86. Der Pilger Ausgang

[520] Mel.: Wo soll ich fliehen hin ...


1.

Von allen Dingen ab-,

Die nicht mitgehn durchs Grab,

Soll meine Seel' sich wenden;

Herr, gürte meine Lenden,

Laß mich hinfort auf Erden

Ein'n wahren Fremdling werden!


2.

Die Welt hat nichts an mir,

Und ich hab' nichts allhier

Zu hoffen, zu genießen,

Ich will die Augen schließen;

Ein ewig wahres Wesen,

Kein Traum, macht mich genesen.


3.

Ich tu Verzicht darauf,

Was sonst im Pilgerlauf

Sich mir anpreisen würde;

Es ist nur eine Bürde,

Ich lass' sie andern stehen,

Ich kann also nicht gehen.


4.

Ich bin ein Wandersmann;

Was geht's den Fremdling an?

Ich reise gern mit Frieden,

Frei, bloß und abgeschieden;

Geld, Ehre, Lust, Vergnügen,

Ich lass' euch alle liegen.
[521]

5.

Ich kehr' von dem auch ab,

Was ich zur Not noch hab';

Was mein ist, ist nicht meine,

Gott ist mein Gut alleine,

Mein Teil, mein Trost, mein Leben,

Was such' ich noch daneben!


6.

Weg, Herzleid, weg, Betrug,

Mein Gott, du bist mir g'nug!

Man hat's in dir alleine

So wesentlich, so reine,

So ruhig, so inwendig,

Man hat's in dir beständig.


7.

Mein Ausgang völlig sei,

So wird der Eingang frei,

So komm' ich in die Weite

Und mich in dir ausbreite;

Daheim im Vaterlande

Zerreiß dann meine Bande!


8.

Verbirg mich tief bei dir,

Daß ich recht einsam hier

Und dir gemeinsam lebe,

Dir frei und fest anklebe,

Mein irdisch Teil nicht schone

Und stets im Geist nur wohne!
[522]

9.

Nun hin zur Ewigkeit

Durchs fremde Land der Zeit!

Halt fest, mein treuer Leiter,

Aus mir und allem weiter

Dein Schäflein heimwärts trage!

Mit dir allein ich's wage.


Quelle:
Gerhard Tersteegen: Geistliches Blumengärtlein. Stuttgart 1956, S. 520-523.
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