|
[174] 1.
Gaza, ein Ort an Palästina's Schwelle,
Liegt auf dem Weg, der nach Pelusium bringt,
Am Strand der See, und siehet seine Wälle
Von weiten Wüstenei'n voll Sand umringt,
Den, wie der Süd das Meer, die Wirbelschnelle
Des Windes aufrührt; und nur schwer gelingt
Dem Wandrer, sich zu schirmen und zu decken
Im Sturmgewühl der wandelbaren Strecken.
2.
Aegyptens König riß vor langen Zeiten
Den festen Gränzort aus der Türken Hand,
Und weil er hier bequemer konnte leiten
Das große Werk, das ihm vor Augen stand,
Legt' er aus Memphis Pracht und Herrlichkeiten
Hieher den Sitz, und hatt' an diesen Strand
Aus seinem großen Reich versammeln lassen
Des ungeheuern Heers gedrängte Massen.
[175]
3.
Nun, Muse, wollest du mir offenbaren
Der Dinge Zustand und Beschaffenheit,
Die unterworfnen, die verbundnen Schaaren,
Des großen Kaisers Macht und Kriegsgeleit,
Als er des fernsten Orients Barbaren,
Des Südens Kraft und Fürsten rief zum Streit.
Nur du vermagst, die Schaaren und die Helden,
Die halbe Welt in Waffen, mir zu melden.
4.
Als einst Aegypten aufstand, und, vom Frohne
Der Griechen frei, zum Islam überschritt,
Ergriff ein Held aus Mahoms Blut die Krone,
Und herrscht' im Reiche, das sein Arm erstritt.
Chalif ward er genannt, und sammt dem Throne
Erbt, wer ihm folgt, auch seinen Namen mit.
So hat der Nil die langen Reih'n gesehen
Der Pharaonen einst und Ptolemäen.
5.
Im weitern Lauf der Zeit verstärkten Jene
Gewaltiger dies Reich und herrschten dort
Durch Afrika und Asien, von Cyrene
Und von Marmarica bis Syrien fort.
Auch einwärts dehnt es sich, noch über Syene,
Entlang des Niles weitgestreckten Bord,
Und gränzet hier an unbewohnte, wilde
Sandwüstenei'n, dort an des Phrat Gefilde.
[176]
6.
Rechts sind und links ein Theil des Reichsverbandes
Das reiche Meer, das duft'ge Küstenfeld
Und, jenseits noch des Erythräerstrandes,
Die Länder, die zuerst die Sonn' erhellt.
Groß ist, durch sich, die Kraft des weiten Landes,
Noch mehr durch den, der jetzt das Scepter hält,
Herr durch Geburt, mehr durch Verdienst erhoben,
Als König und als Krieger gleich zu loben.
7.
Mit Türken, Persern hatt' er sich geschlagen
In manchem Krieg, griff an, hielt ab den Stoß,
Siegt' und verlor, und zeigt' in Niederlagen
Sich größer stets, als in des Glückes Schooß.
Zu alt nunmehr, der Waffen Last zu tragen,
Band er das Schwert von seiner Seite los;
Doch ließ er nicht den Heldengeist entweichen,
Noch die gewalt'ge Gier nach Ruhm und Reichen.
8.
Er kriegt durch Feldherr'n, und noch ist sein Leben
Mit solcher Kraft an Geist und Wort geschmückt,
Daß, trotz dem Alter, nicht unmäßig eben
Die Last der Herrschaft seine Schultern drückt.
Die kleinen Fürsten Afrika's erbeben,
Wenn man ihn nennt; der Inder steht gebückt.
Die Einen geben ihm, in freiem Solde,
Bewaffnet Volk, die Andern Zins an Golde.
[177]
9.
Ein solcher Fürst vereint hier die Vasallen,
Vielmehr die schon vereinten treibt er an,
Das neue Frankenreich zu überfallen,
Das wohl, im Siegsglück, ihn gefährden kann.
Armida nun erscheint zuletzt von Allen,
Da eben schon die Musterung begann.
Ein weites Feld, nicht fern von Gaza's Thoren,
Hat der Monarch zur Heeresschau erkoren.
10.
Ein Thron von hundert Stufen dient zum Sitze
Dem hohen Greis, der über Alle wacht.
Ein Silberhimmel wehrt der Sonnenhitze,
Sein Fuß betritt des Purpurteppichs Pracht,
Und herrlich schimmert vom Juwelenblitze,
Fremdartig reich, die hehre Königstracht.
Verschlungne Linnen, blendendweiß, umfangen
Sein stolzes Haupt mit Diademes-Prangen.
11.
Das goldne Scepter füllet ihm die Rechte,
Ehrwürd'gen Ernst giebt ihm der greise Bart.
Aus seinen Augen, so die Zeit nicht schwächte,
Blitzt Kühnheit noch und Kraft, nach Jünglingsart,
Und in Geberd' und Anstand wird die ächte
Hoheit der Jahr' und Herrschermacht bewahrt.
So zeigt' Apell, so Phidias dem Volke
Den Zeus, doch Zeus den Donnrer aus der Wolke.
[178]
12.
Es stehen ihm zur Rechten und zur Linken
Zwei Kronsatrapen. In des Ersten Hand
Sieht man das Schwert, der Strenge Werkzeug, blinken;
Das Siegel zeigt des Andern Amt und Stand.
Er führt im Innern, nach des Königs Winken,
Die Staatsgeschäfft', und sorgt für Kron' und Land;
Allein mit voller Macht, als Fürst der Heere,
Vollzieht der Erste des Gesetzes Schwere.
13.
Rings um des Thrones Fuß, in dichtem Kranze,
Stehn die Circasser, treu im Dienst bewährt;
Ein jeder trägt den Harnisch und die Lanze,
Und an der Seit' ein langes krummes Schwert.
So thront der Fürst und überschaut das ganze
Vereinte Volk, das ihn als Herrn verehrt,
Und wann ein Trupp vorbeizieht auf dem Plane,
Neigt jeder, wie anbetend, Wehr und Fahne.
14.
Aegyptens Volk erscheint am Thronesrande
Als erste Schaar; von Vieren wird's gelenkt.
Zwei sind vom obern, zwei vom untern Lande,
Das erst der Nil erschaffen und geschenkt.
Sein fetter Schlamm vertrieb das Meer vom Strande,
Gut zu bebau'n, sobald er sich gesenkt.
So wuchs das Land; wie tief im Innern liegen
Die Ufer jetzt, wo Schiffer ausgestiegen!
[179]
15.
Es ziehn voran, die aus der reichen Weite
Um Alexanders Stadt gebürtig sind,
Und jene vom Gestad der Abendseite,
Dort, wo der Strand von Afrika beginnt.
Sie führt Arasp, ein Kriegsmann, der im Streite
Durch Schlauheit mehr als Tapferkeit gewinnt.
Er scheint zur Kunst des Hinterhalts geboren
Und hat den Preis in jeder List der Mohren.
16.
Nun folgt die Schaar, die gegen Ost, am Meere
Von Asien wohnt, den Küstenstreif entlang.
Es lenket sie Aronteus, dessen Ehre
Nicht Kraft und Muth, nur Titel ist und Rang.
Noch nie entpreßt' ihm Schweiß des Helmes Schwere,
Nie weckt' ihn noch der Frühtrommete Klang;
Aus weicher Ruh' ins rauhe Kriegerleben
Verlockt' ihn nur unzeit'ger Ehrsucht Streben.
17.
Kein einzelnes Geschwader scheint das dritte;
Ein zahllos Heer, erfüllt es Flur und Strand.
Nährt so viel Volk sich in Aegyptens Mitte?
Und dennoch wird's von Einer Stadt gesandt.
Doch mit Provinzen geht sie gleich im Schritte,
Denn tausend Zünfte sind ihr zugewandt.
Kairo schickt die Menge dieser Streiter,
Abhold dem Krieg', und Kampson ist ihr Leiter.
[180]
18.
Dann, unter Gazel, kommen die gezogen,
Die auf den reichen Nachbarfluren mähn
Und weiter noch hinauf, bis wo die Wogen
Des mächt'gen Stroms den zweiten Sturz bestehn.
Aegyptens Volk führt nichts als Schwert und Bogen,
In Helm und Panzer müßt' es schier vergehn.
Reich ist der Krieger Tracht, und sie erwecken
Wohl Beutelust deßhalb, nicht Todesschrecken.
19.
Alarcon führt sodann aus Barca's Lande
Ein schlechtes Volk, fast nackt und unbewehrt,
Das nur mit Raub, im weiten, wüsten Sande,
Seit langer Zeit ein hungrig Leben nährt.
Zumara's König bringt in besserm Stande
Sein Volk, nur nicht in fester Schlacht bewährt.
Dann der von Tripolis; der Erst' und Zweite
Sind sehr geschickt und schlau im flücht'gen Streite.
20.
Nun kommt die Heerschaar, die Arabiens Gauen,
Des fels'gen wie des glücklichen, bewohnt;
Des glücklichen, das – ist dem Ruf zu trauen, –
Unmäß'ge Glut und Kälte stets verschont;
Wo Duftwerk und Gewürz entsprießt den Auen,
Wo, stets verjüngt, der ew'ge Phönix thront,
Der bei des Tods und Lebens Wechselsiege
Aus Blumen baut sein Grab und seine Wiege.
[181]
21.
Nicht so geschmückt sind dieser Völker Trachten,
Die Waffen gleichen den ägypt'schen dort.
Die Araber, die dann sich nahn, verachten
Den festen Heerd, den sichern Wohnungsort.
Ein Wanderleben ist ihr einzig Trachten,
Und Haus und Städte nehmen sie mit fort.
An Stimm' und Größe sind sie gleich dem Weibe,
Von Haaren schwarz, schwarz von Gesicht und Leibe.
22.
Sie führen langes Inderrohr, beschlagen
Mit kurzer Eisenspitz'; ihr schnelles Pferd
Scheint gleich dem Sturmwind sie dahin zu tragen,
Wenn je so rasch der schnellste Sturmwind fährt.
Den ersten Trupp führt Syphax an zum Schlagen,
Vom zweiten wird Aldins Gebot verehrt;
Dann zieht Albiazar als Arabiens dritter
Heerführer auf, Raubmörder und kein Ritter.
23.
Sodann erscheint das Volk der Insellande,
Das, rings umschlossen von Arabiens Meer,
Zu fischen pflegt an seinem reichen Strande
Kostbare Muscheln, edler Perlen schwer.
Mit diesem kommt, vom abendlichen Rande
Des rothen Meers, das Negervolk daher.
Die führet Agricalt, Osmid die Mohren –
Ein Mann, der Recht und Glauben abgeschworen.
[182]
24.
Nun kommt der Aethiopen Schaar gegangen,
Aus Meroe, hier vom Astrabor umspannt
Und dort vom Nil; drei Reiche zu umfangen,
Verschiednen Glaubens, gnügt ihr Inselland.
Sie folgt zwei Kön'gen, die an Mahom hangen,
Der Assimir, und der Canar genannt,
Zinsleute des Chalifen; doch der dritte
Verblieb, als Christ, in seines Reiches Mitte.
25.
Dann folgen noch zwei fürstliche Vasallen;
Mit Bogen kämpfet ihrer Schaaren Muth.
Der eine lenket Ormus, reich vor Allen,
Ein Eiland, das im Golf von Persien ruht;
Der andre Boëcan. Dies Land umwallen
Die Wogen auch, doch nur bei hoher Flut;
Senkt sich hernach das Meer bei Ebbezeiten,
So kann's der Wandrer unbenetzt beschreiten.
26.
Auch du nicht bliebst in theurer Gattin Armen,
Im keuschen Bett zurück, o Altamor!
Das Haar, die Brust zerriß sie ohn' Erbarmen,
Als sie, zu bleiben, weinend dich beschwor:
Grausamer, sprach sie, ziehest du mir Armen
Des wilden Meers graunvollen Anblick vor?
Und lieber trägt dein Arm die Waffenerze,
Als unser Kind, bedacht auf holde Scherze?
[183]
27.
In Samarcand herrscht Dieser ohne Schranken,
Doch freie Kron' ist sein geringster Werth;
Furchtbare Heldenkraft, Muth sonder Wanken
Und Waffenkunst sind, was ihn höher ehrt.
Erfahren wird's, ich sag's, das Volk der Franken,
Und scheute wohl mit Recht sein mächtig Schwert.
Den Panzer trägt sein Kriegervolk im Streite,
Die Keul' am Sattel und den Stahl zur Seite.
28.
Vom fernen Indien kommt, der Feinde Schrecken,
Aus dem Gebiet Aurorens kommt Adrast.
Ein grüner Schlangenbalg mit schwarzen Flecken
Hält, statt des Panzers, seinen Leib umfaßt.
Ein Elephant trägt den gewalt'gen Recken,
So wie ein Roß gemeiner Reiter Last.
Diesseits des Ganges wohnt sein Volk, und badet
Im Meere, wo der Indus sich entladet.
29.
Doch jetzt erscheint die wahre Blüth' und Krone
Des ganzen Heers, der Helden edle Schaar,
Die mit verdientem Ruhm und reichem Lohne
Im Frieden dienen, wie in Kriegsgefahr.
Sie sind dem Feinde Schrecken, Schutz dem Throne,
Und ziehn auf mächt'gen Rossen, Paar und Paar,
Und wieder strahlt der purpurnen Gewande,
Des Stahls und Goldes Glanz, vom Himmelsrande.
[184]
30.
Alark, der wilde, kommt mit Odemaren,
Dem Heer-Anordner; Hydraot, vereint
Mit Rimedon, dem Höhner der Gefahren,
Deß kühner Sinn verachtet Tod und Feind.
Tigran kommt mit Rapold, dem Großcorsaren,
Des Meers Tyrannen; Ormond auch erscheint
Mit Marlabust, genannt von allen Zungen:
Der Araber, weil er dies Volk bezwungen.
31.
Hier ist Orind, Brimart, der Städtezwinger,
Und Arimon, und Pyrga, und Suifant,
Der Rossebänd'ger; und auch du, als Ringer
Durch Meisterschaft berühmt, Aridamant;
Und Tissaphern, der große Waffenschwinger,
Ein Blitz des Mars, dem Keiner gleich genannt,
Er mag zu Roß, er mag zu Fuße schlagen,
Den Degen kreisen, mit der Lanze jagen.
32.
Ein Krieger, in Armeniens Gau'n geboren,
Führt dieser Ritter edles Häuflein an.
Er hatt', als Jüngling, Christum abgeschworen;
Einst hieß er Clemens, Emiren sodann.
Von seinem Herrn zum Günstling auserkoren,
Dient' er dem König, ein getreuer Mann,
Als Führer und als Ritter gleichen Werthes,
Durch Muth und Geist und Tapferkeit des Schwertes.
[185]
33.
Aus war der Zug, als, wider Aller Meinung,
Armida kam mit ihrem Heergeleit,
Auf hohem Wagen, herrlich in Erscheinung,
Mit Pfeil und Bogen und geschürztem Kleid.
Der neue Zorn, auffallend durch Vereinung
Mit angeborner Huld und Lieblichkeit,
Gab Kraft dem Ansehn; rauh und unerschrocken,
Schien sie zu drohn, und drohend noch zu locken.
34.
Ihr Wagen strahlt gleich dem der Sonne, prächtig
Umglänzt vom Hyacinth und vom Rubin;
Der kund'ge Führer lenkt, klug und bedächtig,
Die vier Einhörner, die ihn paarweis ziehn;
Und hundert Jüngling', ihres Bogens mächtig,
Und hundert Mädchen, rings umgeben ihn,
Und alle ziehn einher auf weißen Rossen,
Im Wenden leicht, im Laufen unverdrossen.
35.
Ihr nach folgt Aradin mit jenen Banden,
Die Hydraot aus Syrien nahm in Sold.
Wie wann der einz'ge Vogel, neu erstanden,
Geschmückt mit reichem Halsband, mit dem Gold
Der angebornen Krone, nach den Landen
Von Aethiopien aufbricht, hehr und hold,
Der Welt Bewundrung, und auf allen Seiten
Beschwingte Heer' anstaunend ihn begleiten:
[186]
36.
So kommt Armida jetzt, die durch Gestaltung,
Anstand und Pracht ein jedes Aug' entzückt;
Kein Herz ist hier so gänzlich in Erkaltung,
So liebefeind, daß Lieb' es nicht durchzückt.
Gesehen kaum, in zürnend ernster Haltung,
Hat sie soviel der Männer schon berückt:
Was wird geschehn, wenn ihrer Wangen Rosen
Erst heitrer blühn, und süße Blicke kosen?
37.
Vorüber war auch sie, da ruft zum Throne
Der Kön'ge König laut den Emiren;
Denn Dieser soll, Vertreter seiner Krone,
Vor allen Feldherr'n als ihr Feldherr gehn.
Er naht, vorahnend, dem verdienten Lohne
Mit Anstand, werth des Rangs, der ihm ersehn.
Schnell theilet sich die Wache der Circassen,
Um ihm den Weg thronaufwärts frei zu lassen.
38.
Er beugt das Haupt, und legt, aufs Knie gefallen,
Die Recht' an seine Brust. Der König spricht:
Dies Scepter geb' ich dir; den Völkern allen
Setz' ich dich vor; tritt du in meine Pflicht.
Befreie du den fürstlichen Vasallen,
Ueb' an den Franken rächendes Gericht.
Geh, sieh und sieg'; und die dem Tod entgangen,
Die bring' uns her, entwaffnet und gefangen.
[187]
39.
So sagt der Herrscher, und die hohe Gabe
Dankbar empfangend, spricht der Held voll Glut:
Von Siegerhand beliehn mit diesem Stabe,
Geh' ich zur That, o Herr, in deiner Hut.
Daß Asien bald der Schmach Vergeltung habe,
Hoff' ich, dein Feldherr, und mit deinem Muth.
Nie, wenn nicht Sieger, kehr' ich heim zum Lande,
Und dem Besiegten werde Tod, nicht Schande.
40.
Und wenn vielleicht mit vorbestimmter Plage –
Ich fürcht' es nicht – der Himmel uns bedroht:
So schmettr' er dann, mit Einem Wetterschlage,
Nur auf mein Haupt Unglück herab und Noth.
Das Heer bleib' unverletzt; nicht Leichenklage,
Siegsjubel feire dann des Führers Tod.
Er schweigt, und mit des Volkes freud'gem Schalle
Mischt sich der Klang barbarischer Metalle.
41.
Und unter Jubelschall und Tonspiel wendet
Der König sich mit seiner Edeln Reihn.
Den Führern wird ein frohes Mahl gespendet
Im Hauptgezelt; er aber sitzt allein,
Indem er Speis' und Worte rings versendet,
Denn ungeehrt von ihm soll Niemand sein.
Armida findet Zeit und Ort gelegen
Für ihre Kunst, da Freud' und Scherz sich regen.
[188]
42.
Sie nun, nach aufgehobnem Mahl gewahrend,
Daß jedes Auge sich auf sie beschränkt,
Und durch bekannte Zeichen wohl erfahrend,
Mit ihrem Gift sei jedes Herz getränkt,
Steht auf vom Sitze, Stolz mit Ehrfurcht paarend,
Indem sie ihren Schritt zum König lenkt,
Und zeigt, so sehr sie kann, Kraft in Vereinung
Mit Heldenmuth, durch Sprach' und durch Erscheinung:
43.
Auch ich, o Herr! kam her, mich zu verpflichten
Zum Kampf für Glauben und für Vaterland.
Ich bin ein Weib, doch Fürstin, und mit nichten
Mißziert ein fürstlich Weib das Kriegsgewand.
Wer herrschen will, üb' alle Herrscherpflichten,
Und Schwert und Scepter ziemt derselben Hand.
Die meine wird, kraftvoll und unerschrocken,
Aus Feindesbrust noch blut'ge Ströme locken.
44.
Auch wähne nicht, daß mich an diesem Tage
Zuerst entflammt die edle, hohe Lust;
Für deinen Thron, für unsern Glauben wage
Ich schon seit langer Zeit die kühne Brust.
Wohl kannst du wissen, ob ich Wahrheit sage,
Denn Eine That ist sicher dir bewußt:
Wie mir's gelang, von allen Rittersleuten
Der Kreuzesschaar die größten zu erbeuten.
[189]
45.
Da wurden sie, gefangen und gebunden,
Ein Prachtgeschenk, durch mich dir übermacht,
Und sicher hieltest du, noch dieser Stunden,
Sie wohl bewahrt in ew'ger Kerkernacht,
Und hättest dann, der größten Fahr entbunden,
Gewissern Siegs dein großes Werk vollbracht:
Wenn nicht Rinald, der wilde, meine Krieger
Im Feld erschlug und Jene löst' als Sieger.
46.
Kund ist Rinald; von seinen Heldenthaten
Wird auch bei euch die lange Folg' erzählt.
Er ist's, der grausam mich hernach verrathen
Durch ein Vergehn, dem noch die Rache fehlt.
Zorn treibt zu dem, wozu Vernunft gerathen,
Und hat den Arm zum Kampfe mir gestählt.
Doch meine Schmach, den ganzen Lauf der Sache
Erfahrt ihr einst; genug jetzt: Ich will Rache!
47.
Und Rache wird mir! Nicht umsonst entraffen
Die Winde jeden aus der Pfeile Schaar,
Und auf die Schuld'gen lenkt gerechte Waffen
Der Himmel selbst bisweilen wunderbar.
Doch glückt' es wem, den Frevler hinzuraffen,
Und brächt' er sein verhaßtes Haupt mir dar:
Wohl würde mir auch diese Rache frommen,
Hätt' ich auch selbst sie rühmlicher genommen;
[190]
48.
So sehr mir frommen, daß ich mit Ergetzen
Ihm lohnen will mit meinem theursten Hort.
Mich, wenn er will, begabt mit reichen Schätzen
Und mit mir selbst, führ' er als Gattin fort.
Das will ich fest, unwiderruflich, setzen,
Das schwör' ich mit unwandelbarem Wort.
Wer diesen Preis der Wagniß meiner Fehde
Für würdig hält, der zeige sich und rede!
49.
Indeß dem Munde diese Wort' entwallen,
Verfolgt Adrast sie mit der Blicke Glut.
Nein, ruft er dann, dem Himmel würd's mißfallen,
Wenn dein Geschoß sich taucht' in Mörderblut.
Nicht würdig ist, durch deine Hand zu fallen,
O schöne Schützin! solche Frevlerbrut.
Ich will als Knecht mich deinem Zorn verdingen,
Und Ich sein Haupt dir zum Geschenke bringen.
50.
Das Herz reiß' ich ihm aus; dem Volk der Geier
Sei sein zerfleischter Leichnam ein Gericht!
So sprach Adrast, der übermüth'ge Freier;
Doch Tissaphern ertrug sein Prunken nicht:
Wer, zürnt' er, bist denn du, ruhmred'ger Schreier,
Der vor dem Herrn und uns so prahlend spricht?
Hier ist vielleicht, der dein Geschwätz besiegen
Durch Thaten wird, und dennoch hat geschwiegen.
[191]
51.
Der bin ich, spricht Adrast, der wenig Worte
Pflegt zu gesellen seiner Thaten Zahl;
Doch sprachst du dies an einem andern Orte
So ungestüm: du sprachst zum letztenmal.
Fort ging's, wenn der Chalif, zum Friedens-Horte
Nicht seine Recht' erhob und Ruh befahl.
Wohl, edle Frau, beginnt er zu Armiden,
Ward dir ein groß und männlich Herz beschieden.
52.
Und würdig bist du wohl, daß diese Beiden
Dir opfern ihren Haß und ihre Wut,
Damit du lenken magst der Schwerter Schneiden,
Nach deinem Wunsch, auf jenes Räubers Blut.
Doch wird ihr Wettkampf edler sich entscheiden,
Dort heller strahlen Jedes Kraft und Muth.
Er schwieg, und Beid' erneuten das Versprechen,
Wetteifernd, blutig ihre Schmach zu rächen.
53.
Und nicht nur sie: die Tapfersten bemühten
Sich insgesammt mit kecken Prahlerei'n;
Sie alle schworen ihr, sie alle glühten,
Der Rache das verruchte Haupt zu weihn.
So viele Waffen, solch verderblich Wüten
Zog sie auf ihren Liebling jetzt herein.
Er aber kam, dem Inselstrand entflogen,
In schnellem Laufe glücklich durch die Wogen.
[192]
54.
Denselben Weg durchschifft beim Wiederkehren,
Wie bei der Hinfahrt, der beglückte Kahn,
Und Lüfte, die das Segel blähn, gewähren
Nicht minder Gunst, als sie zuvor gethan.
Bald schaut Rinald den Pol-Stern und die Bären,
Bald andre Sterne, die der nächt'gen Bahn
Wegweiser sind, bald Ström' und Felsenhöhen,
Die übers Meer die kühne Stirn erhöhen.
55.
Bald forscht er nach dem Heer, dem Kriegesgange,
Bald nach der Völker Sitt' und Lebensart;
Und durch die Salzflut schiffen sie so lange,
Daß man die vierte Sonne schon gewahrt.
Kaum aber neigt sich die zum Untergange,
Da lenkt das Schiff zur Küste seine Fahrt.
Die Jungfrau spricht: Hier seht ihr das Gestade
Des heil'gen Lands, hier enden unsre Pfade.
56.
Sie setzt sodann die Ritter aus am Strande
Und schwindet schneller, als ein Wort verhallt.
Nun mischt die Nacht zu Einem Gegenstande
Der Gegenständ' abwechselnde Gestalt,
Und Jene schaun auf diesem öden Sande
Ringsum kein Dach und keinen Aufenthalt,
Nicht Eine Spur von Rossen oder Leuten,
Nichts um des Weges Richtung anzudeuten.
[193]
57.
Ein Weilchen stehn sie hier, noch unentschlossen,
Dann wenden sie vom Meer ihr Angesicht
Und wandern fort, und sieh! den drei Genossen
Strahlt plötzlich aus der Fern' ein seltsam Licht,
Das wie mit Silberblitzen, Goldgeschossen,
Die Nacht erhellt, die Finsterniß durchbricht.
Die Ritter nahn sich ihm auf gradem Wege,
Und sehen bald, was diesen Glanz errege.
58.
Sie sehn noch ungebrauchte Waffen hangen
An einem Stamm, beglänzt vom Mondesstrahl,
Und heller, als die Stern' am Himmel, prangen
Die Edelstein' am Goldhelm und am Stahl,
Und dieses Licht zeigt auf dem Schild, in langen
Reihnfolgen, hell der schönen Bilder Zahl.
Als Wächter, scheint es, sitzt ein Greis daneben,
Der, sie erblickend, eilt sich zu erheben.
59.
So wie Ubald und Karl ihn unterscheiden,
Wird gleich ihr alter, weiser Freund erkannt.
Mit frohem Blick begrüßen ihn die Beiden,
Und traulich reicht er ihnen seine Hand.
Dann kehrt er sich zum Jüngling, der bescheiden
Und schweigend seinen Blick auf ihn gewandt:
Nur dich, o Herr, so tönen seine Worte,
Erwart' ich einsam hier an solchem Orte.
[194]
60.
Ich bin dein Freund; vernimm von diesen Biedern,
Mit welcher Sorg' ich dein Geschick umfaßt.
Durch meine Hülf' entzogen sie der niedern
Bezaubrung dich, der schnöden Schwelgerrast.
Jetzt hör' ein Wort, das den Sirenenliedern
Entgegen kämpft, und sei's dir nicht zur Last.
Bewahr' es wohl, bis dir der Wahrheit Kunde
Ertönt aus einem weisern, heil'gern Munde.
61.
Nicht bei Sirenen, unterm Schattenflügel
Der weichen Ruh', an blumumkränzter Flut:
Nein, auf der Tugend mühevollem Hügel,
Auf steilen Höh'n wohnt unser höchstes Gut.
Dem wird es nie, der nicht im festen Zügel
Die Wollust hält, nicht Frost erträgt und Glut.
Und wolltest du verziehn, fern von den Strahlen
Der heitern Höh'n, ein Aar in niedern Thalen?
62.
Zum Himmel hat Natur dein Haupt erhoben,
Dir hohen Geist geschenkt, großmüthig, kühn,
Aufwärts zu schaun, und durch erlauchte Proben
Um jeden höchsten Preis dich zu bemühn.
Mit raschem Zorn ward dein Gemüth durchwoben,
Nicht, daß er sollt' im Bürgerangriff glühn,
Noch knechtisch niedrigen Begierden fröhnen,
Die nimmer sich mit der Vernunft versöhnen:
[195]
63.
Vielmehr daß deine Kraft, mit Zornes Waffen,
Gewalt'ger dring' auf äußre Feinde hin,
Und mächt'ger sei, aus deiner Brust zu raffen
Der Sinne Gier, die innre Gegnerin.
Zu welchem Zweck er ward dir anerschaffen,
Lenk' ihn geschickt des Feldherrn weiser Sinn,
Und mög' ihn bald entflammen und beflügeln,
Bald, wie er will, abkühlen ihn und zügeln.
64.
So sprach der Greis. Beschämt, doch voll Vertrauen,
Vernahm Rinald der hehren Weisheit Ton
Und ließ sein Herz durch dieses Wort erbauen,
Indeß die Blicke still zur Erde flohn.
Leicht war's dem Greis', in seine Brust zu schauen:
Erhebe, sprach er, deine Stirn, o Sohn!
Und wende deinen Blick zu diesem Schilde,
Der deiner Väter Thaten zeigt im Bilde.
65.
Schaun wirst du hier die Ehre deiner Ahnen
Auf steilen Höh'n, wohin Verdienst sie trug.
Du bliebst, ein träger Läufer, auf den Bahnen
Erhabnen Ruhms zurück noch weit genug.
Auf, sporne dich! Ermuntern und ermahnen
Soll dieser Anblick dich zu rascherm Flug.
So sprach der Greis, und während seiner Worte
Blickt' unverwandt Rinald nach jenem Orte.
[196]
66.
Zahllos Gebild in engen Raum geschlossen
Hat des gelehrten Künstlers feine Wahl:
Aus Actius hocherhabnem Blut entsprossen,
Nie ausgesetzt, erscheint der Helden Zahl,
Erscheint die ungetrübte Flut, entflossen
Dem alten Römerquell, in lauterm Strahl.
Mit Lorbeern ist der Fürsten Haupt umgeben,
Der Weise zeigt ihr glorreich kriegrisch Leben.
67.
Er zeigt, wie Cajus, da an allen Enden
Das morsche Reich der fremden Macht sich neigt,
Freiwill'ge Völker zäumt mit starken Händen
Und Este's ersten Fürstenstuhl besteigt;
Wie sich zu ihm die schwächern Nachbarn wenden,
Da die Gefahr den Führer nöthig zeigt,
Als jener Goth' auf schon bekannten Pfaden
Zurückkehrt, von Honorius eingeladen.
68.
Und wie hernach, als im Barbaren-Brande
Italien überall zu lodern scheint,
Und Rom bereits, in rauhem Sklavenbande,
Vernichtung fürchtet von so wildem Feind:
Wie da Aurelius frei erhält die Lande,
Die unter seinem Scepter sich vereint;
Und wie Forest dem Herrscher aus dem Norden,
Dem Hunnen trotzt und seinen wilden Horden.
[197]
69.
Leicht wird das Antlitz Attila's gefunden,
Der wie mit Drachenaugen um sich schaut.
Du siehst beinah, so gleicht sein Kopf den Hunden,
Sein Zahngefletsch, hörst seines Bellens Laut.
Sieh, wie er dann, im Zweikampf überwunden,
Dem Schirm der Seinen fliehend sich vertraut.
Und dort, zum Schutz von Aquileja's Vesten,
Sieh dann Italiens Hektor ziehn, Foresten.
70.
An anderm Ort ist ihm bestimmt zu fallen;
Sein Loos ist Welschlands Loos. Sieh Acarin,
Des großen Vaters großen Sohn! vor Allen,
Stützt Heil und Ruhm Italiens sich auf ihn.
Als dem Geschick, dem Hunnen nicht, gefallen
Altinum war, mußt' er zurück sich ziehn,
Und wußt' aus tausend in des Po Gefilden
Zerstreuten Häusern eine Stadt zu bilden.
71.
Durch Dämme schloß er in gemessne Bahnen
Des Stromes Flut und ließ die Stadt entstehn,
So in der Folgezeit die hohen Ahnen
Des Hauses Este sich zum Sitz ersehn.
Er muß, obwohl Besieger der Alanen,
Im Kampf mit Odoacer untergehn,
Und stirbt fürs Vaterland. O edles Sterben,
Das ihn den Ruhm des Vaters läßt erwerben!
[198]
72.
Mit ihm fällt Alphoris, und nothgedrungen
Flieht Azzo mit dem Bruder aus dem Reich;
Doch da der Herulertyrann bezwungen,
Kehrt er zurück, an Rath und Waffen reich.
Der, dem ins Aug' ein Todespfeil gedrungen,
Este's Epaminondas, folgt sogleich,
Und stirbt vergnügt, da Totilas, der wilde,
Geschlagen wird, auf seinem theuern Schilde.
73.
Von Bonifacius red' ich. In die Spuren
Des Vaters trat schon früh Valerian;
Den Mannesarm, die Mannesbrust erfuhren
Die Gothen bald auf offner Kriegesbahn.
Dann zeigt sich Ernst, der auf Dalmatiens Fluren
Besiegt die Slaven, die sich dräuend nahn,
Da von Monscelse schon durch Aldoarden
Vertrieben war der König der Lombarden.
74.
Heinrich ist dort, und Berengar; entboten
Vom großen Karl zu hoher Waffenthat,
Zeigt Dieser sich, von Keinem überboten,
Als Held und Führer reich an Kraft und Rath.
Nun schickt ihn Ludwig wider den Nepoten,
Der in Italien seine Herrschaft hat.
Schau! den Besiegten führt er fort, gefangen.
