[664] Im Herbste, da die Blätter sich mit schönen Farben zu mischen begannen und Hannsens Schlag noch brennender, feuriger und seltsamer war, erhob sich die Sage, daß in der Gegend von Oberplan ein großes Jagen sein werde, daß der Fürst und Grundherr kommen werde, und daß ihn eine Menge Herren und Frauen begleiten würden. Die Diener hatten das Gerücht ausgebreitet, aber man wußte nicht, ob ihm die Herren eine Folge geben würden oder nicht. So erhielt sich die Sache lange. Endlich aber erschienen wirklich einige Abgeordnete in Oberplan, welche die Voranstalten zu dem Feste machen sollten.
Von nun an hatte das Gerücht freien Spielraum, und es ging durch die ganze Gegend.
Im Stegwalde, hieß es, werde ein Netzjagen sein, in welchem man Gespinste aus Seilen aufspannen und das Wild darinnen einfangen werde. Im oberen Walde, im Langwalde und an der Flaniz sollen Treibjagen sein, wie man seit Menschengedenken nicht gehört hätte, und sie sollten sich über tagelange Wälder ausbreiten. Außer dem Jagen sollen auch andere Feste angeordnet sein. Auf den Oberplaner Wiesen, den nämlichen, von denen wir am Eingange unserer Geschichte gesagt haben, daß die Moldau in großen Schlangenwindungen durch sie geht, soll ein Essen sein, an dem mehrere hundert Personen würden Teil nehmen können. Wer nur wolle, dürfe zuschauen, und auf Schragen würden Weinfässer aufgestellt sein, von denen jedem, der mit einem Geschirr hinzu[664] ginge, herab gelassen würde. Die Diener würden bei der Tafel aufwarten, und die angesehensten Männer der Gegend würden eingeladen sein. Außer dem Essen aber soll noch ein Tanzboden errichtet sein, auf welchem man durch unzählige Blumengewinde Tänze aufführen würde. Dieses und noch viel anderes, das man noch gar nicht wisse, solle geschehen. In der Gegend sollen schon tausend Taglöhner zu Handlangern, Arbeitern und Treibern gedungen worden sein. Alles werde durch eine feierliche Messe in dem Gnadenkirchlein zum guten Wasser eingeleitet werden.
Auf was sich die Leute am meisten freuten, war das Netzjagen, das sich keiner vorstellen konnte, und von dem keiner eine Ahnung hatte. Nur der achtzigjährige Schmied in Vorderstift erinnerte sich, als ganz kleiner Knabe einem solchen Jagen beigewohnt zu haben. In der Dürrau waren Stricknetze und Tücher, unabsehlich zu schauen, aufgespannt gewesen, zuerst weiter, dann enger, und dann durch einen Vorhang zu schließen, wodurch das Wild in einem Raume eingesperrt war, in dem es von dem Rande der Tücher herab erschossen werden konnte. Er unterließ nie, wenn er die Sache erzählte, eines Bären zu erwähnen, der mit den andern ins Netz getrieben worden war, und der bald zum allgemeinen Ergötzen diente, indem jeder so schnell als möglich sein Geschick an ihm versuchen wollte. Da nun die Hirsche oft himmelhohe Sprünge wagten, ob sie die Leinwand übersetzen könnten, ohne daß es ihnen gelang, so fuhr der Bär, der bereits verwundet war, in seiner Verzweiflung gegen das Gewebe, packte es mit seinen Tatzen und riß von dem furchtbar starken Geflechte eine ganze Strecke heraus, so daß Tuch und Netz weg waren, und daß man von den draußen stehenden Bühnen die nackten Füße und das Gerüste samt Verlattung sehen konnte. Der Bär und der ganze gehetzte Schwarm, der noch übrig war, fuhr nun mit großem Getöse[665] durch das Loch hinaus, und alle, die zugegen waren, mußten in ein Gelächter ausbrechen.
Ein solches Fest erwartete nun Oberplan, und die Leute waren begierig, wann die Herren kommen würden. Aber sie kamen immer nicht, weil die Vorbereitungen noch dauerten. Es war noch der Haber auf den Feldern gestanden, es war das Sommerkorn noch nicht geschnitten gewesen, und hie und da lag selbst noch eine Gerste auf den Äckern, als die Bevollmächtigten angekommen waren; aber die Gerste wurde eingeführt, das Sommerkorn geschnitten, der Haber gemäht, beides in die Scheunen gebracht, und man war noch immer nicht fertig, weil alles vortrefflich werden sollte. Die Axt der Zimmerer erklang im Walde, Verzeichnisse von Treibern und andern wurden angefertigt, Abmessungen wurden vorgenommen, die Forste, welche durchstrichen werden sollten, wurden begangen, und Versammlungen und Rate sind gehalten worden.
Endlich, als auf den Feldern nur mehr das braungedörrte Kraut der Kartoffeln und die blaubetauten Häupter des Weißkohles standen, wurde der Tag bekannt gemacht, an welchem die Jagdgesellschaft eintreffen würde. Man rüstete sich zu dem Empfange, und alles war gespannt.
Am Tage vorher trafen Diener, Pferde und Troß ein.
Als am andern Morgen die Sonne aufgegangen war und ein recht heiterer, funkelnder Herbsthimmel über der Gegend stand, war schon alles in Bereitschaft. Um zehn Uhr, als auf dem Turme das Zeichen gegeben wurde, daß sie kommen, sah man es auf der Straße von Honetschlag her durch den Staub von Pferden und Wagen blitzen, und als eine Viertelstunde vergangen war, fuhren sie bei der oberen Gasse herein. Sie fuhren dann über das Steinbrückchen des heiligen Johannes und hielten auf der Gasse vor dem Pfarrhofe und der Schule an, wo der Pfarrer, dann der Schulmeister mit weiß gekleideten Mädchen[666] und geputzten Buben und die Obrigkeiten standen. Es war eine ganze Reihe von Wägen. Männer und Frauen saßen darinnen. Die Frauen waren nicht geschmückt, sie waren kaum geputzt. Sie hatten nicht einmal Reifröcke an, sondern nur ein schlichtes, einfach hinab fallendes Jägerkleid. An den Männern war auch nicht zu erkennen, ob sie in Feierkleidern seien oder nicht; sie hatten sämtlich Mäntel um; denn es war kühl, und am Morgen war ein schneeweißer Reif über alle Wiesen gewesen. Sie hatten alle ungepuderte Haare, weil sie nicht im Amte oder in einer festlichen Gesellschaft, sondern nur auf einer Reise begriffen waren. Nur zwei alte Männer hatten schön gelockte Perücken mit blütenweißem Staube darauf. Im ersten Wagen saß der Grundherr, seine Frau und sein Sohn. Die Buben hatten ein klingendes Lebehoch ge rufen, und die Forstmeister, Revierjäger, Heger und Holzmeister des Herrn standen in Ordnung da. Die Mädchen warfen grüne Zweige unter die Räder des Wagens. Der Pfarrer trat hervor und grüßte den Herrn in einer Rede. Desgleichen taten die Richter und Geschwornen. Als der Herr allen gedankt hatte, als er mit dem Förster von Vorderstift, in dessen Reviere der erste Jagdplatz lag, gesprochen hatte, als er sich besonders freundlich gegen den Schulmeister und die weißen Mädchen verneigt hatte und der gelüftete Hut wieder auf seinem Haupte saß: fuhren sie weiter. Man fuhr zu dem Rathause, in welchem dem Grundherrn für die Dauer der Feste seine Wohnung war zubereitet worden. Er stieg aus und ging mit den Seinigen in seine Zimmer. Alle Mitgekommenen stiegen ebenfalls aus ihren Wägen, um sich in ihre bereit gehaltenen Wohnungen zu verfügen und sich zu den Festen vorzubereiten. Für die Diener und Pferde waren an einer Straße, die der Minnegraben hieß, und auf der Weide des oberen Anspaches bretterne Hütten aufgeschlagen worden, aus denen am ganzen Tage und einen Teil[667] der Nacht hindurch Zechen und Jubeln vernommen wurde.
