Der Zug ins Leben

[218] Johannes Leonardus mit herzl. Dank für die Widmung der »Heißen Nacht«


Und einmal dann: In einer Sommersternennacht

wenn alles Leben wie gelöst

in sammetweiche Schwermut liegt

und überm Forst noch der sprühende Goldschein hängt

zitternd wie blaß aufglimmernde Gewebe

und zart wie Flaum: Dann wird ein langer Ruf

aus Traum und Schlummer ladend uns erlösen.


Dann ziehen wir indes der Feuerschein

sich dichter um uns schließt in dunklen Haufen

die Stirn mit Laub gegürtet über Schollen

sprossender Äcker in das sinkende Licht.


Uns reißt des wilden Lebens jähe süße

betörend lockende Zigeunerweise

in Nacht und Duft. Schon glänzt aus letzter Glut

die über der erloschnen Haide funkelt

das große Ziel. Schon schlingen sich die Reihn

vom Takt gefügt. Schon stürmen jauchzend

die Vordersten in losgelassnem Tanz

und eine Kette wirrer heißer Stimmen wälzt

der Jubel schwer sich durch die Massen. Fackeln spritzen

flackernde Flecken auf die schwarze Wand der Äste.

Auftaumelnd stürzen Schatten. Mädchen schwenken

flitternde Birkenbüschel Frauen lösen

die raschelnden Gewande tanzen nackt

vom Diadem der Haare überströmt

ins Licht und ihre heißen Augen schillern

unstät wie Feuerglanz auf Abendlachen.[219]

Und wilder gleißt das tolle süße Lied.

Und wilder rast und stürmt der heiße Tanz.

Und Wunder steigen auf wie Herbstnachtnebel.

Schon rollt das große Leben wie ein Meer

das gischtend gegen nackte Felsen bäumt

von bräunlich goldner Dämmerung umloht.

Schon reißt's uns über schaumgezackte Kämme

zu Inseln weiß mit Goldglanz übersprengt

Altäre wachsen blendend aus Girlanden

Festglocken dröhnen Farben schießen auf

und trunken betend sinken wir ins Licht.

Quelle:
Ernst Stadler: Dichtungen, Band 2, Hamburg o.J. [1954], S. 218-220.
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