Erster Auftritt.

[214] Julie und Dalton.


JULIE sitzend. Hast du denn auch keinen Trost für mich, liebste Dalton? keinen treuen mütterlichen Rath? der mich so oft aufgerichtet hat in den Zeiten meiner Jugend, wenn eine trübe Wolke sich aufzog. O diese Zeiten, Dalton das waren glückliche Zeiten. Erinnerst du dich noch, wie ich und Wilhelm hier um dich her sassen, und dir zuhörten? Wie wir mit in einander geschlungenen Händen hier vor dir saßen? Wie Wilhelm zerstreuet über sein Buch weg auf mich hinsah, und wie du auf ihn schmältest – o nur eine Minute aus dieser Zeit, Dalton – Nun, o mein Gott! nun ist alles leer um mich – es ist mir, als wenn ich in einer Wüste lebte – ich fürchte mich um mich zu sehen – nirgends, nirgends in keinem Winkel des Hauses ist Wilhelm, auch nicht im Blumengarten Dalton, wo ich so oft hinter ihm her schlich, und ihn belauschte, wenn Rosen für mich pflückte, wie stolz[214] sah ich alsdann aus, wenn ich von seiner Hand bekränzt zu dir hineintrat! Nun, wenn ich in den Blumengarten komme – so sehe ich die Rosen nicht mehr, aber ich sehe die Thränen meines Vaters, Dalton, ich sehe deine Thränen, alles, was ich ansehe, weint, und das alles meinetwegen – O was muß ich für ein böses Mägdchen seyn! daß mein Vater über mich weinen muß – o du bester Vater – o wenn ich – o wenn ich dir doch gehorchen könnte.

DALTON indem sie sich die Augen trocknet. Gewiß Fräulein, ich werde mir noch die Augen aus dem Kopfe weinen – freylich sind Sie immer ein gutes Kind gewesen. O Ihr Vater, er ist wahrhaftig zu hart, gewiß und wahr, seinem einzigen Kinde einen Mann aufzudringen. – Nun es ist nicht zu läugnen, Fräulein – wie ich oft gesagt habe, Woldemar ist ein recht guter Mann – bescheiden und vernünftig und reich – und ein recht schöner Mann von Ansehen – der, wie es scheint, ein gutes Herz hat, und Sie von ganzer Seele liebet.

JULIE. Das kann alles wahr seyn, Dalton – aber Wilhelm![215]

DALTON. Wilhelm – ach ja freylich mein guter Wilhelm – er war mein Augapfel, wie Sie wissen – armes Fräulein – ich kann Ihnen so unrecht nicht geben – aber Ihr Vater ist sehr erzürnet – und ich fürchte – es ist alles vergebens.

JULIE. Gewiß, es ist alles vergebens – kannst du es glauben, Dalton – Mein wilder Oncle sagt mir ins Gesichte von Bettlern – Ihm wirft man sein Unglück vor, Ihm wirft man es vor, daß man ihn ins Elend gejagt hat – Ihm, der es fühlt, ist das nicht unerhört grausam?

DALTON. Gott verzeih es dem wilden Menschen – wenn das der gute brave Wilhelm wüßte, das würde ihm so nicht hingehen. Aber werden Sie ruhig, Fräulein – wer weiß wie sich das alles noch ändert – Härmen Sie sich doch ab, daß es einem durch Mark und Beine geht.

JULIE. Du bist es allein, Dalton, der in diesem Hause mein Elend nahe geht, o wenn ich dich nicht hätte, aber gelassen zu seyn, meine Beste, das steht nicht in unserer Macht – o wenn ich gehorchen könnte, Dalton,[216] o wenn ich ihn vergessen könnte, so wär ich ein glückliches Mägdchen.

DALTON. Haben Sie es ernsthaft versucht, Fräulein? Sie wissen, wie gut ich es mit ihnen meyne, aber gewiß und wahr, er scheint Ihnen nicht beschieden zu seyn.

JULIE. Ich verfahre in meinem Herzen so hart mit ihm, als mein Vater, ich halte mir alle seine Fehler vor, seinen Leichtsinn, seine Wildheit, ich verberge mir seine schlimme Seite gewiß nicht; wer weiß, sage ich mir, ob ihn nicht böse Gesellschaft verdirbt – ob ihn nicht das Elend niederträchtig macht – wer weiß, ob ihn nicht eine andere Liebe fesselt, und das ist alles möglich, Dalton; aber mein Herz empöret sich dagegen, und mein Jammer nimmt zu. Heute will ich nicht an ihn denken, das war oft mein Vorsatz, wenn ich mich lange gequält hatte, und wenn der Abend heran kam – so hatte ich an sonst nichts gedacht, oft will ich mich durch Lesen zerstreuen, und ich finde kein Buch, das mich nicht endlich auf ihn lenkt. Ja, kannst du es glauben? so gar in der Andacht des Gebets stöhrt er mich, sein Bild schwebt vor mir, auch wenn ich meine Augen nach dem Himmel richte, und nur dann bete ich brünstig, wenn ich vor ihm bete. Kein Schlaf[217] erquickt mich mehr, ich werfe mich unruhig herum, und seufze nach dem Tage – Das geringste Geräusch erschrecket mich, und wenn nach langer Angst die Natur ermüdet, wenn ich kraftlos einschlummere, so quälen mich fürchterliche Träume, Phantasien vom Tode, von Mord – O Dalton! mein Leben ist ein Kette von Jammer –! O warum bin ich nicht in einer Hütte geboren, zur Arbeit, zum Leiden gewöhnt, so hätte ich keine so empfindliche Seele, so plagte man mich nicht mit dem Stolz der Geburt, so wählte mein Herz, und ich wäre glücklich.

DALTON. Sie können es noch werden – Liebstes Kind, Sie können es noch werden, wenn Sie nur nicht so muthlos wären – Arme Julie, Ihr Vater ist verführet, verblendet, durch den gottlosen Capitain – Er muß Ihnen seine Liebe wiedergeben, und glauben Sie mir, er wird es thun.

JULIE. Dalton, ich habe einen Gedanken – du weißt, daß ich bisher immer Woldemar gemieden habe, daß ich vor ihm geflohen bin; die Verfolgung, die ich ausstehe, und die er veranlaßt, hatte mich gegen Ihn aufgebracht – Wie wär es Dalton, wenn ich Ihm mein ganzes Herz ohne Bitterkeit zeigte? Wenn ich[218] ihm sagte, daß mein Glück und mein Unglück in seiner Hand steht? daß er mir meinen Vater, und o Dalton, was könnte er mir alles wiedergeben; ich wollte wohl vor ihm knien, wenn er sich bewegen lassen wollte. –

DALTON. Versuchen Sie das, Fräulein – Gott erweiche sein Herz, er müßte ein Unmensch seyn.

JULIE. Wenn ich mich nur fassen kann, Dalton. Alles dieses hat mich so mürbe gemacht, und ich muß vielleicht lange und nachdrücklich mit ihm reden. Geh hin Dalton, und rufe mir Woldemarn.


Dalton geht ab.


Quelle:
Peter Helfrich Sturz: Schriften. Band 1, Leipzig 1779–1782, S. 214-219.
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