[62] Die Vorigen. Drei Reisende in afrikanischer Tracht, einer davon Gubal, kommen durch das Tor von rechts.
DIE BETTLER wie vorhin.
Kamt ihr als Fremde, von Wogen getragen,
Seid ihr Kinder der –
Die Karthager gehn an der Gruppe vorüber.
EURYTIMOS.
Schweigt stille! Stille, sag' ich! Von Karthagern
Wird nichts genommen, solang' ich hier kniee.
Die Karthager, die mit feindseligen Gebärden den Schauplatz mustern, ohne die Bettler zu beachten, links ab.
SOSTHENES.
Wer bist du, Eindringling, der du mit plumpen
Gelenken maststiergleich die Erde drückst?[62]
Was willst du hier? Geh lieber Weizen schleppen
Zum Hafen, wo man deinesgleichen braucht,
Und schäm dich, daß du bettelst ...
EURYTIMOS.
Von Karthagern
Wird nichts genommen. Und wer's trotzdem tut –
Den mahl' ich zwischen diesen Fäusten – so!
EIN BETTLER.
Will der uns wohl Gesetze geben?
EIN ANDERER.
Fragt
Den Blinden dort.
RUFE.
Der Blinde soll uns helfen!
SOSTHENES.
Du Blinder, horch! Zum Führer wählten wir
Dich heute nacht, weil du uns klüger schienst
Als all die andern. Jetzt entscheide du.
DER BLINDE im Singsang.
Kamt ihr als Fremde, von Wogen getragen,
Seid ihr Kinder der nährenden Stadt – – –
DEONAX.
Er hört nichts. Seit er von der Wandrung
Zurückkam, die er durch die Stadt gemacht –
– Wie er's vermochte, fremd und blind zugleich,[63]
Das weiß ich nicht – seitdem sitzt er wie tot
Und streckt die Hand nicht aus. Selbst wenn ein Goldstück
Ihm vor die Füße fiele, tät er's nicht.
Du, Blendling – du! –
Die andern lachen.
DER BLINDE.
Hä! – Was? – –
DEONAX.
Wir meinten gestern,
Du hättest zwanzig Augen statt der zweie,
Die man dir ausgestochen. Heute scheint's,
Als fehlten dir zwei Ohren noch dazu.
Nun schüttle dich und sprich ...
DER BLINDE.
Daß Hunde beißen,
Ist ihr Geschäft. Auch solche gibt's, die tückisch
Dem, dessen Futter sie schwanzwedelnd nahmen,
Stracks an die Waden gehn. Daß aber ein
Zahnlos gewordner, wackrer, alter Haushund
Mit schlaffem Gaumen seinem eignen Herrn
Ins Schienbein schnappt, sah ich noch nie – bis heute.
Und wenn selbst eines Hundes Nase trügt,
Wie sollten Menschen wohl noch Wittrung halten?
Lacht.
's ist gut so! Was begehrt ihr?
DEONAX.
Hier sitzt einer,
Der will, daß niemand von Karthagern was
Annehmen soll.[64]
DER BLINDE.
Feinschmecker scheinst du mir,
Mein Bursche. – Bist du auch ein Schuft mit Auswahl,
Wie du zum Betteln dir die Menschen wählst?
EURYTIMOS.
Karthager sind nicht Menschen.
DER BLINDE.
Sind sie Götter?
EURYTIMOS.
Karthager sind vom Höllenhund erzeugt,
Von Blut verpestet, von Begier gedunsen.
Landräuber – kriechende – neidbrünstige
Landräuber ... Schlamm aufwühlen tun sie – Feuer
Anlegen tun sie ... Ich ... ich hab' geschworen,
Erwürgen will ich jeden, der mir einsam
Begegnet – und erwürgen tu' ich jeden,
Der hier ein Wort zu ihren Gunsten spricht.
DER BLINDE.
Ich aber sage dir: Wohltäter sind
Uns die Karthager – edle, führende
Genossen, die wir ehren sollen, die –
EURYTIMOS auf ihn eindringend.
So stirb – du –![65]
DER BLINDE ihm entgegen.
Halt, halt, halt! Weil du vielleicht
Brusthaarig bist – Viehtreiberfäuste hast –
Aus strohgestopftem Schädel strohige
Gedanken klaubst und sie hohlschnäuzig andern
In das Gesicht speist – darum meinst du Prahlhans
– Du Stänkerfratz – du Maultrompeter – ich
Und alle müßten vor dir ducken? – Komm!
Laß dich befühlen! – komm! – auf daß ich weiß,
Welch großer Held mich blinden Mann erwürgt.
Leise.
Ich denk' wie du – ja soviel stärker hass'
Ich sie als du – wie meine armen Augen
Geringer sehn als deine. Gib die Hand!
Die Hand ist keines Bettlers. Sprich, wer bist du?
EURYTIMOS leise.
Gebannt bei Todesstrafe ward ich jüngst
Von hier.
DER BLINDE.
Aus welcher Ursach?
EURYTIMOS.
Weil ich schwor –
Ich sagt' es schon.
DER BLINDE.
Folg mir, als wärst du blind –
Und du wirst sehend sein.
Laut.
Ein guter Mann;[66]
Ich bat ihn sehr – da wurd' er weich, versprach
Mich zu verschonen, auch das Handwerk stören
Will er nicht mehr. Gebt ihm den besten Platz ...
Nun andres! ... Weil ich landfremd bin, belehrt mich:
Ein Fest wird heut' gefeiert, heißt es – gar
Ein Siegesfest. Allein – wie schon gesagt –
Es war ein Mann, den ich einst sterben sah –
Und dieser Mann – seid unbesorgt, den Namen
Verschluck' ich, wie's geboten ward. Auch mich
Gelüstet's nicht, im Kerkerschlamm zu enden.
Ja – dieser Mann behauptete, der Sieger
In jener Schlacht sei er – und rühmte sich –
Und mehr noch seines Volkes Dank. Statt dessen
Find' ich schon nach zehn Jahren sein Gedächtnis
Erloschen – seinen Namen weggeschwärzt –
Und was er tat, im Kote ganz verschüttet.
Vielleicht geschah ihm recht, doch wie geschah's?
Daß Kraft in Ohnmacht sich verwandelt, daß
Ein Sieg zur Niederlage wird und Männer,
Die mit gebrochnem Schwert noch Wunder taten,
Vor einem armen, willenskranken Nichts
Zu nichts vergehn – dies war ein Meisterstück.
Doch sagt: Wo sitzt der Meister? ... Wie seid ihr doch
Verschwiegen plötzlich! Baumelt euch die Peitsche
Im Nacken, oder zittert euer Hunger
Vor einer Wahrheit, die die Spatzen pfeifen?
DEONAX.
Ach was! Als Stoppelvieh begrasen wir
Den Markt – das übrige geht uns nichts an.[67]
EURYTIMOS.
Doch sag' ich ...
DER BLINDE leise zu ihm.
Stille!
Zu einem laut.
Du! Wer bist du? sprich! –
Wo kamst du her?
Zu andern.
Und du – Und du?
Zu Mandros.
Dich halt'
Ich fest. Gib Antwort!
MANDROS.
Laß! Wie Eisen, blindes
Gerippe, greift dein Arm.
DER BLINDE.
Drum sprich nun endlich!
MANDROS.
Als Krieger einstmals – in der Quellenschlucht –
DER BLINDE.
Da kämpftest du?
MANDROS bejahend.
In jenem grausen Dunkel,
Das Tod und Steinsturz rätselvoll
Aus sich gebar, dort unter unserm Feldherrn –
Den andren – toten – mein' ich –
DER BLINDE.
Den! Erinnerst
Du dich, wie er von Ansehn war?[68]
MANDROS.
So klar
Seh' ich ihn vor mir, wie ich dich hier sehe.
DER BLINDE.
So klar! – Nur weiter!
MANDROS.
Nun – dort in der Nacht
Ward ich zum Krüppel – und –
DER BLINDE.
– Mußt betteln gehn?
MANDROS.
Weil ich für jenen andren – den – den andren
Unklugerweise meine Stimm' erhob,
Macht' ich mich unbeliebt –
DER BLINDE.
Bei wem?
MANDROS.
Bei wem?
Bei Arratos – dem –
DER BLINDE.
Arratos! Bisher,
Wie Diebe ums Schafott, so schlichet ihr
Um dieses Namens Drohung scheu herum.
Jetzt halt' ich ihn und euch. Ein edler Mann –
So hieß es in der Welt, die ich durchwandert –[69]
Von milden Sitten – klug und wohlberedt ...
Was habt ihr gegen ihn?
GEMURMEL.
O – nichts – gar nichts ...
EURYTIMOS.
Von milden Sitten! Töten läßt er keinen –
Und doch verschwand auf Nimmerwiederkehr
Gar mancher Mutter Sohn.
DER BLINDE vor sich hin.
Der eine kehrt
Ihm wieder!
Laut.
Dann auch hört' ich, daß er jenes –
Des andern – Toten – Weib zur Ehe nahm.
Was spricht die Stadt von solcher Paarung? ... Gutes? ...
DEONAX.
In seinem Hausstand lobt man ihn und sagt,
Er find' an seinem Weibe Glück und Halt.
SOSTHENES.
Was taumelst du?
DER BLINDE greift um sich, lachend.
Ich finde keinen Halt,
Drum taumel' ich. Sehr einfach.
EINER nach links weisend.
Ordnet euch.
Karthager kommen dort.[70]
EIN ANDERER.
Auch Griechen gehn
Mit ihnen.
DER ERSTE.
Einer von den Fremden, scheint's,
Ist Mago!
EURYTIMOS in Wut aufflammend.
Mago!
DER BLINDE leise, knirschend.
Mago! –
Zu Eurytimos.
Was ihn angeht –
Sag rasch mir eines: Wurde der Verräter
Jemals gefunden, der vor jener Schlacht
Dem Feinde Heer und Land verkaufte? ...
EURYTIMOS.
Welcher
Verräter?
DER BLINDE.
Wie? Ihr wißt von nichts? Gab's nicht
Prozeß und Untersuchung?
EURYTIMOS.
Nein.
DER BLINDE.
Doch waren
Der Zeugen, hört' ich – manche![71]
EURYTIMOS.
Wem ein Steinklotz
Den Schädel bricht, wie kann der zeugen?
DER BLINDE.
Und
Der einzige, der blieb, ist Magos Freund?! ...
Buchempfehlung
Epicharis ist eine freigelassene Sklavin, die von den Attentatsplänen auf Kaiser Nero wusste. Sie wird gefasst und soll unter der Folter die Namen der Täter nennen. Sie widersteht und tötet sich selbst. Nach Agrippina das zweite Nero-Drama des Autors.
162 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro