Einhundertundzweiundfünfzigstes Kapitel.

[222] Nichts zeigt den Charakter meines Vaters und meines Onkels Toby in einem interessantern Lichte, als ihr Betragen bei einem und demselben Unfall, – denn Unglück kann ich die Liebe eigentlich nicht nennen, da ich überzeugt bin, daß sie des Menschen Herz stets besser macht. Großer Gott! was mußte sie aus meines Onkel Toby's Herzen machen, das ohne sie schon nichts als Güte war!

Aus verschiedenen der nachgelassenen Papiere ist ersichtlich, daß mein Vater vor seiner Verheirathung dieser Leidenschaft sehr unterworfen gewesen war; doch lag in seiner Natur etwas Grämliches, Ungeduldiges, das ihn stets verhindert hatte, sich wie ein Christ zu fügen; er prustete, schnaubte, schlug aus, stieß, spielte den Ungeduldigen und schrieb die allerbittersten Philippiken[222] gegen das bezügliche Auge, so z.B. eine in Versen, auf ein Auge, das ihn ein paar Monate lang um seine Ruhe gebracht hatte, die er in seiner ersten Aufwallung also beginnen läßt:


Ein Teufelsaug! – das so viel Schaden thut,

Wie Heide nicht gethan, noch Türk, noch Jud!1


Kurz, so lange der Anfall dauerte, führte mein Vater allerhand beleidigende und anzügliche Reden, die sich oft der Verwünschung näherten, – nur daß er dabei nicht so systematisch zu Werke ging wie Ernulphus; denn dazu war er zu heftig, – und daß er jenem in bedachtsamer Klugheit nachstand; denn obgleich er mit größter Unduldsamkeit Alles unter Gottes Himmel, was ihm gerade unter die Hände kam, verwünschte, mochte es nun seine Liebe nähren oder dämpfen, so endigte er doch nie anders, als daß er sich selbst zuletzt auch noch verwünschte, als den allerausgemachtesten Narren und Dummkopf, den es je auf Erden gegeben hätte.

Mein Onkel Toby dagegen hielt still wie ein Lamm und ließ das Gift in seinen Adern wirken, ohne sich dagegen aufzulehnen, – seine Wunde mochte noch so heftig brennen, nie hörte man von ihm ein ärgerliches oder unzufriedenes Wort (gerade wie damals, als die Wunde am Schambein ihn quälte). er beschuldigte nicht Himmel noch Erde, noch dachte oder sprach Er Etwas, das Jemanden oder Etwas im Himmel oder auf Erden hätte beleidigen können; – einsam und nachdenklich saß er mit seiner Pfeife da, – sah sein lahmes Bein an, ließ empfindsam den Athem ausströmen, halb Seufzer, halb Tabaksrauch, und that keinem Menschen was zu Leide.

Wie gesagt, er hielt still wie ein Lamm.

Allerdings wußte er zuerst nicht, was es war; an demselben Morgen hatte er mit meinem Vater einen Ritt gemacht, um ein schönes Gehölz, welches der Dechant und das Kapitel zum Besten der Armen2 umhauen ließen, wo möglich zu retten, denn dasselbe[223] stand in Sicht von meines Onkel Toby's Hause und war ihm bei der Beschreibung der Schlacht von Wynnendall von ganz besonderem Nutzen. In dem Eifer, es zu retten, war er sehr schnell geritten, und sowohl dies, als der unbequeme Sattel, das schlechte Pferd u.s.w. hatten es zu Wege gebracht, daß sich in der untern Gegend meines Onkels die Wassertheile aus dem Blute unter der Haut gesammelt hatten. Da nun mein Onkel Toby noch keine Erfahrungen in der Liebe besaß, so hatte er das Prickeln für etwas mit der Liebe in Zusammenhang Stehendes gehalten, bis sich endlich auf der einen Stelle die Blase bildete und an der andern Alles beim Alten blieb, woraus er dann merkte, daß seine Wunde keine Hautwunde sei, sondern tiefer sitzen müsse.

Fußnoten

1 Dieses Gedicht wird in meines Vaters »Leben des Sokrates u.s.w.« abgedruckt werden


2 Mr. Shandy meint hier wohl die Geistlicharmen, da sie das Geld unter sich theilten.


Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 222-224.
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