28. Vom Mute der Frauen

[76] Ich sage euch, stolzer Templer, nicht

in der wildesten Schlacht habt ihr mehr

Todesmut gezeigt, als ein Weib hat, das

für ihre Pflicht oder ihre Liebe leidet!


W. Scott, Ivanhoe


Ich erinnere mich, in einem Geschichtswerke folgenden Satz gelesen zu haben: »Alle Männer verloren den Kopf, es war ein Moment, wo die Frauen unstreitig die Überlegenheit erlangten.«

Der Mut der Frau hat einen Rückhalt, der dem Manne fehlt. Sie fühlen sich durch ihren Geliebten in ihrer Eigenliebe verletzt und haben daher eine große Freude daran, im Drange der Gefahr es mit der Festigkeit eines Mannes aufnehmen zu können, der sie so oft durch seinen Stolz als Beschützer und durch seine Kraft verletzt hat. Die Macht dieses Genusses hebt sie über jede Furcht hinaus, gerade in Augenblicken, wo der Mann Schwäche zeigt. Wenn ein Mann auch einen derartigen Rückhalt zu solchem Zeitpunkte hätte, wäre er jeder Lage gewachsen. Denn die Furcht liegt nicht in der Gefahr, sondern in uns selbst.

Ich versuche durchaus nicht, den Mut der Frauen herabzusetzen. Ich weiß Fälle, wo sie den tapfersten Männern überlegen waren. Nur müssen sie einen Mann haben, den sie lieben. Da sie nur durch ihn empfinden, so wird selbst die unmittelbare persönliche Gefahr, mag sie noch so furchtbar sein, zur Rose, die sie für ihn brechen. So schildert Schiller die Maria Stuart. Auch bei Frauen, die nicht liebten, habe ich die kälteste, bewundernswerteste[76] Unerschrockenheit gefunden; es war als ob sie gar keine Nerven hätten. Ich glaube allerdings, sie wären nicht so tapfer, wenn sie wüßten, was es heißt, verwundet zu werden.

Der moralische Mut aber, der dem gewöhnlichen weit überlegen ist, zeigt sich in der Festigkeit einer Frau, die, ihrer Liebe widersteht; er ist das Bewundernswürdigste, was es auf Erden gibt. Alle anderen Beweise des Mutes sind hinfällig im Vergleich zu einem so sehr unnatürlichen und schmerzlichen Unterfangen. Vielleicht nehmen sie die Kraft dazu aus derselben Opferfreudigkeit, die ihnen die Schamhaftigkeit zur Pflicht macht.

Zum Unglück der Frauen bleiben die Beweise ihres Mutes meist verborgen und entziehen sich meist auch der Mittelbarkeit, und zu ihrem noch größeren Unglück brauchen sie ihren Mut meist zu ihren Ungunsten; die Prinzessin von Cleve hätte ihrem Gatten nichts sagen und sich dem Herrn von Nemours hingeben sollen.

Vielleicht ist es hauptsächlich der Stolz, der die Frauen veranlaßt, sich gut zu verteidigen; sie bilden sich ein, ihr Geliebter wolle sie nur aus Eitelkeit besitzen. Das ist eine kleinliche und klägliche Vorstellung; als ob ein Mann, der sich aus Liebe oft und mit Freuden selbst lächerlichen Situationen aussetzt, wohl die Zeit hätte, an seine Eitelkeit zu denken! Genau so sind die Mönche, die den Teufel auszutreiben wähnen und sich stolz mit ihren Kutten und Kasteiungen begnügen, ohne andern Lohn zu fordern.

Ich glaube, wenn Frau von Cleve ein Alter erreicht hätte, in dem man das Leben zu beurteilen beginnt und, einem die Wollust des Stolzes in ihrer ganzen Nichtigkeit erscheint, so hätte sie Reue empfunden und lieber wie Frau von Lafayette gelebt.20


[77] Bologna, 3. August 1818


Eben habe ich hundert Seiten dieses Buches wieder durchgelesen. Ich habe eine recht armselige Darstellung von der wahren Liebe gegeben, der Liebe, die unsere ganze Seele beschäftigt und sie bald mit glücklichen, bald mit verzweifelten, aber stets erhabenen Bildern erfüllt und sie unempfindlich für alles andere in der Welt macht.