Der Tag verging ohne besonderes Ereignis, außer daß die Oberplaner in Angst und Besorgnis waren, dem Küchen und Kellermeister alles Erforderliche auszuliefern und es den hohen Herrschaften recht zu Danke zu machen.
Am nächsten Tage war bloß die Jagdmesse. Das Kirchlein zum guten Wasser war mit Menschen angefüllt. In den Stühlen, zu denen man noch vorne mehrere mit Tuch ausgeschlagene gefügt hatte, saßen die Herren und Frauen. Weiter rückwärts befanden sich die Bewohner der Gegend und alle, die von ferne herbei gekommen waren. Sie sangen zu den Tönen der Orgel das schöne Marienlied, das man einst eigens für diese Kirche gedichtet hatte, und das sie alle kannten. Am Nachmittage begaben sich die Herren nach Vorderstift, um im Jägerhause zu übernachten und dem Jagdschauplatze näher zu sein.
Am Tage, der nun folgte, sollte das große Netzjagen sein.
Die Bewohner der Gegend waren äußerst begierig darauf.
Schon vor Anbruch des Taglichtes gingen die Gruppen auf verschiedenen Wegen und in gedämpften Gesprächen dem Stegwalde zu. Sie ergötzten sich schon in vornhinein an den Dingen, die kommen sollten. Das Wild, hieß es, sei schon alles in dem Netzraume eingeschlossen. Es sollen Hirsche dabei sein, Hasen, Rehe, auch Dachse, Füchse, Marder und vieles dergleichen, ein Luchs soll zugegen sein und manches seltene Tier. Ob ein Bär eingegangen sei, wisse man nicht genau, aber gewiß sei auch einer darunter. Die ganze Sache sei sehr künstlich. Der Jagdraum, in welchem sich Gesträuche, hohe Bäume, Steine und selbst Klüfte befinden, sei in einem großen Kreise von den stärksten Stricknetzen umfangen, die in eisernen Ringen an gehauenen Bäumen befestiget wären. Innerhalb der[668] Netze seien Tücher gespannt, daß alles hübscher aussähe. Außerhalb derselben befänden sich die Schießstände der Herren, und gleich hinter denen seien die Bühnen für die Zuschauer; denn die Herren hätten es selber gerne, wenn viele Zuschauer kämen und ihre Kunst bewunderten. Um die Tiere in den Raum zu bringen, seien Wege angelegt worden, nämlich Räume, an welchen zu beiden Seiten Netze empor gespannt wären; diese Räume wären zuerst sehr weit, würden immer enger und mündeten endlich mit einer Öffnung in den Jagdraum. Da, wo diese Öffnung sei, befinde sich eine Netztür, die man sehr schnell von dem Boden empor ziehen und befestigen könne, damit das Wild, wenn es einmal in den Kreis eingegangen sei, nicht mehr hinaus zu kommen vermöge. Durch zehn Tage habe man schon das Wild gegen den Stegwald zusammen treiben lassen. Es seien Jäger, Heger und Treiber verwendet worden, und hätten auf der einen Seite gar bei dem Schlosse Sankt Thomas und dem Jungwalde angefangen, den Forst zu durchstreifen, und auf der andern vom Almwalde und dem Hochficht, um die Tiere gegen den Stegwald zu drängen. Damit die Herren zu ihren Schießstätten könnten, sei von der Glöckelberger Straße aus ein Weg mitten durch den grünen Wald angelegt worden, auf dem man gehen, reiten und fahren könne.
So erzählten sich die Leute und gingen fort. Sie fanden den Weg, der in den Wald hinein gemacht worden war, und gelangten zu dem Jagdraume.
Lange bevor der Tag angebrochen war, waren schon alle Zuschauerräume dicht mit Menschen besetzt.
