72. Die süße Einsamkeit

[494] Mel.: Gott des Himmels und ... oder: Liebe, die du mich zum Bilde ...


1.

Komm, mein Freund, und nimm mich wieder

Vom Geräusch mit dir allein,

Setz mich mit Maria nieder,

Eingekehrt zu harren dein!

Wahre Still' und Einsamkeit

Führt zur Gottgemeinsamkeit.
[494]

2.

Wie verwirrt und wie gefährlich

Geht's nicht bei den Leuten zu!

Lebt nicht mancher recht beschwerlich,

Dem nichts fehlt als Gott und Ruh?

Manche Seel' ersticket fast

Unter vieler Sorgenlast.


3.

Wohl dem, der frei vom Getümmel

Und vom Umgang dieser Welt

Sich mit Herz und Geist im Himmel,

Mit dem Körper einsam hält,

Übet das Geschäfte nun,

Das er ewig wünscht zu tun!


4.

Bäume an dem Wasser grünen,

Wir, wenn wir zum Herren nahn,

Ihm im Geist und Wahrheit dienen,

Lieben, schaun und beten an.

Ein Zerstreuter kennt das nicht,

Was in Einsamkeit geschicht,


5.

Was ein einsam Herz genießet

Von den Kräften jener Welt,

Wenn sich's dem Geschöpf verschließet

Und dem Schöpfer offen hält;

Da deckt Gott uns bei sich zu,

O der tief verborgnen Ruh!
[495]

6.

Du vollkommner Gott warst einsam

In dir selbst vor aller Zeit;

Selig, wer mit dir gemeinsam

Lebt in deiner Ewigkeit!

In die Wüste lock mich ein,

Einsam so in dir zu sein!


Quelle:
Gerhard Tersteegen: Geistliches Blumengärtlein. Stuttgart 1956, S. 494-496.
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