich ermorden!« jammerte Wallrade, verblassend und bebend an allen Gliedern: »Willhild! helft mir von dannen!« – »Ermorden? ja bei Gott!« donnerte Bilger: »Nicht leben sollst Du, wenn Du nicht auf der Stelle bekennst!« – Vor seinen fürchterlichen Blicken wich die Menge zurück, die das Schauspiel umbraußte. Wache von der Pforte näherte sich nun, um auf Willhild's durchdringendes, Geschrei Ruhe zu stiften. Bilger stürzte jedoch mit der Wuth eines Tigers auf den Anführer der Söldner und entriß ihm gewaltsam die blanke Waffe. Sie in einem leuchtenden Kreise schwingend, schreckte er die Knechte von sich, und verdoppelte Wallradens Angst, an welche er die vorige Frage wiederholte, außer sich vor Zorn und Grimm. Da gewahrte Willhild den Junker Dagobert, der, von der heulenden Gundel geleitet, sich durch das Volk drängte, und schrie, was sie vermochte, nach Hülfe, und nach seinem Schutz. – »Erbarme Dich meiner, Bruder!« wimmerte Wallrade, vor dem Wüthenden zurückweichend. – »Du schweigst?« stammelte dieser: »So stirb, Verfluchte! – Und mit einem gewaltigen Schwertstoß auf die Brust der Feindin warf er sie in den Staub, daß sie, schwer blutend und ächzend zusammenfiel, ohne ferneres Zeichen des Lebens. –«

»Zeter!« schrie der Haufe und fuhr weit zurück vor dem Herrn von der Rhön: »Ein Mord! Genade der Armen Gott! Ein Mord! – Wer bist Du, Entsetzlicher!« rief Dagobert, der die in seinen Arm Gesunkne, Willhild und Gundel überließ. Der Herr von der Rhön war beim Anblick der Verletzten und der Ströme ihres Bluts wie gefühllos geworden, und dieser Schreck[175] gewann ihm die Herzen des Pöbels, und Dagobert's Mitleid, der seinen Mann plötzlich erkannte, und wie von einem Gespenste berührt, zurücktaumelte. – »Herr von der Rhön?« schrie er: »Unglücklicher! Abscheulicher! was habt Ihr gethan?« –

»Stoßt mich nieder,« antwortete ihm Bilger wie bewußtlos, und die triefende Klinge entfiel seiner Hand. – »Das walte Gott!« versetzte Dagobert schaudernd: »Dort naht schon die zurückkehrende Wache, Schöffen an der Spitze. Euer Blut komme nicht über mich, flieht!« – »Flieht! flieht!« schrie die Menge: »Flieht, unglücklicher Vater! Nach der Freistadt, nach der Freistadt! fort, fort!« – »Wo? wo?« stotterte Rhön, in dem die Lust zum Leben wieder erwachte. – »Nach dem deutschen Hause!« raunte ihm Dagobert in das Ohr, und stieß ihn in das Gewühl des Volks, das dem bewußtlos Fliehenden geräumigen Platz machte. – »So versorgt Ihr mein Kind?« entgegnete der arme Vater, und im Nu hatte es Dagobert schon auf seinen Armen gezogen. Bilger entfloh, so schnell, als seine Füße es erlaubten und die unbequeme Tracht. Das Mitleid der aus den Häusern laufenden Bürger bahnte ihm den Weg. »Laßt ihn durch!« riefen einige Stimmen: »er ist ein armer Mörder!« – »Zu den deutschen Herren mit ihm!« riefen wieder andre. »Haltet die Wache auf!« schrieen die Kühnsten, Meister und Knechte der Metzgerzunft, und schleuderten Steine, Äxte und dergleichen Dinge mehr den eifrig Nachsetzenden zwischen die Beine. Am Brückenthore wollten die Söldner den Mönch nicht durchlassen. Metzgerfäuste[176] stießen sie zurück. Zweie von der handfesten Schifferzunft packten den ermatteten Bilger bei den Händen, nahmen ihn in die Mitte, und rannten mit ihm, schnell wie der Wind, über die Brücke. Wagen sogar mußten ausweichen, und aus den Fenstern des Deutschherrenhauses wurde der Auflauf gesehen. Eifersüchtig, ihr heiliges Vorrecht zu üben, gaben die Obern Befehl, die Thüre weit zu öffnen. Bilger nahte dem Ziele, aber auch die Verfolger waren nur einen Schritt hinter ihm zurück. Auch sie machten sich durch Hellebardenschläge und Rippenstöße Luft und freien Weg, und ihre Hände berührten schon die Kutte des Unglücklichen, als er die Schwelle des deutschen Hauses erreichte, und athemlos darauf zusammen sank.

»Rühre nur die Mauer an, armer Mann!« riefen ihm Mitleidige zu, und seine matte Hand erfaßte einen Stein der Pfortensäule, als der Schöffe anlangte, ihn in Haft zu ziehen. – Dieser Letztere, ein rüstiger, noch junger Mann, wollte sich ohne weitere Umstände seiner Beute bemächtigen, und auf seinen Wink griffen die zweifelhaft zögernd Söldner zu, allein Bilger klammerte sich mit der Kraft eines Verzweifelnden an die rettende Pforte, und gewährte einen augenblicklichen Widerstand, der dem Oberreiter des Hauses Zeit ließ, sich in den Handel zu mengen. Er wies die Angreifenden mit Wort und That zurück, und das umstehende Volk nahm seine und des unglücklichen Verbrechers Partei. Der Schöff schien jedoch hierauf nicht zu achten in seinem Ungestüm, und legte in Person Hand an den Herrn[177] von der Rhön. Verloren schien dieser in seiner Verfolger Gewalt, als der Komthur des Hauses rasch aus der Pforte kam, und mit kühner Faust den Ergriffenen wieder frei machte.

»Wer wagt's, sich an unsern guten Rechten zu vergreifen?« fragte er trotzig: »Hat uns der Stuhl zu Rom und Kaiser und Reich dieselben darum gegeben, daß ein Rathsherr, von Frankfurt mit ihnen verfahren könnte, wie ein Kind Mit seinem Spielwerke? Laßt die Hand ab, und geht mit Gott ohne diesen Mann.« – Der Schöff behauptete, der Verfolgte habe noch nicht die gefegten Steine berührt gehabt, als man herangekommen; aber die Stimme des Volks widersprach seinen Worten, und der Komthur hielt sich an die Rede des Volks. – »Zieht ab;« rief er: »ohnehin gehört der Mönch vor sein eigen geistliches Gericht.« – »Er ist kein wirklicher Mönch!« entgegnete der Schöffe zornig: »Er trägt die Kutte ohne Beruf und Vergunst. Unser muß er seyn.« – »Und wenn's der Teufel selbst wäre im Barfüßergewand,« – überschrie den Rathsherrn der Komthur, – »so muß er sicher seyn unter unserm schwarzen Kreuze, sonst sperren wir das Haus, und ziehen Euch vor dem Reichstage zu Rede und Antwort. Laßt darum den Mann und uns in Frieden; über vier Wochen mögt Ihr wiederkommen!«2 – Mit diesen Worten, ohne seine Rede ferner zu vergeuden,[178] zog der Komthur den Herrn von der Rhön nach sich in's Haus, und riegelte mit eigner Hand die Pforte zu, sich wenig bekümmernd um das Toben und Schelten der abziehenden Rathsknechte und Söldner. Bilger folgte seinem Schutzherrn ohne jede Überlegung in-den Saal des Erdgeschosses, wo sich zu gleicher Zeit der Trappierer und der Pfaffe des Hauses einfanden, um den Ankömmling neugierig zu betrachten.

