Sechszehnter Gesang.

[148] 1.

Rund ist der reiche Bau, in dessen Kreise,

Als Mittelpunkt, der schöne Garten liegt,

Der alle, die mit größtem Ruhm und Preise

Jemals geblüht, an Reizen weit besiegt.

Irrgänge sind, kunstreich verworrner Weise,

Durch Geisterhand rings um ihn her geschmiegt,

Und in des vielverschlungnen Pfades Mitte

Liegt er versteckt, unnahbar jedem Schritte.


2.

Durchs Hauptthor gehn die Ritter; denn sie sehen,

Es zählet hundert Pforten der Palast.

Die Thore von geformtem Silber drehen

In goldnen Angeln ihre reiche Last.

Die Ritter bleiben bei den Bildern stehen,

Denn hier besiegt den Stoff die Arbeit fast.

Zum Leben scheint nur Sprache zu gebrechen;

Traust du dem Blick, so wähnest du, sie sprechen.
[149]

3.

Hier plaudert Hercules, ein Spinngeselle

Mäon'scher Mägd', und hat des Rockens Acht.

Trug er die Stern' und zwang des Orkus Schwelle,

So spinnt er jetzt; und Amor sieht's und lacht.

Zum Hohn trägt Jole, an seiner Stelle,

Mit schwacher Hand das Mordgeräth der Schlacht.

Die Löwenhaut auf ihrem weichen Rücken

Scheint viel zu hart den zarten Leib zu drücken.


4.

Genüber ist ein Meer; die ganze Weite

Der blauen Felder schäumt von grauer Flut.

Zwei Flotten sieht man hier, geschaart zum Streite,

Bewehrt, und aus der Wehr blitzt helle Glut.

Gold flammt das Meer, und lodernd, scheint es, breite

Um ganz Leukates sich des Krieges Wut.

Rom führt August, Anton des Osts Barbaren,

Der Araber, Aegypter, Indier Schaaren.


5.

Als schwämmen die Cykladen auf den Wogen,

Als stürmten Felsen gegen Felsen los:

So kommt der Flotten Macht daher gezogen,

So furchtbar ist der Schiffe rauher Stoß.

Schon fliegen Pfeil' und Bränd' in weiten Bogen,

Und neuer Mord bedeckt des Meeres Schooß.

Sieh – und noch freut kein Sieger sich des Zieles –

Sieh! da entflieht die Königin des Niles.
[150]

6.

Da fliehet auch Anton – und kann entsagen

Der Hoffnung, die den Weltthron ihm verheißt?

Nicht flieht er, nein! der Tapfre kann nicht zagen;

Er folgt der Flücht'gen, die ihn mit sich reißt.

Du sähest ihn, wie wem mit tausend Plagen

Schaam, Lieb' und Zorn zugleich das Herz zerreißt,

Bald schauen nach der Schlacht, die noch begriffen

Im Schwanken ist, bald nach den flücht'gen Schiffen.


7.

Dann, von des Nils verborgner Schluft umfangen,

Erwartet er in ihrem Schooß den Tod,

Und findet dort im Lächeln holder Wangen

Den reichen Trost für alle seine Noth.

Mit solchen Bildern sahn die Ritter prangen

Das hohe Thor, das ihnen Eingang bot;

Und nun, sich wendend von der schönen Pforte,

Gehn sie hinein zu dem verdächt'gen Orte.


8.

Wie der Mäander mit verirrter Welle

Oft zwischen krummen Ufern zweifelnd weilt,

Ins Meer die Wasser sendet, die zur Quelle,

Und seinem eignen Lauf entgegen eilt:

So, und verworrner, sind auf jeder Stelle

Die Wege hier verwickelt und getheilt.

Doch jenes Buch, vom Magus dargeboten,

Zeigt Alles deutlich an und löst den Knoten.
[151]

9.

Und wie sie nun dem Labyrinth entwallen,

Wird gleich der schönste Garten offenbart:

Hier stille See'n, bewegliche Krystallen,

Dort Bäume, Blumen, Kräuter aller Art,

Besonnte Höh'n und schatt'ge Thaleshallen,

Und Grott' und Wald, von Einem Blick gewahrt,

Und, was die Schönheit mehrt so holden Werken:

Die Kunst, die Alles schafft, ist nie zu merken.


10.

Es scheint – so mischt sich Künstliches dem Wilden –

Als ob Natur den Garten angelegt,

Und sich bestrebt, der Kunst ihn nachzubilden,

Die immer sonst ihr nachzubilden pflegt.

Sogar die Luft, die ewig den Gefilden

Ihr Grün bewahrt, wird durch Magie erregt.

