[Stücktext]

[185] Zimmer im Gasthof.

Zwei Betten nebeneinander; an der Wand gegenüber Flügeltür; an der Hinterwand zwischen hohen Fenstern ein Spiegel. Reisetaschen und Kleidungstücke auf Nachttischen und Stühlen verstreut.

Sie im vorderen Bett, richtet sich auf und starrt in das Dunkel.


ER nach einer Weile. Was wachst du?

SIE schaltet das Licht auf dem Nachttisch ein.

ER faßt ihren Arm, zärtlich, unruhig. Was wachst du?

SIE wischt den Schlaf von Gesicht und Haar, deckt das Bett zurück und stellt die Füße zur Erde in die Pantoffel.

ER halb aufgerichtet spannt den Blick in ihren Nacken.

SIE deckt die Hände auf die geschlossenen Knie und späht in das Zimmer.

ER schnellt hoch, hart. Was starrst du?

SIE stammelt unverständlich, weist die linke Hand ins Zimmer, schnellt zurück und hüllt mit beiden Händen das Gesicht.

ER starrt ins Zimmer, blickt auf Sie, lehnt zu ihr rüber, weich. Träume ... Schmiegt die Hand auf ihren Nacken.

SIE zuckt zusammen; die Hände fallen aufs Bett.

ER vorwurfsvoll. Kind!

SIE haucht. Nimm die Hand fort!

ER beruhigt. Du!

SIE entsetzt. Nimm die Hand fort!

ER nimmt die Hand fort.

SIE schüttelt sich.[185]

ER weich. Was hast du?

SIE kauert, die Arme über der Brust gekreuzt und, die Hände auf den Schultern, trocken, ohne Tonfall. Ich weiß es nicht.

ER im Schlafanzug, steigt in die Pantoffel, geht kopfschüttelnd zur Tür und schaltet das Deckenlicht ein. So! Läuft armschlenkernd kreuz und quer durch den Raum. sieh doch nur! sieh!

SIE hebt spähend den Kopf ins Zimmer.

ER bleibt in der Mitte zwischen Tür und Fenster stehen und lächelt sie scherzhaft überlegen an. Na was?!

SIE regungslos. Ja ... da ...!

ER. Hier bin ich!

SIE schaudert. Ja Nickt zustimmend prüfend. ja!

ER geht zärtlich auf Sie zu. Siehst du.

SIE springt auf, wehrt und schreit. Steh! steh! steh dort!

ER tritt betroffen widerwillig an den Platz zurück. Ach!

SIE prüft Ihn stumm.

ER ärgerlich. Es ist dumpf hier! sein wir vernünftig! Geht zum Fenster.

SIE will Ihn zurückhalten, erlahmt aber fahrig, tritt bis ans Bettende vor und sieht vorgebeugt auf den Fleck, wo Er stand.

ER zieht den Vorhang und blickt zurück. Nun? ist da was?

SIE hebt den Blick durchs Fenster und legt schauernd das Nachtgewand fester um den Leib.

ER die Hand am Fensterhebel. Du frierst?

SIE. Die Nacht ist naß.

ER starrt betroffen. Wir sind geborgen! Geht zu Ihr und drängt Sie zum Bett.

SIE weist zurück. Nicht! nicht!

ER. Du hast schlecht geträumt.

SIE widerstrebt schwach. Ich habe geschlafen.

ER setzt Sie aufs Bett. So wollen wir weiterschlafen.

SIE blickt ins Zimmer, ohne Angst neugierig feststellend. Und da ist doch was!

ER unwillig. Was?! was soll.[186]

SIE erhebt sich und blickt neugierig auf den Fleck, nickt bekräftigend.

ER geht zurück und scharrt, schroff. Wo soll hier was.

SIE beherrscht. Ja ... grade ... wo soll ...? Sie blickt in den Spiegel und ordnet das Haar; hält erschrocken inne. und ich sehe aus! ich sehe aus! o!

ER ärgerlich. Laß den Spiegel!

SIE preßt die Handflächen gegen die Schläfen. Das bin ich nicht.

ER tritt vor Sie und verdeckt den Spiegel. Wer sonst?!

SIE spricht nach. Ja ... wer ...?

ER bricht aus. Zum Donnerwetter! Bezwingt sich und stampft auf. nichts!!

SIE starrt Ihn erschrocken an. Nichts! nichts!

ER beherrscht. Du machst mich ja mit verrückt! dein Wahn ...

SIE in mattem Widerspruch. Wahn ... Wahn ...

