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[197] Acht Tage später ist der kleine Tuleweit wieder da. Er hat einen, der wäre nicht abgeneigt. Schmidt heißt er, ist aber nicht verwandt mit dem Kaufmann in Heydekrug. Sein Vater hat eine verschuldete Wirtschaft nicht weit von Mineiken, und er ist der Dritte von Fünfen, hat eben gedient und hält bereits Umschau unter den Töchtern der Gegend. Ob man nach deutscher Art sich mit ihm treffen wolle. Auf dem Markt oder auf dem Gericht oder sonst irgendwo, als käm' es durch Zufall.

Die Erdme versteht von diesen Sachen nichts, aber ihre Tochter, die Urte, will alles schön in die Hand nehmen.

Beim nächsten Pferdemarkt soll es geschehen. Dort wird der junge Herr Schmidt einen Schimmel seines Vaters am Halfter führen, und die Schwestern sollen herzutreten und ihn bewundern. Und was dann folgt, wird Herr Tuleweit bestens besorgen.

Das wird von nun durch und durch geredet, stundenlang, tagelang. Für die drei Frauensleute gibt es rein nichts mehr sonst auf der Welt. Kaum daß die Hausarbeit notdürftig besorgt wird zwischen all dem Getuschel.

Der Jons geht still nebenher wie ein Fremder. Wenn er nicht einen neuen Freund bekommen hätte, wäre er im Leben noch nie so mutterseelenallein gewesen.

Und dieser Freund ist Urtes weißer, vornehmer Hund. Du glaubst es nicht, wie sich das langsam gemacht hat. Zuerst hat er auf dem Hof gestanden und ist still zur Seite gewichen, wenn ihn einer hat anrühren wollen. Keinen hat er angeknurrt oder gar angefletscht, aber wer ihn zu streicheln meinte, der griff in die Luft. Ins Haus hat ihn keiner 'reinholen können, selbst seine Herrin, die Urte, nicht, und wenn sie ihn am Halsband hereinzog, dann ist er wohl mit ihr gegangen, aber beim nächsten Wupp war er schon draußen. Einen Schlafplatz hat er sich ausgesucht dort, wo in dem offenen Abschlag die Arbeitswagen stehen und etwas Heu immer verstreut liegt. Dorthin hat die[198] Urte ihm auch sein Fressen gebracht, und da lag er und blickte still um sich.

Der einzige, der nie versucht hatte, ihm mit Locken und mit Betatschen zu nahe zu kommen, war der Jons. Dazu schien ihm der Hund zu fein und zu herrschaftlich. Aber siehe da! Eines Frühmorgens, wie der Jons als erster aus dem Hause trat, um zur Arbeit auf das Moor zu gehen, wer ist da in etlicher Entfernung vorsichtig hinterhergeschlichen und hat sich zukuckend auf die Grabenkante gelegt? Und wer ist da stillschweigend geblieben ohne Trunk und ohne Frühstück, bis der Jons zum Mittagessen nach Hause ging? Und wer ist allmählich näher gekommen und hat sich mit leisem, langem Bisse das Brot aus den Fingern geholt? Und wer ist schließlich sogar, wenn der Jons in die Wiesen fuhr, mit kugelnden Sprüngen dem Wagen vorausgetollt und hat bei ihm Wache gehalten stundenlang, bis er beladen zurückkehrte?

Die Urte wundert sich des Todes, aber Windhunde sollen ja immer untreu sein, sagen die Leute. Und darum läßt sie ihn ruhig dem Vater; nur wenn sie spazieren geht auf der Chaussee nach Heydekrug oder nach Ruß hin, dann nimmt sie ihn mit sich, damit die Begegnenden etwas zum Staunen haben.

Bis Heydekrug ist es fast eine Stunde, aber das macht nichts. Denn dort sieht man doch Menschen, die stehen bleiben und aufgeregt hinterherraten, weil sie das plötzliche Wunder nicht zu fassen vermögen. Und Urte fühlt sich als Ortrud und als Botin der größeren Welt, die erst mit Berlin ihren Anfang nimmt und auf die alle sehnsüchtig hinstarren, denen im Hinterwalde zu hausen bestimmt ist.

Bisweilen trifft man auch junge Männer mit Schmissen, die sicherlich in Königsberg studiert haben und denen man vielleicht einmal auf dem Schoße gesessen hat.

Denen wirft man gelegentlich einen lockenden Blick zu und bringt sie zum Rasen. Denn irgend eine Kleinigkeit fürs Herz muß man doch haben in der torfschwarzen Öde.[199]

Nur an dem Hause des Moorvogts geht man ungern vorbei. Man weiß es nicht, aber man spürt's in den Gliedern, daß dort hinter den Fensterscheiben zwei Augen forschend und unbestechlich sie und ihr Leben durchmustern. –

So kommt der große Vieh- und Pferdemarkt heran, auf dem die Besitzer von weit und breit zu Kauf und Trunk sich treffen.

Der Jons hat in der ersten Frühe eine Kuh hingebracht, die demnächst stehen soll und die darum eingetauscht werden muß.

Die Schwestern melden sich erst, als er weg ist, denn mit dem Vater zusammen einzuziehen, hätte die Hochachtung der anderen nicht sehr gefördert. Wenn alles gut geht, gleitet man im Gedränge an ihm vorbei und braucht ihn nicht einmal anzureden.

Die Katrike wird heute von der Urte extra zurechtgemacht. Sie darf die Haare nicht brennen und die Lippen nicht färben, und das Miesekatzchen faucht, die Schwester sei nichts weiter als neidisch. Aber die lächelt nur und ist nicht einmal böse, wie zwei Paar ihrer schneeweißen Handschuhe auf den Pranken der Schwester zerplatzen.

Dann ziehen sie los, und die Erdme weint und betet hinter ihnen her.

Der Vormittag vergeht in Arbeit und Bangen.

Gegen zwei kommt der Jons zurück. Er hat einen guten Handel gemacht. Die neue Kuh gibt laut Bescheinigung zehn Liter, und kaum einmal zuzahlen hat er dürfen.

Aber in freundlicher Stimmung ist er nicht. Er schlingt finster sein Mittagbrot und fragt mit keinem Wort nach den Töchtern.

Dann geht er hinaus zu der Petruschka, die heute früh hat angebunden werden müssen, weil sie bei dem Kuhhandel durchaus zugegen sein wollte.

Erdme sieht, wie er den langen, spitzen Kopf in seine Arme nimmt und leise zu ihm herniederredet.[200]

Das will ihr das Herz abdrücken. Sie geht hinter ihm her und sagt: »Mit dem unvernünftigen Tier sprichst du, aber mir, deiner Frau, gönnst du kein gutes Wort.«

Und er sagt: »Ich habe die beiden Marjellen getroffen, ausgeputzt und mit fremden Männern. Als sie mich sahen, haben sie den Kopf zur Seite gedreht. Ist das nicht etwa genug?«

Sie nimmt natürlich die Töchter in Schutz. »Wer kann seine Augen überall haben?« sagt sie.

Aber er bleibt dabei. Sogar umgekehrt hätten sie sich, ob er nicht endlich schon weg sei.

»Und wenn auch,« sagt sie. »Was kann ich dafür?«

Da läuft ihm die Galle über, und alles, was er in sich verborgen hat seit Jahren, kommt ans Tageslicht.

»Was du dafür kannst?« schreit er. »Du hast zwei Faulenzerinnen erzogen, zwei Rumtreibersche hast du erzogen, die kein Verlangen tragen nach Arbeit, die bloß Pyragge essen wollen und sich den Rücken wundschlafen bis Mittag – die es mit den Deutschen halten und ihren Vater achten, als wär' er ein Schnodder. Soviel kannst du dafür, wie die Stute kann, daß ein Fohlen aus ihrem Leibe kommt und nicht eine Ziege!«

Die Erdme denkt an das, was sie neulich heruntergeschluckt hat. Eine so zornige Rede darf sie nicht ohne Antwort lassen.

»Schon einmal hast du mit mir Hader gesucht,« sagt sie, »aber da kommst du gerad' an die Rechte.« Und dann wirft sie ihm vor, daß sie es war, die den ganzen Wohlstand geschaffen hat, daß er nichts anderes gewesen ist als ihr Knecht, der nach ihren Anordnungen gearbeitet hat fünfundzwanzig Jahre lang und den jeder andere Knecht ersetzen kann, wenn es ihr paßt, ihn zu mieten.

Die Augen schwellen ihm zu und glupen nach rechts und glupen nach links, als sucht er was und kann es nicht finden.

»Was du sagst, mag wohl so sein,« sagt er, »nur in einem könnt' er mich nicht ersetzen, nämlich dir jetzt eine gehörige Tracht Prügel zu geben.«[201]

Und da er nichts anderes sieht, reißt er den Pfahl aus der Erde, an dem die Petruschka angebunden ist, und schlägt damit die Erdme über den Rücken.

Sie schreit und fällt in die Knie und nimmt die flachen Hände als Stütze. Die Jette, die grienend zugehört hat, schreit auch und springt auf ihn zu, ihm den Arm hochzuhalten, denn der Pfahl ist zu dick, als daß menschliche Glieder unter ihm ganz bleiben könnten.

Darum wirft er ihn auch weg und holt aus dem Stalle die Peitsche. Die Petruschka läuft winselnd neben ihm her und leckt ihm bittend die Hände, aber er achtet ihrer nicht, schlingt die hanfene Schnur um den Stiel und läßt ihn im Bogen durch die Luft hinpfeifen.

So kommt er zurück; dorthin, wo die Erdme noch kniet.

Aber da steht mit einem Male der Nachbar Witkuhn vor ihm da – bleich und zusammengefallen wie immer – umpusten könnte man ihn –, aber in seiner rechten Hand hält er das Teschin, mit dem er sich sonst die Spatzen vom Kirschbaume schießt.

Ihm das Gewehr zu entreißen, wär' leicht, aber was dann? Wie kann man sein Weib noch bestrafen, wenn zweie dazwischenstehen?

Drum bleibt er ruhig und sagt: »Nachbar, hast du mal was von Hausfriedensbruch gehört und Bedrohung mit tödlichen Waffen?«

Der Nachbar Witkuhn antwortet nicht und stellt sich so vor die Erdme, daß er sie mit dem Leibe deckt.

»Ich fordere dich also auf, meinen Grund und Boden zu verlassen – zum ersten, zum zweiten und zum dritten Male.«

Der Nachbar Witkuhn rührt sich nicht. Sein rechter Zeigefinger liegt dicht vor dem Abzug.

»Gut,« sagt der Jons, »ich geh' jetzt zum Rechtsanwalt, der wird die Anzeige erstatten. Aber die Peitsche nehm' ich mit, und treff' ich unterwegs die beiden Marjellen, dann werden sie die Prügel kriegen, die ihrer Mutter noch zustehen.«

Die Erdme schluchzt hell auf und sinkt dann völlig zu[202] Boden. Er aber kehrt sich nicht daran und geht seiner Wege ...

Er ist bei keinem Rechtsanwalt gewesen, und die beiden Marjellen hat er auch nicht getroffen. Er hat mit der Petruschka auf einem Heuhaufen geschlafen, und wie er morgens um die Abfutterungszeit zu Hause angelangt ist, da hat er das Nest leer gefunden. – Keine Frau, keine Töchter, keine Magd.

Die sitzen alle drüben beim Nachbar. Man kann ihre Stimmen hören über den Weg hin.

Und das Sparkassenbuch ist auch weg.

Von allem, was gestern zu ihm gehörte, ist bloß der fremde Hund da, der aus traurigen Menschenaugen zu ihm aufblickt, als wolle er die Übeltat gutmachen, die man ihm angetan hat und die im Grunde genommen seine eigene Übeltat ist.

Quelle:
Hermann Sudermann: Romane und Novellen. Band 6, Stuttgart und Berlin 1923, S. 197-203.
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