Ich weiß nicht, wie ich das in Worte fassen soll, was ich so klar sehe. Niemals habe ich schmerzlicher den Mangel an Begabung empfunden. Wie soll ich die Einfachheit der Taten und der Gedanken, den tiefen Ernst, den aufrichtigen Blick, der jede Gefühlsnuance so rein und restlos widerspiegelt, und vor allem – ich wiederhole es – jene göttliche Sorglosigkeit schildern, die sich um nichts kümmert als um die geliebte Frau? Ein »Ja« oder ein »Nein«, von einem liebenden Manne ausgesprochen, hat etwas Feierliches, das man sonst nirgends findet und zu anderer Zeit selbst an demselben Manne nicht.

Heute morgen um neun Uhr ritt ich an dem reizenden englischen Park des Marchese Zampieri vorüber, der auf den letzten Ausläufern jenes waldreichen Hügellandes liegt, an das sich Bologna anschmiegt und von dem aus man einen herrlichen Blick auf die reiche grüne Lombardei, das schönste Land der Erde, hat. An einer Lorbeerbaumgruppe im Parke Zampieri, von wo aus man meinen Weg übersehen konnte, der nach dem Wasserfall des Reno bei Casa-Lecchio führt, bemerkte ich den Grafen Delfante. Er war tief in Träumereien versunken und erwiderte meinen Gruß nur zerstreut, obwohl wir den Abend vorher bis zwei Uhr nachts zusammen verbracht hatten. Ich ritt weiter nach dem Wasserfall und über[78] den Reno und kam schließlich nach ungefähr drei Stunden wieder am Park Zampieri vorbei, wo ich den Grafen immer noch stehen sah, genau in der gleichen Haltung, an eine hohe Pinie gelehnt, die über die Lorbeerbüsche hinwegragte. Ich fürchte, diese Einzelheiten sind zu einfach und nichtssagend. Delfante kam, Tränen in den Augen, auf mich zu und bat mich, niemandem von seiner starren Unbeweglichkeit zu erzählen. Ich war gerührt; ich schlug ihm vor, mit mir umzukehren und den Rest des Tages gemeinsam auf dem Lande zu verleben. Nach zwei Stunden hatte er mir alles gebeichtet. Er ist eine schöne Seele; aber wie kalt würde sich das lesen, was er mir gesagt hat.

Er glaubte, er würde nicht geliebt. Ich bin anderer Meinung. Zwar kann man in dem schönen Marmorantlitz der Gräfin Chigi, in deren Hause wir den Abend vorher gemeinsam verbracht hatten, nichts lesen. Nur manchmal verrät ein leichtes, plötzliches Erröten, das sie nicht verbergen kann, die Erregtheit ihrer Seele, in der übertriebener weiblicher Stolz und starke Leidenschaften streiten. Dann rötet sich sogar ihr Alabasterhals und ihre herrlichen, eines Canova würdigen Schultern, soweit sie sichtbar sind. Nun versteht sie zwar vortrefflich die Kunst, ihre schwarzen, schwermütigen Augen solchen Beobachtern zu entziehen, deren zu großen Scharfblick ihr Zartgefühl fürchtet. Aber doch habe ich gestern abend beobachtet, daß bei einer gewissen Bemerkung Delfantes eine plötzliche Röte sie ganz überflutete. Ihre große Seele fand ihn ihrer weniger würdig.

Aber auch, wenn ich mich in meinen Vermutungen über das Glück Delfantes täuschen sollte, halte ich ihn,[79] wenn ich von der Eitelkeit absehe, für glücklicher als mich, der ich nicht verliebt bin, wiewohl ich mich dem Anschein nach wie in Wirklichkeit in einer recht glücklichen Lage befinde.

Quelle:
Von Stendahl – Henry Beyle über die Liebe. Jena 1911, S. 76-80.
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