[655] Wenn man gegen das Oberplaner Tal hingeht und sein Angesicht gegen Westen wendet, so sieht man in dem fernen Blau der Wälder, die man da vor sich hat, allerlei seltsame Streifen hinziehen, die meistens rötlich matt leuchtend und dämmerig sind. Sie sind Holzschläge, und die großen Wälder, von denen man den oberen Wald rechts hat, die Seewand gerade vor sich und die Alm links, enthalten viele derselben. Eigene Menschen werden das ganze Jahr hindurch beschäftigt, und das Geschäft eines Holzhauers ist nicht freudenlos und nicht entblößt von dichterischen Reizen, und wenn ein Mann ein reicheres und weicheres Herz hat, so hängt er mit einer gewissen Schwermut an seinem Tun und an den Schauplätzen des selben. Wenn man von Pichlern durch die Felder westwärts geht und das Dorf Pernek hinter sich hat, so beginnen[655] schon die Wälder. Es steht hinter Pernek der Hausberg, der mit all den folgenden Wäldern zusammen hängt. Aber auf ihm stehen zarte Birken und andere gesellige Gruppen von Bäumen auf Rasenplätzen, die man einst gereutet hat, damit die Rinder dort weiden können. Weiter aufwärts sind die Wälder schon dichter, und in dem Innern ihrer großen Ausbreitungen hegen sie die Holzschläge. Wenn man den Rand eines solchen Streifens betritt, wie wir sie oben genannt haben, so ist er in der Nähe größer und ausgedehnter, als man sich in der Ferne gedacht hätte, und die Menschen sind auf ihm beschäftigt. Es liegen wie Halmen gemähten Getreides die unzähligen Tannenstämme verwirrt herum, und man ist beschäftigt, sie teils mit der Säge, die langsam hin und her geht, in Blöcke zu trennen, teils von den Ästen, die noch an ihnen sind, zu reinigen. Diese Äste, welche sonst so schön und immer grün sind, haben ihre Farbe verloren und das brennende Ansehen eines Fuchsfelles gewonnen, daher sie in der Holzsprache auch Füchse heißen. Diese Füchse werden gewöhnlich auf Haufen geworfen, und die Haufen angezündet, daher sieht man in dem Holzschlage hie und da zwischen den Stämmen brennende Feuer. An anderen Stellen werden Keile auf die abgeschnittenen Blöcke gestellt, auf die Keile fällt der Schlägel, und die Blöcke werden so getrennt und zerfallen in Scheite. Wieder an andern Stellen ist eine Gruppe beschäftigt, das Wirrsal der Scheite in Stöße zu schichten, die nach einem Ausmaße aufgestellt sind, und in denen das Holz trocknet. Diese Stöße stehen oft in langen Reihen und Ordnungen dahin, daß sie von ferne aussehen wie Bänke von rötlich und weiß blinkenden Felsen, die durch die Waldhöhen hinziehen. An einer Stelle des Holzschlages ist die Hütte der Arbeiter, das ist ein von der Erde aufsteigendes Dach, das vorne mit Stämmen gestützt und seitwärts mit Zweigen und Reisig gepolstert ist. Sein Raum enthält[656] das Heulager der Arbeiter, die Truhen mit ihren Kleidungsstücken, manche Geräte und Geschirre und allerlei anderes, was ihnen in diesem Waldleben nötig oder nützlich ist. Vor der Hütte brennt das Feuer, an dem sich das Mittag- oder Abendmahl bereitet. Es ist nicht viele Sorge auf Genauigkeit und Holzersparung verwendet, indem um die kochenden Töpfe gleich ganze Stämme herum liegen, die da verkohlen. Von solchen verkohlenden Stämmen rührt der schöne blaue Rauch her, den man oft tagelang aus den fernen Wäldern aufsteigen sieht. Von den Füchsen, die man in den Holzschlägen verbrennt, kömmt wenig oder gar kein Rauch, denn anfangs brennen sie mit einem glänzenden, rauchlosen Feuer, dann, wenn die Nadeln und das Reisig verbrasselt haben und sich die dickeren Äste in der Glut krümmen, erscheint wohl etwas Rauch, aber er ist zu machtlos, kräuselt sich dünne durch die Zweige der noch stehenden Bäume, und verliert sich am Himmel. So sieht ein Holzschlag aus, auf ihm ist Leben, Regung und scheinbare Verwirrung, an seinem Rande, wo er aufhört, ist es stille, und dort steht wieder, wie es erscheint, der feste, dichte, unerschöpfliche, ergiebige Wald.
