Zweiter Auftritt.

[19] Albrecht. Agnes.


ALBRECHT. Setze dich, Agnes! sie sind fort, unsere Freunde; setze dich! sprich, Liebe! warum so betäubt? so niedergeschlagen? – was? Thränen?

AGNES sinkt auf ihn hin. Der, den ich liebte mehr als das Leben; den ich anbetete, der! – mein Gemahl? Bayerns Herzog! Albrecht! der Edle! der Liebenswürdige! dem das unschuldige Mädchen kaum zu widerstehen vermochte; den zu besitzen, nur Tugend wehren konnte; der, mein Gemahl? – Ihr seid es ja!

ALBRECHT. Könntest du zweifeln, Agnes! sind dir Ritterwort und Priestersegen nicht heilig, nicht Bürgen genug?

AGNES fällt zu seinen Knien. Mein Gemahl? – und ich sollte nicht weinen Thränen der Freude? namenloser Wonne?

ALBRECHT erhebt sie. Steh auf, meine Agnes! welche Stellung! ich war nie dein Herr, nun bin ich's geworden nur durch die Rechte der Liebe. – So wärest du denn auch so vollkommen glücklich als ich? hättest du dich auch so hingerissen gefühlt, wie mich so alles in mir an dich zog? sag, o sag's mir, teures Weib! war dir Albrecht alles das, was ihm Agnes ist? was dieser Engel ewig ihm sein wird? sag es wieder, von meinen Armen umschlungen sagtest du mir noch nie »ich liebe«.

AGNES. Mein Albrecht! – ich darf Euch ja so nennen, gnädiger Herr?

ALBRECHT. Du sollst es. Ist der Mensch mehr wert als sein Herz? und unsere Herzen, Agnes, sind die nicht gleich? oder schlägt deines matter als meines?

AGNES. Mein Albrecht! Gemahl! – o, ich kann – ich kann nicht reden – noch nicht! immer nur noch weinen, wimmern an Euerm Busen; Euch ansehen, hängen an Euerm sanften Blicke; küssen die edle, die liebe Hand: sie halten, fest halten, denn sie ist mein, mein!

ALBRECHT. Dein! weil ich sie dir gab; weil du sie verdientest; weil du sie nahmst.

AGNES. – Mein Leben steht stille. Ich fühle mit Übermaß mein Glück; kann nicht denken, wie's kam; nicht denken an Dauer; – da bin ich umarmt von Euch und nenne Euch mein.

ALBRECHT. Mein! – könnte ich die Silbe sagen vom römischen[20] Reiche, so nennte man mich Kaiser; aber Agnes mein! da bin ich glücklich, unaussprechlich – Du warst, du bist die Einzige! das Paar meines Herzens, Schwester meiner Seele; gestimmt zum Einklange mit mir; geschaffen zu meiner Liebe.

AGNES. Und doch so tief unter Euch geboren!

ALBRECHT. Und doch wieder so nahe gekommen! Eins jetzt! unzertrennlich!

AGNES. – Und Elisabeth von Württemberg?

ALBRECHT. Mein Vater wählte sie, nicht mein Herz. Ich sah sie nie; wie konnten wir uns lieben? – sie meine Braut, du meine Gemahlin; wie könnte sie mir bestimmt sein?

AGNES. Hätte sie Euch je gesehen, ich müßte nun weinen über sie. Euch sehen und Euch lieben, war ja nur ein Augenblick bei mir!

ALBRECHT. Doch sahest du so ernst, so feierlich, als zum erstenmal in Augsburg mein Engel dich mir zeigte und umgewandt mein Blick an deiner holden Schönheit bezaubert hing.

AGNES. Ah! konnt' ich's nur wähnen damals, was jetzt ist? – Gott weiß es, wie das Knie mir zitterte; wie das Herz in der geschränkten Brust sich empörte; wie das arme Mädchen nicht wußte, wie ihr geschah; wie sie erschrocken zusammenfuhr, wenn Euer glühendes Auge sie traf; und dann doch wieder schüchtern aufblickte und Albrechten in jeder Stellung gierig verfolgte; – dann heimging und weinte und sich härmte, und wenn alles von Albrecht, dem Herzoge, sprach und ihn lobpreiste, allein schwieg, alle Welt scheute; Albrechten immer vor sich sah, und wenn sie nur dachte an seinen Blick – immer neu ihn fühlte – und immer doch ihn dachte – und es doch wieder nicht wagte hinzugehen, wo sie ihn hätte wiedersehen, können.

ALBRECHT. O Liebe! – und wie ward's mir? erzogen im Prunke der Höfe; Mann geworden im Harnische; gewohnt, abwärts zu blicken; Befehle zu geben; Gehorsam zu fordern; Gefälligkeit zu erwarten; zuvorkommende Zudringlichkeit zu dulden; der Wollust nach Kämpfen und Siegen zu fronen, unbekannt mit der Liebe; so ganz ein Fürst, anmaßend das Übermenschliche und hinwirbelnd in Höhen, wo man sich und die Menschen nicht mehr siehet, und immer weiter will und muß, und nie hinkömmt, weil man das Wahre, das Wesentliche, das Beglückende vorübergangen hat; – und wie dein Anblick mich wieder herabstürzte zum Menschen,[21] und ich fühlte, ich sei es auch – nur Rauch und Nebel um mich her sah, und das heiße Blut wie vor meinen Ritterthaten in meinem Busen klopfte, und mein Innerstes rief zu dir, und Ahndung wahren Glückes und Liebe, wahre Liebe wollüstig durch alle Adern schlichen; – wie ward's mir da! – Wie sie staunten, die Fürsten und Ritter, als die lärmende Munterkeit einer kriegerischen Jugend verstummte; traurig sich niederschlug das Auge, gewohnt Heere zu übersehen und Könige zu messen; als alle Geschäfte stockten, und meine Busenfreunde mein Herz verschlossen fanden! – Percifal Zenger war's, der erriet mich, der ertappte mein Geheimnis; der, dem ich in Schlachten das Leben gerettet, der gab Albrechten Mut; der – du weißt ja noch, wie wir zusammen dich mit deinem Vater im Spaziergange trafen!

AGNES. Ob ich's noch weiß? o, der Tag war das Gestern des heutigen! ich glaubte, hinzusinken tot in meines Vaters Arme.

ALBRECHT. Und du sankst wirklich; aber bald erwachtest du.

AGNES. Ja! wie ein Toter zum Himmel. Da stand der Herzog vor mir in all seiner eigenen Glorie; und mein Vater entrüstet durch Eure Gegenwart und meine Schwachheit; und die arme Bürgerstochter vor Euch in der Demut ihres Standes, ringend mit Tugend, daß Ihr's nicht merken sollet, daß sie Euch liebe; ringend mit Vernunft, daß sie's nicht wage, einen Herzog zu lieben; und doch überschwänglich hingerissen, zitternd die Lippe und jede Nerve, stammelnd sinnlose Worte; betäubt durch Albrechtens Dasein, entzückt durch seine Güte, seine Herablassung; gefoltert – berauscht – wieder niedergeschlagen durch den Verdacht dunkel geahndeter, nicht zu hoffen gewagter Gegenliebe. Ich hörte Euch da wie eine Stimme im Traume. Die fürstlich edlen Worte donnerten mich in meines Vaters Bude zurück; der sanfte, wärmende Ton Albrechts war mir wieder Melodie der Engel. Schlug ich dann die Augen auf, Albrecht! – und dürft' Euch nicht an meine Brust drücken wie jetzt; – und liebte Euch wie jetzt; und war nur noch Mädchen; – und Ihr nur noch ein Herzog – fühlt Ihr das?

ALBRECHT. Ja, Agnes! und ich fühle auch die Niedrigkeit des Fürstenstandes in des alten Vaters ehrwürdigem Mißtrauen. O! ich hätte hinfallen mögen an seinen Hals und ihm sagen: meine Seele sei auch eine Bürgersseele wert – Was sagte er, als Percifal dich holte?

AGNES. Ach! ich darf's nicht wieder denken, nicht mir wiederholen,[22] die feierlichen Worte des heiligen Greises! – Er hielt mich lange umarmt; fest; stumm! endlich kam ein Thränenguß rollend über den Silberbart; er sprach: – noch hör' ich's! »daß Albrecht dich liebt, das weiß ich; daß er dich heirate, das glaub' ich; daß du ihn behaltest, das gebe Gott!« dann fiel er zurück in seinen Stuhl, und Percifal riß mich weg, und Ihr wißt, wie Ihr mich fandet eine Stunde außer Augsburg!

ALBRECHT. Kaum atmend! – War das Liebe? Agnes!

AGNES. Kindliche Liebe; Mädchentugend; Angst; Ahndung war's; die Liebe zu Euch erhielt mich nur.

ALBRECHT. Warum Angst? – welche Ahndung – Mißtrauen in Albrecht?

AGNES. In Elisabeth; in Herzog Ernst, Euern Vater – ich bebe, wenn ich's denke; es wird schwarz, finster, eiskalt um mich her.

ALBRECHT. Schwärmerin! – Ich bin Albrecht der Wittelsbacher und du Herzogin! was kann Elisabeth gegen Agnes? was mein Vater gegen Gott, der uns verband?

AGNES. Ihr liebet; – Euer Vater ist Herzog; ist Herr – Wenn er uns je trennte! – ah! besser nie geboren, Albrecht!

ALBRECHT steht auf. Schweig! nicht weiter. Nochmal, ich bin Albrecht der Wittelsbacher und scheide eher von Bayern als von dir! Ich bin eher Mensch als Fürst; und bin ich Fürst? bin ich Ritter? so wird mir Liebe die Waffen wieder geben.


Quelle:
Das Drama der klassischen Periode. Herausgegeben von Dr. Adolf Hauffen, Band 1, Stuttgart [o.J.], S. 19-23.
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