Stets sieht man Frücht' und Blüthen sich gesellen;

Die brechen auf, da jene reifend schwellen.


11.

Hier bricht die Feig' hervor, dort reift die Feige

Am selben Stamm, vom selben Laub umfaßt.

Der Apfelbaum trägt an demselben Zweige

Der grünen und der goldnen Früchte Last.

Daß sie der Sonne sich entgegen neige,

Rankt sich die Reb' empor mit üpp'ger Hast;

Hier blüht sie noch, dort schwillt der Traubenhülle

Gold und Rubin von edler Nektarfülle.
[152]

12.

Wollüst'ge Tön' ammuth'ger Vögel dringen

Wetteifernd aus der grünen Nacht empor;

Auch lockt die Luft mit ihren leichten Schwingen

Aus Laub und Wellen manchen Ton hervor.

Sie murmelt leiser, wann die Vögel singen;

Doch schweigen sie, dann rauscht der Lüfte Chor.

Sei's Zufall oder Kunst: bald folgt den Liedern

Der luft'ge Klang, scheint bald sie zu erwiedern.


13.

Ein Vogel zeigt sich hier, ihn schmückt vor allen

Des Schnabels Purpur, des Gefieders Pracht,

Und alle Töne, die der Kehl' entwallen,

Sind wie von Menschenzung' hervorgebracht.

Jetzt läßt er wiederum Gesang erschallen,

Daß seltne Kunst ihn schier zum Wunder macht.

Die andern schweigen all', um ihm zu lauschen,

Und selbst die Winde hören auf zu rauschen.


14.

O siehe, sang er, wie die holde Rose

Jungfräulich zart aus ihrer Knospe bricht,

Erst halb enthüllt und halb versteckt im Moose,

Und schöner nur, je scheuer vor dem Licht!

Jetzt öffnet sie die Brust, die hüllenlose,

Dem West – und welkt, und scheinet jene nicht,

Nicht jene mehr, vorhin mit Liebestönen

Ersehnt von tausend Bulen, tausend Schönen.
[153]

15.

So schwindet, ach! mit eines Tages Schwinden

Des Erdenlebens Blüth' und holdes Grün,

Und ob wir auch den Frühling wieder finden,

Nie wird uns jenes grünen mehr noch blühn.

Pflückt denn die Ros', und laßt uns Kränze winden

Am heitern Morgen, vor des Mittags Glühn.

Pflückt Amors Ros'; itzt liebt, da Gegenliebe

Noch lohnen mag des Herzens süßem Triebe!


16.

Der Vogel schweigt, und mit einstimm'gen Tönen,

Beifällig, schallt der Andern Vollgesang.

Die Tauben küssen sich mit heißerm Stöhnen,

Und jedes Thier fühlt neuer Liebe Drang.

Der keusche Lorbeer, selbst die Eiche fröhnen,

Das ganze Laubgeschlecht, dem süßen Zwang.

Es scheint, daß Erd' und Meer, von Lust durchdrungen,

Der Liebe weihn entzückte Huldigungen.


17.

Trotz solchem zarten Klang, trotz solcher Menge

Von Schmeichelei'n und holdem Liebeflehn,

Geht weiter dieses Paar, und sucht mit Strenge

Der Lockung süßer Lust zu widerstehn.

Und durch das Laub der dunkeln Schattengänge

Dringt jetzt der Blick, sieht, ober glaubt zu sehn,

Sieht wirklich dort der Liebenden Gekose;

Er ruht im Schooß der Holden, sie im Moose.
[154]

18.

Ihr Busen wird vom Schleier nicht umfangen,

Und Zephyr spielt im Haar, das ihn umschwebt.

Sie schmachtet sanft, und die entflammten Wangen

Bleicht holder Schweiß, der ihr Gesicht belebt.

Im feuchten Auge funkelt voll Verlangen

Ein Lächeln, wie der Strahl im Wasser bebt.

Sie beugt sich über ihn; er, hin sich gebend,

Ruht ihr im Schooß, den Blick zum Blick' erhebend.


19.

Und lechzend, selbst im Rausche der Genüsse,

Schmilzt er dahin in süßen Phantasie'n.

Sie neigt das Haupt, um wollustreiche Küsse

Vom Auge bald, den Lippen bald, zu ziehn.

Er seufzt in diesem Augenblick, als müsse

Die Seele jetzt aus seinem Busen fliehn

Und gleich aus ihm in sie hinüber wandern.

Verborgen lauschend stehn die beiden Andern.


20.

Ein wunderbar Geräth hängt ihr zur Seiten,

Ein glänzender Krystall, vollkommen klar.

Sie stehet auf und reicht ihm, dem Geweihten

In die Geheimnisse der Lieb', ihn dar.

Er glüht, sie lächelt, und zu gleichen Zeiten

Nimmt Jedes in Verschiednem Gleiches wahr:

Ihr Spiegel ist das Glas, und er, voll Wonne,

Bespiegelt sich in ihrer Augen Sonne.
[155]

21.

Sie ist zu herrschen stolz, und er zu dienen;

Sie ist es in sich selbst, und er in ihr.

O wende, spricht er, diese holden Mienen,

Die so besel'gen, Selige, zu mir!

Kein wahrer Abbild ist dir je erschienen

Von deinem Reiz, als diese Flammen hier.

Sein Bild, all' seine Wunder zeigt, getreuer

Als dein Krystall, dir meines Busens Feuer.


22.

O könntest du, verschmähst du mein Entzücken,

Nur selber schaun dein himmlisches Gesicht:

Wie würde dann – nichts kann dich sonst beglücken –

Dein Auge schwelgen in dem eignen Licht!

Kein Glas vermag solch Bildniß auszudrücken,

Ein Paradies faßt solch ein Spiegel nicht.

Der Himmel sei dein Spiegel; in den Sternen

Kannst du allein dein Abbild kennen lernen.


23.

Armida lächelt, ohne sich zu wenden,

Und bleibt, sich spiegelnd, ihrer Arbeit hold.

Sie flicht das Haar, sie ordnet mit den Händen

Was hie und da muthwillig sich entrollt.

In Ringlein dreht sie nun die kleinen Enden,

Und streuet Blumen drauf, wie Schmelz auf Gold,

Paart mit des Busens eigner Lilienfülle

Die fremde Ros', und ordnet dann die Hülle.
[156]

24.

So herrlich zeigt sich nie an stolzen Pfauen

Der augenvollen Federn reiche Pracht;

So Iris nicht, wann sie von Himmels-Auen

Im Gold- und Purpurthau hernieder lacht.

Am schönsten ist der Gürtel anzuschauen,

Den sie nicht von sich legt bei Tag und Nacht.

Hier gab sie Körper körperlosen Dingen,

Auch kann die Mischung Keinem sonst gelingen.


25.

Verliebten Trotz, mild ruhiges Versagen,

Holdsel'ge Lockung, heitern Friedensmuth,

Süß Lächeln, Schmeichelei'n, halblaute Klagen,

Und feuchte Küss' und holde Thränenfluth:

Dies mischte sie und lehrt' es sich vertragen,

Und gab ihm Härt' an milder Fackelglut.

Den Gürtel formte sie aus diesem allen,

Und ließ ihn leicht um ihre Hüfte wallen.


26.

Das Kosen endend, nimmt, nach ihrer Sitte,

Sie von ihm Abschied, küßt ihn und geht fort.

Sie selbst verbringt des langen Tages Mitte

Bei ihrem Zauberwerk, an anderm Ort.

Er bleibt im Garten, denn mit keinem Schritte

Den Umkreis zu verlassen, heischt ihr Wort,

Und sinnend irrt er zwischen Wild und Bäumen,

Wenn nicht mit ihr, einsam in Liebesträumen.
[157]

27.

Doch hat die Nacht sich freundlich eingefunden,

Und ruft zurück zu süßen Dieberei'n,

Dann feiern sie der Liebe sel'ge Stunden

Im Garten, unter Einem Dach allein.

Kaum nun verläßt Armida, streng gebunden

Durch ernstre Pflicht, den wonnevollen Hain:

Als aus dem Waldgebüsch die Ritter beide

Rinalden nahn in prächt'gem Kriegsgeschmeide.


28.

Dem Rosse gleich, das, von dem edlen Zwange

Siegreicher Waffen lange schon getrennt,

Auf Weiden irrt in schnödem Müßiggange

Und in der Glut verbulter Liebe brennt,

Doch nun, vom Stahlblitz, vom Trommetenklange

Geweckt, laut wiehernd ihm entgegen rennt,

Und schon die Kampfbahn wünscht, und schon, bestiegen

Von seinem Herrn, mit Kriegenden zu kriegen:


29.

So ward der Jüngling, als das stolze Prunken

Der Waffen plötzlich ihm ins Auge sprang.

Ihr Blitz entflammt' in ihm des Muthes Funken,

Des kriegerischen Geistes kühnen Drang;

Obwohl er längst, von süßer Wollust trunken,

Sich eingewiegt in weichen Müßiggang.

