14. Ginster

[133] Linz, 8. August 1834


›Wer des Drachen Zähne säet, der hoffe nichts Erfreuliches zu ernten.‹ Es ist alles aus, und ich bin selbst schuld daran. Ich dichtete mir einst am Traunsee ein schönes Tuskulum, aus dem jede Äußerung roher Leidenschaft Verbannung nach sich zieht – jetzt habe ich mich selbst durch solche Leidenschaft von einem schönern Tuskulum verbannt. Sie muß eingesehen haben, daß sie sich in mir irrte – und sie hat sich auch geirrt.

Ich mietete die Rudersmänner; sie flogen beinahe mit mir die Donau entlang, und ich war schon um acht Uhr früh des vierten August in Nußdorf und um neun Uhr in Astons Wohnung. Er allein war zu Hause. Auch ihn habe ich fast verloren. Es ging mir tiefer zu Herzen, als ich je ahnte, wie ich bemerkte, daß selbst dieser Mensch, sonst die lautere Güte gegen mich, nun ernst und scheu und kalt war – aufgeschreckt aus seinem Glauben an mich. Er erzählte ruhig und ohne Vorwurf, daß Angela mit ihrem Lehrer die Morgenstunde gewählt habe, nach Schönbrunn zu fahren; auch die Tante und die Schwester sind dabei gewesen; nur gingen sie entfernter, und[133] da habe sie ihm ihr Verhältnis zu mir geoffenbart. Desselben Tages abends war alles in seinem Garten, und man wartete vergeblich auf mich, und als er, in der Besorgnis, ich sei krank, einen Diener sendete, so habe dieser meint Wohnung verschlossen gefunden. Mein Abschiedsbrief habe alles aufgeklärt. Angela habe fast einen halben Tag geweint, dann aber sich aufgerichtet und gebeten, man möge ja nur recht bald abreisen. Sie selbst packte mit großer Ruhe und Stille ihre Sachen, und gestern sind sie alle nach Frankreich abgegangen. Nur die Diener packen noch einige Dinge und folgen ihr nach. Sie hat von mir kein Wort mehr gesprochen. Lucie und Emma sind in Preßburg.

Ich schleuderte die zwei glühenden Funken, die mir bei seinem Berichte in die Augen stiegen, seitwärts, und schüttelte ihm heftig die Hand, sagend, daß ich gewiß nicht so schlecht sei, als alles scheine, und daß ich nun in die Gebirge gehe. Etwas freundlicher durch meine unverkennliche Reue, fragte er um meinen Reiseplan, und ich sagte ihm denselben – und als ich fortging, küßte er mich wohl wieder, aber nicht so herzlich als sonst, wenn ich nur auf einige Tage verreiste.

Und nun sitze ich wieder in derselben Stube meines Gasthofes in Linz, von der ich vor kurzem mit solcher Glut und solchen Hoffnungen nach Wien geflogen – aber alles ist aus – und wie anders, wie anders als noch vor zwei Tagen ist mein Herz! – Es ist aus, es hat sich beruhigt; aber wie beruhigt? Gleichsam gelassen entzweigedrückt liegt es in der Brust. Die Natur, das einzige Unschuldige, ist freundlich wie immer – meine Fenster gehen auf den Landungsplatz und die Donau. Der Tageslärm ist verstummt, durch die Fenster schwimmt die laue Augustusnachtluft herein und krümmt mein Licht, an dem ich schreibe, und trägt das Rauschen des Stromes mit herein und sein Plätschern an den Schiffen, die beiliegen.[134] – Drüben schlummert das Mondlicht auf den alten Waldbergen des Mühlkreises, und die Lichter der Vorstadt Urfahr strecken lange, rote, zitternde Säulen in das Wasser. So still und mild ist alles draußen, als sei ringsum lauter Glück. Es ist auch ringsum; nur hie und da geht einer in der Welt, der sich durch Ungeschick das eigne Herz zerquetschte. Von heute an will ich ein guter Mensch werden, so gut, daß nicht ein Tierchen von mir leiden soll. Es freut mich von ihr, daß sie den Freund, an dem sie sich geirrt, entschlossen bei Seite stellte und den Schauplatz ihrer Torheit schnell verläßt. Ihr Herz geht gewiß noch schöner aus dieser Prüfung. Schade, daß ich selbst das schöne, wiewohl unwahre Bild, das sie sich von mir gemacht haben mag, so grell zerstörte! Wer einmal Selbstmord versuchte, der geht hinfüro unheimlich unter den übrigen Menschen herum, und wer sich vor reingesitteten Wesen einer wilden Leidenschaft überläßt, der begeht sittlichen Selbstmord, und erregt die Furcht, daß er wieder einmal dasselbe Spiel beginne – und Liebe, das zarte Gewebe aus Vernunft und Sitte, zerstört er ja ganz natürlich durch solch Beginnen, ganz natürlich!

Morgen geht die Reise von hier über Steier, wo wir mit zwei Reisegefährten, ältern Bekannten von mir, zusammentreffen werden, mit denen ich eigentlich diese Reise schon längst verabredet hatte. Ich werde Dir von Zeit zu Zeit aus einem und dem andern Orte ein Blättchen senden; aber es wäre recht lieb und schön von Dir, wenn Du viel eher kämest, als Du vorhast.

Kennst Du nicht ein Lied von Justinus Kerner: ›Das Alpenhorn‹? Es ist, wie einer immer, wo er geht und steht, das Alpenhorn seiner Heimat leise, leise klingen hört, und es ihn mahnt, als müsse er sogleich nach dem Elternhause aufbrechen – eben wird es in einem Zimmer neben dem unsrigen von einer außerordentlich schönen Männerstimme gesungen – ach! Mancher hat eine Heimat, an[135] die ihn ein ewig tönendes Alpenhorn erinnern wird; aber er vermag sie nicht mehr zu erreichen, ach, nicht mehr zu erreichen. Wo in Zukunft etwas Gutes und Schönes für mich erblühen wird, werde ich es zusammenfließen lassen mit ihrem schönen, geliebten, schwer gekränkten Bilde, und dieses Bild werde ich treulich durch mein ganzes Leben tragen. Es ist gut, daß Lothar um mich ist, dieses kräftige dichterische Herz – – es wird schon alles gehen!! Lebe wohl, lebe tausendmal wohl!

Quelle:
Adelbert Stifter: Gesammelte Werke in sechs Bänden, Band 1, Wiesbaden 1959, S. 133-136.
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