Erste Szene

[132] Auf jedem der neun Speiselager eine Person; rechts vorn Diokles, ihm gegenüber Artemidor, hinter diesem Lysimachos; Ktesias in der Mitte; rechts hinter Diokles Hermachos. Hinter jedem der Gäste steht ein Diener. Andere Diener sind beschäftigt, die Tische abzuräumen und den Boden von Speiseresten zu säubern. Noch andere reichen Wasserschalen zum Reinigen der Hände und sodann Kränze herum. Später zwei Flötenspielerinnen. – Bunter Wirrwarr und lautes Durcheinander von Stimmen. Nur Diokles liegt, der Rampe zugewandt, in finsteres Sinnen verloren.


ARTEMIDOR geht von links nach rechts zu ihm hinüber.

Das Mahl ist aus. Daß es mit Frohsinn prunkte,

Kann man nicht sagen, denn der Wirt blieb stumm.

Doch nun der Wein die Herzen lösen soll,

Bedenke wohl, daß du ihn lächelnd spendest;

Sonst wirst du hören, daß er sauer schmeckt.

Was starrst du nach der Tür?

DIOKLES der sich dem Hintergrunde zugewandt hat.

Weil einer fehlt.

ARTEMIDOR.

Mich dünkt, wir sind beisammen.

DIOKLES.

Einer fehlt.

ARTEMIDOR.

Genug an Rätseln bot mir dieser Tag,

Darum –


Geht mit einem Achselzucken auf seinen Platz zurück.
[133]

EIN ÄLTERER DIENER tritt mit Trinkschale und Kanne an Diokles heran.

Der Mischkrug steht bereitet, Herr,

Die Kränze sind verteilt. Wenn du das Opfer

Darbringen willst –

DIOKLES.

So laßt die Flöten kommen.

DER ÄLTERE DIENER winkt einem anderen Diener, der vorne links an der Türe steht. Dieser öffnet den Vorhang.

ZWEI FLÖTENSPIELERINNEN treten ein und bleiben an der Tür. Derweilen gießt der ältere Diener Wein in die Trinkschale.

DIOKLES die Schale hochhebend, während die Flötenspielerinnen eine getragene Musik beginnen.

Soll, was der Väter Sitte heischt, ihr Freunde,

Von uns verleugnet sein? Und ob des Nachtreichs

Dämonen, ob die Gorgo selbst der Stunde

Gebietet – diese Schale fromm erhebend,

Spritz' ich die Tropfen ungemischten Weins

Ins Leere hin, wo gute Geister wohnen

– Denn irgendwo muß ihre Wohnung sein –,

Und rufe, mehr weil unsrer Seele Suchen

Als dumpfer Brauch es will: »Dem guten Geist.«


Er trinkt und reicht die Schale dem Nachbarn, während die Musik fortfährt.


EINER leise.

Seltsamer Weihespruch![134]

KTESIAS leise.

Lud man mich etwa

Zum Leichenschmause?

LYSIMACHOS leise.

Seht, wie er den Mund

Zerbeißt! Artemidor, was fehlt ihm nur?

ARTEMIDOR zurück.

Der Becher ist dir nah, drum schweige. Später

Will ich ihn wandeln, wie man Wolle kratzt.


Er trinkt und reicht die Schale dem Diener. Die Musik hört auf.


ARTEMIDOR.

Nun – statt des Lobgesangs, den wir den Göttern

Ersparen – sprich, mein Ktesias, der du

Gedankenschnell wie kaum ein andrer bist:

Wen als des Landes höchsten Ruhm und Preis

Lobst du am meisten?

KTESIAS.

Wollt' ich Harfen stimmen

Und jener scheuen Mädchen Blasebinde

Mir vor die Lippen tun, ich würde wahrlich

Bei Saiten- und bei Flötenschall dir niemand

Zu nennen wissen, mein Artemidor,

Der für Siziliens Gewalt und Fülle

Beredtres Zeugnis gäbe, mit des Ruhmes

Holdatmendem Gedüfte weiterhin

Die Welt durchzöge, als – sizil'scher Käse.


Allgemeines Gelächter.
[135]

ARTEMIDOR seinen Ärger verhehlend.

Der Scherz gefiel auch mir, und Wohlgeruch

Entströmt ihm, wie den Locken, die du kräuselst.

Doch höher noch – vergib! – preis' ich die Würde,

Die sich vor Helden stolz zu beugen weiß!

HERMACHOS leise.

Tut ihm die Liebe und lobt Arratos,

Damit wir Frieden haben.

KTESIAS.

Helden! Helden?

Was ist uns Heldentum?

DIOKLES für sich.

Was Heldentum

Uns ist?

KTESIAS.

Ein Kinderlied, zum Graulichmachen

Von wackelzahn'gen Weibern vorgesungen,

Tugendermahnungen, mit rollendem

Nachtmützenpathos an den Mann gebracht,

Dünnbein'gem Elend eine Strahlenhülle,

Raubsücht'ger Gier ein Biedermannsgewand,

Dem Witzigen ein Werkzeug, und ein Rausch

Dem Dummen – das, ihr Freunde, sind die Helden,

Die man uns tanzen läßt wie Hampelmänner.


Beifall.
[136]

DIOKLES vor sich hin.

Wenn du die toten Helden heiß beklagst – –

ARTEMIDOR.

Erstaunlich prasselten der Worte Schauer,

Doch was, mein Hermachos, sagst du dazu?

HERMACHOS.

Wie fragst du mich? Zum Weisheitslehrer fehlt

Mir dies und das, und auch die Torheit lehren

Könnt' ich – beim Zeus! – nur durch das eigne Beispiel.

Doch grübelnd, wie der dunkle Heraklit,

Frag' ich ein andres, das mich wicht'ger dünkt

Als eines Ahns verstaubtes Heldentum:

Weshalb wir nämlich auf den breiten Lagern,

Die für zwei Glückliche gezimmert sind,

Einsam die Zeit verquälen müssen? ... Scheint's

Beinahe doch, als ob der liebenswerte,

Der heldenhafte Diokles – denn so

Möcht' ich ihn nennen –


Gelächter.


uns zu Speis' und Trank,

Zu dieser Knaben hochgeschürzter Anmut,

Noch ein weit Besseres bescheren wolle!

Ihr Freunde, kurz und rund: Es riecht nach Weibern –

– Die beiden Dudelnymphen zähl' ich nicht –,

Und weil's nach Weibern riecht, mein Diokles,

Bewähre dich als Held und schaff sie uns.


Lachender Beifall, Zurufe.
[137]

EINER.

Wie? Hört er nicht?

ARTEMIDOR schüttelt bedenklich den Kopf.

KTESIAS.

Uns andre ludst du ein,

Dich selbst hast du vergessen.

DIOKLES auffahrend.

Ja. Vergebt ...

Mir war ... Wir sprachen wohl von – Helden. Nicht so?

LYSIMACHOS.

Von Weibern sprachen wir.

DIOKLES.

Ja so doch! Weiber

Sind da. Laßt sie nur kommen.

EIN ÄLTERER DIENER tritt zu ihm, eine Lyra und ein goldgewirktes Kleid tragend.

Herr, du selbst

Als Führer wolltest sie geleiten. Hier:

Apolls Gewand und Leier!

DIOKLES.

Weg! Und laßt

Sie kommen! Unser Heldentum verlangt's!


Die Diener lüften den Vorhang links. Die Flöten beginnen von neuem.


Quelle:
Hermann Sudermann: Der Bettler von Syrakus. Stuttgart und Berlin 2-51911, S. 132-138.
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