Jetzt naht Ubald und zeigt in vollem Lichte

Den Demantschild des Jünglings Angesichte.
[158]

30.

Kaum daß er auf den Schild die Blicke wendet,

Wird er in ihm sein ganzes Bild gewahr,

Sieht eiteln Putz an seinen Leib verschwendet,

Von Wollust duftend sein Gewand und Haar,

Und an der Seite, weibisch und verschändet

Durch üpp'ge Pracht, das Schwert, das Schwert sogar.

Es scheint, so ausgeschmückt, nur eitle Zierde,

Ein schlechtes Werkzeug kriegrischer Begierde.


31.

Gleichwie ein Mann, von schwerem Schlaf umnachtet,

Zu sich zurückkehrt aus verwirrtem Grau'n:

So itzt Rinald, da er sich selbst betrachtet;

Doch lange nicht erträgt er dieses Schau'n.

Das Auge sinkt, er zittert, er verachtet

Sein eignes Selbst; sein Blick starrt auf die Au'n.

Verbergen mögt' er sich in Flammenschlünden,

Im Meeresschooß und in der Erde Gründen.


32.

Und jetzt begann Ubald ihn zu ermahnen:

Zum Kriege zieht Europa's, Asiens Macht.

Wer Ruhm begehrt und treu blieb Christi Fahnen,

Durchkämpft in Syrien jetzt manch' heiße Schlacht.

Nur dich, o Sohn Bertholds! fern jenen Bahnen,

In engem Winkel, müßig, sonder Acht,

Dich rühret nicht das Welten-Ungewitter,

Dich, eines Weibes auserlesnen Ritter!
[159]

33.

Welch dumpfer Schlaf läßt deinen Muth erkranken?

Welch schnöder Wahn verlockt dein edles Blut?

Auf! auf! dich rufen Gottfried und die Franken,

Und Glück und Sieg erwarten deinen Muth.

Verhängnißvoller Held! komm, ohne Wanken

Vollende jetzt dein Werk. Die freche Brut,

Die du geschüttert längst, zu Boden werfe

Dein Schwert sie ganz mit unfehlbarer Schärfe!


34.

Er schweigt; der edle Jüngling steht beklommen,

Versteinert, sprachlos; doch nur kurze Zeit.

Als aber Zorn den Platz der Schaam genommen,

Zorn, der zum Kämpfer der Vernunft sich weiht;

Als, statt der Röth', ein neues Feu'r entglommen,

Das um sich greift mit größrer Heftigkeit:

Da reißt er ab den eiteln Schmuck, der weichen

Umhüllung Pracht, des Knechtthums niedre Zeichen,


35.

Und treibt zum Gehn, und eilt mit hast'ger Schnelle

Durch des verschlungnen Labyrinths Gebiet.

Armida, die indeß vor ihrer Schwelle

Den Wächter des Palasts erschlagen sieht,

Schöpft erst Verdacht, und bald, in klarer Helle,

Wird sie gewahr, daß der Geliebte flieht,

Und siehet ihn – o Anblick voller Grauen! –

Enteilen schon den wonnereichen Auen.
[160]

36.

Sie wollte schrei'n: Barbar, mich willst du meiden?

Doch jeden Laut verschließt der herbe Gram,

Und jedes Wort, zur Mehrung ihrer Leiden,

Fällt auf das Herz zurück, aus dem es kam.

Sie sieht – o Schmerz! – den Vielgeliebten scheiden,

Den höh're Macht aus ihren Armen nahm.

Sie sieht es ein, und doch, um ihn zu halten,

Versucht sie noch, umsonst, des Zaubers Walten.


37.

Was je Unheil'ges dem befleckten Munde

Thessal'scher Druden mit Gesumm entquoll;

Was die Gestirne hemmt am Himmelsrunde

Und Schatten ruft aus Gräbern, schauervoll:

Wohl wußte sie's; doch nicht all' ihre Kunde

Wirkt, daß nur Antwort aus der Höll' erscholl.

Sie läßt die Zauberei'n, um zu erspähen,

Ob zauberischer sei der Schönheit Flehen.


38.

Sie eilt ihm nach, sorglos um Ehr' und Schande;

Ach! wo ist jetzt der Siege Ruhm und Lohn?

Hin wälzte sie und her die weiten Lande

Der Liebe sonst mit Einem Winke schon,

Und ihr, sich gleich an Stolz und Unbestande,

War Liebe lieb, der Liebende zum Hohn.

Sie selbst gefiel sich nur, sonst mogt' an Allen

Nur ihrer Augen Wirkung ihr gefallen.
[161]

39.

Und nun, versäumt, verspottet, aufgegeben,

Folgt sie dem Flüchtling, dem Verräther nach

Und sucht durch Thränen ihren Reiz zu heben,

Verschmähte Gabe, für sich selbst zu schwach.

Sie eilt hinab; die zarten Füße beben

Nicht vor dem Eis, des Felsen Ungemach.

Geschrei fliegt vor ihr her als Bot' und Rufer;

Doch Ihn erreicht sie nicht, eh' Er das Ufer.


40.

O, ruft sie, du, der mit bethörtem Wähnen

Nimmt und zurückläßt einen Theil von mir,

Nimm diesen auch; wo nicht, so laß mir jenen,

Ach! oder tödte beide! Bleibe hier,

Nimm meine letzten Worte, meine Thränen,

Nicht Küsse; die geb' eine Bessre dir.

Was fürchtest du, Treuloser, zu verziehen?

Du kannst verweigern, denn du konntest fliehen.


41.

Da spricht Ubald zu ihm: Nicht widerstehen

Der letzten Bitte darf dein Edelmuth.

Sie kommt, mit Reiz bewaffnet und mit Flehen,

Das sie versüßt durch herbe Thränenflut.

Wenn du Sirenen hören kannst und sehen,

Und doch besiegst – wer gleichet dir an Muth?

So wird Vernunft zur Herrscherin der Sinne,

Und läutert sich in ruhigem Gewinne.
[162]

42.

Da blieb der Ritter stehn, bis sie mit Keichen

Und überströmt von Thränen zu ihm kam.

Nie war ein Schmerz dem ihren zu vergleichen,

Und doch besiegt ihr Reiz noch ihren Gram.

Sie schaut ihn an und läßt den Blick nicht weichen,

Und schweigt aus Zorn, Nachdenken oder Schaam.

Er schaut nicht auf, und sollt' er's dennoch wagen,

Ist's ein verstohlner Blick voll Scheu und Zagen.


43.

Dem Sänger gleich, der mit geübter Kehle,

Eh' er erhebt der Stimme vollen Klang,

Durch Läufe, sanften Tons, des Hörers Seele

Zu stimmen sucht für seinen Kunstgesang:

Sucht Diese, die, ob bittrer Schmerz sie quäle,

Nicht ganz vergißt den künstlich schlauen Gang,

Durch leise Seufzer, die der Brust entschwimmen,

Für ihre Worte das Gemüth zu stimmen.


44.

Dann fing sie an: Ich will dich nicht beschweren

Mit Klagen, wie der Liebende sie klagt.

Wir waren es; willst du's zu sein dir wehren,

Ja, wenn der Lieb' Erinnrung schon dich plagt:

So hör' als Feind; auch Diese ja gewähren

Bisweilen was ein Feind zu bitten wagt.

Was ich verlange kannst du mir erlauben,

Ohn' irgend etwas deinem Haß zu rauben.
[163]

45.

Trifft mich dein Haß und macht er dir Vergnügen:

Genieße sein, er sei dir nicht geraubt.

Du nennst ihn recht: es sei! Ich will nicht lügen,

Ich haßt' euch auch, und selbst dein theures Haupt.

Als Heidin wuchs ich auf, und List und Trügen

Schien, zum Verderb der Christen, mir erlaubt.

Dir folgt' ich, fing dich, führte dich in Banden,

Vom Heere fern, nach weit entlegnen Landen.


46.

Und füg' hinzu – du wirst noch mehr mich hassen,

Denn schimpflicher und schlimmer scheint dies noch –

Durch Liebeslockung sucht' ich dich zu fassen,

Und arger Trug und Frevel ist es doch,

Die jungfräuliche Blüthe pflücken lassen,

Die Schönheit beugen unter fremdes Joch;

Sie als Belohnung Tausenden versagen,

Um als Geschenk sie Einem anzutragen!


47.

Sei dieses auch in meiner Sünden Menge!

Weg treibe dich von dieses Eilands Bord

So große Schuld; veracht' in deiner Strenge

Den einst so theuern, so geliebten Ort.

Geh hin, schiff' übers Meer; greif' an, bedränge,

Stürz' unsern Dienst! Ich treibe selbst dich fort.

Was sag' ich unsern? Nicht mehr mein! ich wähle

Nur dich allein zum Abgott meiner Seele.
[164]

48.

Dies nur sei mir vergönnt: mit dir zu gehen!

Die Bitt' ist selbst bei Feinden klein genug.

Nicht wird der Räuber seinen Raub verschmähen,

Und dem Triumph folgt der Gefangnen Zug.

Mich soll das Heer bei deiner Beute sehen;

Noch dies erhebe deines Ruhmes Flug,

Daß du, die dich verachtete, verachtet;

Sei als verschmähte Sklavin ich betrachtet!


49.

Verschmähte Sklavin! Ha, für wen bewahren,

Die du verachtest, dieser Locken Pracht?

Geraubt sei ihre Länge diesen Haaren!

Als Sklavin, will ich auch der Sklavin Tracht.

Ich folge dir bis in der Feinde Schaaren,

Bis in das heißeste Gewühl der Schlacht.

Wohl hab' ich Muth und Kraft, um ohne Zagen

Dein Roß zu führen, deinen Speer zu tragen.


50.

Schildträger, Schild – wozu du mich erkoren,

Ich bin es gern; für dich wird Alles leicht.

Mir muß das Schwert den Busen erst durchbohren,

Den nackten Hals, bevor es dich erreicht.

So grausam wohl ist kein Barbar geboren,

Der, mich zu schonen, nicht von dir auch weicht

Und selbst der Rache schreckliches Vergnügen

Den Reizen opfert, die nicht dir genügen.
[165]

51.

Weh mir! Noch bin ich stolz? noch will ich prangen

Mit diesem Reiz, dem alle Macht gebricht?

Sie führe fort; doch Flut entströmt den Wangen,

Der Quelle gleich, die aus dem Felsen bricht.

Nun will sie nach der Hand, dem Mantel langen,

Mit fleh'nden Blicken; doch er leidet's nicht.

Er kämpft und siegt, und läßt der Liebe Sehnen

Nicht in sich ein, und nicht hinaus die Thränen.


52.

In seinem Busen, durch Vernunft erkaltet,

Facht Liebe nicht die alten Flammen an.

Das Mitleid nur, zwar züchtiger gestaltet,

Doch ihr Gefährte, schmiegt sich sanft hinan,

Indem es so im weichen Herzen waltet,

Daß er die Thränen kaum verbergen kann.

Doch hält er in sich diese zarte Regung,

Und zähmt, so gut er weiß, Blick und Bewegung.


53.

Armida, spricht er dann, mich quält dein Kränken.

O könnt' ich, wie ich's wünschte, dich befrei'n

Von so unsel'ger Glut, und Ruhe senken

In deine Brust! Nicht Haß noch Zorn ist mein,

Noch will ich Rache, noch der Schuld gedenken,

Noch sollst du Sklavin mir, noch Feindin sein.

Du hast gefehlt, wahr ist es; übertrieben

Hast du die Weis' im Hassen wie im Lieben.
[166]

54.

Doch menschlich sind und häufig diese Fehle:

Dich schützen Glaube, Jugend und Geschlecht.

Ich fehlte selbst; wenn ich auf Nachsicht zähle,

Hab' ich zur Strenge gegen dich kein Recht.

Werth bleibe dein Gedächtniß meiner Seele,

Durch keine Freud' und keinen Schmerz geschwächt.

Ich will dein Ritter sein, wenn mir's erlauben

Der heil'ge Krieg, die Ehre sammt dem Glauben.


55.

Mög' unser Irrthum nun auch dir mißfallen

Und hier das Ende sein der schnöden Lust!

Ihr Grab sei dieser öde Strand; verhallen

Soll ihr Gedächtniß selbst aus unsrer Brust.

Bleib' in Europa, in den Ländern allen,

Von meinen Werken dies nur ungewußt.

Nicht sei entehrt durch dieses Schimpfes Bürde

Dein Königsblut, dein Reiz und deine Würde!


56.

In Frieden bleib'; ich gehe; mich begleiten –

So will es, der mich führet – darfst du nicht.

Bleib', oder mag ein andrer Weg dich leiten,

Und stille dein Gemüth nach ernster Pflicht.

Sie blickt, indem er's sagt, nach allen Seiten,

Unruhig, wild, mit finsterm Angesicht.

Schon lange Zeit, verächtlich, übermüthig,

Schaut sie ihn an; nun bricht sie aus, wie wütig:
[167]

57.

O nimmer hat in zärtlicher Erwarmung

Aus Azzo's Blut Sophia dich gezeugt;

Nein, nur des Meers und Kaukasus Umarmung!

Dich hat Hyrkaniens Tigerin gesäugt.

Was hehl' ich noch? Hat menschlicher Erbarmung

Das Ungeheu'r den wilden Sinn gebeugt?

Entfärbt' er sich? Entlockten meine Schmerzen

Dem Auge Thränen, Seufzer nur dem Herzen?


58.

Was soll ich übergehn, und was erwiedern?

Er weiht sich mir, die er verläßt, verhöhnt.

Ein edler Held, verzeihet er dem niedern

Besiegten Feind', und wünscht ihn sich versöhnt.

Hört, wie er räth! Hört, wie der Mund des biedern

Xenokrates von Liebesweisheit tönt!

O Himmel! Götter! Frevlern gebt ihr Schonung,

Und stürzet Thürm' und eure Tempelwohnung?


59.

Geh nur, Grausamer, geh mit diesem Frieden,

Den du mir schenkest; geh, verhaßte Brut!

Bald folg' ich nach, nie mehr von dir geschieden,

Ein nackter Schatten, ein Gespenst der Wut,

Mit Brand und Schlangen, gleich den Eumeniden;

Der Liebe gleich sei meiner Rache Glut!

Und solltest du – will's das Geschick – entgangen

Dem Meer, den Klippen, bis zur Schlacht gelangen:
[168]

60.

Dann, Bösewicht, im Blut und unter Leichen

Daliegend, zahlst du meiner Qualen Lohn!

Dann rufst du mit dem letzten, schweren Keichen

Armidens Namen – o ich hör' es schon!

Sie endet nicht, denn ihre Sinne weichen,

Und unvernommen bleibt der letzte Ton.

Sie sinkt dahin und überströmt die Glieder

Mit kaltem Schweiß, und schließt die Augenlieder.


61.

Dein Auge sinkt, Armida; dir beneidet

Den letzten Trost das geizige Geschick.

Elende, schau' empor! Warum nicht weidet

An deines Feindes Thränen sich der Blick?

Ach, hörtest du die Seufzer, da er scheidet,

Wie mildern würd' ihr Ton dein Mißgeschick!

Er giebt, was er vermag – du siehst's nicht, Arme! –

Er sagt dir Lebewohl mit bitterm Harme.


62.

Was soll er thun? auf diesem nackten Hügel

Verlassen sie, halb lebend, halb erstarrt?

Ihn fesselt Großmuth, Mitleid hemmt die Zügel;

Nothwendigkeit entreißt ihn, kalt und hart.

Er geht, und Zephyr spielt mit leichtem Flügel

Im Haar der Jungfrau, die Geleit ihm ward.

Rasch fliegt das goldne Segel durch die Wogen;

Er sucht das Land, und schon ist's ihm entzogen.
[169]

63.

Als Jene sich erholt und sieht am Strande,

So weit sie schauet, Alles stumm und todt,

Da ruft sie: Floh er doch? und war im Stande,

Mich zu verlassen, hier, in Todesnoth?

Nichts hielt ihn auf? War's möglich, daß am Rande

Des Grabes selbst er mir nicht Hülfe bot?

Und lieb' ich noch? Am Ufer hier, unschlüssig

Und ungerächt, wein' ich und sitze müßig?


64.

Wozu noch Thränen? hab' ich keine Waffen,

Als diese mehr? Auf, nach ihm! nicht geruht!

Der Himmel soll ihm keine Freistatt schaffen,

Der Abgrund nicht ihn bergen meiner Wut.

Ich hab', ich halt' ihn! Aus dem Busen raffen

Will ich sein Herz, Beispiel der Frevlerbrut.

Der Bosheit Meister, ihn will ich beschämen

In seiner Kunst – doch eitles Unternehmen!


65.

Weh dir, Armida! Als du ihn gefangen,

Da sollte deine Macht – er war es werth –

Dem Wütrich wüten. Jetzt, da er entgangen,

Sind Haß und Zorn zu spät zurückgekehrt.

Und dennoch sei nicht fruchtlos mein Verlangen,

Wenn Schönheit, List noch ein'ge Kraft bewährt.

O mein verschmähter Reiz, dein ist die Sache;

Du bist beleidigt, gieb denn du mir Rache!
[170]

66.

Wohlan! sei diese Schönheit dem zum Lohne,

Der sein verfluchtes Haupt vom Rumpfe schlug.

Ihr tapfern Bulen, auf zum Rächerfrohne!

Schwer ist das Werk, doch ehrenvoll genug.

Ich, reich an Schätzen, Erbin einer Krone,

Bin Lohn für einer Rachethat Vollzug.

Wenn ich für diesen Preis den Werth nicht habe,

Dann, Schönheit, bist du mir unnütze Gabe!


67.

Unsel'ge Gab', auf ewig sei verloren!

Die königliche Würd' ist mir verhaßt,

Das Leben selbst. O wär' ich nie geboren!

Nur Rach' erleichtert mir des Daseins Last.

So hat sie mit ersticktem Laut geschworen

Und findet nicht am öden Ufer Rast;

Wohl zeugt von ihrer Wut der Wangen Glühen,

Der Locken Wildheit und der Augen Sprühen.


68.

Sie eilt ins Schloß und ruft mit grausem Munde

Dreihundert Götter zu sich vom Avern.

Mit Wolken füllt der Himmel sich zur Stunde,

Und es erblaßt der ew'ge, große Stern;

Sturm schüttelt das Gebirg in seinem Grunde,

Und unten braust die Hölle tief und fern.

Den weiten Umfang des Palasts erfüllen

Geheul und Zischen und Gebell und Brüllen.
[171]

69.

Ein Dunkel, finstrer als der Nächte Grauen,

Hüllt undurchdringlich ihn in Schatten ein;

Auf Augenblicke nur erhellt die Auen

Furchtbarer Blitze dunkelrother Schein.

Nun weicht die Nacht, die Sonne läßt sich schauen

Mit bleichem Strahl, doch ist die Luft nicht rein,

Und vom Palast ist keine Spur vorhanden,

Noch sagen läßt sich: hier ist er gestanden!


70.

Wie in der Luft ein Bau gewalt'ger Massen,

Durch Wolkenflug geformt, doch flüchtig nur,

Wenn ihn die Sonne schmelzt, ihn Stürme fassen,

Vergeht, wie Krankentraum, ohn' alle Spur:

So schwand das Schloß; nichts wird zurückgelassen,

Als Felsgeklüft und Grauen der Natur.

Armida steigt in den bereiten Wagen,

Und wird, nach ihrer Weis', empor getragen.


71.

Auf Wolken fährt sie hin, die Lüfte theilend,

Und Wettergraus und Sturm sind ihr Gewand.

Sie schaut, den Kreis des andern Pols durcheilend,

Gestad' und Völker, uns noch unbekannt;

Läßt Herculs Gränzen hinter sich, nicht weilend

Am Strand Hesperiens, noch am Mohrenstrand,

Und lenkt den Lauf nicht eher von den Wogen,

Als bis sie Syriens Sandgestad' erflogen.
[172]

72.

Sie eilt nicht nach Damask, will nicht mehr schauen

Das Vaterland, das einst ihr Alles galt,

Und lenkt den Flug nach jenen öden Gauen,

Wo rings Gewässer ihre Burg umwallt.

Hier meidet sie die Diener und die Frauen,

Wählt mit Bedacht einsamen Aufenthalt

Und giebt sich hin des Zweifels wilden Kämpfen;

Doch bald gelingt dem Zorn, die Schaam zu dämpfen.


73.

Fort, spricht sie, fort, eh mit des Osts Vasallen

Aegyptens König sich ins Feld bewegt!

Umformung jeder Art soll mir gefallen,

Erneuung jeder Kunst, die ich gepflegt.

Her, Pfeil und Schwert! Gedient den Mächt'gen allen,

Daß um die Wett' ihr Eifer werd' erregt!

Und kann ich Rache nur zum Theil erjagen,

So will ich nicht nach Zucht und Ehre fragen.


74.

Nicht tadle mich mein Oheim und mein Hüter;

Er wollt' es so, er klage selbst sich an.

Zu schlechtem Thun für weibliche Gemüther

Führt' er zuerst den stolzen Geist hinan.

Er raubte mir das köstlichste der Güter,

Die edle Scheu, und störte meine Bahn.

Ihm fällt zur Last die Schuld unwürd'ger Dinge,

Die ich vollbracht aus Lieb', aus Zorn vollbringe.
[173]

75.

So redet sie, und sammelt ohne Weilen

Frau'n, Ritter, Knappen, ihre ganze Macht,

Und wendet Kunst und Schatz in allen Theilen

Aus Kleider und Geräth von seltner Pracht.

Dann zieht sie fort und läßt nicht ab zu eilen,

Hält keine Rast bei Tage noch bei Nacht,

Bis sie erscheint, wo ihre Freunde standen

Gescharrt auf Gaza's sonnenreichen Stranden.

Quelle:
Torquato Tasso: Das Befreite Jerusalem. Teil 2, Berlin 1855, S. 148-174.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das befreite Jerusalem
Befreites Jerusalem (1-2)
Torquato Tasso's Befreites Jerusalem, Volumes 1-2 (German Edition)
Befreites Jerusalem

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Blumen und andere Erzählungen

Blumen und andere Erzählungen

Vier Erzählungen aus den frühen 1890er Jahren. - Blumen - Die kleine Komödie - Komödiantinnen - Der Witwer

60 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon