638. Harm in der Hölle und im Himmel.

[507] Es war ein Besenbinder, namens Harm, der hatte eine Frau, welche Grete hieß, die banden beide in der Woche fleißig Besen, und am Sonnabend ging Harm in die Stadt und verkaufte die Besen. Gewöhnlich trank dann aber Harm in der Stadt so viel, daß er kaum nach Hause kommen konnte. Grete sagte ihm oft, er solle doch nicht so viel trinken, er käme sonst noch zu Tode, und sie hätten das Geld auch so nötig, und wenn er immer so trinke, werde er auch nicht in den Himmel kommen. Allein Harm kehrte sich daran nicht und meinte immer, für dieses Mal wolle er sich noch lustig machen, nachher wolle er es auch lassen. So war Harm denn auch einmal mit einem ganzen Haufen Besen nach der Stadt gewesen und hatte dieselben gut verkauft: deshalb, dachte er, könne er jetzt auch wohl einen Guten trinken, und hatte zu viel bekommen, sodaß er unterwegs niederfiel und einschlief.

Nun traf es sich, daß ein Edelmann, welcher in der Nähe wohnte, hier vorbei fuhr. Zu dem sagte sein Bedienter, daß der Besenbinder dort liege und wieder ganz besoffen sei. Da befahl der Edelmann dem Kutscher still zu halten und ließ den Besenbinder in den Wagen heben, »denn mit dem«, sagte er, »wollen wir uns einen Spaß machen.« Als sie bei des Edelmanns Schlosse ankamen, schlief Harm noch ganz fest. Behutsam, daß er nicht aufwache, wurde er aus dem Wagen[507] gehoben und in den Keller gebracht. Dort gossen sie Branntwein auf den Fußboden, zündeten ihn an und warfen noch allerhand stinkende Sachen hinein, dann überschütteten sie Harm plötzlich mit kaltem Wasser, daß er aufwachte. Wie Harm sich ein wenig umsah, war es ganz finster um ihn, und es war ein Qualm und Gestank, daß er sich gar nicht fassen konnte. Nun erblickte er von weitem glühende Kohlen, meinte aber, es sei ein glühendes Gesicht. Da glaubte er, er sei in seinem Rausche gestorben und in die Hölle gekommen, fing an zu jammern, fiel auf seine Kniee und betete zu Gott, er solle sich doch noch einmal seiner erbarmen und ihm helfen; er werde gewiß nie wieder Branntwein trinken. Zuletzt rief er mit lauter Stimme: »Gott erbarme dich meiner, o heiliger Petrus, komm und hilf mir, ich will auch allezeit fromm sein!« Der Edelmann, welcher alles mit angehört hatte, zog ein weißes Gewand an und ließ auch seinen Diener sich weiß kleiden, ging zur Kellertür, und als Harm nochmals ausrief: »Petrus, hilf mir!« öffnete er rasch die Tür, nahm Harm bei der Hand und sagte: »Dein Gebet hat Gott noch einmal erhört; ich komme, dich aus der Hölle zu befreien.« Damit griffen auch die Diener zu und führten Harm, ehe er sich besinnen konnte, in einen großen und prächtigen Saal, der war schöner als alles, was Harm in seinem Leben gesehen hatte, und in der Mitte stand ein großer Tisch mit köstlichen Speisen und allerlei Getränken, und mehrere Musikanten machten herrliche Musik. Harm war vor Freuden ganz außer sich, denn er glaubte, er sei im Himmel, fiel vor dem weißen Manne, der ihn aus der Hölle befreit hatte, und der seiner Meinung nach der oberste sein mußte, auf die Kniee und sagte: »O Gott, ich danke dir, daß du mich erhört hast; was bin ich jetzt glücklich, nun will ich allezeit tun, was du haben willst!« Darauf sagte der weiße Mann, er solle sich erst an den Tisch setzen und essen und trinken. Harm ließ es sich auch gut schmecken, aber trinken wollte er anfangs gar nicht. Da sagten sie zu ihm, er müsse hier noch einmal tüchtig trinken, dann könne er nachher alles vertragen, und Gott wolle es so haben. Da besann Harm sich auch nicht lange und trank soviel, daß er wieder von einem festen Schlaf übermannt wurde. Nun hoben sie ihn abermals in den Wagen, fuhren zurück zu der Stelle am Wege, wo er gelegen hatte, legten ihn dort nieder und fuhren nach Hause.[508]

Als Harm endlich erwachte, riß er seine Augen auf und sah, daß er in der Heide lag. Da sagte er bei sich: »Sieh, nun hat Gott dir gezeigt, wie es in der Hölle und wie es im Himmel ist, und nun ist es ausgemacht, du trinkst dein Leben lang keinen Branntwein wieder, damit du doch nicht in die Hölle kommst, denn da ist es gar nicht auszuhalten!« Als er zu Hause kam, schalt Grete und sagte: »Wo bist du doch diesmal so lange gewesen, wo hast du herumgelegen?« Er aber antwortete: »Grete, Grete, ich bin in der Hölle und auch im Himmel gewesen.« »Ach was«, rief Grete aus, »du bist noch besoffen«, und wollte es nicht glauben. Jedoch Harm beteuerte es so fest und erzählte ihr alles so genau, wie es ihm ergangen, wie erschrecklich es in der Hölle gewesen und wie prächtig im Himmel, und daß er einen Eid darauf schwören könne, daß alles wirklich wahr sei, bis endlich Grete es auch glaubte. Zuletzt sagte er: »O Grete, ich will mein Leben lang keinen Schnaps wieder trinken und auch sonst fromm sein, und sei du doch auch fromm, daß wir zusammen in den Himmel kommen; o Grete, wenn du wüßtest, wie schön es dort ist, und dann, Grete, wenn wir da sind, wollen wir recht lustig leben.« Harm hat nachher auch Wort gehalten und nie wieder Schnaps getrunken, auch später zu manchen Bekannten gesagt: »Wenn du gewesen wärest, wo ich gewesen bin, so würdest du auch das Schnapstrinken wohl lassen!« (Visbek.)

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 2, Oldenburg 21909, S. 507-509.
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