ER faßt derb Ihren Arm und schüttelt Sie. Sei vernünftig jetzt.

SIE gellt auf und weicht entsetzt vor ihm zurück.

ER läßt Sie und blickt hilflos erschrocken um sich. Was? was?

SIE erschöpft. Du würgst mich.

ER überreizt, weint. Aber ich ... ich ... doch gar nichts ... ich ... Mit flehend zusammengekrampften Händen vor Ihr.

SIE erwacht nach einer Weile, reibt sich das Handgelenk, fröstelt matt. Ja! es ist dumpf hier! mach das Fenster auf!

ER strampelt außer sich, wehrig durchs Zimmer. Nein! nein! nein! Bleibt im Zimmer stehn.

SIE in matter Bestimmtheit. Mach das Fenster auf.

ER schlägt am Fenster die Fäuste fesselnsprengend auseinander. Zum Teufel ja! Reißt tobend mit beiden Händen den Fensterhebel nieder. ja!!!


Das Fenster stürzt zerklirrend über ihn, die Wand zwischen[187] den Fenstern bricht durch, der Spiegel splittert ins Zimmer.


ER starr inmitten des Einsturzes.

SIE entsetzt.

ER wendet scheu betrachtend den Fensterhebel in der Hand. Morsch!

SIE wimmert.

ER blickt zag zu Ihr hin. Das wollte ich nicht! o!

SIE wimmert. Der Spiegel.

ER stutzt, fetzt den Hebel in die Trümmer und reckt in wildes Lachen.

SIE in Entsetzen und Beben. O! o! du! du! du bist furchtbar! furchtbar! du!


Stimmen, Rufen, Laufen draußen; Geräusch im Hause. Der Staub ist durch die große Mauerlücke verzogen.

Ein Stern flirrt in schwarzblaue Nacht.


ER lacht ruhiger, versonnener, in kurzen Nachwellen; steht dann ganz still und schaut zum Stern auf.

SIE kauert entsetzt zitternd auf dem Bett, die Hände auf die Bettlehne gekrampft und horcht zur Tür, lallt. K ... k ... kommen.

ER ruhig, verträumt. Sieh den Stern.

SIE lallt unverständlich.

ER. Sieh doch! der Stern!

SIE ganz in Entsetzen aufgelöst. K ... k ... klopfen.


Energisches Klopfen an der Tür, Rufen, derbes Herunterklinken.


ER tritt unbekümmert weiter vor in die Mauerspalte und späht zum Stern.

SIE schreckt auf, rutscht überhastend zu Ihm, hält Ihn zurück und lallt. Du ... du fällst! du fällst! Schweres Schlagen, Rütteln an der Tür; Rufe: he! he! he!.

SIE zieht ihn kriechend zurück. Hör doch! hör doch!

ER kommt nicht vom Sterne los.

SIE springt auf und rüttelt Ihn wild. Nun sei doch ... Schwere Eisenschläge gegen die Tür.[188]

ER erwacht, wendet sich zur Tür und schlingt haltend den Arm um Sie.


Laufen und Rufen auf der Straße.

Die Tür wuchtet unter Fluchen und Wettern.


SIE klammert ohnmächtig an seiner Brust.

ER trägt Sie über die Trümmer, blickt zum Stern auf, bedauert. Fort in den Wolken!


Die Nacht wird schwarz.

Die Tür kracht herein.

Der Wirt und der Hausknecht keuchen mit Brechstangen.

Er legt Sie ruhig zurecht und deckt zu.


WIRT wild drohend. Sie!


Hausknecht starrt mit erhobener Brechstange stumpf auf den Trümmerhaufen.


ER blickt ruhig auf.

WIRT vor dem Trümmerhaufen, außer sich. Sie haben mein Haus eingerissen!

ER ruhig. Ich.

WIRT außer sich. Sie Sie Sie! lügen Sie! lügen Sie! lügen Sie!

HAUSKNECHT droht schwerfällig. Vaflucht!

ER ruhig. Die Wand ist zusammengefallen.

WIRT außer sich, spricht nach. Die Wand! die Wand! die Wand! Schreit immer wilder. der Himmel! der Himmel! der Himmel! Polizei! Polizei! Polizei! ich lasse Sie festnehmen! ich lasse.

HAUSKNECHT stimmt ein. Pulzei Pulzei.

ER zuckt, hastig. Wenn ich nun aber Macht eine Bewegung.

WIRT starrt ihn an. Sie Sie Sie Versteht und schlägt um. wat?

