27. Vom weiblichen Stolze

[68] Die Frauen hören ihr ganzes Leben lang die Männer von angeblich wichtigen Dingen reden, von großem Geldgewinn, von Erfolgen im Kriege, von im Duell Gefallenen, von grausamen und bewunderungswürdigen Racheakten und von ähnlichen Dingen, die alle außerhalb der weiblichen Sphäre liegen.

Frauen, die eine stolze Seele haben, fühlen, daß sie diesen Dingen nichts von Belang entgegenzusetzen haben, und daß ihr Stolz eigentlich der Stütze entbehrt. Sie fühlen, daß in ihrer Brust ein Herz schlägt, das durch die Kraft und den Stolz seiner Empfindungen ihrer ganzen Umgebung überlegen ist, und doch sehen sie, daß die nichtigsten Männer mehr Selbstgefühl haben als sie. Sie merken, daß sie ihren Stolz nur in geringfügigen Dingen beweisen können oder doch nur in solchen, die nur einen Gefühlswert besitzen und über die kein Dritter richtet. Durch diesen kränkenden Gegensatz ihrer geringen Macht und ihrer stolzen Seele gequält, versuchen sie, ihre Schwäche durch die Lebhaftigkeit ihrer Äußerungen und durch die trotzige Hartnäckigkeit in der Durchführung ihrer Forderungen wettzumachen. Solche Frauen wähnen vor der völligen Hingabe, sobald sie ihren Geliebten erblicken, er führe etwas gegen sie im Schilde. Ihre Phantasie beunruhigt sich lebhaft über sein Vorgehen, das doch schließlich nur das Zeichen seiner Liebe ist; sonst liebte er ja nicht. Anstatt sich über die Empfindungen des Mannes, den sie[68] selbst lieben, zu freuen, fühlen sie sich durch ihn in ihrer Eitelkeit verletzt; kurz, selbst die zartesten Seelen sind, wenn sie lieben, genau so eitel und selbstsüchtig wie eine Straßendirne.

Eine Frau von hochherzigem Charakter setzt ihr Leben für den Geliebten tausendmal aufs Spiel und doch entzweit sie sich mit ihm wegen einer Kleinigkeit, die ihren Stolz verletzt. Das verlangt ihr Ehrgefühl. Napoleon ging zugrunde, weil er ein Dorf nicht aufgeben wollte.

Ich habe einen solchen Streit einmal länger als ein Jahr dauern sehen. Eine vornehme Frau hatte ihr ganzes Glück geopfert, nur damit ihr Geliebter nicht die Möglichkeit hatte, an ihrer Seelengröße und ihrem Stolze im geringsten zu zweifeln. Die Wiederversöhnung war nur das Werk des Zufalls und von seiten der Frau eine augenblickliche unüberwindliche Schwäche bei der Begegnung mit dem Geliebten. Sie glaubte ihn vierzig Meilen weit entfernt, und er traf sie an einem Orte, an dem er durchaus nicht erwarten konnte, sie zu sehen. Sie vermochte ihr erstes Entzücken nicht zu verbergen, und er war noch mehr überwältigt als sie; beinahe sanken sie beide voreinander auf die Knie, und niemals habe ich soviel Tränen vergießen sehen; das war die Wirkung des unerwarteten Glückes. Tränen sind die höchste Steigerung des Lächelns.

Der Herzog von Argyll bewies viel Menschenkenntnis bei der Zusammenkunft mit der Königin Karoline zu Richmond, indem er sich in einen Kampf mit dem weiblichen Stolze nicht einließ.15 Je erhabener der Charakter einer Frau ist, um so stürmischer werden diese Kämpfe,


»... wie der dunkelste Himmel

Das schwerste Gewitter verkündet.«16
[69]

Kommt das vielleicht daher, daß eine Frau, je leidenschaftlicher sie im Laufe des Lebens die hervorragenden Eigenschaften des geliebten Mannes bewundert, sich in den grausamen Augenblicken, wo die Liebe in Haß umschlägt, desto heftiger dafür zu rächen sucht, daß er den anderen Menschen überlegen ist? Sie fürchtet, nun auch zu diesen gerechnet zu werden.

