13. Purpurrotes Fingerhütlein

[130] Linz, 3. August 1834


O Titus! was sind denn eigentlich drei Tage? – und welche Macht haben sie auf den Menschen! – Zürne nur[130] nicht; ich weiß alles, was Du sagst, und habe Deinen Rat befolgt, ehe Du ihn gabst. Wenn ich Dich in der Stadt Linz getroffen hatte und Du hättest alle meine frühern Tagebuchsblätter gelesen gehabt, so wäre Dein Rat, nicht wahrscheinlich, sondern gewiß dieser gewesen: »Albrecht, gehe auf die Post und gib den letzten Pfennig dafür her, laß man dich eiligst nach Wien befördere; – dann tritt vor sie und sage: ›Ich bin ein gehetzter Tor gewesen und drei Tage lang ein schlechter Mensch.‹«

So geschieht es auch: ich bin in kindischer Raserei nach Linz gefahren, und nun ist der Postwagen wieder bestellt; morgen um fünf Uhr gehe ich mit ihm nach Wien. Lothar ist einverstanden, und wird acht Tage in Linz warten, bis ich selber wieder komme oder ein Brief. Er weiß alles und erschrak fast über die Rücksichtslosigkeit meines Verfahrens. Erst einen Tag vorher sagte sie die Worte: »Da es nun gesagt ist, so dürfen Sie für alle Zukunft darauf bauen«, und ich glaube schon am andern Morgen darauf den Ratschlägen der bösesten, blindesten Leidenschaft mehr, als der ganzen klaren Sittlichkeit ihres Wesens, die mir so lange vorlag – einer Leidenschaft, die berühmt ist wegen ihrer Roheit und ihrer Trugschlüsse. Sie, an allem, was gut ist, so weit über mir, gab sich mir als Braut, und vertraute mir, mir unbedeutendem Menschen, der ich noch vor wenig Tagen jeden Mann für sie zu schlecht hielt – und in der ersten Probe sinke ich schon so schmachvoll tief. Ich schäme mich, so knabenhaft gehandelt zu haben. Eifersüchtig zu werden, alle Welt vor den Kopf zu stoßen und auf und davon zu fahren! Setzen wir den Fall umgekehrt: was würde sie getan haben? Entweder sie hätte gar nichts gesagt, oder etwa, warum ich so geizig bin und eine Freundin, die ich so lieb habe, ihr vorenthalte; es wäre ja schöner, wenn ein Mensch mehr im Bunde sei, der sich unsers Lebens und Strebens freue. Ich will des Todes sterben, wenn sie[131] nicht so gehandelt hätte. Ich kann es nicht tragen, ach ich kann es nun nicht tragen, bis der Fehler gut gemacht ist – es war ja nicht Mißtrauen, Mißtrauen war es nicht, nur ganz blinde, sprudelnde Eifersucht, und es soll das erste und letzte Mal sein, daß ein solch böses Ding in mein Herz kam – es überraschte mich, und in der gänzlichen Neuheit der Sache wußte ich mich nicht zu nehmen. O Titus, die Reue ist noch nagender als die Eifersucht selbst; hilf mir nur die Stunden ertragen, die noch bis zur Abfahrt sind – ach, und erst die zwanzig langen Stunden der Fahrt!! Indes will ich die ganze Nacht an diesem Tische verschreiben, um mich anzuklagen. Auch verstandeslos war ich ganz und gar – ist es denn nicht sonnenklar, daß es ihr hochverehrter Lehrer war, mit dem sie die Morgenstunde wählte, um ihm alles zu sagen, ihr Freund, von dem sie es gar nicht erwarten konnte, mich ihm zu zeigen – wie sie jubelte, wie wir uns verstehen und lieben werden? – Und nun! und nun!! daß er sie umarmte? Tun Bruder und Schwester das nie? Führen es nicht auch andere Verhältnisse herbei? Als ich einmal der Braut eines meiner Studienfreunde auseinandersetzte, warum er sie verlassen mußte, und als sie über die bösen Verleumdungen, die sein Herz von ihrem trennten, im ausgelassensten Schmerze verging: nahm ich sie da nicht, selbst gerührt, in die Arme, drückte sie an mein Herz, faßte ihre Hände, tröstete sie und versprach, alles ins Gleichgewicht zu bringen? Wie töricht nun, wenn er auf diese Umarmung wäre eifersüchtig geworden!

Endlich, jeder Erscheinung gehen ihre Zeichen vorher und nachher, und jede Erscheinung muß umringt sein von Nachbarn und Verwandten. Nie steht die glühende Abendwolke einzeln und geschnitten an dem Scheitel des blauen Mittaghimmels. Eben so ist dieser vereinzelte Verrat mitten in ihrem andern Leben eine Unmöglichkeit,[132] ein Unding, eine Ungereimtheit. Wie mußte sie meine Roheit befremden und schmerzen, sie, die mir gestern alles gab! – – und die Zeit, die Zeit geht so langsam. – – Aber so ist es, wenn uns einmal der Nebelgeist der Leidenschaft und Unvernunft umdüstert: die nächsten Mittel erkennen wir nicht mehr. Was harre ich auch des Eilwagens? – Was hindert mich denn daran, sogleich ein Fischerschiffchen zu mieten, und so viel Ruderer dazu, als hineingehen? Der Mond steht am Himmel, das Wasser geht voll – wie oft hört ich sagen, solche Leute können in einer Nacht von Linz nach Wien fahren – ich tu's, ich tu's!

Quelle:
Adelbert Stifter: Gesammelte Werke in sechs Bänden, Band 1, Wiesbaden 1959, S. 130-133.
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