ER ruhig. Wir können ja darüber reden Mahnt zur Ruhe. meine Frau ...

WIRT plötzlich ganz Teilnahme, legt die Stange aus der Hand und die Hände ineinander. O![189]

HAUSKNECHT zerrt verlegen die Mütze runter und tritt an der Eisenstange spielend langsam zurück.

WIRT. Wir künn n Dokter halen Wendet zum Hausknecht, der diensteifrig die Mütze aufstülpt und zum Gehen kehrt. jo.

HAUSKNECHT eilfertig. Jo.

ER hastig. Nein nein nein halt! danke schön! sie wird schon so ...


Geräusch und Lärm auf der Straße.

Leiser Donner in der Ferne.


WIRT verlegen. Nu jo! nu jo Schaut raus. nu süh dät Volk! Zum Hausknecht. jeh runner du! de Tür fest an! dät sich dät Plebs nich rinkümmt!

HAUSKNECHT rückt die Mütze. Jo Eilt erlöst ab.


Er nimmt eine Geldtasche unter dem Kopfkissen vor.


WIRT folgt seinen Bewegungen, kriechend. Sie künn n ooch n anner Zimmer hebben ... Herr ... Herr! Es donnert. dät Jewidder.


Er öffnet die Geldtasche, die voll Gold glitzert.

Wirt geblendet, gurgelt und schluckt verlegen, hält beide Hände gierig hin.


ER zählt dem Wirt eine Anzahl Goldstücke in die Hand. Ist das genug?

WIRT von einem Bein aufs andere, stammelt aufgeregt begehrlich. Jo jo nu.

ER bestimmt. Das ist genug!

WIRT druckst. Nu jo.

ER schließt die Geldtasche. Ja.

WIRT bestimmt. Nee nee nee Faßt die Geldtasche.

ER. Sie?!

WIRT. Sie!!

ER sucht die Geldtasche loszureißen.

WIRT hält gegen. Du! paß uff!

ER. Unverschämter.

WIRT zerrt höhnisch. Jungeken! stille! ja?! biste stille![190] hollt Mul! Jungeken! Will ihm mit aller Gewalt die Tasche entreißen.

ER. Ha.

WIRT. Ik weeß! ik weeß Bescheid! Mit Bedeutung. die Frau.

ER wild. Schuft!

WIRT lacht grimmig. Jo jo.


Die Geldtasche öffnet sich beim Ringen; die Goldstücke kollern hinaus in die Nacht.


WIRT bestürzt. O! o! dät Jeld!


Donner rasselt.


WIRT. Ooo! ooo! dät blanke Jeld! Jeld! Hebt die Faust gegen Ihn, der betroffen die leere Tasche hält. du! du!


Lärm, Geschrei und Gebalge draußen.


WIRT zittert an allen Gliedern. Son Hund! son Hund! son ... Haspelt zur Tür. Jeld! son Jeld! Verliert Goldstücke, hebt auf und verliert wieder. oooooo!! Hastet gehetzt durch den draußen ansteigenden Lärm raus.


Er klopft prüfend die leere Tasche und schüttelt den Kopf. Blitz und starker Schlag.


SIE stönt auf. Was ist? was ist?

ER ruhig spöttisch. Donner!

SIE starrt um. Wo bin ich?

ER wie vorhin. Hier!

SIE wimmert und horcht. Der Fluß rauscht.

ER. Der Pöbel rauft.

SIE aufgeregt. Das ist Wasser! Wasser! der Fluß! wir sind über den Fluß gegangen! o! so schwarz! so schwarz in der Abendsonne.


Wildes Schreien, Gelächter, Gepolter, Hohngeheul,

Hagelgeprassel draußen.


SIE verbirgt sich im Bett wimmernd. Was hat das Volk? was hat das Volk?

ER ruhig, verächtlich. Mein Geld.

SIE entsetzt. Ooo! mach das Licht aus!

ER geht ruhig zur Tür und schaltet aus. Ja.


Blitz, Donner und Hagel.

[191] Die flackrige Nachttischlampe hellt den Bettwinkel; der übrige Raum liegt im Dunkel.


SIE weint. O! wären wir wir.

ER unterbricht grob. Was wir?!


Furchtbarer Schrei, dann jähe Ruhe draußen.


ER zuckt und späht, tritt hastig zurück. Wir können hier nicht bleiben Streift das Beinkleid über Wildes Schreien draußen und Wehklagen: Mord! Mord!

ER gehetzt. Du! zieh dich an! zieh dich an! wir müssen fort! fort!

SIE hastet aus dem Bett. Du du Zittert an allen Gliedern. wenn sie wenn sie wenn sie uns hier finden, wenn sie.


Lehnt erschöpft an die Wand.


ER rafft ihre Sachen zusammen und wirft sie Ihr in den Winkel zu. Schnell schnell! keine Zeit.

SIE faßt willenlos die Kleidungsstücke, schwach. Du du ich Beugt schwach den Kopf zurück.

ER drängt und zieht den Rock an. Bitte bitte ja.

SIE. Du ich trag ein Kind! ich fühls!


Er starrt sie an.

Poltern und Geschrei auf der Treppe.

Er eilt zur Tür, um zu sperren.

Volk drängt in die Tür mit Geheul.

Er springt zurück in den Bettwinkel, der durch den Trümmerhaufen in natürlicher Weise verschanzt ist und tritt schützend neben sie.

Sie am Fenster, die Hände hinter sich aufgestützt, starrt auf die Eindringlinge, ganz Entsetzen.

Arbeiter, Handwerker und junge Burschen in der Tür stutzen und verstummen beim Anblick der beiden, treten dann vorsichtig spähend lüstern nacheinander ein. Blitz und Donner.


DIE MASSE streicht lüstern näher. Oah! oah! o! o! o! nu kieke bloß! in Hemd is se! oaah! utverschamt! in Hemd! oah!


Hände gehren.

[192] Einzelne wollen über den Schutthaufen klettern.

Er reißt die Schublade des Nachttisches auf und hebt die Pistole.


DURCHEINANDER stört zurück. Nu kiek bloß! dä Hund! hei will scheiten! Pulzei! Pulzei! dä Hund! dä Hund! runner mit! runner mit! Vorspringen, Höhnen und Zurückspringen. du! du! wir kriegen di! dod mit em! dätWiv! dät Wiv! sin Wiv! sin Wiv!

HAUSIERER schleicht rum. I du! nu kucke doch! i! nu! nu kucke doch ein! ik laß mr dodschlagen! ik laß mr dodschlagen! ik laß mr dodschlagen! dät is dem Lumpel sei Weib! dem Lumpel sei Weib! dem Kaufmann Lumpel sei Weib! sei Weib! aus der Bunzeljasse!

DURCHEINANDER schreit auf. Aus der Bunzeljasse! aus der Bunzeljasse! Lumpel! Lumpel! Bunzel! Bunzeljasse!

HAUSIERER überschreit. Jo jo jo! dät is dem Lumpel sei Weib! ik kenn ihr janz jenau! sei Weib!

SCHREIEN UND VORSTÜRMEN durch den Revolver in Bann gehalten. Lump! Schuft! Weiber! son Hund! den Lumpel halen, Lumpel! Lumpel! Lumpel!

EINZELNE eilen fort. Wir halen em! wir halen em!

AUFLACHEN. Ik mach em de Freud! ik mach em de Freud! Lumpel!


Sie droht zu fallen.

Er umfängt sie, in der andern Hand die Pistole schußbereit.


AUFGEREGTES SCHREIEN traut sich nicht heran. Willst du dät Ding runnernehmen! hei scheit! hei mürdert! Mord un Dodschlag! des Lebens nich sicher! ruft! ruft! Pulzei! Pulzei!

MÄNNER, WEIBER, KINDER, JUNGENS stürmen unter Lärm und Geschrei durch die Tür. Se bringen em! se bringen em! se kumme mit em! so habn se em gepackt! se hebbn em! Dazwischen lüsterne Ausrufe mit dem Blick auf Sie. oa! oa! oa! Erschrecktes Zurückweichen, sobald die Waffe wahrgenommen wird. o! o! runner! runner![193]

ZWEI POLIZISTEN führen den Hausknecht gefesselt herein. Volk und Lärm hinterher.

HAUSKNECHT dringt wild auf Ihn ein. Dät is er! dät is er!

POLIZISTEN halten ihn. Ruhe! halt!

MASSE schreit. Halt ihn! halt ihn!

WACHTMEISTER tritt ein. Ruhe! Ruhe hier!


Verstummen.


HAUSKNECHT sucht sich wild aufgeregt loszureißen und auf Ihn zu stürzen. Dät is er! dät is er!

WACHTMEISTER packt ihn derb ins Genick und schüttelt. Wer is?

HAUSKNECHT wild. Dä dä dä dä.

WACHTMEISTER rüttelt ihn. Hund! Hund! du hast den Wirt ermordet.


Bewegung in der Masse.


HAUSKNECHT bäumt auf. Hund Hund Hund! Jeld Jeld Jeld! dä hat dät Jeld dät Jeld dät Jeld.


Masse nimmt eine beistimmende Bewegung an.


WACHTMEISTER ruhig zu Ihm. Nehmen Sie die Waffe runter.


Er senkt die Waffe.


HAUSKNECHT heult wild geschüttelt. Ik bün n ehrlicher Mann! ik hab keen Kind wat jedahn! keen Kind! immer jewesen! keen Kind! wat hat er wat hat er dät Jeld! runner jeschmissen.

MASSE stimmt zu. Wenn einer so mit dät Jeld umjeht! Jeld! de eigenen Leute schlagen dod! dod!


Wachtmeister legt dem Hausknecht derb die Hand auf den Mund und blickt drohend um.

Verstummen.


WACHTMEISTER zieht sein Buch raus, schroff. Wer sind Sie?

ER ruhig, ausweichend. Ja.

WACHTMEISTER grob. Wer sind Sie?

ER schweigt.

WACHTMEISTER tritt näher. Legen Sie das fort!

ER schiebt die Waffe hinter sich auf das Fensterbrett.[194]

WACHTMEISTER. Zum letzten Mal! ich frage Sie wer Sie sind?

ER ruhig. Ich reise.

MASSE bewegt und murmelt.

WACHTMEISTER fährt auf. Zum Teufel! Beherrscht sich. nun gut! womit reisen Sie? worin? wofür?

ER schweigt.

MASSE wird wachsend unruhiger.

WACHTMEISTER wütend. Wollen Sie jetzt antworten? wollen Sie? ist das Ihre Frau?

ER kalt scharf. Ja.


Blitz und Donner draußen.


MASSE in grellem Aufruhr. Dät is nich wahr! dät is nich wahr! hei lügt! hei lügt! dät is nich sin Wiv! dät is nich sin Wiv! nich sin Wiv! sin Wiv! Drängt drohend näher.


Wachtmeister breitet die Arme zurückhaltend.

Er nimmt die Waffe wieder in die Hand. Blitz und Donner.


PROFESSOREN, BEAMTE, KAUFLEUTE, HANDWERKER schreien wild durcheinander und drängen näher. Däs is ja mein Weib! mein Weib! mein Weib! das ist mein Weib! mein Weib! Teufel! Teufel! mein Weib! Die erhobene Pistole stößt die drohenden Fäuste immer wieder zurück.

HAUSIERER macht Platz die Arme umschlagend und überbrüllt. Seid still! nich verrückt! nich verrückt! nu hört doch! hört doch! dät is dem Lumpel sei Weib! dem Kaufmann Lumpel sei Weib! aus der Bunzeljasse! ich weiß jenau! Bunzel! Lumpel! Lumpel! Bunzel!

WACHTMEISTER. Dirne!

MASSE greift auf. Dirne! Dirne!

HAUSIERER hohnlachend. Mit Weiber handelt er! mit Weiber reist er! Weiber!

MASSE greift auf, wild. Weiber stiehlt er! unsre Weiber! unsre Weiber!

SCHMIED springt vor. Der hat meine Tochter verführt! der hat meine Tochter verführt![195]

SEINE FRAU hält ihn zurück. Josef! Josef!

SCHMIED. So sah er aus! so sah er aus! der war et.

SEIN FREUND zieht ihn zurück. Unsinn!

SEINE FRAU hängt sich an ihn. Josef.


Verschiedene ziehen und schieben den Schmied in die Masse zurück.


DIRNE springt vor, schlägt die Arme in grelles Lachen. Däs ist mein Schatz! däs is ja mei Schatzel! du! Kleiner!! du!

WACHTMEISTER stößt sie brutal zurück und brüllt durch den Aufruhr. Ruhe!


Flammender Blitz und unmittelbar täubender Donnerschlag.

Totenstille im Augenblick, dann kreischen die Weiber auf und bekreuzigen sich.


EINZELNE. Der macht uns alle verrückt! kein Mensch weiß wat er is! dä machts Jewidder! Aufschwellend. Jewidder! Jewidder! dä is schuld! alles schuld! dä Mord! dä Mord!

HAUSKNECHT greift auf. Dä wart! dä wart! dä wart! dä hat jemordet! anstift! ik wull nich! ik wull nich! ik wull jo jar nich!

DURCHEINANDER. Dät is der Mörder! Mörder! Jewidder! Jewidder! unsre Häuser fallen her! unsre Häuser in! ruff! ruff! rin mit em! rin! Jefängnis! Jefängnis! Zuchthaus! Schafott! Schafott! setzt n fest! setzt n fest!


Die Pistole spielt im Kreise und hält das Toben zurück.


WACHTMEISTER zieht den Säbel, wutschäumend. Die Waffe runter! ich verhafte Sie! ich verhafte Sie! verhafte Sie! im Namen des Gesetzes Gesetzes Gesetzes! Aufruhr Aufruhr! die ganze Stadt in Aufruhr gebracht!


Geheul stimmt zu.


RUFE dringen durch. Wir saßen in der Kneipe! ruhig! ich habe meinen Schoppen stehnlassen müssen!

HAUSKNECHT dazwischen. Ik kunn jo niks vör! ik kunn niks vör! ik wull dät nich!

ALLE dringen auf Ihn vor und fluten zurück. Mörder! Mörder! Häuserstürzer! Mörder![196]

WACHTMEISTER schlägt blind mit dem Säbel nach der Pistole. Runter runter!


Hausknecht ringt los und entflieht.

Die Polizisten drängen durch die Masse aufgehalten mühsam nach.

Eine Frauenstimme gellt langgezogen von der Tür und erstarrt den Lärm.

Feuerschein flackert durch die Mauerluke.


WEIB. Lot mi dörch! lot mi dörch! lot mi dörch! dr Lumpel is higeschloge! dr Lumpel! n Schlag! n Schlag! higeschloge äs n Sack! dod! dä Lumpel is dod! jrad haddn wir et em seggt! janz leise seggt! dod is r Stellt sich wuthaft auf sie zu. dei Mann is dod! dei Mann is dod! dei Mann.


Der Feuerschein wird heller, Funken sprühn.

Sie ist bei dem Geschrei des Weibes entsetzt aufgefahren, lächelt dann, legt den Arm um seinen

Hals und verbirgt ihr Gesicht an seiner Brust.


WEIB außer sich, empört. Se lacht! se lacht! se lacht! se lacht!

BEWEGUNG. Et brennt! et brennt!

RUFE draußen und an der Tür. Feuer! Feuer! der Blitz!


Die Sturmglocken setzen ein.

Feuerhörner und Wagengerassel draußen.


DURCHEINANDER schreit. Feuer! Feuer! dät Rathaus brennt! dä Markt brennt! de Straße brennt! alle Ecke brennt! brennen! Feuer! Feuer! Fliehen und Forthasten.

WACHTMEISTER eilt fort. Das Haus wird umstellt! das Haus wird umstellt!

WEIB. Nu kuckt! nu kuckt! se rührt sich nich! ihr Mann is dod! se rührt sich nich! ihr Mann is dod! der Deuvel hat se in de Krallen! der Deuvel! Weist in plötzlicher Erleuchtung auf Ihn. dät is der Deuvel!

WEIBER UND MÄNNER bekreuzigen sich. Der Deuvel! der Deuvel!

WEIBER schreien draußen. Unsre Kinder! unsre Kinder!


Weitere Weiber eilen fort.
[197]

SIE horcht aufatmend, haucht. Kinder!

ER faßt sie fester. mein Kind!

DURCHEINANDER. Der hat de Stadt anjezündet! de Stadt! der Deuvel! Deuvel!

WEIB. Den Paster halen! den Paster!

VERSCHIEDENE. Uträuchern soll r em! uträuchern! Paster! Paster!


Einzelne eilen fort und stoßen auf das Mädchen.

Mädchen tritt ein, zwei Kinder im Alter von fünf und sechs Jahren an der Hand.


MÄDCHEN geht verschüchtert vor. Du du dein Mann ist tot! deine Kinder.


Kinder blicken neugierig um, drängen fest an das Mädchen und weinen.

Sie ringt von Ihm und streckt die Arme.


ER hält Sie mit aller Kraft. Du bist verloren.

KINDER sehen die Mutter und strecken aufschreiend die Arme. Mutter! Mutter!


Sie von ihm festgehalten strebt mit ausgestreckten Armen auf die Kinder zu.


ER. Bleib bleib! Hält Sie mit äußerster Anstrengung.


Sie stößt Ihn mit wildem Aufschrei zurück und taumelt ohnmächtig umklammernd zu Füßen ihrer

Kinder.

Er steht betäubt und gespannt.

Mädchen starrt Ihn erschrocken groß an.