Nach Aufgang der Sonne kamen auch die Herren und stiegen zu ihren Bühnen empor. Jeder hatte einen geräumigen Platz, auf dem ein Gestelle angebracht war, an welchem die glänzenden Jagdbüchsen lehnten. Jeder hatte auch zwei Diener hinter sich, die beständig laden und die[669] Gewehre darreichen sollten. Heute waren die Herren alle in vollem Putze und hatten die Mäntel in den Wägen, in dellen sie gegen den Wald gekommen waren, liegen gelassen. An den Westen und Röcken hatten sie goldene Borden, und alle hatten kleine, mit Gold ausgelegte Hirschfänger an den Schößen, sie trugen sämtlich gepuderte Haare und darauf einen dreieckigen Hut. Die meisten waren in Tannengrün gekleidet, und nur einige hatten auch Kleiderteile von hochgelbem Lederstoffe. Wo nicht Borden waren, war häufig schöne Stickerei auf den Gewändern, und die Troddeln des auf die Weste herab gehenden Halstuches hatten goldene Fransen.
Von den Frauen und Mädchen, die zu den Herren gehörten, war keine einzige zugegen, nicht einmal die, die doch in Jägerkleidern nach Oberplan gekommen waren. Der Schulmeister von Oberplan sagte, die Frauen dürften wohl Jägerkleider anhaben, aber nicht jagen; die Sitte erlaube nicht einmal, daß die Frauen bei dem Töten der Tiere zugegen seien, weil sie zu zart und zu fein sind, so daß sich nur das Schäferspiel für sie schicke, daß ihnen die Herren nur Blumensträuße reichen, sie mit der Laute begleiten oder beim Menuette führen dürfen.
Die Mädchen und Frauen der Gegend und des Landes hatten diese Gesinnungen nicht; denn es waren sehr viele zum Zuschauen herbei gekommen, und ihre Augen und Mienen verrieten fast die brennende Neugierde und das klopfende Herz. Sie waren sonntäglich gekleidet, trugen zum Teile Reifröcke, zum Teile das kurze, faltenreiche Röckchen und meistens auch Zwickelstrümpfe und Stöckelschuhe. Manche Vornehmere hatte weißbestäubtes Haar.
Als alle Schützen an ihrem Platze standen, und als auch sonst alles in Ordnung war, begann eine rauschende Waldmusik von Hörnern und andern klingenden Instrumenten; aber von dem Jagdraume herauf erschollen[670] Schrecktöne und plötzliche Rufe der Angst; denn die Ohren des Waldes kannten nur die Laute des Donners und Sturmes, nicht den Schreckklang tönender Musik. Als dieses große Musikstück aus war, tat ein einzelnes Jagdhorn helle, auffordernde, liebliche Rufe, und dies war das Zeichen, daß die Jagd beginne. Man ließ, da das Horn geendet hatte, die Hunde aus ihren Behältern gegen den Raum los, daß das Wild auffahre und gegen seine umstrickenden Wände ankämpfe. Plötzlich wurde es nun in dem Netzraume lebendig, man sah das schlanke Waldwild durch die Gesträuche huschen, und hie und da legte sich eine Büchse an das weißbestäubte Haar. Man vernahm von einer Seite her einen Schuß, dann von einer andern her wieder einen, und da es unten immer lebendiger wurde, und da die Tiere immer heftiger durcheinander fuhren, blitzte und krachte es von allen Seiten. Ein Hirsch setzte über alle Gebüsche, sprang endlich gegen das Linnen so hoch auf, als wollte er eine Himmelsleiter überspringen, wurde im Sprunge getroffen, überstürzte sich und fiel hernieder. Eine wilde Katze schoß jäh an einem Baume empor, um sich von ihm aus über die Netze hinaus zu werfen, aber sie wurde von einer Kugel auf ihrem Baume erreicht, schnellte in einem Bogen