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[502] Mel.: Wer nur den lieben Gott läßt walten ... oder: Ich bete an ...
1.
O Gott, o Geist, o Licht des Lebens,
Das uns im Todesschatten scheint,
Du scheinst und lockst so lang vergebens,
Weil Finsternis dem Lichte feind;
O Geist, dem keiner kann entgehen,
Ich laß dich gern den Jammer sehen.
2.
Entdecke alles und verzehre,
Was nicht in deinem Lichte rein,
Wenn mir's gleich noch so schmerzlich wäre,
Die Wonne folget nach der Pein!
Du wirst mich aus dem finstern Alten
In Jesu Klarheit vergestalten.
3.
Mein'm Sündengift ist nicht zu steuern,
Durchsalbe du mich, dann geschicht's,
Du mußt von Grund auf mich erneuern,
Sonst hilft mein eignes Trachten nichts;
O Geist, sei meines Geistes Leben,
Ich kann mir selbst kein Gutes geben!
[502]
4.
Du Atem aus der ew'gen Stille,
Durchwehe sanft der Seele Grund,
Füll mich mit aller Gottesfülle
Und da, wo Sünd' und Gräuel stund,
Laß Glaube, Lieb' und Ehrfurcht grünen,
Im Geist und Wahrheit Gott zu dienen!
5.
Mein Wirken, Wollen und Beginnen
Sei kindlich folgsam deinem Trieb,
Bewahr mein Herz und alle Sinnen
Untadelig in Gottes Lieb';
Dein In-mir-Beten, Lehren, Kämpfen
Laß mich auf keine Weise dämpfen!
6.
O Geist, o Strom, der uns vom Sohne
Eröffnet und kristallenrein
Aus Gottes und des Lammes Throne
Nun quillt in stille Herzen ein,
Ich öffne meinen Mund und sinke,
Gib mir dies Wasser, daß ich trinke!
7.
Es hilft kein Wollen, Laufen, Zwingen,
Ich halte mich nur eingekehrt
Und lasse mich von dir durchdringen,
O Kraft, die mein Gemüt begehrt;
Doch mein Begehren sinket nieder
Und läßt sich dir zu Grunde wieder.
8.
Ich lass' mich dir und bleib' indessen
Von allem abgespänt dir nah,[503]
Ich will 's Geschöpf und mich vergessen,
Dies innigst glauben: Gott ist da.
O Gott, o Geist, o Licht des Lebens,
Man harret deiner nie vergebens.
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