Vierte Szene

[161] Die Vorigen. Zwei bewaffnete Wächter treten ein und stellen sich rechts und links vor der Tür auf. Ihnen folgt Mago barhäuptig und verwildert, das Schwert in der Hand.


MAGO.

Wer ist der Wirt?

DIOKLES.

Ich bin's.

MAGO.

Du ludest dir

Zum Späßemachen einen blinden Bettler.

Der Mann gehört Karthago. Liefr' ihn aus![161]

ALLE mit Ausnahme von Artemidor drängen sich mit lauten Rufen: »Niemals! Dies wird nicht geschehn!« zwischen ihn und den Blinden.

MAGO.

Ihr weigert euch? ... Ihr lärmt


Nach hinten weisend.


gleichwie der Pöbel,

Den ich verachte? ... Eures Herrn Gebot,

Das ich mit Schrift und Siegelwachs mir eben

Bezeugen ließ – – da nimm! –


Er hebt eine Briefrolle hoch und gibt sie einem Diener, der sie Diokles bringt.


– wird euren Trotz

Gefügig machen.

KTESIAS knirschend.

Ist kein Schwert im Hause?

DIOKLES der einen Blick in die Rolle geworfen hat.

Karthager, ob du gleich mit unsres Herrschers

Befehl und Waffen vor uns tratst, das Recht,

Den Blinden mir zu nehmen, weigr' ich dir!


Er zerknittert die Rolle und wirft sie zu Boden.


ARTEMIDOR.

Das kostet dich das Haupt, mein Bruder!

DIOKLES.

Sei's!

Und sage dem, mit dessen Schergen furchtsam

Du dich beschütztest – –[162]

DER BLINDE.

Halt! Halt! Halt! Halt! Ich,

Der Ball in diesem Spiel, bin auch noch da.

Euch Freunden Dank für hochgemuten Schutz,

Den ihr mir botet – doch ich brauch' ihn nicht.

Denn ob er gleich in Ketten mich ersticke,

Mit diesem Helden werd' ich immer fertig ...

Mein edler Mago, gern, aus freiem Antrieb

Will ich dir folgen, will auch noch das Volk

Besänftigen, das – du hast's erfahren – mehr

Als lärmen kann. Doch einen Wunsch zuvor

Erfülle mir, zumal es Höflichkeit

Gebietet.

MAGO.

Nenn ihn!

DER BLINDE.

Einen Becher leere

Auf Syrakusens Wohl. Dann bin ich dein.

DIOKLES entsetzt.

Du willst, – du –?

DER BLINDE leise, heftig.

Widersprich mir nicht!


Er tastet nach Eurytimos' Hand, der sich rasch an ihn drängt.


MAGO sich mißtrauisch im Kreise umsehend.

Mit Freuden,

Und ohne daß ein Bettler mich gemahnt,[163]

Will ich dies tun, doch bitt' ich, daß ich stehend,

Auf diesem Platze trinken möge.

KTESIAS leise.

Was

Wird dies?

DIOKLES.

Ihr Diener tragt – –

MAGO.

Und schöpft den Trank

Vor meinen Augen.

DIOKLES.

Gut denn!


Er winkt den Dienern.


DER BLINDE leise zu Eurytimos.

Deine Stunde

Ist da! Nimm dir, was mein ist!

EURYTIMOS die zwei Diener fortstoßend, die den schweren Mischkrug an den Henkeln gefaßt haben.

Weg da!


Er erfaßt den Krug mit beiden Armen und trägt ihn vor sich her quer durch den Saal bis vor Mago. Der ältere Diener folgt ihm mit Schöpfgefäß und Becher. Beide stellen sich rechts und links vor ihm auf. Der Diener schöpft Wein in den Becher. Atemlose Stille.


DER BLINDE.

Trinke

Dich satt, Karthago![164]

MAGO zieht die ausgestreckte Hand zurück, misst ihn einen Augenblick lang, dann nimmt er mit verächtlichem Auflachen den Becher und trinkt.

EURYTIMOS hebt den Mischkrug hoch und läßt ihn auf Magos Kopf herniederfallen. Mago sinkt lautlos zu Boden. Banges Aufatmen, mit leisen Rufen durchmischt.

EURYTIMOS der ein kurzes Schwert unter dem Gewand hervorgerissen hat, zu den unbeweglich stehenden Wächtern.

He! Ihr Klötze dort!

Nun packt mich doch!

DER ERSTE WÄCHTER.

Uns ward befohlen, dieses

Kundschaftende Geschmeiß hierher zu führen.

Das Weitre schert uns nicht.

DER BLINDE hochaufhorchend.

Bring mir die Wächter!

EURYTIMOS die beiden mit gutem Zureden nach vorne führend.

Hier sind sie!

DER BLINDE.

Wer in eurem Haufen denkt,

Wie ihr tut?

ERSTER WÄCHTER.

Alle![165]

DER BLINDE freudig vor sich hin.

Arratos!

KTESIAS Artemidor, der zu entschlüpfen versucht hat, im Nacken fassend.

Wo kriechst

Du hin, du Schlauer?

ARTEMIDOR.

Laß mich!

DER BLINDE.

Gebt ihn los!

Das Werk, das jetzt beginnt, hält er nicht auf.


Artemidor ab.


DIOKLES.

Doch Blinder, du, der du Verblendete

Gelehrt, wie man die Augen auftut, wie

Die Hand, die längst erschlaffte, löwenstark

Zum Schwerte greift – du, der du meines Vaters

Gedächtnis aus dem Schlamme hobst und uns

Erlöst Aufatmenden die Wege wiesest,

Die er gegangen – du vollbring die Tat,

Die kühn begonnene! Verlaß uns nicht!

Verlaß uns nicht! Und führ uns Jünglinge

Zum Kampf, zur Freiheit und – wohin du willst!


Begeisterte Rufe: »Führ uns! Verlaß uns nicht! Führ uns, wohin du willst!«.
[166]

DER BLINDE.

Was ihr mir schenkt, das geh' ich morgen euch

Vor eines leeren Thrones Stufen wieder.

Doch draußen, dünkt mich, rollt ein schöner Volkszorn

Weglos ins Ungewisse. Öffnet ihm

Die Tür. Allein zuvor verhüllt den Leichnam,

Der Wankenden die Kniee steifen soll.


Aller Augen wenden sich dem Hintergrunde zu. Ktesias breitet einen Mantel über Magos Körper, ein andrer geht zur Tür.


DER BLINDE lacht in sich hinein.

EURYTIMOS der allein bei ihm geblieben ist.

Du, Blinder, warum lachst du?

DER BLINDE.

Starker Mann!

Dich, der die Tat getan, hat man vergessen.

Sei ohne Groll! Es geht uns allen so! – –

Ans Werk nun!


Die Pforte ist geöffnet worden. Das Brausen des hereindringenden Volkes schwillt an.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Hermann Sudermann: Der Bettler von Syrakus. Stuttgart und Berlin 2-51911, S. 161-167.
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