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[50] Da man in jener Nacht sich über den Punkt verständigt hatte, oder vielmehr: da es bestimmt worden war, daß meine Mutter ihre Niederkunft auf dem Lande abhalten solle, so traf sie danach ihre Maßregeln. Ohngefähr drei Tage nach Beginn ihrer Schwangerschaft fing sie an, die Hebamme, von der wir bereits öfter gesprochen haben, ins Auge zu fassen, und bevor eine Woche ins Land ging, hatte sie, da der berühmte [50] Dr. Manningham nicht zu haben war, fest bei sich beschlossen – ohne Rücksicht darauf, daß acht Meilen von uns ein gelehrter Accoucheur wohnte, der sogar ein besonderes Buch (Preis 5 Sh.) über Geburtshülfe geschrieben hatte, in welchem nicht allein alle Mißgriffe der Schwesterschaft weitläufig dargelegt waren, sondern in welchem auch noch einige höchst interessante verbesserte Methoden zur Zutageförderung des Fötus bei Quergeburten und in einigen andern gefahrvollen Fällen, denen wir beim Geborenwerden ausgesetzt sind, Erwähnung gefunden hatten – trotz alle dem, sage ich, hatte meine Mutter also fest bei sich beschlossen, ihr und mein Leben dazu keiner Menschenseele anders als dem alten Weibe anzuvertrauen. Nun, das gefällt mir, wenn man nicht gerade das haben kann, was man wünscht, auch das Nächstbeste zu verschmähen! Nein, das ist über alle Beschreibung kleinlich. – Etwa eine Woche vor diesem Tage – den 9. März 1759 – wo ich zur Erbauung der Welt an diesem Buche schreibe, bemerkte meine liebe, liebe Jenny, daß ich zu ihrem Handel um ein seidnes Kleid (die Elle à 25 Sh.) ein wenig ernst aussah; sogleich versicherte sie dem Kaufmann, daß es ihr leid thäte, ihm so viele Mühe gemacht zu haben, und dann ging sie hin und kaufte sich ein ellenbreites Zeug zu 10 pences. Das ist ein Beispiel derselben Seelengröße; nur wurde der gebührende Ruhm in meiner Mutter Fall dadurch etwas beeinträchtigt, daß sie nicht im Stande war, einen so heldenmäßigen Entschluß ins Werk zu setzen, wie Jemand in ihrer Lage wohl gewünscht hätte, indem die alte Hebamme allerdings einigen Anspruch auf Vertrauen besaß, so viel wenigstens, als der Erfolg geben konnte; denn während einer fast zwanzigjährigen Praxis in unserm Kirchspiele hatte sie jeden Muttersohn unbeschädigt und ohne irgend einen Unfall, der ihr billigerweise hätte zur Last gelegt werden können, zur Welt befördert.
Obgleich dieser Umstand nun wohl ins Gewicht fiel, so verscheuchte er doch nicht alle Zweifel und Befürchtungen, die mein Vater hinsichtlich dieser Wahl hegte. Denn abgesehen von den Forderungen der Humanität und Gerechtigkeit, oder der Anreizungen der Gatten- und Vaterliebe, die allein schon ihn[51] dazu antreiben mußten, in einem solchen Falle so wenig als möglich zu wagen, – fühlte er wohl, wie viel für ihn darauf ankäme, daß in dem vorliegenden Falle alles gut ginge, und was für Kummer und Sorge über ihn hereinbrechen würde, wenn bei dieser Niederkunft in Shandy-Hall seiner Frau oder dem Kinde irgend etwas zustoßen sollte. Er wußte, daß die Welt nur nach dem Erfolge urtheilt, und daß man, ginge es unglücklich, seinen Kummer dadurch noch vermehren würde, indem man ihm allein die ganze Schuld beimäße. – »Du liebe Zeit! hätte Mistreß Shandy (das arme Weib!) doch nur nach der Stadt reisen können, wenigstens um dort niederzukommen, wenn sie auch nicht lange dort geblieben wäre; sie wünschte es so sehnlich, auf den bloßen Knieen hat sie darum gefleht, und es war doch wahrhaftig keine so große Sache, um es ihr zu verweigern, noch dazu, wenn man bedenkt, was für ein schönes Vermögen sie Mr. Shandy zugebracht hat; die arme Frau und ihr Kindchen wären gewiß noch am Leben!« –
Auf solche Reden, das wußte mein Vater, gab es keine Erwiederung, – doch nicht blos der Wunsch sich zu schützen oder das Interesse für Frau und Kind machten ihn in diesem Punkte so besorgt, mein Vater sah die Dinge von einem höhern Gesichtspunkte an, er meinte verantwortlich für das allgemeine Beste zu sein, welches durch die irrthümliche Ausbeutung eines unglücklichen Zufalles leicht geschädigt werden konnte.
Er wußte sehr wohl, daß alle politischen Schriftsteller vom Anfang der Regierung Elisabeths an bis auf seine Zeit einstimmig darüber geklagt hatten, daß das Zuströmen von Menschen und Geld nach der Hauptstadt, durch allerhand frivole Ursachen veranlaßt, so überhand nähme, daß es unserer Freiheit gefährlich zu werden drohe; – doch »Zuströmen« war eigentlich nicht das Bild, dessen er sich zu bedienen pflegte, – seine Lieblingsmetapher war vielmehr »Congestion«, und er führte dieselbe bis zur vollkommenen Allegorie weiter, indem er anführte, daß es mit dem Volkskörper wie mit dem natürlichen Körper sei, wo, wenn das Blut und die Lebenssäfte schneller nach dem Kopfe getrieben würden, als sie ihren Weg von da wieder zurückfinden könnten,[52] eine Stockung einträte, die in dem einen wie in dem andern Falle den Tod zur Folge haben müsse.
Damit hätte es wenig Gefahr, pflegte er zu sagen, daß wir unsere Freiheiten durch französische Politik oder französische Invasionen verlören, – auch vor dem Hinsiechen in Folge der mancherlei schlechten und verdorbenen Säfte, die sich in unserer Verfassung vorfänden, wäre ihm nicht bange; er hoffe, es sei damit nicht so arg, als man es mache; – aber das fürchte er wirklich, daß wir einmal plötzlich einem heftigen Anfall von Staatsapoplexie unterliegen möchten, und dann – pflegte er zu sagen – gnade Gott uns Allen!
Mein Vater konnte nie von diesem Krankheitszustande reden, ohne zugleich ein Mittel dagegen hinzuzufügen:
»Wenn ich ein absoluter Fürst wäre«, pflegte er zu sagen, und zog dabei, indem er sich von seinem Lehnstuhle erhob, die Hosen mit beiden Händen in die Höhe, – »so bestellte ich an jedem Thore meiner Hauptstadt fähige Richter, die jeden Hans Narren, der des Weges käme, nach seinem Geschäfte fragen müßten, und wenn ihnen dasselbe, nach ordentlicher und gewissenhafter Darlegung, nicht wichtig genug erschiene, um deshalb Haus und Hof zu verlassen und mit Sack und Pack, mit dem ganzen Schwanz von Weib, Kindern, Pächterssöhnen etc. etc. nach der Residenz zu kommen, so sollten mir diese Bursche alle zurückgeschickt werden, wie Vagabunden, die sie sind, von Konstabler zu Konstabler bis an ihren legitimen Wohnort. Auf diese Weise wollte ich dafür sorgen, daß meine Hauptstadt nicht durch ihre eigene Wucht ins Schwanken käme, daß der Kopf für den übrigen Körper nicht zu schwer würde, daß die Extremitäten, die jetzt verdorren und abmagern, ihr gehöriges Theil von der Ernährung erhielten und ihre natürliche Kraft und Schönheit wiedererlangten. Wahrhaftig, die Wiesen und Kornfelder in meinem Gebiete sollten lachen und singen, behagliches Leben und Gastlichkeit sollten wieder aufblühen, und solches Gewicht und solchen Einfluß wollte ich auf diese Weise in die Hand des Mittelstandes meines Königreiches legen, daß dadurch Alles wieder ersetzt werden sollte, was mein Adel, wie ich sehe, ihm jetzt nimmt.«[53]
»Warum giebt es in so vielen herrlichen Provinzen Frankreichs«, fragte er dann wohl und schritt aufgeregt im Zimmer umher, »so wenig Paläste und Edelsitze? Woher kommt es, daß die einzelnen Schlösser, die man hie und da noch findet, so verfallen, verlassen, in einem so jämmerlichen und wüsten Zustande sind? Daher, Sir«, fuhr er fort, »weil in diesem Königreiche kein Mensch irgend ein Interesse an der Provinz nimmt, weil das bischen Interesse, welches sie haben, sich ganz und gar auf den Hof und auf die Blicke der großen Monarchen bezieht, in deren Sonnenschein oder bei deren Verfinsterung jeder Franzose lebt oder stirbt.« –
Ein anderer politischer Grund, welcher meinen Vater bestimmte, alle mögliche Vorsicht anzuwenden, damit die Niederkunft meiner Mutter auf dem Lande ohne den geringsten Unfall verliefe, war der, daß ein solcher Unfall dem schwächeren »Gefäße« der Landbevölkerung, sowohl seines Standes, wie auch höher hinauf, einen Zuwachs seiner ohnehin zu großen Macht verleihen möchte, welcher, erwäge man die vielerlei unrechtmäßigen Privilegien, welche sich dieser Theil der Gesellschaft stündlich anmaße, dem monarchischen Hausregimente, wie es Gott bei Erschaffung der Welt eingesetzt, zuletzt unheilvoll werden könne.
In diesem Punkte stimmte er durchaus mit Sir Robert Filmer überein, daß die größten Monarchien der östlichen Welt, Plan und Einrichtungen betreffend, ursprünglich dem bewunderungswürdigen Muster und Vorbilde dieser väterlichen und häuslichen Gewalt nachgebildet seien; seit einem Jahrhundert, oder länger, wäre dies, sagte er, nach und nach in eine Art gemischtes Regiment ausgeartet, eine Regierungsform, die auf große Massen angewandt allerdings wünschenswerth sei, auf kleine aber sich außerordentlich beschwerlich erwiese und, wie er sähe, nichts als Aerger und Verwirrung zu Tage fördere.
Aus allen diesen häuslichen und staatsmännischen Gründen zusammen war mein Vater jedenfalls für einen Accoucheur – meine Mutter jedenfalls für keinen. Mein Vater bat und beschwor sie, nur dieses einzige Mal von ihrem Vorrechte[54] abzustehen und ihm zu erlauben, daß er für sie wähle; meine Mutter dagegen bestand auf ihrem Recht, für sich selbst zu wählen und keines andern Menschen Hülfe in Anspruch zu nehmen, als die des alten Weibes. Was sollte mein Vater thun? Zuletzt wußte er sich nicht mehr zu helfen; er schlug alle Tonarten an, stellte seine Beweisgründe in das verschiedenartigste Licht, besprach die Sache mit ihr als Christ, als Heide, als Gatte, als Vater, als Patriot, als Mann. Meine Mutter antwortete immer nur als Weib, was ihr allerdings ein bischen schwer wurde, denn da sie sich nicht hinter so viele Charaktere verschanzen und demgemäß ihre Sache verfechten konnte, so war es ein ungleicher Kampf – es war sieben gegen eins. Sie hatte aber den Vortheil (sonst wäre sie gewiß unterlegen), daß ihr die persönliche Kränkung, welche sie im Herzen fühlte, ein wenig zu Hülfe kam und sie in soweit unterstützte, daß sie ihre Sache mit gleichem Vortheil gegen meinen Vater auskämpfen konnte und schließlich beide Tedeum sangen. Kurz – meine Mutter blieb bei dem alten Weibe – dem Accoucheur aber sollte gestattet werden, im Hinterzimmer des Hauses mit meinem Vater und mit Onkel Toby eine Flasche Wein zu trinken, wofür ihm fünf Guineen einzuhändigen waren. –
Bevor ich dieses Kapitel zu Ende bringe, muß ich um die Erlaubniß bitten, meinem geschätzten Leser eine kleine Warnung insinuiren zu dürfen, – nämlich die: es wegen einiger zufälliger Redensarten ja nicht für ausgemacht zu halten, daß ich ein verheiratheter Mann sei. – Ich gebe zu, die zärtliche Benennung »meine liebe, liebe Jenny«, sowie einige Züge ehelicher Weisheit, die hie und da angebracht sind, hätten wohl den vorurtheilsfreisten Richter von der Welt bestimmen können, so gegen mich zu entscheiden. Alles, was ich in diesem Falle beanspruche, Madame, ist strenge Gerechtigkeit. Gewähren Sie sie mir, wie sich selbst; urtheilen Sie nicht, hegen sie keine vorgefaßte Meinung, bis Sie nicht besseres Zeugniß haben, als jetzt schon gegen mich vorgebracht werden könnte. Nicht daß ich etwa so eitel und unverständig wäre, Madame, und wünschte, Sie möchten »meine liebe, liebe Jenny« für meine Maitresse[55] halten, – o nein! das hieße meinem Charakter wieder übermäßig schmeicheln, indem es ihm einen Anstrich von Ungenirtheit gäbe, auf den ich nicht den geringsten Anspruch habe. Ich behaupte nur, daß es Ihnen oder dem scharfsinnigsten Verstande auf Erden einige Bände hindurch unmöglich sein wird, zu errathen, wie die Sache steht. – Könnte nicht die liebe, liebe Jenny (die Benennung ist so zärtlich) mein Kind sein? – Rechnen Sie – ich bin im Jahre 18 geboren! Auch die Annahme wäre nichts weniger als unnatürlich und ausschweifend, daß meine liebe Jenny meine Freundin wäre. Freundin! Meine Freundin! – Sicherlich, Madame, Freundschaft zwischen beiden Geschlechtern kann bestehen, ohne daß – Oh! pfui, Mr. Shandy – ohne daß sie auf etwas Anderes sich gründe, als auf die zarte und wonnige Empfindung, die sich der Freundschaft zwischen verschiedenen Geschlechtern immer beimischt. – Ich bitte, lesen Sie nur die reinen und gefühlvollen Stellen der besten französischen Romane, und Sie werden gewiß erstaunt sein, Madame, wenn Sie sehen, mit welchem Reichthum keuschen Ausdrucks diese köstliche Empfindung, von der ich die Ehre hatte Ihnen zu sprechen, dort geschildert ist.
Ausgewählte Ausgaben von
Tristram Shandy
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