Erste Szene

[97] Arratos. Mago. Beide auf Stühlen sitzend, die zu Füßen des Thrones stehen.


ARRATOS.

Noch einmal, edler Mago, was mich schmerzt,

Ist weniger des Pöbels harscher Unmut

Als viel, viel mehr die Furcht, du könntest glauben,

Daß ich durch halbverhüllte Weisungen,

Durch – sei was dem auch sei – der Dankbarkeit,

Der ungemessnen, die mich an dich bindet,

In Überdruß die Quellen abgegraben.

MAGO.

Mein Fürst – ob dich das Volk nun Fürst, ob König,

Ob sonstwie nennt – ich folg' ihm um so lieber,

Als du's von meinen Gnaden bist.

ARRATOS ängstlich.

Sprich leiser!

MAGO.

Stehn Lauscher an der Tür?

ARRATOS.

Das nicht, doch bitt' ich –

MAGO.

Gut also! Denkst du noch des Augenblicks

In jener Kampfnacht, da du von der Sichrung

Des Weibes, das nun dein Weib, wiederkehrend,

Die Todesbarre, die wir zwei gebaut,

Von Lykons Armen jäh durchbrochen fandest?[98]

Und als ein kriegsgefangner Mann des Trosses

Scheu vor mich tratst, der ich auf Katzenpfaden

Herabgeklommen? – Weißt du noch? ...

ARRATOS.

Ich weiß.

MAGO.

Da sagt' ich dir: der schlau gewobne Plan,

Den du zum Königsmantel schneidern wolltest –

Tollkühnheit riß ihn mitten durch. Der Sieg

Ist uns verloren. Denn obwohl sie noch

Dort in der Ebne sich die Schädel spalten –

Das End' ist so gewiß, wie daß den Scharen,

Die oben in den Felsen eingepfercht,

Nicht Flügel wuchsen, sie hinabzutragen.

Doch – sprach ich ferner – bleibt ein Ausweg: Lykon,

Der seiner selbst nicht achtend uns ins Garn

Geriet, wird noch zur Stunde abgetan.

Du aber eile zu den Kämpfern, reiße

Die Führung an dich, und wenn wir hernach

Dich, demutsvoll um freien Abzug bittend,

Als Sieger grüßen, wirst du Sieger sein.

Geschah dies?

ARRATOS.

Dies geschah. Doch warum marterst

Du mich?

MAGO.

Damit die Feier des Erinnerns

Auch zwischen uns begangen werde. – Dann[99]

Wollt' ich dich fragen: Jener blinde Bettler,

Der irgend etwas weiß, womit er spielt,

Und dessen Prüfung mir verwertbar scheint,

Gibst du ihn wohl in meine Hand?

ARRATOS.

Ich tät's

Gewiß, doch ein Versprechen, fast ein Schwur,

Jawohl ein Schwur, gebietet mir, daß –

MAGO.

Schwüre

Verschenkt man nicht, ist man so arm wie du.

ARRATOS die Demütigung hinunterwürgend.

Du irrst, mein Freund. Solange dir mein Wille

Nicht wertlos scheint, nenn' ich mich reich. – Der Blinde

Wird gut bewacht und wartet hier.

MAGO.

Im Hause?

ARRATOS.

Im Hause. Wenn er es verläßt –

MAGO.

Und wann

Verläßt er es?

ARRATOS.

Noch heut' am Abend.

MAGO.

Dann?[100]

ARRATOS.

Gehört er dir.

MAGO.

's ist gut.

ARRATOS.

Doch hüte dich

Vor Aufsehn, denn das Volk –

MAGO.

Schon gut. Leb wohl.

ARRATOS.

Leb wohl.

MAGO wiederkehrend.

Doch ja, noch eins. Mir wurde Nachricht,

Daß in der nächsten Zeit, vielleicht schon morgen,

Von unsern Schiffen etliche – ob viel,

Ob wenig, weiß ich nicht – an dieser Küste

Die Anker werfen wollen. Wärest du

Wie wohl auch sonst, nicht abgeneigt, den Hafen

Freundwillig aufzutun?

ARRATOS.

Wieviel der Schiffe

Erwartest du?

MAGO.

Ich sagte schon: ich weiß

Es nicht.

ARRATOS.

Vorerst muß ich das Volk, die Edeln

Befragen.[101]

MAGO.

Frage nur, doch gib inzwischen

Befehl, daß man die Kettensperre löse.

ARRATOS.

Wie quälst du mich!

MAGO.

Wenn Lykons Name wieder

In Syrakus ertönt, dann ist es Zeit,

Daß du nach Rückendeckung spähst. Wer schafft

Sie dir, wenn nicht Karthago?

ARRATOS.

Ich erkenn' es

Voll Dank, mein Freund.

MAGO mit Doppelsinn.

Bis morgen früh – mein Freund.


Sie schütteln sich die Hände. Mago ab.


Quelle:
Hermann Sudermann: Der Bettler von Syrakus. Stuttgart und Berlin 2-51911, S. 97-102.
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