Zwölftes Kapitel.

[31] Aber kehren wir zu meiner Mutter zurück.

Meines Onkel Toby's Meinung, Madame, daß daran nichts Schlimmes sei, wenn der römische Prätor Cornelius Gallus bei seinem Weibe schlafe, – oder vielmehr das vorletzte Wort dieser Meinung (denn mehr hatte sie nicht gehört) faßte sie bei der schwächsten Seite ihres Geschlechtes, – verstehen Sie mich nicht falsch – ich meine bei der Neugierde: augenblicklich nahm sie an, daß sie der Gegenstand der Unterhaltung sei, und deutete jedes Wort, das mein Vater sprach, auf sich oder ihre Familienangelegenheiten.[31]

Bitte, Madame, in welcher Straße wohnt die Frau, – die das nicht gethan hätte?

Von dem wunderbaren Tode des Cornelius war mein Vater auf den des Sokrates übergegangen und gab nun meinem Onkel Toby eine kleine Idee von der Rede desselben vor den Richtern – sie war wirklich unwiderstehlich, nämlich nicht die Vertheidigungsrede des Sokrates, sondern die Versuchung für meinen Vater. Ein Jahr vorher, eh' er sein Geschäft aufgab, hatte er selbst ein Leben des Sokrates1 geschrieben, und ich glaube, daß dieser Umstand nicht ohne Einfluß auf jenen Entschluß gewesen war: so war also Niemand besser im Stande, sich auf diesen Gegen stand einzulassen und ihn mit wahrhaft epischer Erhabenheit zu behandeln. Da gab es keinen Satz in Sokrates' Rede, der mit einem kürzern Worte geendet hätte, als: Seelenwanderung oder Vernichtetwerden, – keinen, der als Kern einen geringern Gedanken enthalten hätte, als: Sein oder Nichtsein – Uebergehn zu einem neuen, unerprobten Zustand der Dinge – oder zu langem, tiefem, friedevollem Schlafe, ohne Träume, ohne Störung, – daß wir und unsere Kinder geboren wären, um zu sterben, doch nicht, um Sklaven zu sein. – Aber nein, hier verwahre ich mich, das kommt in Eleazars Rede vor, von der Josephus (de bell. Judaic.) berichtet. Eleazar gesteht, diesen Gedanken von einem indischen Philosophen zu haben. Wahrscheinlich hat Alexander der Große auf seinem Zuge nach Indien, nächst vielen andern Dingen, auch diesen Gedanken gestohlen; so wurde derselbe dann, wenn auch nicht den ganzen Weg von ihm (denn bekanntlich starb er in Babylon), doch von einem seiner Freibeuter nach Griechenland gebracht; von Griechenland kam er hierauf nach Rom, von Rom nach Frankreich, und von Frankreich nach England. – So kommt etwas in der Welt herum. –

Zu Lande kann ich mir keinen andern Weg denken. –

Zu Wasser hätte der Gedanke auf dem Ganges hin unter in[32] den Meerbusen von Bengalen und von da in den indischen Ocean gehen können; dann der Handelsstraße folgend (denn der Weg um's Vorgebirge der guten Hoffnung war damals noch nicht entdeckt) würde er mit Specereien und andern Waaren das rothe Meer hinauf nach Djeddo, dem Hafen von Mekka, oder nach Tor oder Suez am äußersten Ende des arabischen Meerbusens gegangen sein, von wo ihn Karawanen in drei Tagen nach Koptos gebracht hätten, und so hinab den Nil geraden Wegs nach Alexandria, wo er am Fuße der großen Treppe der Bibliothek selbst hätte landen und aus den Speichern derselben weiter hätte bezogen werden können.

Mein Gott! was für Handel die Gelehrten in jenen Tagen trieben!

Fußnoten

1 Mein Vater konnte sich nie zur Herausgabe dieses Lebens entschließen; das Manuskript nebst einigen andern Abhandlungen befindet sich in den Händen der Familie und soll seiner Zeit dem Publikum nicht vorenthalten werden.


Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 31-33.
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