Dann sieht man Otto mit fünf Söhnen prangen.
[199]
75.
Dort zeigt sich Almerich, der in den Gauen
Der Königin des Po schon Markgraf ist;
Der Kirchengründer wendet voll Vertrauen
Sein Auge himmelan, ein frommer Christ,
Azzo der zweite läßt sodann sich schauen,
Der sich im Kampf mit Berengaren mißt,
Den er, nach langem Wechsel, überwindet,
Und dann sich Herrscher von Italien findet.
76.
Albrecht, sein Sohn, erwirbt im deutschen Reiche
So hohen Ruhm, nachdem in Spiel und Schlacht
Der Dän' erlag, daß Otto ihn, durch reiche
Aussteuer lockend, sich zum Eidam macht.
Nach ihm kommt Hugo, der mit kräft'gem Streiche
Zu Boden schlägt des Römerstolzes Macht.
Man wird ihn Markgraf von Italien nennen
Und ganz Toscana ihn als Herrn erkennen.
77.
Tedald erscheint; dann Bonifaz, der hehre,
Bei ihm Beatrix, seiner Gattin, Bild;
Doch keinen Sohn, der Erb' und Folger wäre
Des großen, reichen Vaters, zeigt der Schild.
Mathildis folgt ihm, die mit hoher Ehre
Den Mangel an Geschlecht und Zahl vergilt;
Denn sie, gleich groß an Kühnheit und Verstande,
Deckt Kron' und Scepter mit dem Frau'ngewande.
[200]
78.
Man wird des Heldengeists der großen Ahnen,
Der Manneskraft, in ihrem Blick gewahr.
Sie wirft den Normann, und auf öden Bahnen
Flieht Guiscard selbst, der nie bezwungen war.
Sie schlägt den vierten Heinrich, und die Fahnen,
Die sie ihm nimmt, bringt sie dem Tempel dar.
Dann setzt sie den vertriebnen Bischof wieder
Auf Peters Stuhl im Vaticane nieder.
79.
Man sieht, bald nach ihr, bald mit ihr verbunden,
Den fünften Azzo, den sie ehrt und liebt;
Doch blüh'nder wird des vierten Stamm gefunden,
Der manchem Zweige Kraft und Nahrung giebt.
Sein Sprößling Guelf, ein Sohn von Kunigunden,
Der sich nach Deutschland, das ihm ruft, begiebt,
Verpflanzet frisch, mit glücklichem Vertrauen,
Den guten Samen Roms in Baierns Auen.
80.
Dem Guelfenstamm, für sich fast ausgegangen,
Impft er den Zweig aus Este's Garten ein.
Du siehst den Baum mit Kron' und Scepter prangen
Durch seiner Guelfen glückliches Gedeihn,
Und, ungestört, zum höchsten Wuchs gelangen,
Bestrahlt von günstiger Gestirne Schein.
Dem Himmel gränzt er, nie im Trieb' ermattend,
Halb Deutschland füllend und es ganz beschattend.
[201]
81.
Doch blüht auch im italischen Gefilde
Der königliche Baum nicht minder reich.
Hier zeigt Berthold sich neben Guelfens Bilde;
Azzo der sechste kommt den Ahnen gleich.
Dies sind der Helden Reihn, die auf dem Schilde
Zu athmen scheinen, warm und lebensreich.
Rinaldo facht, im Anschaun ganz versunken,
Die angeborne Glut zu hellen Funken.
82.
Sein stolzer Geist, von eifersücht'ger Ehre
Gereizt, entflammt, wird so dahin gerafft,
Daß er bereits, als ob es wirklich wäre,
Was Phantasie in seinem Innern schafft,
Erstürmte Städte, hingewürgte Heere,
Zu schauen wähnt mit seines Auges Kraft.
Er waffnet sich, als ging' es gleich zum Kriege,
Und eilt durch Hoffnung schon zuvor dem Siege.
83.
Doch Karl, der schon das ruhmgekrönte Sterben
Des Dänenfürsten ihm erzählt vorhin,
Gab ihm das Schwert, ihm zuerkannt als Erben:
Gebrauch' es glücklich, sprach er, zum Gewinn
Der Christenheit, zu ihres Feinds Verderben,
Mit minder frommem nicht als kühnem Sinn.
Gebrauch's, um seinen ersten Herrn zu rächen;
Er liebte dich und durft' es sich versprechen.
[202]
84.
Und er: Gefall's dem göttlichen Gerichte,
Daß einst die Hand, die nun dies Eisen trägt,
Mit diesem Schwert des Schwertes Preis entrichte,
Wann sie den Mörder seines Herrn erschlägt.
Karl danket ihm mit frohem Angesichte,
Indem er viel in wenig Worte legt.
Jetzt aber naht den Beiden sich der Weise
Und treibt sie an zu ihrer nächt'gen Reise.
85.
Auf, spricht er, es ist Zeit; wir müssen fliegen,
Denn Gottfried und das Lager harren dort.
Drum schnell dahin, wo eure Völker liegen;
Ich führ' im Dunkel sicher euch zum Ort.
So spricht der Greis, hat sein Gefährt bestiegen
Und nimmt die Andern bei sich auf sofort,
Und nun, den Rossen schlaffen Zaum gewährend,
Treibt er sie an, den Lauf gen Osten kehrend.
86.
Stumm ziehn sie fort, vom Dunkel rings umschlossen;
Da spricht der Weise, zu Rinald gewandt:
Du sahest deinen Stamm, hoch aufgeschossen,
Und Zweig' und Wurzel sind dir nun bekannt.
Und hat er gleich so viele Heldensprossen
Hervorgebracht seit er auf Erden stand:
Doch ist und wird er müde nicht im Zeugen,
Denn nie wird Alter seine Kräfte beugen.
[203]
87.
O könnt' ich so, wie aus der Vorzeit Tagen
Ich ließ hervor die ersten Väter gehn,
Dir auch die Schaar der edeln Enkel sagen,
Die einst aus deinem Heldenblut entstehn,
Und ihren Ruhm vor Aller Augen tragen,
Bevor sie noch das Licht der Welt gesehn!
Denn nicht geringre Folg' an künft'gen Helden,
Nicht minder hohe Thaten würd' ich melden.
88.
Doch meine Kunst kann nicht für sich ergründen,
Was noch die Zukunft birgt dem Angesicht;
Nur trübe schimmert's, wie in Nebelschlünden
Aus weiter Fern' ein ungewisses Licht.
Und wag' ich doch, dir Ein'ges zu verkünden
Mit Sicherheit, so nenn' es Dünkel nicht;
Mir sagt' es der, dem oftmals ohne Hülle
Der Himmel darlegt des Verborgnen Fülle.
89.
Was ihm ein göttlich Licht zu offenbaren
Gewürdigt hat, deß geb' ich dir Bescheid;
Nie hat bei Griechen, Römern und Barbaren,
Nicht jetzt, noch in der guten alten Zeit,
Ein Stamm erzeugt so reiche Heldenschaaren,
Als Himmelsgunst zu Enkeln dir verleiht;
Denn gleichen werden sie den höchsten Namen
Aus Roms und Sparta's und Carthago's Samen.
[204]
90.
Allein vor Allen wird Alfonso ragen,
Des Namens Zweiter, doch der Erst' an Werth.
Er wird erstehn, wann in verderbten Tagen
Die dürft'ge Welt nur wenig Helden nährt.
Nie wird, wie Er, ein Mann so herrlich tragen
Das Scepter auf dem Thron, im Kampf das Schwert,
Der Waffen Last, des Diademes Bürde:
Er, deines Stammes Ruhm und höchste Würde!
91.
Als Knabe schon, in nachgeahmten Kriegen,
Wird er des künft'gen Muths Verkünder sein;
Im Ritterspiel wird er den Preis erfliegen,
Das Wild wird vor ihm zittern und der Hain.
Er wird hernach in wahren Schlachten siegen,
Und reiche Beut' und Palmen warten sein;
Und oftmals prangt er, mit verdientem Glanze,
Im Lorbeer-, Eichen- oder Halmenkranze.
92.
Nicht mindrer Glanz wird ihn als Mann verklären,
Wann er den Frieden stiftet und bewacht.
Den Seinen wird er Sicherheit gewähren,
Obwohl umringt von kühner Nachbarn Macht;
Die Künste fördern, das Talent ernähren,
Festspiele feiern von erlesner Pracht;
Mit gleicher Waage Straf' und Lohn vertheilen,
Und sichern Blicks voraus der Zukunft eilen.
[205]
93.
O sollt' er je zum Kriege mit den Frechen,
Die Land und Meer dann furchtbar überziehn,
Vor denen einst, in einer Zeit voll Schwächen,
Die edelsten der Völker schmählich knie'n;
Sollt' er, um Tempel und Altar zu rächen,
Die sie zerstört, hinaus als Feldherr ziehn:
Wie würd' er dann der Frevler Rotte zähmen,
Wie harte Rach' an dem Tyrannen nehmen!
94.
Dann wehrt' umsonst mit mächt'gem Widerstande
Der Türk' und Mohr des Helden kühner That;
Denn bahnen würd' er bis zum Euphrat-Strande,
Bis auf des Taurus schneebedeckten Grath,
Bis in des Sommers ewig blüh'nde Lande,
Dem Kreuz, dem Aar, den Lilien ihren Pfad,
Des Mohren Haupt mit heil'ger Flut bethauen
Und so des Nils verborgne Quellen schauen.
95.
So spricht der Greis, und die Prophetentöne
Vernimmt entzückt der staunende Rinald,
Dem der Gedank' an seine künft'gen Söhne
Mit wonnigem Gefühl die Brust durchwallt.
Nun zeigt Aurora sich in neuer Schöne,
Der Morgenhimmel wandelt die Gestalt;
Schon können sie von fern die Wimpel sehen,
Die frei und lustig auf den Zelten wehen.
[206]
96.
Von neuem nun beginnt der edle Weise:
Seht, wie die Sonn' euch dort entgegen lacht
Und freundlich euch das nahe Ziel der Reise,
Feld, Lager, Stadt und Hügel kenntlich macht.
Ohn' alle Fahr, auf unbekanntem Gleise,
Hab' ich euch redlich bis hieher gebracht.
Jetzt brauchet ihr, die Reise zu vollbringen,
Des Führers nicht; ich darf nicht weiter dringen.
97.
So nimmt er Abschied, wendet um den Wagen
Und läßt zu Fuß die drei Gefährten dort,
Und sie, die ihren Schritt gen Osten tragen,
Ziehn raschen Gangs bis zu den Zelten fort.
Schnell die ersehnte Heimkehr anzusagen,
Fliegt das Gerücht voraus von Ort zu Ort,
Und läßt die Kunde zu Bouillon gelangen,
Der sich erhebt, die Ritter zu empfangen.
Ausgewählte Ausgaben von
Das befreite Jerusalem
|
Buchempfehlung
Nach einem schmalen Band, den die Droste 1838 mit mäßigem Erfolg herausgab, erscheint 1844 bei Cotta ihre zweite und weit bedeutendere Lyrikausgabe. Die Ausgabe enthält ihre Heidebilder mit dem berühmten »Knaben im Moor«, die Balladen, darunter »Die Vergeltung« und neben vielen anderen die Gedichte »Am Turme« und »Das Spiegelbild«. Von dem Honorar für diese Ausgabe erwarb die Autorin ein idyllisches Weinbergshaus in Meersburg am Bodensee, wo sie vier Jahre später verstarb.
220 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro