|
[215] O Slawkenbergius! Du wahrhaftiger Analytiker meines Gebrechens! Du Unglücksprophet all der Geißelschläge und Wechselfälle, die mich auf den verschiedensten Stationen meines Lebens einzig und allein der Kürze meiner Nase wegen (wenigstens weiß ich keine andere Ursache) getroffen haben, – sage mir, Slawkenbergius, was für eine geheime Regung war es? mit was für einer Stimme sprach's zu dir? woher kam sie? wie klang's in dein Ohr? hörtest du es auch wirklich, da es zuerst dir zurief: Gehe hin, gehe hin, Slawkenbergius, laß es die Arbeit deines Lebens sein, opfere deine Muße, nimm die ganze Kraft und Festigkeit deiner Natur zusammen, schinde dich im Dienst der Menschheit und schreibe für sie einen dicken Folioband über Nasen.
Wie diese Eröffnung in Slawkenbergius' Bewußtsein trat, ob er sich darüber klar geworden ist, wessen Finger die Taste berührte und wessen Hand den Blasebalg in Bewegung setzte; – darüber kann man jetzt nur Konjekturen aufstellen, denn er selbst ist todt und liegt seit länger als 90 Jahren im Grabe.
So viel ich weiß, wurde in derselben Art auf ihm gespielt, wie auf einem Jünger Whitefields – d.h. Sir, er hatte ein ebenso klares Bewußtsein davon, welcher von den beiden Meistern seine Kunst an ihm übte, als jener, – so daß alles Reden darüber unnütz ist.
– Denn in dem Berichte, welchen Hafen Slawkenbergius der Welt darüber abstattet, was ihn eigentlich zum Schreiben bewogen und ihn veranlaßt habe, so viele Jahre seines Lebens diesem einzigen Werke zu opfern, – einem Berichte, der, nebenbei gesagt, voranstehen sollte, der aber am Ende seiner Prolegomena steht, weil der Buchbinder ihn zwischen Inhaltsanzeige und Buch selbst gebunden hat, – theilt er dem Leser mit, daß, schon seitdem er in das Alter getreten sei, wo der Mensch überhaupt unterscheiden könne und fähig sei, anzuhalten und den wahren Zustand und die Bedingungen seines Wesens zu erwägen, auch den Zweck und das Ziel seines Daseins zu erkennen, oder –[216] aber ich muß hier meine Uebersetzung etwas abkürzen, denn Slawkenbergius' Buch ist lateinisch geschrieben, und an dieser Stelle ist er wirklich ein bischen zu wortreich, – oder, sagt Slawkenbergius, seitdem ich überhaupt die Dinge und das Wesen der Dinge begreifen lernte, und einzusehen im Stande war, daß die Frage über »lange Nasen« von allen meinen Vorgängern höchst nachlässig behandelt worden sei, habe ich, Slawkenbergius, eine heftige Neigung und eine mächtige und unüberwindliche Aufforderung in mir verspürt, mich diesem Werke zu unterziehen. –
Und die Ehre muß man Slawkenbergius lassen, er ist mit einer stärkern Lanze in die Schranken geritten und hat einen gewaltigeren Anlauf genommen, als alle, die dasselbe vor ihm versuchten: ja, in mancher Hinsicht verdient er allen Schriftstellern, wenigstens allen Verfassern bändereicher Werke als Prototyp und nachahmungswürdiges Muster hingestellt zu werden. Denn, Sir, er hat sich des ganzen Gegenstandes bemächtigt, jeden Theil desselben dialektisch untersucht und ins hellste Licht gestellt, und ihn entweder mit den Funken beleuchtet, welche aus der Reibung seiner eigenen natürlichen Anlagen entsprangen, oder die Strahlen darauf fallen lassen, welche seiner gründlichen Kenntniß der Wissenschaften entströmten. Er hat unverdrossen kollationirt, gesammelt, completirt, gebettelt, geborgt, und weiterhin alles zusammengestohlen, was in den Schulen und Akademien der Gelehrten vor ihm geschrieben und gestritten worden ist, so daß sein Buch nicht allein für ein Modell, sondern für das wahrhaftige corpus nasorum angesehen zu werden verdient, indem es alles enthält, was über Nasen zu wissen nur nöthig ist oder nöthig gedacht werden kann.
Deshalb unterlasse ich es, von den mancherlei andern, immerhin werthvollen Büchern und Abhandlungen aus der Bibliothek meines Vaters zu reden, die entweder ausführlich über Nasen handelten, oder den Gegenstand nur nebenbei berührten, z.B. von Prignitz, der jetzt vor mir auf dem Tische liegt, und der mit unendlicher Gelehrsamkeit und als Resultat einer höchst sorgfältigen wissenschaftlichen Untersuchung von mehr[217] als viertausend verschiedenen Schädeln, welche er auf einer Reise durch Schlesien in mehr als zwanzig Beinhäusern anstellte, uns darüber belehrt, daß das Maß und die Form der Knochentheile der menschlichen Nasen, überall, außer in der Krim, wo man die Nase mit dem Daumen eindrücke, bei weitem gleichartiger seien, als man gewöhnlich annehme. Der Unterschied, sagt er, sei so unbedeutend, daß er gar nicht in Betracht komme; aber die Gestalt und Annehmlichkeit der Nase, das, worin die eine die andere übertreffe und aussteche, verdanke sie ihren Fleischtheilen und Muskeln, in deren Gänge und Kanäle das Blut und die Lebensgeister, vermittels der Wärme und Gewalt der Einbildungskraft, die ihren Sitz ganz in der Nähe hätte, getrieben und gejagt würden (was nach Prignitz, der lange in der Türkei lebte, nur bei Idioten eine Ausnahme erleidet, weil diese unter der unmittelbaren Obhut des Himmels stehen). Und so kommt es denn und kann nicht anders sein, fährt Prignitz fort, daß die Vortrefflichkeit der Nase stets in richtiger arithmetischer Proportion zu der Vortrefflichkeit der Phantasie ihres Trägers steht.
Aus demselben Grunde, nämlich weil Alles in Slawkenbergius steht, sage ich auch von Scroderus (Andrea) nichts der, wie allgemein bekannt, Prignitz mit großer Heftigkeit angreift, indem er auf seine Weise zuerst logisch und dann durch eine ganze Reihe unwiderlegbarer Thatsachen beweist, daß er, Prignitz, ganz und gar fehlgeschossen habe, wenn er behaupte, daß die Phantasie die Nase mache; es sei gerade umgekehrt, die Nase mache die Phantasie.
Den Gelehrten erschien das von Scroderus als ein unanständiger Sophismus, und Prignitz schrie laut, Scroderus habe ihm diesen Gedanken untergeschoben, aber dieser blieb bei seiner Behauptung.
Mein Vater war noch ungewiß mit sich, auf welche Seite er sich schlagen sollte, als Ambrosius Paräus die Sache auf Einmal entschied, und meinen Vater dadurch aus der Verlegenheit zog, daß er beide Systeme, sowohl das des Prignitz, als jenes des Scroderus, über den Haufen warf.[218]
Man urtheile –
Wenn ich das hier erwähne, so will ich dem gelehrten Leser nicht etwa etwas Neues sagen, – ich will nur zeigen, daß ich die Sache auch weiß –
Ambrosius Paräus war Leibchirurg und Nasenflicker Franz' IX. von Frankreich; er stand bei diesem und den beiden vorhergehenden oder nachfolgenden Königen (ich weiß das wirklich nicht genau) in hohem Ansehen und wurde selbst von allen Aerzten jener Zeit als der anerkannt, der von den Nasen mehr verstünde, als irgend Jemand, der sich je mit ihrer Behandlung beschäftigt hätte. –
Nun überzeugte Paräus meinen Vater, daß die wahre und wirkliche Ursache jenes Umstandes, welcher die allgemeine Aufmerksamkeit so sehr erregt, und dessentwegen Prignitz und Scroderus so viel Gelehrsamkeit und Witz verschwendet hatten, weder diese noch jene sei, sondern daß die Länge und Vortrefflichkeit der Nase einzig und allein von der Weichheit und Schlaffheit der nährenden Brust abhienge, so wie die Abplattung und Kürze der Klumpnasen nur von der Festigkeit und der elastischen Widerstandsfähigkeit dieses Säugorganes bei gesunden und frischen Ammen komme; denn wenn Letzteres für die Frau selbst auch ganz gut sei, so sei es doch für das Kind von den schlimmsten Folgen, indem die Nase desselben angedrückt, gezwängt, zurückgestoßen und dadurch abgekühlt werde, so daß sie nie ad mensuram suam legitimam auswachsen könne; – ist dagegen die Brust der Amme oder der Mutter schlaff und weich, so versinkt, sagt Paräus, die Nase darin wie in Butter, und wird dadurch gestärkt, genährt, erquickt, erfrischt, gefördert und für immer in Schuß gebracht.
Ich habe hier über Paräus zweierlei zu bemerken: erstens, daß er Alles mit der größten Wohlanständigkeit und Keuschheit im Ausdruck vorbringt und beweist, wofür seiner Seele das ewige Heil beschieden sei.
Und zweitens, daß die Hypothese des Ambrosius Paräus nicht allein die Systeme von Prignitz und Scroderus, sondern zu gleicher Zeit den Frieden und die Einigkeit unserer Familie[219] über den Haufen warf und drei Tage lang nicht nur meinen Vater und meine Mutter miteinander verfeindete, sondern das ganze Haus und Alles, was darin war, auf den Kopf stellte – Onkel Toby ausgenommen.
Ein lächerlicherer Bericht, wie Mann und Weib sich zankten, ist wohl noch nie, zu keiner Zeit und in keinem Lande, durchs Schlüsselloch der Hausthür gedrungen.
Man muß wissen, daß meine Mutter – aber vorher habe ich dem Leser noch fünfzig nöthigere Dinge zu sagen, hunderterlei Zweifel hab' ich versprochen ihm aufzuklären, tausendfältig schaaren sich Trübsale aller Art und häusliche Unfälle um mich, immer einer auf dem Nacken des andern. Eine Kuh brach (am Morgen darauf) in meines Onkels Befestigungen ein, fraß zwei und eine halbe Ration trocknes Gras und riß dabei den Rasen gegenüber dem Hornwerke und dem gedeckten Wege auf – Trim will sie durchaus vor ein Kriegsgericht stellen, die Kuh soll erschossen – Dr. Slop gekreuzigt – ich selbst getristramt und schon bei der Taufe zum Märtyrer gemacht werden. Arme, unglückliche Teufel, die wir alle miteinander sind! und wickeln muß man mich auch, – aber verlieren wir nicht die Zeit mit Ausrufungen.
Ich verließ meinen Vater, wie er quer über seinem Bette lag, ihm zur Seite mein Onkel Toby im alten befransten Polsterstuhl, und versprach, in einer halben Stunde zurück zu sein. Fünfunddreißig Minuten sind bereits verflossen – wahrhaftig, in solcher Verlegenheit hat sich noch kein sterblicher Schriftsteller befunden, denn, Sir, ich habe Hafen Slawkenbergius' Folioband zu beendigen, – ein Gespräch zwischen meinem Vater und meinem Onkel Toby über die Hypothesen des Prignitz, Scroderus, Ambrosius Paräus, Panocrates und Grangousier wiederzugeben, – eine Erzählung aus Slawkenbergius zu übersetzen und zu alledem fünf Minuten minus. – O, der Kopf brennt mir, – ich wollte, meine Feinde könnten hineinsehen!
Ausgewählte Ausgaben von
Tristram Shandy
|
Buchempfehlung
In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.
38 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro