Puppen

[158] Sie stehn im Schein der Kerzen, geisterhafte Paare,

spöttisch und kokett in den Vitrinen

Wie einst beim Menuett. Der Schönen Hände schürzen

wie zum Spiel die Krinolinen

Und lassen weich gewölbte Knöchel über Seidenschuhe

blühn. Die Kavaliere reichen

Galant den degenfreien Arm zum Schritt,

und ihre feinen frechen Worte, scheint es, streichen

Wie hell gekreuzte Klingen durch die Luft,

bis sie in kühlem Lächeln über ihrem Mund erstarren,

Indes die Schönen in den wohlerwognen Attituden

sanft und träumerisch verharren.

So stehn sie, abgesperrt von greller Luft,

in den verschwiegnen Schränken

Hochmütig, kühl und fern und scheinen langvergeßnen

Abenteuern nachzudenken.

Nur wenn die Kerzen trüber flackern,

hebt ihr dünnes Blut sich seltsam an zu wirren:

Dann fallen Funken in ihr Auge.

Heiße Worte scheinen in der Luft zu schwirren.

Der Schönen Leib erbebt. Im zarten Puder

der geschminkten Wangen gleißt

Ihr Mund wie eine tolle Frucht,

die Lust und Untergang verheißt.

Quelle:
Ernst Stadler: Dichtungen, Band 1, Hamburg o.J. [1954], S. 158-159.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Aufbruch
Der Aufbruch und ausgewählte Gedichte
Der Aufbruch und andere Gedichte
Der Aufbruch
Der Aufbruch: Gedichte