DIE MASSE mit Wutgeheul über Sie. Do is se! hooo! hoa! wir hebben se! so! nu! packt se! he! her mit! Sie wird hochgerissen. raus! raus!

WEIBER schlagen der Ohnmächtigen ins Gesicht. Pfui Teuvel! pfui Teuvel!

MÄNNER drängen die Weiber zurück. Weg da! weg! dät jibt n Spaß! n Spaß! n Spaß!

WEIBER. Sie is ne Hure! Schreien ihr ins Gesicht. Hure! Hure!

MÄNNER. Se soll de Weih kriegen! de Weih kriegen! Schleppen, zerren und stoßen Sie zur Tür. Stadthure![198] Stadthure werden! jleich! Treten sie roh. hoppla! hoppla!


Die Kinder hängen schreiend an Ihr.


ER hat auf sich selbst bedacht dagestanden, springt jetzt mit einem Wutschrei die Pistole von sich schleudernd über die Trümmerbarrikade, reißt mit mächtigem Schwung das Fensterkreuz hoch und schlägt dazwischen. Los! los! Hunde! Schurken!

DIE MASSE flüchtet in wildem Entsetzen. Der Deuvel! der Deuvel! der Deuvel!


Die Kinder lassen entsetzt die Mutter los und flüchten schreiend.

Das Mädchen drückt sich fest an die Wand neben der Tür und schaut mit großen starren Augen auf Ihn.

Er stürmt der Masse nach, kommt schwer atmend zurück, wirft den Rest des zerbrochenen Fensterkreuzes verächtlich von sich, blickt besinnend um und beugt sich zu Ihr hinab, die in der Mitte des Raumes zusammengekauert auf dem Fußboden liegt.


ER legt die Hand auf Ihr Haar, weich. Du du.


Er will Sie hochheben.


SIE springt entwindend hoch, die Handflächen in höchstem Entsetzen gegen Ihn. Du du! du du! Schreit lang auf. ooooo!!! Wild stürmend zischend. du! du! der Himmel brennt! du! du! die Mauern stürzen! du!


Das Mädchen preßt die Fäuste vor den Mund.


ER tritt beruhigend auf Sie zu. Stark stark!

SIE weicht vor Ihm zur Tür und klammert am Türpfosten zurückschreiend. Du hier! du! du hier!

ER springt auf Sie zu und faßt Ihr Handgelenk. Wir fliehen wir fliehen! wir kommen durch! das Getümmel durch!

SIE windet unter seinem Griff und ringt außer sich. Durch! durch! durch! fliehen! fliehen! fliehen! Gott! Teufel! Himmel! Feuer! Menschen! du du du.

ER hält sie. Ruhig! ruhig! schnell![199]

SIE in höchstem Entsetzen. Hure Hure Hure! Weib Weib Weib! ich will! ich will! will ich! Hure Hure Hure! nicht dein Weib! nie dein Weib! dein Weib! nicht Reißt los und läuft das Wort langgellend raus. dein Weieieieieib!


Er steht, die leeren Hände zur Aufnahme gebreitet und starrt Ihr nach, wendet dann langsam, das Haupt zerschmettert gesenkt; ballt jäh im Ruck die Fäuste, knirscht, stampft zu dem Trümmerhaufen, stößt die Steine mit Fußtritten als Spielbälle auseinander, lacht dumpf höhnisch in die Flammennacht, am ganzen Leibe wutzitternd, heiser bellend.

Eine große Glocke schlägt an, poltert, gellt und erstirbt in gewaltigem Krachen.

Lärm, Geschrei, Wehklagen, greller und immer näher greifender Feuerregen: die Kirche! die Kirche!


ER springt in die Luke, stemmt an die Mauer und brüllt mit Wutkraft hinaus. Den Fluß hinein! den Fluß hinein! den Fluß in die Straßen! in die Rinnsteine! in die Gassen! den Fluß hinein! das Wehr auf! das Wehr auf! zum Teufel! das Wehr!

DER RUF läuft draußen immer weiter fort. Das Wehr! das Wehr! das Wehr!

ER brüllt. Rechts herum! rechts herum! so! die Schleusen! so! so! ja! so! Schafsköpfe! so!

WEIBER UND KINDER jammern. Unsre Häuser! unsre Häuser!

ER brüllt. Wir bauen sie auf! bauen sie auf! bauen sie auf!

WIRRE RUFE draußen. Bauen auf! bauen auf! aufbauen! aufbauen!

ER tritt über die Trümmer zurück und lacht wild, die Arme verschränkt, nickt und murmelt hin. Aufbauen! aufbauen!


Gewaltiges Rauschen, draußen, Schäumen und Zischen.


DAS MÄDCHEN steht fest an die Mauer gepreßt in Ihn versunken.


Er schaut auf, stöhnt, seufzt und blickt hilflos um; sein Blick schrickt auf das Mädchen.

[200] Die Augen beider starren ineinander.


ER. Du? du? wer bist du? wer du?

DAS MÄDCHEN stammelt verwirrt zitternd. Ich ich.

ER macht einen Schritt auf Es zu.

ES reckt sich höher an die Wand schmiegend.

ER. Was willst du hier?

ES steht fest ihn anstarrend.

ER vor dem Mädchen, blickt ihm ins Gesicht, erstaunt. Bist du nicht? brachtest du nicht?

ES ruhig, halblaut. Ich bin die Schwester.

ER. Schwester?

ES. Ihre Schwester.

ER. Oooooohh!! Betrachtet Es, nach einer Weile. was willst du hier? was hast du.

ES trocken, ohne Tonfall. Ich weiß es nicht.

ER. Fürchtest du dich nicht?

ES schweigt und starrt ihn an.

ER. Fürchtest du dich nicht? Ruhig mit leisem Spott. Himmel Feuer Menschen! ich habe den Frevel angestiftet.

ES ruhig. Ich habe Sie erkannt.

ER spannt hoch.

ES. Sie Sie ... hast die Kirche gebaut.

ER starrt und nickt, verschlingt die Arme.

ES. Das Rathaus.

ER stellt den Fuß vor. Das weißt du?

ES heißer, lebendiger. Die Schule! das Wehr!

ER nickt und wiegt den Körper.

ES erschöpft, haucht. Ich habe erkannt! Sie erkannt!

ER tritt noch dichter vor Es hin, weich, zagend. Du? du? Schwester?

ES zittert.

ER ganz dicht vor dem Mädchen, flüstert heiß. Schwester?


Es zittert und klammert sich mühsam an die Wand.


ER beugt sich über, ohne zu berühren, die Hände ineinandergefesselt auf dem Rücken. Du fürchtest?[201]

SIE legt den Kopf zurück und schaut von unten in die Augen am ganzen Leibe zitternd. Die Glut draußen dämpft ab, fernes Rufen.


Ihre Augen hängen ineinander.


ER aufatmend. Sie war erwacht! deine Schwester.

SIE schlägt die Arme breit an die Wand.

ER leise, forschend. Ja plötzlich aufgewacht.


Rauch verschlingt die Gluten, Zischen Brausen. Das Rufen kommt näher.


ER. Du! wach du auf! du! wache du auf! hörst du! wenn ... du ... erwachst.


Sie hebt ihn stummend die Hand.


FRAUEN UND KINDERSTIMMEN draußen. Der Baumeister war dät! dät war der Baumeister! Jubelnd. unser Baumeister Baumeister Baumeister!


Männerstimmen fragen, forschen dazwischen.


ER weich suchend klagend. Die anderen.

WEIBER, KINDER, MÄNNER rufen auf der Treppe. Baumeister! unser Baumeister! unser Baumeister!


Sie schrickt zusammen und stellt sich schützend vor Ihn zur Tür.

Er tritt zwischen Sie und Tür, lächelnd den Blick über die Schulter zur Tür.


SIE faltet die Hände ineinander und flüstert zu ihm aufblickend. Mann!

WEIBER UND KINDER stürmen in die Tür. Baumeist ... Das Wort erstirbt in starrem Schauen.


Ein kleines Glöckchen schlägt an zum Morgengebet.

Die Weiber und Kinder kauern die Hände gefaltet nieder.

Männer starren über ihre Köpfe weg in die Tür, nehmen die Mütze ab und stehen stumm in ehrfürchtigem Schweigen.


ER streicht Ihr übers Haar und läßt die Hand auf Ihrem Haupt liegen, weich froh. Weib!


Die letzte Glut erlischt, es wird ganz dunkel draußen.

[202] Leichte Nachtschwaden dampfen durch die

Mauerlücke und verdämmern den Raum.

Der Stern blitzt hell auf.

Er und Sie wenden langsam um und schauen eng aneinandergeschmiegt Arm in Arm zu dem Stern empor.
[203]

Quelle:
August Stramm: Das Werk. Wiesbaden 1963, S. 185-205.
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Gedichte

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Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.

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