Wenn eine Fläche des Waldes abgeschlagen ist, wenn die Scheite geordnet, getrocknet, weggeführt sind, wenn die Reisige verbrannt wurden, wenn man keine Hütte der Holzhauer mehr sieht und die Arbeiter fortgegangen sind, dann ist der erste Teil des Lebens eines Holzschlages aus, und es beginnt nun ein ganz anderer, stillerer, einfacherer, aber innigerer. Wenn die Halde leer dasteht, wenn sie nur mehr manchen schlechten stehengelassenen Baum wie eine Rute gekrümmt trägt, wenn die bloßgelegten Kräuter und Gesträuche des Waldes zerrüttet und welkend herum hängen, wenn mancher nicht ganz verbrannte Reisighaufen im Verwittern begriffen, und ein anderer in den Boden getreten und verkohlt ist: dann steht die[657] einsame, verlassene Bevölkerung von Strünken dahin, und es schaut der blaue Himmel und schauen die Wolken auf das offene Erdreich herein, das sie so viele Jahre nicht zu sehen bekommen haben. – Das erste, was nach langen Zeiten herbei kömmt, um die umgewandelte Stätte zu besetzen, ist die kleine Erdbeere mit den kurzen, zurück geschobenen Blättern. Sie sproßt zuerst auf der schwarzen Erde einzeln hervor, siedelt sich dann um Steine und liegen gebliebene Blöcke an, überranket fleißig den Boden, bis nichts mehr zu sehen ist, und erfreut sich so sehr der Verlassenheit und der Hitze um die alten sich abschälenden Stöcke herum, daß es oft nicht anders ist, als wäre über ganze Flecke ein brennendes, scharlachrotes Tuch ausgebreitet worden. Wenn es so ist, dann sammelt sich allgemach unter ihren Blättern die Nässe, und es erscheint auch schon die größere, langstielige Erdbeere mit den gestreckten Blättern und den schlanken Früchten. Es beeilt sich die Himbeere, die Einbeere kömmt, manche seltsame, fremdäugige Blume, Gräser, Gestrippe und breite Blätter von Kräutern; dann die Eidechse, die Käfer, Falter und summende Fliegen; mancher Schaft schießt empor mit den jungen feuchtgrünen Blättern; es wird ein neuer, rauher, hochrutiger Anflug, der unter sich einen nassen, sumpfigen Boden hat, und endlich nach Jahren ist wieder die Pracht des Waldes.
Dies ist der zweite Teil des Lebens eines Holzschlages.
Wenn es nicht so schön ist, wenn kein Wald mehr entstehen soll, dann werden die Waldgäste mit Absicht hintan gehalten, es wird gereutet, und lieber statt all des Anfluges der Geselle des Menschen, das Wiesengras, heran gelockt, daß Mäheplätze entstehen oder Weideplätze für das Vieh werden, wie man es mit dem Hausberge hinter Pernek getan hat, der auch einmal eine schöne Wildnis war, und es jetzt nicht mehr ist.
Wenn der Holzhauer auch schon die Stätte seines Wirkens[658] verlassen hat, so liebt er sie doch noch immer, und wenn er nach langen Jahren durch den neuen Anwuchs geht, durch die Himbeergesträuche, durch die Gezweige, die Axt auf der Schulter oder die breite Säge über den Rücken gebunden, so wandelt er in seinem Reiche, er gedenkt der Tage, wo er hier gewirkt hat, und wenn er auch nun in andern, frischen Wäldern beschäftigt ist, so gehört doch auch ein Teil seines Herzens der Stelle, auf der einst seine Hütte gestanden war.
Der lange Hanns arbeitete in dem Schlage des Thußwaldes. Der Thußwald aber liegt so weit in der Tiefe der Bergrücken zurück, daß die Holzarbeiter die ganze Woche dort beschäftigt sein mußten und nur an Sonntägen den weiten Weg zu den Menschen und in die Kirche hinaus machen konnten. Hanns war wie ein König in seinem bunten, einsamen, entfernten Schlage. Teils gehorchten manche ihm freiwillig, weil er ein guter Anordner war, teils scheuten sich manche, weil er große Körperkräfte besaß, und teils ehrten ihn viele, weil er ein vorzüglicher Arbeiter war. Da stand er nun entweder an einem Stamme, zirkelte die Stelle, wo er angesägt werden solle, daß er wanke, weiche und sausend und krachend in das andere Gehölze niederstürze – oder er war um den gefallenen Baum beschäftigt, im Gestrippe und Geniste stehend, daß die Äste und Zweige weg kämen und der Stamm frei zur Arbeit würde – oder er half schon, ihn in Stücke zu zerteilen, und da rollte seine Säge frisch und tüchtig hin und her – oder sein Arm schwang den Schlägel, daß er klingend auf den Keil fiel – oder er stand hoch auf einem Stoße, die dargereichten Scheite schnell legend, daß ihm zwei Handreicher nicht folgen konnten, und daß es unter ihm zusehends wuchs. Er war gewöhnlich zur Arbeit gehörig gekleidet. An seinem Oberleibe hatte er schier kein Gewand; denn das grobe Hemd war zurück geschlagen und an den Armen weit über den Ellbogen aufgestellt;[659] um die Lenden war das linnene Kleid, an den Füßen hatte er die starken, jedem Dorne und Splitter trotzenden Bundschuhe an, und auf dem Haupte war gewöhnlich nichts als das rötliche, leuchtende Haar.
So ging die Woche dahin, und so vollendete die Sonne fünfmal ihren Kreislauf um den Himmel, und beschien fünfmal die seltsamen verschiedenartigen Dinge des Holzschlages.
Wenn es am Samstage Mittag wurde, da hörte das Wochenwerk auf, und es wurden Anstalten zum Fortgehen getroffen. Ruhe herrschte auf dem Platze, alle Werkzeuge, Kleiderstücke, Töpfe und dergleichen wurden zusammen gelesen, die Arbeiter trafen bei der Hütte ein, dort wurde einiges zusammengeschnürt, daß man es mitnehme, anderes wurde geborgen, daß es da bleibe, schönere Kleider wurden aus den Truhen hervor gesucht, es wurden Angesichter gewaschen, manches wurde noch genestelt, und einige und andere schlugen den Weg ein, der sie eben ihrer Heimat zuführte. Mancher ganz Faule blieb auch da und verschlief den Sonntag vor der Hütte in der lautlosen Stille des Holzschlages, von nichts besucht als von dem raschelnden Grase und von der stummen Hitze des Tages.
Der größere Teil der Arbeiter ging gegen Pernek und Pichlern hinaus. Sie mußten anfangs durch den Thußwald, dann über die Thußecke, dann über einen Berg, die rauhe Hochstraß geheißen, dann durch Auen, und dann führte der Weg in das Tal, durch das man gegen Pernek kommen konnte. Man plauderte gerne auf diesem Gange, man klapperte mit den eisernen Keilen, man jauchzte oder sang, man schlug sich Feuer und rauchte. Vom Holzschlage weg gingen alle miteinander, die diese Richtung hatten, aber je weiter der Weg führte, desto wenigere wurden sie immer; denn bald nahm der eine Abschied und ging seitwärts, bald der andere, so wie ihr Weg in[660] ihre Heimat von dem allgemein eingeschlagenen Wege abführte, und nicht selten geschah es, daß, wenn die untergehende Sonne glutig am Rande der Seewand lag, und jeder emporragende Zaunpfahl, ja eine herausstehende Ähre einen langen Schattenstreifen über das Getreide warf, Hanns allein durch die Perneker Felder ging und den Weg hinab gegen Pichlern einschlug. Er ging auf dem Fahrwege hinab, er bog um die große Linde des Schwarzmüllers, zielte gegen die ferneren dünnen Föhrenstämme und schritt auf das weiße Häuschen zu.
Wenn er dort anlangte, war meistens die Mutter, wie sie es am Abende gewohnt war, außen herum. Sie schlichtete etwas an dem Holze, oder tat sonst etwas, oder betete, indem sie herum ging, und häufig zur Ziege redete, die sie nicht eher in den Stall tat, als bis sie selber in die Stube ging. Im Innern saß Hanna in einem reinen, schimmernden Gewande. Sie hatte vorher jedes Stäubchen von dem Tische, der Bank, dem Stuhle und dem Fußboden gefegt; denn auch das gehörte mit zu ihren Eigentümlichkeiten, daß sie außerordentlich reinlich war. Sie wollte nicht mit der Hand und nicht mit dem Gewande an Staub rühren.
»Die wird Gott strafen, daß sie so stolz ist,« sagten oft die Leute, »und ihn dazu, daß er so verblendet ist und ihr alles anhängt.«
Hanns ging hinein, Hanna sprang auf und grüßte ihn. Er blieb bis spät abends, sie plauderten, koseten, aßen; die Mutter war bei ihnen, sprach mit, aß, oder nickte schlummernd ein wenig mit dem Kopfe, wie es eben kam.
Erst im Sternenscheine ging Hanns fort und begab sich zu den Leuten, wo seine Schwester war, und wo er eine Lagerstätte hatte; denn sein Vater und seine Mutter waren längstens gestorben.
Daß Hanns aber an Hanna etwas verwendete, schien ihm gar nicht leid zu tun. Wenn er mit ihr bei einem Tanze[661] oder bei sonst einer Gelegenheit war, wo sie viele sehen konnten, und wenn nun der eine oder andere junge Mann mit seinen Augen schier nicht von ihr lassen konnte und stundenlang sie mit denselben gleichsam verschlang, so hatte Hanns seine außerordentliche Freude darüber und triumphierte. Wenn sie spät mit einander nach Hause gingen, wo die einsame Wachholderstaude stand, oder der graue, verschwiegene Stein des Brunnberges lag, da schlang sie ihren Arm um seinen Nacken, drückte ihn heiß an sich, sah ihn an und flüsterte gute Worte. Daß da eine außerordentliche, unheimliche Seligkeit in ihm war, bewies der Umstand, daß er ihr von seinen Habseligkeiten alles, alles gab.
Am andern Tage, wenn er so einen Feiertag bei ihr zugebracht hatte, sah man ihn dann wieder in frischen Linnenkleidern, die Axt oder die Keile auf der Schulter tragend, durch die Felder schreiten und seinem Walde zuteilen.
Einmal fragte ihn Hanna, um was er denn am ersten Beichttage die heilige Jungfrau Maria gebeten habe.
»Ich habe um nichts gebeten,« antwortete er, »du weißt ja, daß ich nicht oft zu ihr in ihr Kirchlein hinauf komme, weil ich nicht Zeit habe; aber von ferne und von dem Walde aus, wo er eine Lücke hat, sehe ich das weiße Kirchlein sehr gerne, weil von ihm nach abwärts die Wachholderstauden anfangen, dann die Föhren der Pichlerner Weide stehen, und noch weiter unten das Häuschen ist, in dem du bist.«
»Du solltest aber doch gebeten haben«, sagte Hanna; »denn sie ist sehr wundertätig und stark, und was man am ersten Beichttage mit Inbrunst und Andacht verlangt, das muß in Erfüllung gehen, es geschehe auch, was da wolle.«
»Das habe ich ja gar nicht gewußt,« sagte Hanns, »es hat es mir damals niemand gesagt, und wenn ich es auch gewußt[662] hätte, so hätte ich sie doch gewiß um nichts gebeten, weil mir nichts gefehlt hat. – Meinst du denn im Ernste, daß sie etwas tun kann, um was man sie recht bittet?«
»Freilich kann sie es tun,« antwortete Hanna, »weil sie sehr mächtig ist, und sie tut es auch, weil sie sehr gut ist.«
»Aber am ersten Beichttage muß man sie darum bitten?« fragte Hanns.
»Um was man sie am ersten Beichttage bittet,« sagte Hanna, »das tut sie immer und jedes Mal; aber auch an jedem andern Tage kann man sie bitten, und sie kann die Bitte gewähren, weil ihre Macht außerordentlich ist.«
»Aber das ist ja kaum denklich,« erwiderte Hanns, »weil sonst alle Leute daher kämen und um die verwirrtesten und verkehrtesten Dinge bäten.«
»Wenn sie um verwirrte und verkehrte Dinge bitten,« sagte Hanna, »so läßt sie diese nicht in Erfüllung gehen; aber bitten muß man sie immer, weil man nicht wissen kann, welches Ding verwirrt oder verkehrt ist, und weil sie allein die Entscheidung hat, was in Erfüllung gehen solle und was nicht.«
Hanns antwortete nun nichts mehr darauf.
Die Liebe, die Zuneigung und die Anhänglichkeit wachs immer mehr und mehr. Hanns tat alles, was ihm sein Herz einflößte. Er ehrte die Zeiten, wie es in jener Gegend gebräuchlich ist. Er setzte Hanna den schönsten Maibaum vor die Türe, er wand das schönste Tuch um ihr Haupt und band die schönste Schürze um ihren Leib, er trug den größten Palmbaum am Palmsonntage für sie in die Kirche, er steckte sogar eine goldene Nadel in ihr Haar, er brachte ihr den schönsten Strauß von Walddingen aus seinem Schlage nach Hause, er führte sie an Sonntägen in die Kirche, und ging mit ihr, wenn schönes Wetter war, in den Feldern und Wiesen spazieren. Sogar zu[663] Zeiten, wo es nicht schicklich war, daß er sich bei Hanna im Häuschen befand, sahen ihn die Leute unter den Föhrenstämmen und Steinen in großen Kreisen um das Häuschen herum gehen.
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