»Ihr habt Euer Probe- und Meisterstücklein herrlich gemacht, Herr Komthur!« sprach der Pfaffe schmunzelnd zu dem Ritter: »Ihr seyd mit den Leuten umgesprungen, als ob Ihr seit einem Jahrzehend mit ihnen zu Felde gelegen.« – »Hm!« entgegnete der deutsche Herr lächelnd: »Ihr wißt ja, Pater, daß man die Kinder hat, wie man sie zieht. Gleich von Anbeginn den Daumen wacker auf die Augen gedrückt, bewahrt vor dem Allzuhellsehen. Nun aber zu Dir, Du sauberer Vogel;« fuhr er fort, zu Bilger gewendet: »Du hast ein leichtfertig und verpöntes Stücklein gemacht, wie ich vernommen. Der Todschlag mit offner Wehr kommt sonst in Deinem Gewand selten vor. Sag' darum an, ob der Schöffe wahrgesprochen, da er schwur, Du seyst kein Mönch, und bekenne: wer bist Du denn?« – Bilger hatte indessen den Blick starr und steif auf den Komthur gerichtet, schwieg noch eine Weile, und antwortete hierauf mit dumpfer Stimme: »Ich bin bereit, Euch zu sagen, was Ihr verlangt, Herr, doch eben und gerade nur Euch.« – »Da muß Erbauliches dahinterstecken, was wohl nicht mit einer Buße von vier[179] Wochen abgethan seyn dürfte,« spottete der Ritter, beurlaubte indessen seine Freunde mit einem stolzen Kopfnicken und blieb mit dem von der Rhön allein. Dieser, statt ein Wort zu reden, begnügte sich, vor den Komthur hinzutreten, ihm fest in's Auge zu sehen, und die Kaputze vom Haupte zu ziehen. Der Ritter starrte ihn verwundert an, aber nur nach langem Zweifeln stieg eine Erinnerung in ihm empor, die seine Augenbraunen hoch emporzog und die kahle Stirne in trübe Falten legte. – »Bei meinem Eid!« begann er endlich: »seh' ich recht? täuscht mich auch nicht der Bart und das fahle Gesicht, oder seyd Ihr's wirklich, Rudolph Bilger?« – »Ich bin's, Herr,« entgegnete der von der Rhön, »und an Eurer gerunzelten Stirne sehe ich, daß Ihr mir ferner Euern Schutz nicht gewähren werdet für ein Verbrechen, dessen Wurzel eigentlich nur in Euch zu suchen ist; wißt, ich erschlug Wallraden!« – Da wurde der deutsche Herr bleich wie die Wand, und so ergriffen, daß er sich an das Fenstergesimse lehnen mußte. »Wallrade?« seufzte er kaum vernehmlich: »Wallraden habt Ihr erschlagen?« Er hielt die Hand vor die Stirne und Augen, und da er sie wieder wegzog, war die braune Röthe abermals auf sein Antlitz gestiegen, und seine Augen leuchteten wieder wie herausfordernde Irrwische und der Mund warf sich wieder trotzig auf unter dem borstigen Knebelbarte wie zuvor. »Seyd mir willkommen, von der Rhön!« sagte er, dem Staunenden die Hand reichend: »Obschon Ihr an meinem Schutze verzweifelt, so liefre ich Euch dennoch nicht aus; gerade jetzo nicht, denn[180] der heilige Georg hat nicht besser gethan, da er den Lindwurm verletzte, als Ihr, da Ihr diesen Teufel zur Heimath sandtet. Wohl bekomm's der falschen Metze! Sie hat's verdient an manchem Biedermann!« – »Euch, gerade Euch also reden zu hören ...?« hob Rudolph an: »Wie reim' ich das?«

»Reimt's wie Ihr wollt;« antwortete der Komthur: »aber ich bin ein reifer geworden in der Welt, seit wir uns nicht sahen. Ich bin ein wildes Blut gewesen, und die Leute sagen, ich wär' es noch, obgleich der Säbel eines verfluchten Polen meinen Schädel – seht diese Narbe – in der Feldschlacht also zugerichtet hat, daß mir mit den Haaren auch der Satan darunter hätte ausgehen müssen, wenn Alles mit rechten Dingen zuginge. Aber meine Wildheit reicht noch lange nicht an die Schlechtigkeit der Dame von Baldergrün. Nachdem meine Wunde geheilt worden war, und der Heermeister im Kapitel den Komthursstab als Pflaster darauf gelegt hatte, als ich wieder auf meiner Fahrt hieher durch meine Heimath wieder auf meiner Fahrt hieher durch meine Heimath und Thüringen kam, wo man mich allenthalben anstaunte wie einen todtgeglaubten Mann, ... was hörte ich nicht von Wallraden? Wie manchen wackern Mann nannte man mir nicht, der sich zeither in den Schligen der Hexe gefangen und sehr übel darnach befunden hatte? War sie früher nur ein Spiel meiner Leidenschaft gewesen, so wurde sie jetzo ein Gegenstand meines Abscheus. Ich wußte wohl, daß sie sich hier befinde, aber tausend Jahre hätte sie leben können, ohne mich zu sehen. Vetter Issing ist für sie[181] nicht mehr auf der Welt. Noch einmal: wohl bekomme ihr der gähe Tod. Was aber ist aus Euerm Johannes geworden, von der Rhön?« – »O, Ihr reißt eine Wunde auf, deren ich in dieser unglücksschwangern Stunde ganz vergessen hätte;« rief Bilger außer sich, und erzählte nun dem aufmerksamen Komthur seiner Leiden bedauernswürdige Geschichte, wie er geglaubt, Weib und Tochter verloren zu haben, wie er seine einzige Hoffnung auf den Knaben gesetzt, und wie ihm das grausame Verhängniß die Tochter wieder in die Arme geführt habe, um ihm sie, ihre geliebte Mutter, den von fremder Gnade lebenden Sohn, und überhaupt alles Glück, alle Freude des Lebens durch einen im Zorn verübten Mord unerbittlich zu rauben.

»O ich bin ein sehr unglücklicher Mensch!« schloß der arme Mann mit jener starren Verzweiflung, die auch im höchsten Schmerz keine erleichternde Thräne in das trockne Auge läßt: »und besser fürwahr wäre es, Ihr übergäbet mich alsobald den Händen des Halsgerichts, das vor der Thüre lauert, und dem ich nach kurzer Frist ohnehin zum Raube werden muß. Das Elend, in welchem ich vergehe, beschreibt keine Zunge, und wenn ich mich über den Verlust meiner irdischen Freude trösten möchte, so kann ich's nicht, denn mein Bewußtseyn ist voll Schuld, denn auf mir lastet – außer der blutigen That, die mir vielleicht der Barmherzige vergäbe – eine Sünde wider Ihn und seine Gebote, die nicht Er, die nicht seine Kirche verzeiht und erläßt; die Sünde der Doppelehe, gleich[182] zu rechnen der Blutschande und sträflichen Unzucht. Wer hilft mir aus diesem Gewirre von Freveln, und werde ich sie denn auf dem Blutgerüste sogar abbüßen können?« – Der Komthur blickte unter seinen buschigen Augenbraunen hervor auf das zerstörte Gesicht des jammernden Bilger's, und er sagte mit roher Gutmüthigkeit: »Denkt doch nicht jetzt schon an's Sterben und den unehrlichen Henker. Noch habt Ihr Frist genug dazu, und die Bullenbeißer auf unsers Hauses Schwelle mögen sich vor der Hand die Nase stumpf wittern. Erholt Euch; aus einem Scheinfreunde bin ich Euer wahrer Freund geworden, und will Euch Gutes thun, wie ich nur vermag. Weib und Kind kann ich Euch nicht wieder schaffen, und Euern Hals nicht sichern vor dem Schwerte der Frankfurter, aber lustiger und gemächlicher sollt Ihr die Zeit hinbringen, und erwarten, ob nicht etwa ein Cardinal oder der heilige Vater selbst, oder der Kaiser diese Straße ziehe; das sind Leute, deren Anblick allein Gnade bringt und Freiheit. Hofft, auf was Ihr wollt; auf ein Wunder, auf des Himmels Einsturz sogar; das gilt mir gleich! aber hofft nur, und schlagt Euch den Stöcker aus dem Sinne. Werdet wieder ein Mensch, der Alles hinter sich wirft, und glättet die Stirne. Wir im deutschen Hause sind keine Kopfhänger, und lieben Tafel, Wein und Scherz. Selbst mit den Weibern nehmen wir's nicht genau, – sind sie uns gleich verboten. Anlässe genug um fröhlich zu seyn mit den Fröhlichen. Vier Wochen sind eine Ewigkeit für den[183] zuversichtlichen Grillenfeind. Euer Trübsinn hilft nicht; darum jagt ihn weg, und laßt für die Zukunft den Herrgott sorgen!«

Fußnoten

1 Auf dem Liebfrauenberge.


2 Ein Mörder war in dem Hause der deutschen Herren eine Frist von vier Wochen hindurch vor dem Blutrichter sicher.


Quelle:
Carl Spindler: Der Jude. 3 Bände, Band 3, Stuttgart 1827, S. 184.
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