hoch über den Wipfel und fiel auf die Erde. So ereigneten sich auf verschiedenen Stellen verschiedene Dinge. Als es schon eine ganze Weile fast ununterbrochen geknallt und der Raum sich mit Pulverdampf gefüllt hatte, als endlich die Schüsse immer seltener wurden und nur mehr einzelne zu hören waren; so erschallte wieder die klingende Musik und ertönte wieder nach ihr das einzelne Jägerhorn, zum Zeichen, daß man nun aufhören solle. Die Schüsse hörten auch auf, die Büchsen wurden in die Stände gestellt, und der weiße Rauch verzog sich durch die schön gezackten grünen Wipfel der Tannen und durch die entfernteren Buchen. Man ließ nun an verschiedenen Stellen[671] die Netze hernieder, und das Wild, das übrig geblieben war, weil es sich in die Gesträuche oder gar in Klüfte geduckt hatte, konnte in den schützenden Wald entrinnen und den größten Angsttag seines Lebens vergessen. Die Diener lockten die Hunde zu sich, um die verwundeten zu salben und den hungrigen Nahrung zu geben. Hierauf erschienen mehrere Jäger, Heger und andere Leute und suchten in dem Jagdraume herum, um das gefallene Wild zu finden und zusammen zu tragen. Auch manche Herren und andere Leute stiegen in den Jagdraum nieder, um sich das Wild zu betrachten und die Spuren der eben vergangenen Begebenheit zu sehen.
Die Schützen und die Zuschauer mischten sich auf ihren Bühnen, und da das Vergnügen allgemein gewesen war, so redeten jetzt auch alle mit einander. Da wollte es der Zufall, daß Hanna, die Tochter des armen Weibes, die auch herbei gekommen war, dem Feste zuzuschauen, neben einen außerordentlich schönen, jungen Mann von vornehmem Stande zu stehen kam. Dieser Mann war schon früher aufgefallen. Er war, der allgemeinen Sitte zuwider, der einzige, der keine weißbestäubten Haare trug, sondern seine eigenen Locken, die von wunderschönem Gelb waren, bis auf die Schultern und auf den Rockkragen niederfallen ließ. Er hatte sehr gut geschossen, hatte immer auf die unsichersten Punkte gezielt und immer getroffen. Er war so schön, daß er, wie die Landleute sagen, wie Milch und Blut aussah, seine Augen waren groß und sanft, und er war schier prächtiger gekleidet als alle andern.
Da Hanna so neben ihm stand, erblickte sie ein Mann aus dem Volke, der sich unten in dem Netzraume befand, zeigte mit dem Finger hinauf und rief: »Das ist das schönste Paar!«
Das Volk, welches ohnehin schon in eine höhere Stimmung gekommen war, welches an der Jagd den lebhaftesten[672] Anteil genommen, mit den Fingern nach dieser und nach jener Stelle gezeigt und freudig gejubelt hatte, wenn sich etwas Merkwürdiges zugetragen hatte, war zu dem Ungewöhnlichsten aufgelegt. Kaum hatte es also die Worte des Mannes vernommen, so rief es gleichsam mit einer Stimme und laut: »Das ist das schönste Paar, das ist das schönste Paar!«
Der junge Mann wandte sich in seiner Verwirrung gegen Hanna und sah sie an. Da wurde sein Angesicht so scharlachrot wie die Bänder, an denen er seinen Hirschfänger hängen hatte.
Hanna wandte sich ebenfalls nach dem Rufe gegen ihren Nachbar, und da sie den ausgezeichneten Mann gesehen hatte, wurde ihr Antlitz gleichsam mit dem dunkelsten Blute übergossen. Sie sah ihn eine Weile mit offenen Augen an, dann drängte sie sich unter das Volk und ging über die Treppe hinab. Ihr Benehmen war wie das einer Trunkenen.
Da das Hin- und Hergehen und Sprechen noch eine Zeit gedauert hatte, fing man an, sich zu entfernen. Die Diener sammelten die Gewehre auf den Schießständen und trugen sie fort. Die einzelnen Herren begaben sich gegen die Treppen und suchten ihre Wägen zu gewinnen. Den jungen Mann umringten seine Freunde und wünschten ihm Glück. Von Hanna war nichts mehr zu sehen; sie ging bereits mit mehreren schön geputzten Freundinnen, die sich zu ihr gesellt hatten, auf dem durch den Wald gehauenen Wege hinaus. Die jüngeren Schützen hatten sich meistens Reitpferde kommen lassen. Diese wurden vorgeführt und in Ordnung gerichtet, daß man sie besteigen und in Gesellschaft davon reiten könnte.
Auch das Volk, dessen Erregung und Übermut durch den Ausruf über Hanna gleichsam den höchsten Gipfel erreicht hatte, begann sich zu entfernen. Aber es ging fast insgesamt, wie es gewöhnlich bei Vergnügungen unersättlich[673] ist, gegen Vorderstift hinaus, um dem Mittagsessen der Herren zuzuschauen, von dem es hieß, daß es offen auf der grünen Weide würde abgehalten werden.
Bald war es auf dem Jagdraume leer. Der feinste Rauch hatte sich verzogen, und die Bäume standen in ihrem glänzenden Nadelgrün oder in der stillen Glut ihres roten und gelben Laubes da. Nur die leeren Gerüste und die zerknickten Zweige gaben Zeugnis von der hier statt gehabten Versammlung.
Die letzten, welche den Schauplatz verließen, waren diejenigen, denen die Obsorge über das gefallene Wild anvertraut war. Sie hatten Karren in den Netzplatz bringen lassen, hatten das Wild aufgeladen, und fuhren in Begleitung von Jägern, die die lechzenden Hunde an der Leine führten, durch die stille, von dem Dufte der zerquetschten Kräuter geschwängerte Waldluft auf dem einsamen Wege hinaus, der vor ihnen von so vielen Pferden und Menschen betreten worden war.
Das Mittagsmahl hatte wirklich auf der Weide vor dem Jägerhause zu Vorderstift statt. Bei demselben waren auch die Frauen zugegen. Sie waren so eingeteilt, daß immer zwischen zwei Herren eine Frau oder ein Fräulein saß. Die angesehenen Männer der Gegend, welche als geladene Schützen der Jagd beigewohnt hatten, waren auch zu dem Mahle geladen und hatten ihre Frauen und Töchter bringen müssen. Die ganze Gesellschaft saß an zwei langen Tischen dahin. Über ihren Häuptern war ein rot und weiß gestreiftes Tuch gespannt. Zwischen den Pfeilern, welche das Tuch trugen, waren die Räume hie und da frei, hie und da aber mit feinem, fast durchsichtigem Gewebe bespannt. Auf den Tafeln standen die Speisen, standen die feinen Gläser mit den Weinen, und standen in schönen Geschirren die wenigen Blumen der Gärten und Felder, die man in dieser Jahreszeit noch hatte auftreiben können. Rings herum waren auch noch[674] allerlei andere Geräte, namentlich Körbe, die die Herren von der Ferne mitgebracht hatten, und aus denen die Diener, welche aufwarteten und Speisen trugen, kostbare Gebäcke und andere Dinge auspackten. Das Volk stand in großer Menge und dicht um das linnene Gebäude der Speisenden herum und sah zu. Man hatte von den großen Fässern mit Wein, welche herbei gebracht worden waren und im Grase lagen, auch den Gebrauch gemacht, daß man die Flüssigkeit in großen Krügen herabließ und dem Volke, wenn es wollte, einen Willkommenstrunk gab. Es waren deshalb eine Menge Gläser und Krüglein vorhanden. Auch war auf mehreren Tischen auf dem Raume der Weide Braten und anderes Speisengemische zur Bewirtung aufgestellt. Die Armen und auch andere, welche sich nicht scheuten, gingen hinzu, ließen es sich schmecken und tranken von dem Weine. Die