[89] Trast. Lenore. Lenore im Winterkostüm, Hut, Mantel, Muff, von rechts.
TRAST. Ah – das nenn ich Glück haben!
LENORE ihm die Hand reichend, erregt. Herr Graf, wissen Sie, woher ich komme? Von Ihnen ... Wirft ihre Sachen[89] ab. Sie entsetzen sich über meine Kühnheit. Aber nur von Ihnen kann ich erfahren, was hier vorgeht. – Daß mein Bruder auf dem Wege war, jenes junge Wesen ins Unglück zu stürzen, fürchtete und argwöhnte ich ... hat Ihr Freund das erfahren?
TRAST. Wenn es nichts weiter wäre!
LENORE. Was wär es sonst?
TRAST. Ich gestehe, ich finde die Worte nicht, um einer jungen Dame –
LENORE. Reden Sie nur!
TRAST. Nun denn. Die Ihrigen haben es für nötig erachtet, jene armen Leute ihre Schande vergessen zu machen, und sie packten sie da, so sie am leichtesten zu packen waren, bei ihrer – Armut.
LENORE. Versteh ich Sie recht? Man hat meinen Bruder von jenem Mädchen losge – kauft? Trast bejaht. O mein Gott!
TRAST. Es versteht sich von selbst, daß ich mich jeder Kritik enthalte. Zudem ist das Mittel, dessen man sich bediente, das landläufige, um dergleichen Verbindungen aus der Welt zu schaffen. Aber ich fürchte für unsern Freund!
LENORE das Gesicht in den Händen. Wie kann ich das je an ihm gut machen!
TRAST. Fühlen Sie die Verpflichtung dazu?
LENORE. Ob ich sie fühle! Mein ganzes Wesen bäumt sich gegen die abscheuliche Praxis auf, die in meinem Elternhause herrscht. – Bezahlen – immer bezahlen – Ehre, Recht, Liebe – alles bezahlen! – Wir können's! Wir haben's ja dazu! ... Wirft sich in den Sessel, dann aufspringend. Vergeben Sie – ich bin außer mir ... Ich spreche von den Meinen, als ob sie Fremde wären.
TRAST. Vielleicht sind Sie ihnen fremder, als Sie selbst ahnen!
LENORE bestürzt. Ah, wenn Sie recht hätten! – Da er hinaushorcht. Was haben Sie da?
TRAST. War das nicht die Stimme Ihres Bruders?
LENORE an der Tür. Ja, er ist es – mit ein paar Freunden.[90]
TRAST für sich. Ich hätt' ihm die Waffe nicht lassen sollen! Laut, nach seinem Hute langend. Geht er ins Comptoir?
LENORE. Nein, man scheint eintreten zu wollen!
TRAST den Hut wieder hinlegend. Gut, so erwart ich ihn – Mein Fräulein, eine Bitte! ... Mein Freund verläßt heute mit mir dieses Haus, morgen die Stadt und, ich hoffe, bald auch Europa.
LENORE für sich. Oh, mein Gott!
TRAST. Aber heute möchte ich ein Zusammentreffen zwischen ihm und Ihrem Herrn Bruder vermieden wissen. – Sollt' es doch dazu kommen, ohne daß ich dazwischentreten kann, so bitte, sein Sie in der Nähe!
LENORE bejaht eifrig – Stimmen vor der Tür – sie eilt nach links – sich noch einmal umwendend. Was soll ich tun, Herr Graf?
TRAST. Sich selber treu bleiben.
LENORE. Das will ich!
Ab.
TRAST. Jetzt – der Bruder!
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