Es ist schon lange her, daß ich Richardsons langweilige »Clarissa« gelesen habe, aber ich glaube mich zu erinnern, daß sie aus weiblichem Stolze die Hand des Lovelace ausschlägt und den Tod vorzieht.

Die Schuld des Lovelace war groß, aber, wenn sie ihn ein wenig liebte, mußte sie eine Tat, die doch aus Liebe geschehen war, in ihrem Herzen verzeihen.

Dagegen erscheint mir Monima in Racines »Mithridates« als rührendes Beispiel weiblichen Zartgefühls. Wer errötet nicht vor Freude, wenn er von einer dieser Rolle gewachsenen Schauspielerin die Worte hört:


»Ich hatte diesen Liebesdrang besiegt, ...

Da habt Ihr mich beredet und betrogen,

Und ich gestand ...

Ich muß es nun ertragen;

Sucht die Erinnerung nicht zu verjagen!

Was schmählich ich verriet durch Euren Zwang,

Bleibt mir vor Augen, ach, mein Leben lang.

Ihr werdet zweifeln stets an meiner Treue,

Daß ich das Grab selbst jetzo minder scheue,

Als leben mit dem Mann, der das erzwang

Und solchen grausen Vorteil sich errang,

Der mich erröten läßt in ewgem Gram,

Erröten nicht aus Liebe, nein, aus Scham!«
[70]

Ich meine, in späteren Jahrhunderten wird man sagen: Die absolute Monarchie hatte den Vorteil, solche Charaktere zu erzeugen und solche Charakterschilderungen von großen Künstlern zu haben.

Und doch findet sich auch in den Republiken des Mittelalters ein wunderbares Beispiel jenes Zartgefühls, das meine Behauptung vom Einflusse der Regierungsform auf die Leidenschaften zu erschüttern scheint. Ich will es offen anführen. Es sind Dantes rührende Verse aus dem »Fegefeuer« (V, 130 ff.):


»Ach, wenn du wieder auf der Erde weilst,

Gedenke meiner dort: ich bin die Pia

Aus Siena, die in den Maremmen starb.

Der weiß es, der mir einstmals an die Hand

Den Eh'ring mit dem Edelsteine steckte.«


Die Frau, die mit soviel Zurückhaltung spricht, teilte heimlich das Schicksal der Desdemona und hätte das Verbrechen ihres Gatten ihren Freunden, die sie auf der Erde zurückließ, durch ein Wort offenbaren können.

Nello della Pietra hatte die Hand der Madonna Pia erhalten, der einzigen Erbin der Tolomei, der reichsten und vornehmsten Familie von Siena. Ihre Schönheit, die in ganz Toskana bewundert wurde, verursachte im Herzen ihres Gatten Eifersucht, die, durch falsche Berichte und immer wiederholte Verdächtigungen geschürt, ihn zu einem schändlichen Plane verleitete. Es läßt sich jetzt schwer feststellen, ob seine Gattin so völlig schuldlos war, wie sie uns Dante schildert.

Nello brachte sie in die Maremmen von Volterra, die noch heute durch die Folgen der aria cattiva berüchtigt sind. Den Grund der Verbannung nach einem so[71] gefährlichen Orte offenbarte er der unglücklichen Frau niemals. Sein Stolz verbot ihm jede laute Klage und jede Anklage. Einsam lebte er mit ihr in einem am Meeresgestade gelegenen verlassenen Turme, dessen Ruinen ich aufgesucht habe. Niemals brach er dort sein verachtungsvolles Schweigen, niemals gab er auf die Fragen der jungen Frau eine Antwort, niemals erhörte er ihr Flehen. Kaltblütig wartete er an ihrer Seite, bis die verpestete Luft ihre Wirkung getan hatte. Die giftigen Dünste der Sümpfe zerstörten bald die Züge des schönsten Frauenantlitzes, das die Welt in jenem Jahrhundert gesehen haben soll. Nach wenigen Monaten war sie tot. Einige alte Chronisten berichten, daß Nello ihre Ende mit dem Dolche beschleunigte. Jedenfalls starb sie in den Sümpfen auf gräßliche Weise, und nur die Art ihres Todes blieb selbst für ihre Zeitgenossen Geheimnis. Nello della Pietra überlebte sie, stumm bis zum Ende seiner Tage.

Es gibt nichts Edleres und Zarteres als die Art, wie die junge Pia zu Dante spricht. Sie wünscht, daß die Freunde, die sie so jung verlassen mußte, ihrer gedenken. Sie nennt sich und erwähnt ihren Gatten, aber ohne über seine unerhörte, nicht mehr gutzumachende grausame Tat im geringsten zu klagen. Dante deutet nur an, daß er die Geschichte ihres Todes kennt.

Solche Beständigkeit in stolzer Rache findet sich, glaube ich, nur in südlichen Ländern.

In Piemont war ich zufällig Zeuge einer ganz ähnlichen Tat; aber damals ahnte ich den Zusammenhang nicht. Ich war mit fünfundzwanzig Dragonern nach den Wäldern längs der Sesia geschickt worden, um Schmuggeleien nachzuspüren. Als ich gegen Abend in dieser wilden[72] und einsamen Gegend anlangte, entdeckte ich hinter Bäumen die Ruinen eines alten Schlosses. Ich kam näher. Zu meinem größten Erstaunen war es bewohnt. Ich fand dort einen Landedelmann mit finsterem Gesicht, einen Mann von sechs Fuß Höhe und vierzig Jahre alt. Mürrisch wies er mir zwei Zimmer an. Dort musizierte ich mit meinem Wachtmeister. Nach ein paar Tagen entdeckten wir, daß unser Wirt eine Frau bewachte, die wir scherzweise Camilla tauften, ohne im entferntesten den schrecklichen wirklichen Sachverhalt zu durchschauen. Nach sechs Wochen starb sie. Mich erfaßte die traurige Neugier, die Tote im Sarge zu sehen, und ich bestach den Mönch, der bei ihr die Totenwache hielt. Gegen Mitternacht ging er unter dem Vorwande, Weihwasser zu sprengen, in die Kapelle und nahm mich mit. Ich sah dort eins jener stolzen Gesichter, die noch im Tode schön sind. Sie hatte eine große Adlernase, deren edle und zarte Linie ich nie vergessen kann. Ich verließ diesen trübseligen Ort und erst fünf Jahre nachher, als ein Teil meines Regiments den Kaiser bei seiner Krönung zum König von Italien begleitete, erfuhr ich den Zusammenhang der ganzen Geschichte. Jener eifersüchtige Gatte, Graf***, hatte eines Morgens am Bette seiner Frau eine englische Taschenuhr hängen gefunden, die einem jungen Manne der kleinen Stadt, in der sie wohnten, gehörte. Noch am selben Tage führte er seine Frau nach dem verfallenen Schlosse mitten in den Wäldern an der Sesia. Wie Nello della Pietra sprach er nie ein Wort. Wenn sie ihn um irgend etwas bat, zeigte er ihr kalt und schweigsam die englische Uhr, die er immer bei sich trug. So verbrachte er beinahe drei Jahre einsam mit ihr. Dann starb sie schließlich aus Verzweiflung[73] in der Blüte ihrer Jahre. Der Gatte suchte den Besitzer der Uhr zu erdolchen, stieß aber fehl und floh nach Genua, wo er sich einschiffte. Seitdem hat man keine Nachricht von ihm; seine Güter find verteilt worden.

Wenn man im Beisein einer stolzen Frau Ungerechtigkeiten geduldig hinnimmt, was einem im Soldatenleben beinahe zur Gewohnheit wird, ärgert man sie. Sie hält uns für einen Feigling und schmäht uns. Solche hochmütigen Naturen bevorzugen gern Männer, die sie unduldsam gegen andere Männer auftreten sehen. Das ist meiner Ansicht nach ihre schwache Seite, und oft muß man mit seinem Nachbar Streit an fangen, nur um mit der Geliebten keinen zu haben.

Miß Cornel, die berühmte Londoner Schauspielerin, erhielt eines Tages den Besuch eines reichen Obersten, der ihr nützlich war. Bei ihr befand sich gerade ein kleiner Liebhaber, der ihr nur angenehm war. »Herr Soundso,« stellte sie ihn erregt dem Obersten vor, »ist gekommen, um den Pony zu besichtigen, den ich verkaufen will.« – »Ich bin hier aus ganz anderem Grunde,« unterbrach sie stolz der kleine Geliebte, dessen sie überdrüssig zu werden begann. Und seit dieser Antwort liebte sie ihn mit neuentfachter Leidenschaft.17 Stolze Frauen lieben den Stolz an ihrem Geliebten; er hindert sie, den eignen Stolz an ihm auszulassen.

Der Charakter des Herzogs von Lauzun (ich meine den von 1660)18 ist für solche und vielleicht für alle vornehmen Frauen verführerisch, wenn sie ihm vom ersten Tage an den Mangel an Anmut verzeihen können. Für wahre Erhabenheit haben sie keinen Sinn; sie legen die Ruhe, die alles beobachtet, ohne sich über Einzelheiten aufzuregen, für Kälte aus. Ich habe Damen am Hofe[74] zu Saint-Cloud urteilen hören, Napoleon sei ein trockener, prosaischer Mensch gewesen.19 Der große Mann ist wie ein Adler: je höher er fliegt, um so kleiner erscheint er, und für seine Größe wird er durch die Einsamkeit seiner Seele gestraft.

Aus dem weiblichen Stolze entsteht das Gefühl für das, was die Frauen »Mangel an Zartgefühl« nennen. Ich glaube, es ist etwas ganz Ähnliches wie das, was die Könige als »Majestätsverbrechen« bezeichnen, ein Vergehen, das um so gefährlicher ist, je ahnungsloser man es begeht. Der zartfühlendste Liebende kann des Mangels an Zartgefühl bezichtigt werden, wenn er nicht sehr geistvoll ist, oder – was viel trostloser ist – wenn er sich dem größten Reize der Liebe hingibt: dem Glücke, gegen die Geliebte völlig natürlich zu sein und auf das, was er ihr sagt, nicht zu achten.

Das sind Dinge, von denen ein wohlerzogenes Herz keine Ahnung hat, und die man selbst erlebt haben muß, um sie zu glauben, denn wir Männer sind gewohnt, mit unseren Freunden gerecht und offen umzugehen.

Immer wieder muß man sich vergegenwärtigen, daß wir es mit Geschöpfen zu tun haben, die sich, wenn auch mit Unrecht, einbilden, uns an Charakterstärke nachzustehen, oder besser gesagt, die den Argwohn hegen, daß wir sie für minderwertig halten.

Der echte weibliche Stolz will sich vielleicht in der Größe der verursachten Empfindungen wiederfinden. Man verspottete eine Hofdame der Gemahlin Königs Franz des Ersten wegen der Leichtsinnigkeit ihres Geliebten, der sie gar nicht liebte, wie man sagte. Bald darauf erkrankte er und kehrte stumm geworden zum Hofe zurück. Nach zwei Jahren, als man sich wunderte,[75] daß sie ihn noch liebte, sagte sie zu ihm: »Sprechen Sie doch!« Und er sprach wieder.

Quelle:
Von Stendahl – Henry Beyle über die Liebe. Jena 1911, S. 68-76.
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