aber, welche das nicht tun wollten, begaben sich zu dem Schmied in Vorderstift, dessen Sohn zu dieser Gelegenheit große Vorräte von Bier, Wein und Speisen auf seine Wiese hatte bringen lassen, hielten dort gegen Bezahlung ihr Mittagmahl, und begaben sich wieder zum Anschauen des Festes. Das Fest aber dauerte bis in die Nacht. Da es dunkel wurde, ließ man gläserne Ballen kommen, in denen Lichter brannten, die auf die Tische gestellt wurden und eine überraschende Wirkung hervor brachten. Draußen war die dunkle Nacht auf der Haide, an deren Saume die schwarzen Wälder warteten, dunkle Menschen, von einzelnen getragenen Lichtern unterbrochen, bewegten sich auf der Haide, dichte Menschen, hell in den Angesichtern beleuchtet, standen um das glänzende Bauwerk, und feine Strahlen spannen sich aus dem Gewebe in die Räume hinaus. Da die Herren von den Weinen tranken, wurden sie gesprächiger, und da die Gläser und Krüge in dem Volke viel herum gingen, sprach es auch unter sich und wurde heiter. Zuletzt, da an der Tafel Lebehoch ausgebracht[675] wurden auf Seine Majestät den Kaiser, auf alle wackeren Heerführer, auf den Grundherrn, auf jeden rechtschaffenen Mann und sämtliche schöne Frauen, da wurde die Freude allgemein, viele Gläser streckten sich, von den Händen der Herren gehalten, bei dem Linnengebäude des Speisesaales heraus, um mit dem Volke anzustoßen, und die Rufe auf das Glück und die Gesundheit aller, die es gut mit uns meinen, und die wir lieben, tönten weit in die Nacht hinaus. Endlich wurde das Fest aus, man erhob sich von der Tafel, um sich in das Jägerhaus zu begeben. Den Beschluß des Tages machte ein schöner Zug von Fackeln, bei deren Schein sich die Herren, von denen jeder eine Frau oder ein Jungfräulein führte, zu Fuße nach Oberplan verfügten. Das gesamte Volk ging mit. Erst als die Schützen und Gäste ihre Herbergen gesucht und man die Fackeln eine nach der andern ausgelöscht hatte, zerstreute sich die Menge und begab sich auf die verschiedenen Wege nach Hause. In dieser einsamen Gegend, wo selten andere Abwechslungen vorkommen als die des Wetters, der Jahreszeiten und fruchtbarer und unfruchtbarer Jahre, wird, konnte man vorhersagen, das Andenken an diesen Tag nicht so leicht erlöschen, und Enkel und Urenkel werden sich von dem merkwürdigen Feste, das in dem Stegwalde und in Vorderstift einst gefeiert worden ist, erzählen.
Nach diesem Festtage sollten, wie es ausgemacht worden war, mehrere Zwischentage folgen, bis das zweite Jagen statt haben konnte. Diese Zwischentage sollten namentlich dazu dienen, daß der Grundherr manche Orte und manche Werke und Anlagen besuchen und besehen konnte, die er in dieser Gegend hatte, und zu denen er nicht so bald wieder kommen würde. Seine Gäste könnten es sich in dieser Zeit einrichten, wie sie wollten, und sich die Zeit mit Spielen, Herumgehen und andern Dingen, die sie erlustigten, vertreiben.[676]
Der Herr ritt mit mehreren Begleitern auf dem neugemachten Wege nach dem Hüttenwalde, und durch diesen gegen den Hüttenhof und gegen die Alm, wo er eine Viehzüchterei und Käsewirtschaft hatte, er ritt dahin, um diese Dinge zu besehen, die Waldbesamungen zu besuchen, und die Geisberge, den Urbach und die Rathschläge zu besehen. Der Weg, den er nach und nach zurückzulegen hatte, war ein sehr langer.
Die zurückgeblieben waren, schafften Kähne herbei und machten eine Fahrt auf der Moldau unter Schalmeien und Tannenkränzen. Dann fischten einige, dann besuchten sie Höhen, von denen man weit herum sah, oder sie gingen mit den Frauen und Fräulein in den Fluren spazieren.
