[76] Le Fever's Geschichte. Fortsetzung.
Erst als mein Onkel Toby die Asche seiner dritten Pfeife ausklopfte, kam Korporal Trim aus der Schenke zurück und stattete folgenden Bericht ab:
Zuerst verzweifelte ich ganz, sagte er, daß ich Ew. Gnaden genauere Auskunft über den armen kranken Lieutenant würde verschaffen können. – Er dient also in der Armee? sagte mein[76] Onkel Toby. – Ja, er dient, sagte der Korporal. – In welchem Regimente? fragte mein Onkel. – Ich werde Ew. Gnaden Alles erzählen, erwiederte der Korporal, wie ich's selbst erfahren habe. – Dann will ich mir erst eine Pfeife stopfen, sagte mein Onkel Toby, damit ich Dich nachher nicht störe; setze Dich dorthin ans Fenster, Trim, – und nun fange Deine Geschichte an. – Der Korporal machte seine gewohnte Verbeugung, die so deutlich, wie es nur einer Verbeugung möglich war, die dankbare Ueberzeugung aussprach: »Ew. Gnaden sind gar zu gütig«, – und nachdem er sich hierauf, wie ihm befohlen, gesetzt hatte, fing er die Geschichte ohngefähr mit denselben Worten noch einmal an.
– Zuerst verzweifelte ich ganz, sagte der Korporal, daß ich Ew. Gnaden genauere Auskunft über den Lieutenant und seinen Sohn würde verschaffen können; denn als ich mich erkundigte, wo der Bediente sei, von dem ich sicherlich alles erfahren hätte, wonach man schicklicherweise fragen kann, – (Schicklicherweise! so ist's recht, Trim sagte mein Onkel Toby) – so erfuhr ich, Ew. Gnaden, daß er gar keinen Bedienten habe, und daß er mit Miethspferden nach der Schenke gekommen sei, die am Morgen nach seiner Ankunft zurückgeschickt worden wären, weil er sich zur Weiterreise, wahrscheinlich zu seinem Regimente, zu unwohl gefühlt hätte. »Ist mir wieder wohler, hatte er zu seinem Sohne gesagt, als er ihm die Börse reichte, um den Fuhrmann zu bezahlen, so können wir ja hier Pferde miethen.« – Aber ach! der arme Herr wird wohl von hier nicht wieder fortkommen, sagte die Wirthin zu mir, denn ich habe den Todtenwurm die ganze Nacht picken hören, und wenn er stirbt, so stirbt der arme Junge, sein Sohn, auch, – denn er ist schon jetzt halb todt vor Herzeleid.
Ich hörte eben zu, fuhr der Korporal fort, als der junge Mensch in die Küche trat, um das Schnittchen geröstetes Brod zu bestellen, von dem der Wirth sagte. Ich will es aber lieber meinem Vater selbst rösten, sagte der Knabe. – Erlauben Sie, daß ich es röste, junger Herr, sagte ich und nahm die Gabel, wobei ich ihm meinen Sitz am Feuer anbot, während ich damit[77] beschäftigt sein würde. – Ich glaube, sagte er sehr bescheiden, daß ich es ihm am besten nach seinem Geschmack machen werde. – O sicherlich wird Sr. Gnaden das Brod nicht schlechter schmecken, sagte ich, wenn ein alter Soldat es geröstet hat. – Der junge Mensch ergriff meine Hand und brach in Thränen aus. – Armer Junge, sagte mein Onkel Toby, – er ist von Kindesbeinen an in der Armee gewesen und der Name Soldat klang seinem Ohr wie der Name eines Freundes! Ich wollte, ich hätte ihn hier.
Nach dem längsten Marsche, sagte der Korporal, habe ich nicht solche Lust zum Essen gespürt, als ich jetzt spürte, mit ihm zu weinen. Woher kam das, Ew. Gnaden? – Sicherlich daher, Trim, sagte mein Onkel Toby, und schneuzte sich, weil Du ein gutherziger Bursche bist.
– Als ich ihm das geröstete Brod gab, fuhr der Korporal fort, hielt ich es für schicklich, ihm zu sagen, daß ich Kapitän Shandy's Bedienter sei, und daß Ew. Gnaden (wenn schon ein Fremder) herzlichen Antheil an dem Zustande seines Vaters nähme, und daß Alles, was Ew. Gnaden Haus und Keller bieten könne, (hättest auch Börse sagen sollen, sagte mein Onkel Toby,) gern zu seinen Diensten stände. – Er verbeugte sich tief (das galt Ew. Gnaden), aber er antwortete nichts; das Herz war ihm zu voll; – so ging er mit dem gerösteten Brode hinauf. – Ich bin versichert, lieber junger Herr, sagte ich, als ich ihm die Küchenthür öffnete, Ihr Vater wird sich erholen. – Mr. Yoricks Vikar rauchte seine Pfeife beim Küchenfeuer, aber er sagte kein Wort zu dem jungen Menschen, kein liebes und kein böses. Das war doch wohl nicht recht, setzte der Korporal hinzu. – Wohl nicht, sagte mein Onkel Toby.
Als der Lieutenant sein Glas Wein und sein Stückchen Brod genossen hatte, fühlte er sich ein bischen gestärkt und schickte herunter in die Küche, um sagen zu lassen, es würde ihm angenehm sein, wenn ich etwa nach zehn Minuten zu ihm hinauf käme. – Ich glaube, sagte der Wirth, er hält jetzt sein Gebet; denn auf dem Tische neben seinem Bette lag ein Gebetbuch,[78] und als ich das Zimmer verließ, sah ich, wie sein Sohn ein Kissen holte.
Ich glaubte gar nicht, Mr. Trim, sagte der Vikar, daß Ihr Herren Soldaten auch betetet. – Gestern Abend, sagte die Wirthin, habe ich mit meinen eigenen Ohren den armen Herrn recht inbrünstig beten hören, – ich würd' es sonst nicht geglaubt haben. – Habt Ihr Euch auch nicht geirrt? sagte der Vikar. – Ein Soldat, mit Ew. Ehrwürden Verlaub, sagte ich, betet wohl so oft (auf seine Art) wie ein Pfarrer, und wenn er für seinen König, für sein eignes Leben und für seine Ehre kämpft, so hat er, meine ich, so viel Grund zu beten als irgend Einer. – Das hast Du gut gesagt, Trim, sagte mein Onkel Toby. – Aber wenn ein Soldat, sagte ich, mit Ew. Ehrwürden Verlaub, zwölf Stunden hintereinander in den Laufgräben gestanden hat, knietief im kalten Wasser, – oder, sagte ich, Monate lang hintereinander ohne Rasttag auf dem Marsch gewesen ist, heute im Nachtrapp angegriffen, morgen selber angreifend, – hier abdetaschirt, dort Contreordre erhaltend, – heute die ganze Nacht unter Waffen, – morgen aus dem Bett herausgetrommelt, – erstarrt an allen Gliedern, – vielleicht ohne Stroh im Zelt, um darauf zu knieen, – da muß er schon beten, wie und wo er kann. Ich glaube, sagte ich, denn die Reputation der Armee hatte mich warm gemacht, rief der Korporal, – ich glaube, mit Ew. Ehrwürden Verlaub, sagte ich, daß, wenn ein Soldat nur Zeit zum Beten hat, so betet er so von Herzen wie ein Pfarrer, wenn auch nicht mit so viel Augenverdreherei und Heuchelei. – Das hättest Du nicht sagen sollen, Trim, sagte mein Onkel Toby, denn Gott allein weiß, wer ein Heuchler ist, wer nicht. Bei der großen Revue, Korporal, am jüngsten Tage (eher nicht) wird sich's zeigen, wer seine Pflicht gethan hat in dieser Welt, und wer nicht, und danach, Trim, werden wir avancirt werden. – Ich hoff' es, sagte Trim. – Es steht in der heiligen Schrift, sagte mein Onkel Toby, und ich will Dir's morgen zeigen. Und uns zum Trost können wir uns auch darauf verlassen, Trim, sagte mein Onkel, daß Gott der Allmächtige ein guter und gerechter Regierer der Welt ist, und daß, wenn wir unsere Pflicht hienieden[79] gethan haben, nicht danach gefragt werden wird, ob wir einen rothen oder einen schwarzen Rock getragen haben. – Ich hoff', es wird danach nicht gefragt werden, sagte Trim. – Aber fahre in Deiner Geschichte fort, sagte mein Onkel Toby.
Als ich nach zehn Minuten in des Lieutenants Zimmer trat, fuhr der Korporal fort, lag er in seinem Bett, den Kopf in die Hand und den Ellenbogen auf das Kissen gestützt; ein weißes batistenes Schnupftuch lag neben ihm. – Der junge Mensch beugte sich eben nieder, um das Kissen aufzunehmen, auf dem er wahrscheinlich gekniet hatte; das Buch lag auf dem Bette, und als er sich aufrichtete und mit der einen Hand das Kissen hielt, griff er mit der andern nach dem Buche, um es ebenfalls wegzunehmen. – Laß es hier, mein Kind, sagte der Lieutenant. – Er machte nicht eher Miene, mit mir zu sprechen, als bis ich ganz dicht vor seinem Bette stand. – Wenn Ihr Kapitän Shandy's Diener seid, sagte er, so bitte ich, sagt Eurem Herrn für seine Freundlichkeit meinen und meines Kindes Dank. Wäre er etwa vom Regimente Leven – Ich sagte ihm, daß Ew. Gnaden in diesem Regimente gestanden hätten. – So habe ich, sagte er, drei Campagnen mit ihm in Flandern zusammen gedient, und erinnere mich seiner; aber da ich nicht die Ehre gehabt habe, näher mit ihm bekannt zu sein, so ist es leicht möglich, daß er mich nicht kennt. – Doch sagt ihm, daß der, den er sich durch seine Herzensgüte so sehr verpflichtet hat, ein gewisser Le Fevre ist, Lieutenant vom Regimente Angus; aber er kennt mich nicht, – sagte er noch einmal, wie vor sich hin, – vielleicht meine Geschichte, setzte er dann hinzu. Sagt, ich bitte, dem Kapitän, daß ich der Fähnrich sei, dessen Frau vor Breda durch eine Flintenklugel getödtet wurde, die in mein Zelt flog, als sie mir im Arme lag. – Ich erinnere mich der Begebenheit sehr gut, Ew. Gnaden, sagte ich. – Erinnert Ihr Euch? sagte er und trocknete sich die Augen mit dem Schnupftuche; und ich erst!! – Als er dies sagte, zog er einen kleinen Ring aus seinem Busen, der ihm an einem schwarzen Bande um den Hals hing, und küßte ihn zweimal. – Komm, Billy, sagte er; – der Knabe flog zum Bett – dort kniete er nieder, nahm den Ring in die Hand[80] und küßte ihn ebenfalls. Dann küßte er den Vater, setzte sich auf das Bett und weinte.
Ich wollte, sagte mein Onkel Toby mit einem tiefen Seufzer, ich wollte, Trim, – ich schliefe!
Ew. Gnaden lassen sich's zu nahe gehen, erwiederte der Korporal. Soll ich nicht Ew. Gnaden ein Glas Wein zur Pfeife einschenken? – Thu das, Trim, sagte mein Onkel Toby.
Ich erinnere mich, sagte mein Onkel Toby und seufzte wieder, der Geschichte des Fähnrichs und sei nes Weibes, nebst eines Umstandes, den sein Zartgefühl nicht berührt hat; besonders auch, daß sowohl er als sie, aus irgend einem Grunde, den ich vergessen habe, im ganzen Regimente allgemein bedauert wurden. Aber endige Deine Geschichte. – Sie ist schon zu Ende, sagte der Korporal, denn ich konnte nicht länger bleiben, und so wünschte ich dem armen Herrn eine gute Nacht. – Der junge Le Fever stand vom Bette auf und begleitete mich die Treppe hinunter; beim Heruntergehen erzählte er mir, daß sie von Irland kämen und auf dem Wege zum Regimente wären, das in Flandern läge. – Aber ach! sagte der Korporal, der Lieutenant hat seinen letzten Tagesmarsch gemacht! – Und was soll dann aus dem armen Jungen werden? rief mein Onkel Toby.
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