In Oberplan war wegen dieser Dinge eine ganz außergewöhnliche Stimmung. Weil die Gegend so einsam liegt, so war der Vorstellungskreis der Bewohner durch die Ankunft der Herren verrückt worden. Es kam ihnen vor, als ob Jahrmarkt wäre, oder als ob Theaterspieler gekommen wären, oder als ob zur Fastnachtszeit Vermummungen aufgeführt würden. Jeder ging nach Verrichtung seiner Geschäfte noch gerne aus dem Hause, um einem der fremden Gäste zu begegnen, oder sie gehen zu sehen, oder sonst seine Neugierde zu befriedigen. Alle waren darin einig, daß die Herren sehr leutselig wären, daß sie mit jedem Weibe und jedem Kinde sprächen und sich sehr freundlich betrügen.
Das zufällige Nebeneinanderstehen Hannas und des schönen jungen Herrn war nicht ohne weitere Folgen geblieben. Er hatte ausgeforscht, wer das Mädchen wäre und wo es wohne. Er war nach Pichlern zu dem weißen Häuschen gegangen und hatte mit Hanna und der Mutter geredet. Er war öfter hinüber gegangen und hatte öfter mit Hanna geredet. Auch in Oberplan hatte er sie gesehen, wenn sie Neugierde halber hinüber kam, er hatte sie begleitet, und einmal hatte man ihn gar vor ihr im hohen[677] Erlengebüsche auf den Knieen liegen gesehen, ihre Hand mit inbrünstigem Bitten haltend und mit den wunderschönen Augen zu ihr hinauf blickend. Weil die andern Herren, welche zur Besichtigung mancher Werke der Gegend fortgeritten waren, viele Tage ausblieben, konnte die Sache in den Gang kommen und Hanna auch von Empfindungen ergriffen werden. Die beiden gingen mit einander im Kosen durch die Fluren, sie gingen an dem Wachholder und den grauen Steinen vorbei, sie gingen an der niedern Mauer, die als Feldeinfassung von dem weißen Häuschen durch die Talniederung gegen das Gemurmel des Baches hinan lief, sie gingen an den blutroten Blättern des Kirschengeheges, oder saßen auf den geraden und senkrechten Pfeilern des Felsens der Milchbäuerin. Er ging an dem hellen, lichten Tage in das weiße Häuschen hinüber, oder er sendete sehr prächtig gekleidete Diener mit Botschaften an Hanna dahin. Man erstaunte über diese Dinge, und die alte Mutter war wie blödsinnig, und machte Knixe, wenn der schöne Herr oder seine Diener in das Häuschen traten.
Endlich bemächtigte sich der Ruf dieser Sache und trug seine Gerüchte in der Gegend herum. Guido, wie die mitgekommenen Freunde den jungen Mann immer nannten, werde Hanna heiraten, sie werde zu einem erstaunlich hohen Stande erhoben werden, die Gegend, in welche man nur zu jagen gekommen sei, werde ein ganz anderes Fest, ein unglaubliches Fest und ein unvergeßlicheres Fest zu sehen bekommen als die anfänglich bestellten Jagdfeste. Es sei schon alles gewiß, und dem weißen Häuschen stehe eine Freude bevor, die man sich gar nicht vorstellen könne. Es seien jetzt nur erst die Edelsteine, die goldgewirkten Kleider und die spinnengewebefeine Wäsche unter Weges, und wenn diese angekommen wären, dann werde alles öffentlich bekannt gemacht werden und kein Zweifel mehr sein.[678]
Weil jetzt alles nach ganz anderem Maßstabe in Oberplan geschah als zu sonstigen Zeiten, so waren auch alle Köpfe verrückt und hatten nur schöne Kleider und Hoffart und gnädige Frauen und gnädige Herren vor Augen. Die Bewohner von Pichlern, die weniger in Berührung mit den Gästen kamen, schauten nur mit Scheu und Verwunderung auf das weiße Häuschen.
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